Thema: Kinokultur
In Berlin fristen die Filme von Johnnie To, dem vielleicht besten Genre-Auteur derzeit, ein trauriges, unbeachtetes Dasein in den Nebensektionen. In Cannes honoriert man den Hongkonger Vielfilmer (zwei bis drei Filme jährlich - drunter ist To kaum zu haben, darunter auch viel Durchschnittliches, aber mindestens einen durchweg aufregenden Film pro Jahr liefert er für gewöhnlich immer ab) nun mit einem Eintrag in der Königssektion, im Wettbewerb. Dass Berlin dies bemerkt und seine schleimig sozialdemokratische Wettbewerbskonzeption in Zukunft etwas modifiziert, bleibt zu hoffen.

Jedenfalls, gestern fanden die Screenings von Election statt und langsam tropfen erste Besprechungen ins Netz. Die Korrespondentin von Arte hat den Film gesehen und bietet zunächst eine knappe Synopsis:

Alle zwei Jahre wird der Anführer der ältesten Triadenvereinigung Hongkongs, der Wo Shing Society gewählt. Wie es der Brauch ist, dürfen die ältesten Mitglieder der Triade den neuen Chef per Stimmabgabe ermitteln. Es gibt zwei Anwärter. Für Lok, den einen scheint die Mehrzahl der Entscheider zu sein, doch Big D verschafft sich mit unlauteren Methoden jede Menge Respekt. Zwischen den beiden Kandidaten bricht ein brutaler Krieg um den Chefsessel aus.



Die Besprechung selbst fällt etwas distanziert aus. Der Film sei "konventionell erzählt" und setze "bisweilen auf die schockierende Wirkung brutaler Gewalt". Ansonsten gibt es vor allem Widersprüchliches zu lesen: Zwar bleibe To und sein Kameramann ganz den Konventionen des Genres verhaftet, doch sei das Ende bemerkenswert und aufsehenerregend. Dieses solle auch nicht verraten werden, wird es aber letzten Endes doch (nicht ohne Hinweis auf Brutalitäten und "minutenlangen Metzeleien in Echtzeit"), so dass der Eindruck einer latenten Überforderung der Rezensentin entsteht.



Mit der Auflistung von Brutalitäten beginnt auch Ray Bennets Besprechung für den Hollywood Reporter, der im folgenden auch einen etwas exakteren, aber ebenfalls distanziert anmutenden Blick wagt. Die weitgehend in "semi-darkness" geschossenen Bilder seien bemerkenswert und erstaunlich, vor allem die musikalische Untermalung bekommt ein Lob für ihren entschiedenen Anteil der offenbar recht noir-esquen Atmosphäre.

Lee Marshall hingegen winkt ab. In seiner Besprechung für Screen Daily erkennt er zwar Tos Versuch an, für die Hongkonger Triaden in etwa das leisten zu wollen, was The Godfather für die italo-amerikanische Mafia geleistet habe. Doch habe To sich dabei übernommen. Marshall wagt den Blick in die Glaskugel und sieht gar Fangemeinden allerorten dahinschwinden: Der Film sei unterbelichtet geschossen, uninspiriert gefilmt und leide maßgeblich an seiner Unentschlossenheit, ob er nun Actionreißer, Underground-Saga oder Shakespeare'sche Tragödie sein wolle. Das Hongkong-Publikum, "who prefer their action straight", würde mit solcherlei "half-hearted arthouse lurch" wohl kaum viel anfangen können. Dass Johnnie To in seinem Heimatland traditionell ein eher überschaubares Publikum hat und international gerade aufgrund seiner oft abenteuerlich konstruierten und realisierten Filme geschätzt wird, scheint Lee Marshall bei der Erstellung seiner Prognose nicht bewusst gewesen zu sein.

Auf AICN zeigt sich Celia hingegen sehr begeistert. Johnnie To habe einen richtigen Film Noir und Mafiafilm vorgelegt, der vor allem durch seine "gorgeous night scenes" und den gelegentlich eingestreuten Humor überzeuge. Zwar sei Oldboy im letzten Jahr der bessere Beitrag zum Genre gewesen, doch sei Election dafür leichter goutierbar.

Info am Rande: Die Länge der ursprünglichen Schnittfassung betrug etwa drei Stunden. Auf der Pressekonferenz in Cannes zeigte To sich jedoch mit der von ihm neugeschnittenen Fassung sehr zufrieden: "I didn't want Election to be too long. In fact, I said all I had to say about the triad in the final 90-minute cut you saw." Hauptdarsteller Simon Yam unterstützt seinen Regisseur und gibt sich erleichtert, dass einige seiner Szenen nicht im Endresultat zu sehen sind, gleichzeitig eröffnete er die Aussicht auf eine mögliche Verwertung der Langfassung auf DVD.

Weiterführende Links:
imdb ~ Festival-Infosite (mit Links zum Presskit und Clips von Pressekonferenzen und Interviews!)


° ° °




kommentare dazu:



knoerer, Montag, 16. Mai 2005, 13:05
So weit ich weiß, erreichen To und (der zuletzt zunehmend selbständig arbeitende) Wai Ka-Fai in Hongkong mit den für unsereinen nicht so interessanten rein kommerziellen Produktionen schon das angestrebte riesige Publikum. Nur deshalb können sie sich die kleineren Auteur-Projekte nach wie vor leisten. Und es ist, das ist durchaus spannend daran, sehr bewusstes Kalkül, zwischen verschiedenen Ansprüchen und Publika hin- und herzuspringen. Vgl. dieses Interview bei Senses of Cinema.


thgroh, Montag, 16. Mai 2005, 14:51
Ah, dass es da sozusagen "zwei Tos" gibt, was den Publikumserfolg betrifft, dessen war ich mir nicht bewusst, auch wenn es mit Blick auf die "ambivalente" Filmografie natürlich eigentlich recht logisch ist. Ich ging da immer eher vom in HK eher weniger erfolgreichen Johnnie To aus.



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