Montag, 19. Juni 2006
Beim müßigen Forsten und Forschen durch alte Dokumente in zwar online, allerdings nicht der Öffentlichkeit frei zugänglichen Archiven und Datenbanken bin ich gerade auf einen schönen Begriff gestoßen, der auf mich geradewegs goldtenen Eindruck macht. Er lautet, wie man sich nach konzentrierter Lektüre der Überschrift dieses Postings wohl schon denken mag:

im Hinbück auf

und meint in etwa soviel wie "bei der Arbeit an". Der Gebrauch fiel auf in einer Filmkritik aus konfessionell eindeutigem Hause und fand im Jahr 1980 statt. Seither ist "im Hinbück auf" offenbar aus der Mode geraten. Google listet nur sehr, sehr wenige Treffer dafür. Und auch die Wünschelrute des tollen Wortschatz-Portals der Uni Leipzig hat in den letzten Jahren trotz intensivem Scannen des hiesigen Blätterwaldes offenbar kein einziges Mal für "im Hinbück auf" ausschlagen können: "Keine Ergebnisse gefunden", heißt es lapidar nach enthusiastisch erfolgter Befragung des Portals.

Nun, zumindest für Google möge sich dies in Bälde ändern. Freudig harre ich des Besuches eines Bots. "Im Hinbück auf" hat eine Renaissance verdient, meinen Sie nicht?


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Donnerstag, 15. Juni 2006
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Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns derzeit in einem der einschneidendsten Medien-Schwellenzeitalter befinden. Und die Schritte, die vollzogen werden, gehen so rasant wie beiläufig vonstatten, dass einem bei näheren Hinsehen schon fast schwindlig wird. Man sieht dies vielleicht an Filmbeispielen, die noch keineswegs lange zurückliegen: Sowohl Fight Club als auch One Hour Photo sind Filme, die, würden sie heute mit diesem Inhalt gedreht, in schwere Rechtfertigungsnöte geraten würden. Die heutige Welt gestaltet sich so signifikant anders und dies in einer solchen Rasanz. Ich bin mir sicher, dass man irgendwann auf diese Jahre mit einer ähnlichen Haltung blicken wird, wie wir heute auf 1895, auf das späte 19. Jahrhundert im Allgemeinen, blicken.


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Donnerstag, 8. Juni 2006
... bin ich im übrigen stolzer Besitzer eines Autogramms von Brigitte Zypries.


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Dienstag, 6. Juni 2006




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Samstag, 3. Juni 2006
Gerade beim spontan beschlossenen Reinigen der Maus-Unterseite abgeritscht und infolgedessen versehentlich in so einer Web2.0-Applikation rumgeklickt. Zwar ist dabei weiter nichts passiert, aber dann doch schlagartig bewusst wurde mir das Slapstick-Potenzial eines solchen Versehens, wenn eben im Zeitalter von Hin- und Her-Syndizierung, von verschalteten Feeds und Mail-Accounts und Flickr-Streams und weißderherralleinnichtwas urplötzlich kreatives Chaos samt Murphy's Law einbricht.


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Donnerstag, 1. Juni 2006
Bringt mir den Skalp des Indianerhäuptlings von Hessen!


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Mittwoch, 31. Mai 2006
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Kurz nachdem ich mich mit Quelltexten aus dem frühen bis mittleren 18. Jahrhundert über die Entdeckung der Empfindsamkeit in Literatur und akademischem Diskurs befasst habe, recherchiere ich für ein Referat das Slit-Scan-Verfahren mit dem die Stargate-Sequenz in Kubricks 2001 erstellt wurde, wie ich mich überhaupt rein aus technikhistorischer Perspektive nicht mit dem Film selbst, sondern mit seiner Entstehung befasse. Ich stoße auf Verbindungen zu NASA und Wernher von Braun, Disney schielt um die Ecke, ein fast Pynchon'esques Mosaik ergibt sich und nicht zuletzt scheint der Film seine Nietzsche-Rezeption auch auf seine eigene Entstehung zu beziehen. Nicht zu vergessen bei Kittler schließlich die (zumindest theoretischen) Exkursionen nach Peenemünde und in die UFA-Studios der 20er Jahre, an Rühmann und Afrika vorbei, weiter in Richtung Paranoia, Pawlow und Raketentechnik (zu den Drogen kommen wir noch, auch wenn die unschuldigen Erstsemestler da, sagt Kittler selbst, entsetzt schauen). Am Montag habe ich die Geschichte der Superhelden und die Apotheose des Comics als Heftmedium referiert, im Anschluss wurde "Analytizismus" und Subjektivismus als Leistung des Buchdrucks diskutiert. Alldieweil arbeite ich an einem Essay über den historischen/ontologischen Status des fotografischen Bildes und seiner Verfügbarkeit und Besitznahme in digitalen Umgebung.

