Thema: Kinokultur
Vorangestellter Nachtrag: Im Perlentaucher schaltet sich auch Ekkehard Knörer ein - unbedingt lesenswert!
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In der gestrigen Ausgabe der Berliner Zeitung schreibt [via] Josef Schnelle mit viel Temperament gegen Filmkritik in Weblogs an. Das Kino, so sein Fazit, brauche die Filmkritik, aber keine Blogs.

Das Bild, das Schnelle zeichnet, könnte düsterer kaum ausfallen: Allenthalben gehen Daumen hoch und runter, statt Analysen finden sich Reizprotokolle, allesamt hängen die Blogs speichelleckend am Rockzipfel der großen, fiesen Über-Industrie und schreiben willig nur, was der Promotionzettel diktiert, während wahre Entdeckungsreisen nicht mehr möglich sind: Im ewigen Feedback-Loop wird das immergleiche ewiglich von Dilletanten und Abschreibern nur wiedergekäut, während Print- oder wenigstens feuilletonistische Kritik Avantgarde darstellt auf der Suche nach dem nächsten großen Meister. Von Trier und Almodovar seien von der Kritik als unverzichtbare Größen des heutigen Kinos erst herbeigeschrieben worden; neue sperrige Regisseure wie Apichatpong Weerasethakul (hier von seinem vor Sorge gegrämten Agenten im übrigen "Werasettakool" und somit glatt falsch geschrieben...) indessen würden von der Netzkritik niemals etabliert werden können.

Natürlich erwähnt Schnelle Ausnahmen. Ein bloß strategisches Manöver. Wolfram Schütte etwa, Filmkolumnist für das Titel-Magazin, würde sofort gedruckt werden, so Schnelle. Kein Wunder, Schütte war ja auch früher "Print". Man sieht regelrecht die Verwirrung über Schnelles Gesicht huschen, wenn dieser sich darüber wundert, warum Schütte das "Netzversteck" suche.

Das Bild, das Schnelle zeichnet, könnte verzerrter, falscher nicht sein. Es sagt nichts aus über den wirklichen state of the art der Film-Netzkultur, wohl aber viel über Schnelles mangelnde Befähigung, sich dem noch immer frischen Medium Internet zu nähern. Das Internet ist seinem Wesen nach ausufernd, weitläufig und differenziert sich rapide immer weiter aus. Eine pauschale Zuspitzung wie die Schnelles ist schon deshalb nicht zulässig: Das Internet ist seiner Tendenz nach nicht homogenisierend, wie es auch keine glasklare Repräsentation desselben gibt: Das Internet als Angebotstätte von Inhalten ist nicht einfach etwas, das in seinen Bestandteilen ganz einfach vor einem liegt (etwa wie die Zeitung auf dem Frühstückstisch), sondern ist in diesem Punkt immer vor allem das, was sich der jeweilige Nutzer, im Sinne eines Navigators, daraus er-fährt.

So mag es freilich zutreffen, dass eine unüberschaubar große Zahl völlig dem entspricht, was Schnelle geißelt; es mag sogar gut sein, dass der Typus Filmblog, den Schnelle hier verteufelt, in der weiten Welt der Filmblogs zahlenmäßig am stärksten vertreten ist. Sagen wir mal nur als Richtwert: 90 Prozent Daumenhoch-Gülle, 10 Prozent Filmkritik und artverwandte Textsorten. Das mag erschüttern - allein, es ist egal. Denn diese 10 Prozent entsprechen im Lesealltag noch immer so unglaublich viele Spezialisten, gute Autoren, lesenswerte Filmkritiken, Anregungen, Entdeckungen, Analysen, usw., dass jede Filmzeitschrift, und selbst noch die ambitionierteste, gegen solche Fülle und Vielfalt fahl aussieht, von den Möglichkeiten und Grenzen feuilletonistischer Filmkritik in Wochen- und Tageszeitungen ganz zu schweigen. Was ficht's einen da nun schon an, dass auf x hoch y vielen anderen Blogs pseudo-redaktionell bekleisterte Reklame zu finden ist, wenn diese aufzurufen man doch im geringsten nicht gezwungen ist?

Ich will das gerne unterfüttern: Die Videothek, in der ich arbeite, weist einen kleinen Café-Bereich auf, für den ich einen kleinen Reader-Ordner betreue. In diesen hinterlege ich interessante, lesenswerte Artikel und Texte, die ich zuvor ausgedruckt habe. Fast alle Texte, darunter natürlich auch englischsprachige, sind genuine Netz-Veröffentlichungen. Innerhalb kürzester Zeit ist hier eine schon recht beachtliche Sammlung entstanden, mit deren Güte keine regulärer Filmzeitschrift und noch weniger ein übliches Feuilleton mitzuhalten im Stande ist. Ein 16seitiges Interview mit Christian Petzold, eine Sammlung von Kritiken zu den Filmen von Yasujiro Ozu, ein erhellendes Gespräch mit Charles Burnett, und vieles weiteres. Ein kleines Netz-Pendant zu einer solchen Zusammenstellung führe ich hier im Blog in der Spalte rechts außen: Der Salon Cinéphile ist ein Linkdump, in dem ich interessante Fundstücke verlinke. Oder man führe sich GreenCine Daily zu Gemüte, den absolut unverzichtbaren Grundpfeiler für gute Film-Netzkultur.

