Thema: Kinokultur
Das Zentrum für Antiziganismusforschung hat in der Sache "Borat, der Film" Strafanzeige gestellt.

Siehe hier: http://www.ezaf.org/Borat.pdf

Schade, dass sich so eine wichtige Einrichtung durch so eine Aktion ausweisen zu müssen meint und damit Gefahr läuft, die eigene Arbeit in Misskredit zu bringen; dass es in dem Film ebenso wenig um eine Affirmation des Antisemitismus, wie des Antiziganismus geht, dass es in ihm eben gerade nicht darum geht, Sexismus und Homophobie zu zelebrieren und zu bejahen, lässt sich ohne weiteres an ihm feststellen. Ganz im Gegenteil tritt die erschreckende Naivität hinter solchen Konstruktionen ebenso zutage, wie deren historische Kulturalität. Natürlich strapaziert der Film solche Modelle, bis sich die Balken biegen; gerade darin entlarvt er die tief in ihnen versteckte Barbarei und deren von Grund auf neurotischen, an jeder Evidenz mangelnden Charakter. Es ist ja eben kein Zufall, dass Borat eben nicht in Kasachstan spielt und dort einfach nur barbarische Klischees willkürlich aneinanderreiht (das wäre an Langeweile und Dummheit ja auch kaum mehr zu überbieten); im Gegenteil nämlich, im vollen Bewusstsein um die Wirkung werden hier kulturelle Entwürfe, die sich verbal zwar gerade noch "Guten Tag" sagen können, unter dieser Oberfläche aber schon schreiende Dissonanzen hervorbringen, direkt aneinandergerieben, um ein Spannverhältnis herzustellen, in dem Affirmation schlechterdings schon mangels sicherer Beobachtungswarte nicht möglich ist. Borat macht in der Konfrontation überhaupt erst sichtbar, was an Ätzendem noch hinter Fassaden schlummert. [wiederum falsch aber finde ich die Beobachtungen, die heute in der "Berliner Zeitung" geschrieben stehen und in eine ähnliche Richtung zielen, und dies nicht nur, weil die Wiedergaben der Szenen zum Teil stark verzerrt sind; was hier, auf Seiten der us-amerikanisch "Bloßgestellten", als Affirmation von Barbarei gedeutet wird, ist dies eben gerade nicht, sondern Ausdruck tiefster Irritiertheit, was erst deutlich wird, wenn man das im Film sieht und eben nicht auf verfälschende Wiedergaben zurückgreifen muss; "Borat" ist eben, und Gott sei's gedankt, kein Michael Moore]

Freilich, wer nur geschichtsverbissene Moralität sucht, deshalb über den einzelnen Begriff nicht mehr hinauskommt und ästhetische Verortung und Position im Diskursfeld nicht mehr in den Blick bekommt, mag zum typischen Kurzschlussreflex neigen, der sich immer wieder in der Kulturgeschichte der politischen Bewegtheit nachweisen lässt: Zum Angriff nämlich auf die symbolische Ordnung, in die der politische Kampf verschoben wird, und darin zumeist auch schlechterdings ausgerechnet auf jene Schnittstellen, die gerade irritieren und Krisen auslösen, in denen es um soviel besser wäre, sich zu verorten und zu intervenieren, als die blanke Konfrontationsstellung zu suchen. Das Modell dahinter ist strukturell ur-christliche Schlichtheit: Das Wort wird Fleisch und lebt, seiner allerersten begrifflichen Natur nach. Das Begriffe aber Operatoren ausgesetzt sind, dass es Bedeutungsebenen gibt, ästhetisch-begriffliche Schaltkreise, einrückende Verfahen und Gänsefüßchen, dass eben ein Begriff nie nur an und für sich /ist/, dies will solche Methode kaum wahrhaben.

Solche Schlichtheit jedenfalls, die von Grund auf ein Bild vom Menschen als höchst dummes Wesen in sich trägt, ist es, die mir weit mehr Angst macht, als der Scherz mit dem Entsetzen, der in Borat Signifikantenketten aufsprengt und einen dabei - ich denke an jene Szene mit den White-Trash-Proleten im Van - Nase und Gebiss voran auf eine blanke Realität des Barbarischen stößen lässt, die - im ganzen Kinosaal - das Lachen angesichts solcher Evidenz verstummen ließ. Zumindest in dieser einen Hinsicht (doch beileibe nicht in jeder) immerhin ähnelt die Figur Borat strukturell einer anderen aus der Filmgeschichte, die durch dynamische Brutalitäten jenseits eigener Interventionsmöglichkeiten taumelt, die grotesk über-affirmierend durch Konventionen und die Physik stolpert und beides dadurch überhaupt erst in den Blick geraten lässt, Chaplin nämlich.


