Sonntag, 16. November 2003
10.04.2003, Heimkino

was ist das leben schon, streng genommen, außer biographie, einer chronologischen abfolge von ereignissen? man möchte dem zustimmen, ja, das hat was, gesetzt den fall, man beachtet den faktor mensch in dieser betrachtung nicht. dieser merkt sich nur das angenehme, erzählt nur das ihm nützlichste, passt das eigentlich geschehene dem idealen selbstbild an. die biographie also, nicht chronologie von ereignissen, sondern chronologie von erzähltem, eingefärbtem, leicht verschobenem und weggelassenem. bis hin zum selbstbetrug geht das.

doch RASHOMON ist nicht zynisch, denn dann ist da noch der moment der erkenntnis, wenn der ehrlichste unter den betrügern den selbstbetrug wittert, sich selbst nicht mehr komplett auf den leim geht. das ist dann noch nicht notgedrungen die erkenntnis einer objektiven wahrheit - wer wüsste die schließlich schon zu benennen, nach unzählbaren verdichtungen, verschiebungen, aufgetragenen schichten -, immerhin aber das eingeständnis, das es soetwas wie wahrheit wohl kaum gibt. immerhin, sagt RASHOMON, darin liegt seine im besten sinne des wortes humanistische qualität.

der zuschauer ist der angesprochene herr im film, der richter, der nie in erscheinung tritt, stets außerhalb des bildes verortet wird und noch nichtmal aus dem off spricht. in der unmöglichkeit des urteilfällens, mit der man am ende alleinegelassen wird, liegt die lektion der geschichte. der film ist nur so gut, wie der boden auf den er fällt, seine hervorstechensten qualitäten liegen im außerfilmischen des "nach dem film", draußen, in der realität. aber nur sozusagen, natürlich.


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beginn, krise, ende und erneute annäherung einer beziehung unter denkbar erschwerenden vorzeichen, einer amour fou also, im wahrsten sinne des wortes. klar, so heißt der film ja auch: liebe, und zwar auf die harte tour. er, das ist jack, individualist in new york, stilecht mit der schlangenlederhauthjacke von sailor ripley, außerdem ist er krimineller, wegen dem kick, und zudem, das jedoch ganz im versteckten, melancholiker mit schriftsteller-ambitionen. sie, das ist claire, studiert biologie, ist aus gutem hause, hat einen zahmen bis langweiligen freund und möchte es eigentlich zu was bringen im leben. sie lernen sich im kino kennen, genau wie wir die beiden.

die beiden umkreisen sich, ziehen sich immer wieder an, stoßen sich immer wieder ab. vor allem aufgrund jacks unfähigkeiten, sich liebe einzugestehen oder treu zu bleiben. in den besten momenten beginnt der film zu flimmern und die außerfilmische realität aufzuheben. jack und claires erstes rendezvous zum beispiel, wenn sich die beiden, stets achtsam von der kamera umkreist, auf ein unabgesprochenes spiel mit der ironie einlassen, er der gangster, sie die vorgebliche undercover-polizistin. oder wenn jacks geheimes schriftsteller-versteck - ein holzverhau in einer großgarage - zum ersten mal in szene gesetzt wird, wenn jack und claire, vermeintlich nun endgültig glücklich, über claires zukunft als nobel-preistägerin und seine als ihr versuchsobjekt scherzen. die aufnahme dieses gesprächs wird später, unzählige seelische verletzungen später, eine tragödie auslösen. in diesen momenten - es sind noch ein paar mehr, natürlich - ist LOVE THE HARD WAY groß und man verliert sich sehr gerne in seiner welt.

doch zwischen diesen momenten schimmern schwachstellen hervor, oft lange szenen, die lediglich der verkittung dieser magic moments in der chronologie des drehbuchs geschuldet sind. dann verblassen die andernorts schillernden charaktere oft zum klischee, zur reinen behauptung von lebenden menschen und die "hard boiled"-fragmente fühlen sich an, als hätte wim wenders mal wieder zum genrefilm gegriffen. das klappt bei wenders meist nicht und auch hier bleibt stellenweise ein seltsam schaler geschmack von naivität auf der zunge zurück, die wohl typisch ist, wenn deutsche filmproduktionen im straßenmilieu von brooklyn spielen wollen.

in erinnerung bleibt LOVE THE HARD WAY weder als besonders herausragender, noch besonders schlechter vertreter seiner art. mittelmäßig - das wohl fatalste urteil für einen film - ist er jedoch auch nicht, dafür bietet er einfach zuviele reibeflächen. und einige bezaubernde momente, versteht sich.