Merkwürdig in Schnelles Zuspitzung erscheint auch die der gedruckten Kritik zugeschriebene Qualität. Ein Großteil gerade auch der überregionalen Feuilletonkritik ist nun gewiss nicht mit Entdeckungsreisen und Avantgarde-Spielen beschäftigt, sondern mit Chronistenpflicht. Ein Blockbuster kommt ins Kino - notwendig ist da Premierenbericht, Star- und Regisseurinterview, dann noch die seitenfüllende Filmkritik, das eine oder andere Skandälchen gibt's noch obenauf, aus dem man noch ein bisschen juice quetschen kann. Platz, der den vielen anderen Filmen mit weniger Finanzkraft im Rücken oft genug bitter fehlt. Da die dann ja eh auch keiner sehen will. Und die großen schalten schließlich überlebenswichtige Werbung. Und wie oft wird man in feuilletonistischer Filmkritik mit Filmen konfrontiert, die eben gerade /nicht/ ins Kino kommen, sondern nur aus dem Ausland auf DVD beziehbar sind? Hier wäre doch in der Tat Avantgarde möglich, Filmkritik als Fürsprache, nicht als dem Schalten und Walten der Filmverleiher anhängig, eine Filmkritik, die sich ihren Gegenstand sucht, statt ihn vorgesetzt zu bekommen. Doch gewiss, der zahlende Leser soll ja nicht schon am Frühstückstisch frustriert werden. Und wieviele Filmkritiken setzten denn überhaupt darauf, den Leser mitunter auch unpopulär zu konfrontieren? Von wenigen Ausnahmen abgesehen, herrscht längst Bespaßungsmodus. Ein Gutteil der bezahlten Printjournalisten ist kaum besser als die unbezahlten Bloggeramateure, und aus deren Gesamtheit sind nicht wenige weit besser als die vermeintlichen Profis. Die hehre Filmkritik, die Schnelle vorschwebt, ist auch im so geliebten Print lediglich Minderheit - wie guter Filmjournalismus im Web, doch wird beides mit unterschiedlichem Maß betrachtet. [und selbstredend, und deshalb noch zur Sicherheit nachgetragen, gibt es diese wertvolle Minderheit und auf sie ist nicht zu verzichten]

Natürlich ist die Filmkritik - als ein, wenn auch kleiner, Bestandteil einer auf Massenmedien zu großen Teilen angewiesenen Gesellschaft und Kultur - derzeit im Wandel begriffen, schon alleine, weil in den letzten Jahren ein medialer Strukturwandel vonstatten geht, der längst noch nicht abgeschlossen ist. Man kann darob, als immerhin bezahlter Vertreter der Zunft, gewiss Teufel und Verdammnis speien. Man kann in "den Blogs" einen wohlfeilen Sündenbock sehen, hätte dann aber auch nur einen Sündenbock, ein bisschen günstig erworbenes Wohlbefinden nach erfolgtem Delegieren von Schuld.

Man kann aber auch entspannt sein oder eben kucken was, da kommen mag. Es ist nur natürlich, oder besser: eine Konstante der Kultur, dass sich mit einem medialen Wandel auch Schreibweisen und -arten ändern. Jede, auch kritische, Form des Schreibens ist einem historisch-medialen Paradigma unterworfen. Die in sich ruhende, abgeschlossene Filmkritik ist hervorgerufen durch die Bedingungen des Zeitungs- und Zeitschriftenzeitalters, einher geht damit ihr Modus und ihre Form. Im Netz schreibt sich's leichter vernetzt, mitunter fragmentarisch - weil jeder andere Text zum selben Gegenstand nur einen Klick weit entfernt ist, der idealerweise in der Kritik schon impliziert wird. Im Netz herrscht der stream vor, im Zeitungswesen die Zeitung als Komplettangebot und beides hat Grenzen und Möglichkeiten. Das eine geht vom adressierten Käufer aus, das andere vom aktiven Navigator. Nur wenn letzteres leserseits nicht erlernt wird - und Schnelles Artikel legt für solche Tendenzen Zeugnis ab -, steht wirklich ein Untergang zu befürchten. Aber nicht allein der Filmkritik.


° ° °




kommentare dazu:



goncourt, Samstag, 16. August 2008, 12:00
Strange. Vielleicht hat der Autor nur sowas wie die "5 Filmfreunde" gelesen. Apichatpong Weerasethakul habe ich, glaube ich, auf newfilmkritik (oder bei Knoerer) das erste Mal gehört.