° ° °




kommentare dazu:



tschill, Samstag, 28. Oktober 2006, 20:37
Hoffen wir mal, daß die jüdischen Organisationenen besonnener (und nicht nur einfach langsamer) reagieren als das EZAF.
Es wundert mich an deren Reaktion, daß sie nicht mal ansatzweise Vertrauen in die Interpretationsfähigkeit des Publikums haben. Dieses mangelnde Vertrauen verbindet diese Organisation mit dem an einer ganz anderen politischen Stelle zu verortenden deutschen Staat, der auch meint, seine Bürger könnten ein Hakenkreuz nicht von einem durchgestrichenen Hakenkreuz unterscheiden. Ich finde es verwunderlich, daß so unterschiedliche politische Kräfte sich an diesem Punkt derart einig sind und denken, daß eine Leugnung der symbolischen Repräsentation durch ein Verbot der Gefahr einer Mißinterpretation vorzuziehen sei. In meinen Augen keine besonders schöne Entwicklung.

Habe aber nicht so recht verstanden, was Dir am Artikel der Berliner Zeitung nicht gefiel. Meinst Du, Cohen will gar nicht die Leute aus der Reserve locken? Sehe ich dann anders. Funktioniert imho ähnlich wie in Deckname Dennis, daß man einem vermeintlich kulturell Unterlegenem, der noch dazu hochgradig affirmativ agiert, viel eher sonst verschwiegene Positionen darlegt. Seltsamerweise vergessen die Leute darob sogar die Anwesenheit der Kamera.


rollmops, Sonntag, 29. Oktober 2006, 02:30
Ezaf vs. Borat
Danke für den interessanten Hinweis! So wie's ausschaut, haben sie sich seit 27. Oktober geeinigt:

http://www.romnews.com/community/print.php?sid=1815

Den ganzen Film gleich verbieten zu wollen, waer doch etwas vermessen, aber die Werbung entsprechend anzupassen finde ich eigentlich recht vernuenftig.


tschill, Sonntag, 29. Oktober 2006, 14:23
Vielleicht richtig, die aus dem Zusammenhang gerissenen Szenen nicht im Trailer zu zeigen. Andererseits wäre es gar nicht so doof, wenn sich Leute im Kino einfinden, die denken, der Film würde ihren rassistischen Gedanken Ausdruck verleihen. Welch eindrucksvoller Effekt, wenn man sich auf der Leinwand wiedererkennt und das ganze Kino über diese Figur lacht.


thgroh, Sonntag, 29. Oktober 2006, 14:45
Das sehe ich ähnlich wie du, tschill. Fernerhin ist es für das Kommunikationsguerilla-Konzept ja gerade wichtig, dass der vermeintlich authentische Eindruck vor allem auch intermedial aufrecht erhalten bleibt. Die Kunstfigur "Borat" funktioniert ja gerade, weil sie auf allen Sektoren zugleich "authentisch" agiert und es, zumindest offenbar, kein "Dahinter" gibt.


thgroh, Sonntag, 29. Oktober 2006, 14:52
@tschill, wegen "Berliner Zeitung"

Ich finde einfach, dass die Szenen falsch wiedergegeben werden. Wenn man das liest, könnte man meinen, "Borat" stoße an allen Ecken und Enden auf implizite Zustimmung. Da wird sich meines Erachtens einmal mehr nud einmal zu euphorisch über "den dummen Ami" gefreut und so getan, als würde "Borat" einfach nur die vermeintlich tief im Amerikanischen verwurzelte Barbarbei sichtbar machen. Vor allem in diesem Absatz: In einem texanischen Waffengeschäft verlangt er nach einer Flinte, die sich besonders gut zum Erschießen von Juden eignet ('das ist das, was wir in Kasachstan mit den Juden tun') - und wird von dem Waffenhändler ohne Umschweife und ohne Bedenken beraten. Bei einem Autohändler verlangt er nach einem Geländewagen mit 'Pussy Magneten', woraufhin ihm ein imposanter Hummer angeboten wird. 'Was passiert mit dem Wagen, wenn ich damit in eine Gruppe von Zigeunern fahre?' - 'Wenn sie nicht so heftig hineinfahren.' - 'Doch, heftig!' - 'Hm, dann könnte allerdings die Windschutzscheibe beschädigt werden.'"

wird wirklich jede Episode falsch wiedergegeben. Es ist keineswegs so, dass der Waffenhändler es schulterzuckend hinnimmt, dass der Kunde mit den Waffen Juden erschießen will - es ist offenkundig, dass er versucht, das Gespräch nicht in Peinlichkeiten absinken zu lassen. Die "Pussy-Magnet"-Episode geht keineswegs so sauber über die Bühne, wie das hier dargestellt wird; im Gegenteil versucht der Händler ja gerade, "Borat" davon zu überzeugen, dass es einen "Pussy-Magnet" nicht gibt, weiterhin berät er "Borat" auch nicht, wie man mit dem Wagen am effektivsten Menschen über den Haufen fahren könnte. Es wird so getan, als sei das "ganz normal", was "Borat" so von sich gibt; und das ist eben kein Stück richtig.

christian123, Sonntag, 29. Oktober 2006, 16:44
Ein kleiner Pedanten-Widerspruch, *White-Trash*-Proleten im Van waren es eigentlich nicht: Das waren ja Angehörige einer Fraternity mit lauter griechischen Buchstaben im Titel und von einer erhabenen Universität, ich glaube Kalifornien. "White Trash" bezeichnet schon etwas Unterschichtigeres, und ein bisschen Hinterwäldlerbashing wäre eigentlich zu einfach gewesen. Gerade der gutbürgerliche Kontext war aber hier essentiell.



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