Sabus bisheriges Werk ist vielleicht wie kein zweites eines der Bewegung und der Struktur, in die diese eingebettet ist; eine besondere Rolle kommt dabei den Mechanismen haarsträubender Zufälle zu, die ein Zahnrad bilden, aus dem heraus sich Bewegung herleitet, die gleichzeitig aber auch wieder den weiteren Verlauf der Mechanismen bedingt. Sabus Filme gleichen Anordnungen von Hamsterrädern, in ihnen wird gerannt, Fahrrad gefahren, vorangeschritten, Auto gefahren und durch's Leben gestolpert.

Sein neuer Film ist anders, nicht zuletzt weil die off-beat Komik seiner bisherigen Filme weitgehend fehlt, aber auch das zentrale Motiv der Bewegung eine höchst untergeordnete Rolle spielt; es ist vielleicht bezeichnend, dass in ihm ein Mädchen namens Eri zwar für ihr Leben gerne rennt (weil sie, wie wir später erfahren, einstmals um ihr Leben rannte) und schließlich - hier haben wir wieder Sabu, wie wir ihn kennen - von einem Steinschlag - die Ladung eines vorbeifahrenden LKWs kippt zur Seite über - halb erschlagen wird. Fortan geht sie an Krücken, Reduzierung von Bewegung also, wenn auch nicht ihre Verneinung. Mithin die schönsten Momente sind es also in diesem von merkwürdiger, da bei Sabu normalerweise nicht stattfindender Wehmut getragenen Film, wenn die Hauptfigur des Films - Shuji, ein Junge, der das Leben sucht - Eri, die den Tod sucht, zur Seite steht, sie trägt und beide schreiend, für einen Moment lang, zusammen rennen. In diesen Szenen - es gibt einige mehr davon - ist der Film ganz bei sich und atmet die aufrichtige Schönheit von Menschen, die behutsam aufeinander acht geben.

Ein klein wenig erinnert Shisso an die Filme von Shunji Iwai. Schon das erste, von sanfter Klaviermusik unterlegte Bild - eine seltsam hin und her kippende Handkameraansicht auf eine karge Landschaft, gefilmt von einem Kran aus -, schließt wenn auch nicht farbästhetisch, so doch motivisch eher an All About Lily Chou-Chou als an Sabus eigenen Filme an. Das letzte Bild wird das erste wiederholen, allerding mit Wissen um die Perspektive angereichert: Es könnte, so ahnen wir, ein Engel sein, der hier blickt.

Eine Melancholie, die den ganzen Film durchzieht, auch wenn es später kurzzeitig um Mord und Totschlag geht. Shuji wächst im Hinterland auf, ist an der Schule wenig geachtet, sein älterer Bruder wird später gar zum Brandstifter. In jüngsten Jahren, davon handeln die ersten Minuten, wurde er von einem ähnlich Verrückten mit dem Auto mitgenommen, gespielt wird er von Susumu Terajima, den man in den 90er Jahren in nahezu jedem zweiten japanischen Film sah und nun, was einem erst jetzt schmerzlich auffällt, fast kaum mehr; es tut gut, ihn, fast wie einen alten Bekannten, wieder zu sehen. Diese Fahrt wird bald zum ausgewachsenen Höllenritt, der Spuren bei dem kleinen Jungen hinterlässt; zwar wird die hier gewonnene Rasanz an keiner weiteren Stelle im Film wiederholt, doch bleibt sie als Referenz und Motiv - der Ausbruch als Selbstläufer, da er keine Grenzen hat und sich selbst ins Nichts verrennt - im Hintergrund erhalten.

Sabus Film hat viele Stellen, die man ohne weiteres lieben kann; denen stehen viele gegenüber, die sich nicht recht einsortieren lassen. Nicht, weil sie durch ihre Sperrigkeit herausstechen, oder den bewussten Bruch suchen - der Film ist unzweifelhaft in sich schlüssig und ändert die Tonlage so gut wie nie. Man kommt nur nicht so recht an sie heran. Vorgeworfen werden soll das Sabus Film freilich nicht; er ist gewiss kein leichter Film, und schon gar nicht leicht zu goutieren. In seinem Werk sticht er heraus und wirkt wie ein geschaffener Freiraum zum Atmen. Deshalb ist der Film als Geste innerhalb eines Werkes sicher wichtig; welchen Status er darüber hinaus in diesem entwickeln wird, das wird die Zukunft weisen.

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