Und das alles in einem einzigen Studiengang. Es ist viel, es ist anstrengend, es ist disparat, aber ich liebe das, ja.


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Montag, 29. Mai 2006
Gestern, in der Columbiahalle: Dir en Grey, eine japanische Metalband, die der visual kei-Szene zuzurechnen ist, ihre Kostüme von früher aber, wie der Wikipedia zu entnehmen ist, mittlerweile abgelegt hat. Durch einen Zufall wurden mir zwei Freikarten in die Hände gespielt.

Eine nicht uninteressante Erfahrung. Ein Ereignis, das vielleicht die Hölle ganz gut anzeigt, in der man sich heute als Jugendlicher (als klassisch Jugendlicher jedenfalls, also als Teenie, ein Jugendlicher ist man ja heute noch gut bis 35, wenn nicht noch länger, was ich nicht gerade für die allerverkehrteste Entwicklung halte, doch dies nur am Rande) findet. Es ist dies nicht notgedrungen die Hölle der Teenage Angst, des Aufbegehrens wider übermächtige Kräfte oder einer latenten bis manifesten Perspektivenlosigkeit. Es ist eher wohl die Hölle des Wissens (das sich, zugegeben, vielleicht erst von einem archimedischen Punkt aus ermitteln lässt), dass man immer schon zu spät gekommen ist, dass alles bereits absorbiert wurde, alles schon geschehen und die eigene Marotte, der eigene Stil, der eigene Spleen doch längst anerkannt und eingefügt ist. Die Hölle einer Rebellion, die nicht mehr möglich ist, von ihren Insignien aber nicht lassen will und dabei zur debil grinsenden Farce gerinnt.

Dir en Grey moschen von Anfang an gut los. Harter, treibender Metal zunächst, später dann alles etwas vertrackter, zum Teil auch säuseliger, oft genug etwas konzeptlos zerfahren. Aber eben Metal. Irgendwann hat der Sänger Kunstblut im Gesicht. Er springt wild herum. Ausgelassen. Böse Gesichter kann er ziehen, aufpeitschende Gesten allenthalben. Der Rockismus ist gut einstudiert: Beim Entblößen des schmalen Oberkörpers verschwindet die basslastige Musik für einen Moment lang im Aufkreischen der Mädchen.

Alles dabei, was früher geschockt haben mag: Treibende, animalische Musik, große Gesten, Ruch und Sex, archaische Gewalt, ekstatisches Aufbegehren des gemaßregelten Körpers mittels sich abspielender Zuckungen und Windungen. Und dennoch, es war das bravste Konzert, auf dem ich je gewesen bin. Von hier aus zieht nichts seine Bahn, hier findet alles seinen Beschluss, die erstarrte Form, abrufbar zu jeder Zeit. Vorne stehen die Kinder, hinten die Eltern, die auf sie aufpassen, gelegentlich traut sich mal ein besorgter Vater, den Kopf leicht zu schütteln, befremdet ob der sich vor ihm abspielenden Szenen. Es ist keine Ablehnung, die aus der Geste spricht, zumindest keine profunde; er scheint sich selbst nicht sicher zu sein, ob sich die Bewegung überhaupt lohnt, ist doch alles viel zu harmlos hier. Ans Rauchverbot wird sich sklavisch gehalten, kein Schweiß, der von der Decke tropft, die Klimaanlage temperiert das Geschehen wohlig aus.

Die Konzerte in meiner Jugend, von denen ich noch heute zehre, verließ ich mit blauen Flecken, zerrissenen Hemden, mir brannten die Augen, weil der Schweiß schon über die Augenbrauen hinweg in sie hineinfloß und weil die Luft in den viel zu engen Räumen zum Schneiden dick war. Es waren enge Konzerte in engen Räumen, und danach hatte man das Gefühl, es mit der Welt aufnehmen zu können. Reinigende Gewitter, die sich an der Peripherie des Geschehens abspielten und doch in das Zentrum zu strahlen zumindest versuchten.