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Aus der Haut fahren möchte man, ehrlich, man möchte sich den Verantwortlichen zur Brust nehmen und ihn ordentlich durchschütteln. Da kommt also dieser kleine Film eines noch recht jungen Regisseurs daher, schafft es ganz wunderbar, seine zwar nicht unbedingt originelle Geschichte im positiven Sinne des Wortes eindringlich und intensiv zu erzählen, da hat man ein ganzes Set junger, frischer, unverbrauchter, vor allem aber höchst talentierter Schauspieler und was passiert? Am Ende wird alles schlagartig über den Haufen geschmissen, jedwede Ambition in einer dreifachen Portion Schlagsahne ertränkt, stellt damit eigentlich den gesamten Film, die mühsam entwickelte Tragikomödie in Frage und macht einen, nur kurz zuvor noch gutgelaunt und froher Dinge, dass es endlich mal einer in Deutschland irgendwie richtig gemacht hat (ein paar Unzulänglichkeiten schieben wir nachsichtig aufs Alter ab), kopfschüttelnd vom Film ablassen.

Wozu das, fragt man sich. Die Geschichte von Torge - „24 Jahre, Zimmermann und mein Leben ist geil, die Frauen stehen auf mich und meine Freunde sind einfach Klasse“ -, der nach einem äußerst vermeidbaren Unfall sein Bein, nicht aber seine dandy-hafte Schnottrigkeit, seinen Zynismus verliert, wurde nun wirklich feinfühlig und interessant etabliert. Die Implikationen des Unfalls im direkten sozialen Umfeld etwa, das mit dem Unfall und seinen Folgen, genau wie er, nicht so recht zurande weiß, in einer Zeit zudem, in der eigentlich die Weichen für die weitere Zukunft endgültig und final gestellt werden, die meisten sich ins private Eheglück flüchten. Wie lebt man dann, auf sich zurückgeworfen, wie leben die anderen mit einem, vor allem der gute Freund Holger, dessen Fahrlässigkeit unter Umständen – die Schuldfrage brodelt stets untergründig, wird aber nur selten angesprochen, sorgt vielmehr für einzelne Kulminationsspitzen – für das Unglück verantwortlich ist und der zudem in allen Belangen, die Torge für das weibliche Geschlecht einst attraktiv machten, etwas weniger vorteilhaft ausgestattet ist. Wie lebt dieser Freund also nun mit Torge, der sich nunmehr – teils aus Verzweiflung, bei der Verheiratungstombola leer auszugehen, teils aus Boshaftigkeit – an Holgers Ex ranmacht, nachdem diese den als Angebot, doch zusammenzuziehen, getarnten Heiratsantrag zum Anlass für die Trennung nahm. Überhaupt die Ehe, diese Institution, um die sich als heimliches Zentrum alles zu drehen scheint, in die sich alle flüchten, an der viele zweifeln und in der keiner glücklich zu werden scheint. Einzig möglicher Lebensentwurf in der Provinz, trotz allem, wider besseren Wissens eigentlich, von den meisten angestrebt.

Der Versehrte wird in diesem Film nicht zum großen Einsichtigen, er kommt nicht zur Ruhe, wird nicht zum verständnisvollen Eremit, wie das ja im Klischee gerne behauptet wird. Im Gegenteil, er will es noch immer wissen, springt in seinem „Nicht-Wahrhaben-Wollen“ auch schon mal, trotz Prothese am Stumpf, von der Brücke auf ein vorbeifahrendes Schiff, ein alter Ritus des portraitierten Männerbundes. Oder wettet eben mit seinem Freund, dass er dessen Ex ein „Ja-Wort“ abringen könnte. Dass er es noch immer drauf hat, „einfach so“.