Du reste: in Sachen Kino sind es gerade die Weblogs, in denen ich auf spannende Sachen stoße, da ich kaum dazu komme, Zeitschriften zu lesen. Wenn es überhaupt eine Einschränkung gibt, dann die aufgrund problematischer Bildrechte.

Wie kann man überhaupt irgendein Publikationsmedium "ablehnen"?


thgroh, Samstag, 16. August 2008, 13:39
Mit Weerasethakul verhält es sich bei mir exakt genauso. Auch, was das sonstige Kino betrifft; die typisch "chronistisch" orientierten Filmzeitschriften habe ich vor dem Web sehr ausführlich gelesen - heute stellt sich mir die Dringlichkeit dazu kaum mehr.

Wie kann man überhaupt irgendein Publikationsmedium "ablehnen"?

Exakt das scheint mir das Grundproblem bei Schnelle zu sein. Deshalb auch meine Ausführungen eher allgemeiner Natur zum Web. Es ist, meines Erachtens, völlig hirnrissig, bloße Software - und das sind Blogs zunächst einmal ja - im Stil von "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" zu verteufeln; umgekehrt ließe sich auch schwer argumentieren, Printkritik sei der Satan, weil auch Bild und Pornoheftchen so erscheinen.


tschill, Samstag, 16. August 2008, 13:57
Verstehe die blogübergreifende Aufregung um den Artikel nur so halb. Natürlich ist es ärgerlich, wenn jemand gleich im ersten Absatz vollkommene Unkenntnis der Tatsachen offenbart und detailliert seine Faktenignoranz über den Artikel hinweg belegt. Aber damit wird das Gewimmer um den "Qualitätsjournalismus" der "richtigen" Publikationen eh ad absurdum geführt.

Mehr noch frage ich mich, welchen publizistischen Einfluß Herr Schnelle hat. Mag mich im deutschen Blätterwald nicht so auskennen, aber spricht da wirklich jemand, auf den größere Teile der Bevölkerung hören?


thgroh, Samstag, 16. August 2008, 15:06
Schnelle war eine Zeit lang Präsident des Verbands der deutschen Filmkritik und äußerte sich z.B. auch in der Rohrbach-Debatte sehr engagiert. Von daher hat er schon ein gewisses Gewicht, wenngleich ich ihm kaum Debattenhegemonie aussprechen wollen würde.

"Aufregung": exakt deswegen habe ich versucht, einigermaßen unaufgeregt und am Gegenstand orientiert zu schreiben und mich nicht lautstark zu echauffieren, nach dem Motto: "Hähä, da hat einer aber Angst vor uns, höhö"


tschill, Montag, 18. August 2008, 14:03
Worum ging es denn in der Rohrbach-Debatte? (Habe nichts Sinnvolles dazu gefunden. Selbst nachdem ich meinen Rorschach-Fehler korrigiert hatte.)


thgroh, Montag, 18. August 2008, 18:12
Rohrbach-Debatte
Eine schöne Zusammenfassung mit Links findest Du hier.

p77a, Sonntag, 17. August 2008, 12:18
Kritik und Bewertung?!?
Besonders unverständlich ist mir, dass Schnelle einerseits Blogs für die vorgebliche "Daumen hoch - Daumen runter"-Mentalität kritisiert, dafür sogar Roger Ebert als Urheber benennt, und dann aber so tut, als würden professionelle Journalisten nur Filmkritiken auf akademischem Niveau schreiben. Letztlich machen die Amateure im Web doch nur das, was ihnen von den Profis in Zeitungen und Zeitschriften vorexerziert wird...

textundblog, Montag, 18. August 2008, 04:45
Danke!

warmduschen, Montag, 18. August 2008, 13:58
Auch ich habe das erste Mal von Godard -- auch vom Internet überhaupt -- auf newfilmkritik (oder bei Knoerer) gehört.

Was letzterer, Knoerer, aber von den amerikanischen Blogs lernen könnte, wäre der gute Brauch, persönliche Involviertheit offenzulegen ("disclosure"): also z.B. dem Leser, der Leserin mitzuteilen, dass das von ihm ERSTGENANNTE Positiv-Beispiel für deutsche Filmblogs (newfilmkritik) sich seiner, Knoerer's, unverzichtbarer Mitarbeit erfreut.


knoerer, Montag, 18. August 2008, 19:55
Wie sich das trifft: Auch ich habe das erste Mal von Godard, vom Internet UND SOGAR VON KNOERER zum ersten Mal bei new filmkritik (oder knoerer) gehört. Aber im Ernst: Dass ich da gelegentlich poste, macht new filmkritik als Forum weder besser noch schlechter und da es ganz gewiss nicht ich bin, der die Qualität von New Filmkritik ausmacht, wäre mir so eine disclosure-Geste doch eher eitel vorgekommen an der Stelle.



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