Was sich gestern abspielte, ist vielleicht das Drama einer Jugend, die sich über das Internet zum Sex verabreden und sich eine Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur an einem Nachmittag mit ein paar engagierten Clicks erarbeiten kann. Alles ist bekannt, schon vorgekaut, nachahmbar und im verlinkten Onlineshop als Accessoire bestellbar. Hier ist man immer schon Endkonsument, selbst noch das Aufbegehren gegen die Konformität - fast jeder hier ist geschminkt, trägt Szeneklamotten und ähnliches - gerinnt zu rein ästhetischem Tand. Ich sehe beim Verlassen des Ortes viele glückliche Gesichter. Sie gleichen denen von desillusionierten Hausfrauen , die im Sommerschlussverkauf bei C&A ein Schnäppchen ergattert haben.

Ihr mögt die Generation sein, die mit myspace aufwächst. Mit Chats und Blogs und Wikipedia. Alles feine Sachen. Aber ihr habt nicht gelernt, wie das ohne ist und war. Wie man blutet und schreit und Euphorie auskostet. Ich beneide Euch nicht um Eure Jugenderinnerungen, und wenn ihr sie auch für goldene halten werdet.

Andererseits: Wir hatten Rave und Techno. Und die Flaschen dort waren kein Stück besser als ihr.
"No guts, no glory, no riot ...
My Generation Sucks ...
Not enough war, Not enough famine,
Not enough suffering, not enough natural selection!"
- Turbonegro: Hobbit Motherfuckers (1996)




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Mittwoch, 24. Mai 2006
Das Bundesverfassungsgericht hat heute Übergriffe wider das Grundgesetz getadelt und weitere untersagt. Man sollte meinen, dass Anhänger desselben, zum Beispiel Demokraten, denen das Grundgesetz noch mehr ist als eine bürokratisch zu beachtende Anhäufung von etwas Text, der im Zweifelsfalle im Wege steht, solche Entscheidungen bejubeln - da sich hier Demokratie und Freiheit als wehrhaft und beständig erweist.

Wie reagieren jedoch jene, die Demokratie solange gut heißen, wie sie ihnen Wege eröffnet, an Posten und Macht zu gelangen? Sie sind beleidigt, maulen blöde aus der Ecke, verspritzen offen Gift und sind sich noch nicht einmal zu dumm, noch ein bisschen fadenscheinige Propaganda hinterher zu schieben.

Wer sich auf diese Weise exponiert gibt klar zu erkennen, für was er Grundgesetz und Demokratie hält: Für eine Wortblase mit allerdings nicht wenig rhetorischem Gewicht, das man immer dann sich bequemt, in Debatten rein zu schleudern, wenn es eben gerade gute in den Kram passt (wir erinnern uns an Verfassungspatriotismus, Leitkultur, Wertediskussion und Einbürgerungstests). Ansonsten aber möge sie bitte scheißegal sein; vor allem, was drin steht, was das meint, meinen könnte, dies also interessiert nicht weiter, wenn es drum geht, den Polizeistaat im kleinen vorzubereiten.

Der Grad der Zivilgesellschaft wird daran zu messen sein, wie die Maulereien dieses verprügelnswerten Packs in der Öffentlichkeit unkommentiert bleiben oder weitgehend hingenommen werden. Dass diese nicht skandaliert werden - und zwar von einer überwältigenden Mehrheit, Stichwort: vierte Macht - steht zu erwarten und ist in sich der zweite Skandal.


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Dienstag, 16. Mai 2006
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Peterchens Mondfahrt habe er als sechsjähriger in einer Aufführung gesehen, seine erste Schrift sei dies gewesen, sagt er, und er habe gelitten mit diesen Figuren, dass er im Nachhinein nicht glauben habe können, dass dies alles Fiktion gewesen sei, wo doch alles so real gewesen sei, vor allem, was er verspürt habe und dessen bittere Schönheit. Und bis heute würde er das nicht glauben, könne er daran nicht glauben, an diese Trennung von Realem und Fiktion, und dies bei den Griechen am allerwenigsten. Und seine Ethik sei, auf eine Ethik angesprochen, was er, als Thema, zunächst abwehrt, seine Ethik also sei das Gegenteil von Ethik, spitzbübisch fast ausgesprochen, aber mit nötigem Ernst, und dieses Wort steht im Raum, in diesem hallenden Pantheon, und nichts mehr regt sich.


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lol