Ein ganz wunderbarer, sorgfältiger, gänzlich unprätentiöser Film über Adoleszenz in der Provinz und die Schwierigkeit des Lebensentwurfs, noch dazu unter erschwerten Bedingungen, fernab von Aktion-Mensch-Betroffenheit hätte das werden können, wäre da nicht der bereits angesprochene Schluss. Der kommt unvermittelt, wirkt nahezu übergepfropft und macht GANZ UND GAR – leider, man muss das wirklich betonen – im Endspurt noch zum Ärgernis. Ohne ersichtlichen Grund ist aus heiterem Himmel alles wieder gut: Am eigentlich größtmöglichen Entfremdungspunkt zwischen den Jungs und den Mädchen der Clique, am größtmöglichen Entfremdungspunkt zum Lebensentwurf überfällt einen der Film förmlich mit der, gerade in Anbetracht des vorangegangenen Geschehens, überaus zweifelhaften Einsicht, dass man doch einfach nur mal wieder lachen, bzw. sich gegenseitig zum Lachen bringen müsse, dann wäre doch alles wieder gut, auch in der Provinzalltagshölle. Dann wird eben auch geheiratet, ganz flax, einfach so und zwar sogleich in der nächsten Kameraeinstellungen. Alle haben sich lieb, eitel Sonnenschein, die Zukunft ist die Ehe und das ist superduper! Warum auch immer, fragt man sich fassungslos im Dunkel des Saals, denn eine Erklärung für diesen Stimmungswechsel binnen weniger Sekunden bleibt der Film, will er sich nicht komplett verleugnen, schuldig.

Den Saal verlässt man sauer, unheimlich sauer auf jenen Verantwortlichen, der einen - nach der 90. Minute noch, man muss sich das mal vorstellen! - um einen wunderbaren Film gebracht hat.


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06.04.2003, Heimkino

schön, wenn man noch auf entdeckungsreise gehen, sich, zum beispiel, neue regisseure erschließen kann. terence malick etwa, dessen opus ja nun wirklich nicht gerade umfangreich, dem kino arsenal und vergleichbaren lichtspielhäusern aber denooch gerne mal eine retrospektive wert ist und auch sonst gerne als kraftvolles werk gewürdigt wird. ich gebe gerne zu: malick kannte ich bislang nur als namen, hier und da ist mir der name schon begegnet, doch selbst seinen letzten film, THE THIN RED LINE, ja doch recht vieldiskutiert, habe ich leider verpasst. schön also, wenn man sich solche regisseure noch erschließen kann. viel schöner jedoch, wenn dies ohne vorbelastung in angriff genommen wird - "jetzt schaue ich mir, endlich, einen film von diesem und jenem an!" -, wenn man, ganz einfach so, über einen film stolpert, von dem man nur recht wenig weiß - ein "road movie" also, aha! - , von dem man erst im nachhinein erfährt, dass der, ach ja!, von genau dem gewesen ist, den man sich eigentlich schon immer mal zur brust nehmen wollte. das ist wirklich besonders schön, weil man, im wahrsten sinne des wortes, was für sich entdeckt hat und nicht nur altbekannte cineastische standards runterbetet, das ist ja auch sowas von langweilig! so also nun geschehen im vorliegenden fall.

BADLANDS ist vor allem verwirrend, gleichzeitig aber auch hypnotisch und von rauher, unwirtlicher, karger schönheit. der tod ist hier überall zugegen: im einführenden off-kommentar von holly wird vom tod der mutter erzählt, ein hund liegt achtlos verwesend am wegesrand, die toten kühe auf dem feld der schlachterei, aufgedunsen in der sonne. wenig später ist dann auch hollys vater tot. erschossen von ihrem lover, kit, denn der vater war gegen die beziehung der beiden. danach leben die beiden, gewissermaßen selbst wie die tiere, in der wildnis, auch hier wieder dann das töten, beiläufig, selbstverständlich. die 15jährige holly betrachtet das ganze - den gewaltsamen tod des vaters, das leben in der wildnis, die anschließende flucht über das land - fast anteilnahmslos, scheint zu gefühlsregungen kaum in der lage. sie stand vor der wahl: outlaw oder nicht. dann eben outlaw. alles, aber nur nicht durchschnittlich sein. ein romantisches motiv, zugegeben, doch denkbar unromantisch seine umsetzung.

von der leicht naiven revolutionsromantik des nur wenig älteren ZABRISKIE POINT oder auch von BLUTIGE ERDBEEREN, die sich beide in ähnlichen kontexten bewegen, ist nur sehr wenig geblieben, dort draußen in den badlands. die revolte verkommt zum bloßen zeichen, etwas james-dean-habitus. ansonsten nur die weite des landes, mitten drin, stets darin gefangen, die beiden ausbrecher, die selbst nicht so recht wissen, warum und gegen was, für was sie eigentlich ausbrechen. für die liebe, möchte man das romantisch nennen, doch gleich zu beginn wird die romantik in ihre schranken verwiesen: die hochzeitstorte von hollys eltern, über die jahre tiefgeforen, schenkt der vater dem totengräber, nach der beerdigung seiner gattin.

gefangen in den konventionen also, der ausbruch ist zum scheitern verurteilt, wird als solcher ja eigentlich gar nicht mehr wirklich wahrgenommen, ganz im gegenteil, holly will bald schon zurück, hat "keine lust" mehr. wie es typisch für diese art der us-amerikanischen road movies ist sieht man auch hier oft weite, ebene landschaftsflächen, in denen sich die figuren bewegen, ein streng gezogener horizont trennt himmel von erde. so sehr die figuren auch mit der welt ringen, die (exzellente) kameraarbeit trägt sorge dafür, dass diese linie niemals durchbrochen wird. eine annäherung bis auf wenige millimeter im bild, das ja, gefangene ihrer umgebung, der umstände, dieses landes bleiben sie dennoch.

ein wunderbarer, großartiger film. danke, liebe sonja - manchmal zetere eben auch ich, mit dem wohlbekannten ergebnis.


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Mit welchen Erwartungen begegnet man einem Film mit Jack Nicholson und Adam Sandler in den Hauptrollen? Am besten wohl mit gar keinen, dann ist dieser Film, es geht um DIE WUTPROBE (die Deutscheverleihtitelitis hat mal wieder gnadenlos zugeschlagen, im Original wäre es dann etwas wohlklingender: ANGER MANAGEMENT), eigentlich doch recht vergnüglich. Natürlich, vieles ist Klamauk, und das von Jan Diestelmeyer in epd formulierte, von mir nun so genannte "Sandler-Syndrom", dass in jedem Film mit eben jenem Darsteller einer an einem Kulminationspunkt dick was auf die Fresse kriegt, darf der Wutprobe ebenfalls gerne attestiert werden.

Trotzdem: an manchen Stellen herrscht sogar ein nahezu subversiver Humor, der sich angenehm polternd Luft macht, den sozialen Implikationen, denen der Mensch der Moderne unterworfen ist, Rechnung trägt. Wenn sich Sandler mit einem Buddhisten, nett wie immer und in letzter Zeit recht häufig auf der Leinwand: John C. Reilly, prügelt etwa. Oder wenn Sandler (...weiß der Herr im Himmel, wie dessen Charakter heißt, bei diesem Film ist das ja wirklich recht egal...) zu Beginn im Flugzeug mit den gröberen Verirrungen der political correctness ringt. Wie in einem Zahnrad stolpert Sandler, dieser friedliche, eigentlich recht lächerliche White-Collar-Loser, jedenfalls von einer juristischen wie sozialen Sanktionsstufe zur nächsten - weil er so ein ungemein zorniger Aggresivling ist, nämlich. Was dem Chaplin die Fabrik, dem Sandler also die Zwickmühlen des "Wie man's macht, ist's falsch"-Miteinanders?

Nun, vielleicht nicht ganz - ein paar lichte Momente, die einem das glauben machen wollen, gibt es aber dennoch. Ach so, und Jack Nicholson ist natürlich mal wieder großartig genial sardonisch. Wie überhaupt sich hier eine ganze Reihe gern gesehener Akteure auf der Leinwand für eine nette Nebenrolle, John Torturro als brutaler Italo-Schläger etwa, hergegeben haben. Unterm Strich also: nett.


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05.04.2003, Heimkino

beim ersten mal wirkte vielleicht einfach nur der gerade mal einen tag zuvor gesehene ABRE LOS OJOS, die dem film zugrunde liegende filmische vorlage, nach, zumindest aber verließ ich den saal damals eher unbefriedigt. beileibe kein schlechter film, dachte ich mir, aber dennoch mit längen und einigen arg prätentiösen schnörkeln drin. nun ja, wie gesagt, ABRE LOS OJOS, dieser recht rauhe, ungeschliffene psycho-thriller aus spanien wirkte einfach noch nach, da ist das auge nicht bereit für die opulenten popwelten von VANILLA SKY.

wie anders dieser film nun mit etwas distanz wirkt, wie kurzweilig und konsequent weitergedacht! was ABRE LOS OJOS ästhetisch, vermutlich budgetbedingt, und inhaltlich, intentionell bedingt, nicht vermochte, schafft VANILLA SKY mit links: die ausdehnung des der vorlage eingeschriebenen traumdiskurses - leben wir einen traum, träumen wir unser leben? - auf die welten des pop und des "easy going". "still living the dream", heißt es da an einer stelle, "living in a magazine" sangen ZOOT WOMAN vor einigen jahren - schade, dass es dieser ungemein schöne song nicht in den (dennoch sehr sorgfältig zusammengestellten) soundtrack geschafft hat.

das ende ist dann kitsch der süßesten sorte, der man sich gerne hingibt, weil man merkt, dass das bewusster kitsch ist. ärgerlich wird kitsch ja immer nur in der behauptung eines jenseits dieses daseins, VANILLA SKY lässt jedoch keinen zweifel, wie es gemeint ist und so springen wir reinen gewissens hinein in diesen wunderbaren himmel von monet, weit oben, über den dächern der skyscraper dieser stadt. ein unmensch, wer hier nicht lustvoll eine träne wegdrückt.

ein vergleich findet jedoch dennoch nicht statt: ABRE LOS OJOS ist wegen VANILLA SKY nicht schlechter oder umgekehrt.sowas ist unsinn.


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05.04.2003, Heimkino

Indien ist weit weg, in diesem film, trotz seines titels, und das bleibt es auch. es taucht nur manchmal auf, in den oft lakonischen, oft bitterbösen dialogen zwischen bösel und fellner. die beiden sind gastronomieprüfer im außendienst. in österreich. denkbar weit weg von indien also.

ein film aus österreich, der indien heißt, sollte wohl wirklich mit einer totalen einer endlos scheinenden plattenbausiedlung beginnen. er bewegt sich auch nicht weg von den festgesteckten koordinaten dieses bildes - fellner und bösel begegnen sich inmitten dieser architektur gewordenen lustlosigkeit am leben zum ersten mal: fellner steigt in das zerfallene auto des einsilbigen, kettenrauchenden, hamburgerfressenden proleten, ist letzten endes das genaue gegenteil dieses kretins, lebt nahezu vegetarisch, bewahrt etikette, sucht das gespräch, recycelt den dosenmüll. und ist doch in seiner schnöseligkeit keinen deut besser, kein stückchen anders, ebenso teil dieser welt gewordenen monotonie. keine guten voraussetzungen also für den gemeinsamen außendienst, geschweige denn für eine freundschaft, mitten in der monotonie, weit weg von indien. bewegung findet nicht statt, obwohl das doch ein road movie ist. immer wieder passieren die beiden die gleichen straßen, der ausblick bleibt der gleiche, verdächtig häufig zieren die immergleichen industrieanlagen den hintergrund der dunkel-tristen bilder.

trotzdem: beide nähern sich an, dem fellner läuft die frau weg, wird er also auch zum arschloch. vor der klotür entsteht dann, während dem gespräch durch die holztür, sogar intime freundschaft - fahren sie nun also beide bestechlich und die gastwirte piesakend durch's immer gleiche land. höhepunkt dieser reise dann der gemeinsame indische tanz, bösel dabei zunächst recht ungelenk, vor den strommästen mitten in der pampas, morgens im morgengrauen, aus dem autoradio tönt die neueste scheibe aus bollywood. das ist dann schon irgendwie ein komischer moment, da sieht man diesen beiden, ja, eigentlich ja arschlöchern verdutzt zu und gönnt den beiden diesen moment der freudigen, ehrlichen lebenslust von ganzem herzen.


dieser moment währt jedoch nicht lange, denn der fellner haut sich am pfosten die eier an, die schwellen gefährlich an, im krankenhaus der befund, zunächst nur dem bösel bekannt: hodenkrebs, unheilbares stadium, aus die maus. was folgt hätte leicht ein rührstück werden können, ein ekliges stück sozialromantik über die wahre freundschaft zwischen imbißbudenbekanntschaften oder so, aber INDIEN war bis dahin großes kino, er bleibt's auch bis zum schluß: bewegend im besten sinne ist das, wie die beiden den letzten gemeinsamen weg antreten, sich dem nahenden tod stellen, diesen verarbeiten. der bislang gepflegte gallig-existenzialistische, schwarze humor bleibt selbst hier nicht außen vor, im gegenteil, er unterstreicht noch die erkenntnis, dass das leben in der grauen monotonie eigentlich nicht viel wert ist: am ende, auf dem totenbett, hast du ein billiges casio-keyboard - symbol der lust am durchschnittlichen bis läppischen - unterm arm.

zynisch ist der film jedoch beileibe nicht, trotz aller entlarvungen, aller momente der scham vollbringt INDIEN irgendwie das kunsstück - wie ähnlich zuvor in der etablierung dieser eigentlich undenkbaren, tiefen freundschaft -, seinen beiden protagonisten würde zu verleihen. das ergebnis dieses versuchs eines tragikomischen road movies ist, gelinde gesagt, großartig.

josef hader also. mal wieder, möchte man meinen. ein mann, den man sich unbedingt merken sollte. sofern noch nicht geschehen, natürlich.


° ° °




05.04.2003, Heimkino

Indien ist weit weg, in diesem film, trotz seines titels, und das bleibt es auch. es taucht nur manchmal auf, in den oft lakonischen, oft bitterbösen dialogen zwischen bösel und fellner. die beiden sind gastronomieprüfer im außendienst. in österreich. denkbar weit weg von indien also.

ein film aus österreich, der indien heißt, sollte wohl wirklich mit einer totalen einer endlos scheinenden plattenbausiedlung beginnen. er bewegt sich auch nicht weg von den festgesteckten koordinaten dieses bildes - fellner und bösel begegnen sich inmitten dieser architektur gewordenen lustlosigkeit am leben zum ersten mal: fellner steigt in das zerfallene auto des einsilbigen, kettenrauchenden, hamburgerfressenden proleten, ist letzten endes das genaue gegenteil dieses kretins, lebt nahezu vegetarisch, bewahrt etikette, sucht das gespräch, recycelt den dosenmüll. und ist doch in seiner schnöseligkeit keinen deut besser, kein stückchen anders, ebenso teil dieser welt gewordenen monotonie. keine guten voraussetzungen also für den gemeinsamen außendienst, geschweige denn für eine freundschaft, mitten in der monotonie, weit weg von indien. bewegung findet nicht statt, obwohl das doch ein road movie ist. immer wieder passieren die beiden die gleichen straßen, der ausblick bleibt der gleiche, verdächtig häufig zieren die immergleichen industrieanlagen den hintergrund der dunkel-tristen bilder.

trotzdem: beide nähern sich an, dem fellner läuft die frau weg, wird er also auch zum arschloch. vor der klotür entsteht dann, während dem gespräch durch die holztür, sogar intime freundschaft - fahren sie nun also beide bestechlich und die gastwirte piesakend durch's immer gleiche land. höhepunkt dieser reise dann der gemeinsame indische tanz, bösel dabei zunächst recht ungelenk, vor den strommästen mitten in der pampas, morgens im morgengrauen, aus dem autoradio tönt die neueste scheibe aus bollywood. das ist dann schon irgendwie ein komischer moment, da sieht man diesen beiden, ja, eigentlich ja arschlöchern verdutzt zu und gönnt den beiden diesen moment der freudigen, ehrlichen lebenslust von ganzem herzen.


dieser moment währt jedoch nicht lange, denn der fellner haut sich am pfosten die eier an, die schwellen gefährlich an, im krankenhaus der befund, zunächst nur dem bösel bekannt: hodenkrebs, unheilbares stadium, aus die maus. was folgt hätte leicht ein rührstück werden können, ein ekliges stück sozialromantik über die wahre freundschaft zwischen imbißbudenbekanntschaften oder so, aber INDIEN war bis dahin großes kino, er bleibt's auch bis zum schluß: bewegend im besten sinne ist das, wie die beiden den letzten gemeinsamen weg antreten, sich dem nahenden tod stellen, diesen verarbeiten. der bislang gepflegte gallig-existenzialistische, schwarze humor bleibt selbst hier nicht außen vor, im gegenteil, er unterstreicht noch die erkenntnis, dass das leben in der grauen monotonie eigentlich nicht viel wert ist: am ende, auf dem totenbett, hast du ein billiges casio-keyboard - symbol der lust am durchschnittlichen bis läppischen - unterm arm.

zynisch ist der film jedoch beileibe nicht, trotz aller entlarvungen, aller momente der scham vollbringt INDIEN irgendwie das kunsstück - wie ähnlich zuvor in der etablierung dieser eigentlich undenkbaren, tiefen freundschaft -, seinen beiden protagonisten würde zu verleihen. das ergebnis dieses versuchs eines tragikomischen road movies ist, gelinde gesagt, großartig.

josef hader also. mal wieder, möchte man meinen. ein mann, den man sich unbedingt merken sollte. sofern noch nicht geschehen, natürlich.


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31.03.2003, Heimkino
nach seinem langjährigen exil in italien kehrt der western mitte der achtziger in die usa zurück. natürlich nicht ganz so dreckig, nicht ganz so unrasiert, nicht ganz so existenzialistisch und auch nicht ganz so brachial in seiner atmosphäre. ja, man möchte meinen, er sei gerade frisch aus einem jener für dieses genre so typischen waschtröge entstiegen, diesen dunkelbraunen fässern, denen man den stockig-moosigen geruch förmlich anzusehen glaubt, und etwas nivea-creme gab's danach dann auch noch spendiert.

nein, so recht überspringen wollte der funke wirklich nicht, was ich dem film selbst aber dennoch (noch) nicht unbedingt ankreiden möchte. irgendwie war das an diesem abend so ein typischer fall von mißverständnissen aufgrund falscher erwartungshaltungen, die sich durch ein paar reize der ersten filmminuten einstellten. die erste stunde habe ich mich dann doch glatt auf ein paar holzwege konzentriert, was dazu führte, dass in der zweiten der überblick dann komplett verlustig ging - mittemang im falschen film also, holla - was war mir schwindlig! eine kurze pause, ein kurzes gespräch über den film half dann aber doch weiter, um die wirklich unzähligen gesichter und namen, die im film immer mal wieder irgendwo blitzartig auftauchen, auch endlich einander zuordnen zu können, das ausmaß der geschichte mit ihren personellen implikationen zu überblicken. dadurch wurde wenigstens der spannende showdown wieder nachvollziehbar.

ein klassischer fall von (wenn vermutlich auch widerwillig) nochmal-ankucken-müssen also, um zu einem "final verdict" zu kommen. vor allem aber einmal mehr die notiz an mich selbst, dass filmsichtungen, entgegen cineastischer beteuerungen, eben doch einer gewissen, überblickenden vorbereitung bedarfen, um sich im film selbst nicht zu verirren.


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31.03.2003, UCI Kinowelt Friedrichshain

eine geschichte wird nicht erzählt und das gleich zweimal nicht. FEMME FATALE ist im eigentlichen sinne vor allem studie über bilder und deren aussagekraft, ein großes zweifelanmelden hinsichtlich des wahrheitsgehaltes medialer bilder. immer wieder wird die aussage einer einstellung nicht selten in ihr gegenteil verkehrt, sei es durch die kontextuelle einbettung im film, durch eine oft nur geringe perspektivverschiebung oder durch nachfolgende erläuterungen. das ist natürlich, wenn man so will, von antonioni geklaut, meiner meinung nach ist's eher ein konsequentes wiederaufgreifen.

schnell dämmert's einem: FEMME FATALE darm man nicht trauen. eine geschichte wird also nicht erzählt, zumindest nicht im sinne der wiedergabe von ereignissen eines linearen plots. FEMME FATALE ist collage, nur folgerichtig, dass er mit dem zeigen einer solchen endet: eine fotocollage, bestehend aus unzähligen einzelfotos, die den blick vom balkon auf eine pariser café-ecke perspektivisch simuliert. die fotos überlappen sich und im detail betrachtet sind viele, logisch, bei denkbar unterschiedlichen lichtverhältnissen aufgenommen worden, parkende autos verschwinden zur hälfte im schnitt der überlappenden anordnung, manche übergänge sind bei näherer betrachtung nicht vollends stimmig. es beschleicht einen das gefühl, in diesem patchwork aus dutzenden, hunderten von einzeleindrücken wühlen zu können, hinter jede überlappung linsen zu wollen, mit jeder schicht von photos tiefer in dieses gemälde, das zeitpunkte durch deren sich gegenseitig egalisierende anordnung im raum historisch annulliert, eindringen zu können. genauso funktioniert FEMME FATALE.


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lol