Dienstag, 8. Februar 2005
Das Festival steht kurz bevor. Im ganzen Stadtgebiet kann man bereits Menschen beim eifrigen Durchblättern des Berlinale-Programmjournals beobachten, die Feuilletons bieten erste Vorabartikel, der Vorverkauf für die ersten Berlinale-Tage ist eröffnet. Zeit für einen kleinen Ausblick: Filme, die ich mir unter keinen Umständen entgehen lassen werde (oder die ich mir leider entgehen lassen muss), allgemeine Empfehlungen und Hinweise auf Interessantes, Notizen aus den Pressevorführungen (ein paar komplette Kritiken gab's ja schon).

Die Retrospektive war im letzten Jahr mit dem Thema "New Hollywood" das eigentliche Highlight des ansonsten mittelmäßig geratenen Festivals. Bald schon traf sich hier eine eingeschworene Gemeinde Cinephiler ein, die unter dem Dach des großen Cinemaxx einem der spannendsten Kapitel jüngerer Filmgeschichte beim Pulsieren zusah. Die diesjährige Retrospektive - glücklicherweise auch diesmal thematisch und nicht auf eine Person hin ausgerichtet - verspricht ein nicht minder spannendes Ereignis zu werden, zumal mit dem Thema "Production Design" einer der ansonsten übergangensten Aspekte der Filmgrandezza im Mittelpunkt steht und die Retrospektive in sich eine komplette Werkschau Stanley Kubrick beinhaltet (Fear of Desire, der nicht zu sehen ist, wurde von Kubrick selbst aus dem Verkehr gezogen): Ganz besonders hingewiesen sei dabei auf die sich am Sonntag bietende, äußerst rare Möglichkeit, die frühesten Kurzfilme des Meisterregisseurs in einem Programm zu sichten. Christiane Kubrick wird der Vorführung von Paths of Glory abstatten und außerdem am 16.02. mit Jan Harlan, Kubricks Produzenten, im Filmmuseum für ein Gespräch mit Michel Ciment zur Verfügung stehen. 2001 wird im übrigen am 16.02. in der Urania in der 70mm-Fassung gezeigt - eine seltene Möglichkeit, den Film im Originalformat zu genießen (dem regulären Screening der Retrospektive im Cinemaxx liegt nur die 35mm-Fassung zugrunde).
Fernerhin interessant zu werden verspricht der japanische Film Yukinojos Rache, ein Rachedrama aus dem Jahr 1962/63. Strictly Filmschool bezeichnet es als "an audacious and infinitely fascinating exercise in straddling the fragile equilibrium that interweaves cultural past and present, East and West, theater and cinema." Ich bin mir sicher, hier eine große Entdeckung machen zu können (hier betrachtet die Village Voice das Werk von Regisseur Ichikawa genauer). Schöne Screenshots aus dem Film bringt dvdbeaver.com.
Satyajit Rays Musikzimmer zählt zu den großen Klassikern des indischen Auteurs. Eine leider nicht konzentriert durchführbare DVD-Quersichtung stellte mir ein wunderschön fotografiertes Drama mit einigen atmosphärisch und emotional sehr dichten Musikeinlagen (nicht im Bollywoodsinne!) in Aussicht. Auch hier eine Empfehlung, zumal es sich um keinen gemeinhin bekannten Film handelt. Gleiches gilt natürlich für Wangshibri aus der über mehrere Sektionen verteilten Werkschau Im Kwon-Taek, die ebenfalls eines der Highlights der Berlinale zu werden verspricht (Kritiken gibt's derzeit aktuell auf http://www.jump-cut.de!).


(Sekai no Owari))

Das Forum bietet ein langersehntes Wiedersehen mit der japanischen Regisseurin Kazama Shiori. Deren The Mars Canon lief vor 3 Jahren in selber Sektion und begeisterte nicht nur mich damals schwer (in der Tat war der Film eines meiner schönsten Berlinale-Erlebnisse und der Gedanke, sowas wie ein Filmtagebuch zu führen, rührt sogar von diesem Erlebnis her: Irgendwas Persönliches sollte von diesem schönen Film fixiert werden.). In diesem Jahr nun gibt es ihren neuesten Film Sekai no Owari zu sehen. Hier gibt es detaillierte Informationen zum Film.
Außerdem bin ich auf Verschwende Deine Jugend.doc gespannt, der nun nichts mit dem deutschen Spielfilm von vor einiger Zeit zu tun hat, sondern eher mit dem Interviewroman, der bei Suhrkamp erschienen ist, in dem mehrere Protagonisten der hiesigen Punkszene der frühen 80er zu Wort kommen. Die Dokumentation setzt dies nun filmisch um und verwendet dabei offenbar auch viel historisches Material. Hier weitere Informationen.
Besonders hinweisen möchte ich noch auf den koreanischen Beitrag This Charming Girl, den ich schon vorab sichten konnte. Der Film schildert sacht und behutsam den monotonen Alltag der jungen Postangestellten Jeong-hae, umgeht dabei allerdings geschickt jede melancholische Tristesse-Falle. Alltagsbeobachtungen - wie etwa die der Zähmung einer zugelaufenen Katze - und Annäherungen an einen jungen Schriftsteller ergeben ein mit ruhigem Strich gezeichnetes Bild vom Leben der jungen Frau, doch bleibt eine seltsame Leere über allem. Und dies mit Grund: Wie sich herausstellt, ist Jeong-hae eine traumatisierte Person. Filmpathologien werden dabei geschickt umschifft, im Gegenteil zeichnet sich der Film durch seine angenehm "rohen", im Sinne von "uninszenierten" Bilder und nicht zuletzt durch die nuancierende Arbeit der Hauptdarstellerin aus. Ein ruhiger, kluger Film - ein echter "Forum-Geheimtipp". Hier weitere Informationen.
Das Forum ist immer auch die zentrale Anlaufstelle für anspruchsvolle Genrekost aus Fernost. Vor allem die beliebte Mitternachtsreihe hatte hier oft einige Perlen in petto, noch vor dem dafür eigentlich bekannten Fantasy Filmfest. Dass diese kleine Sparte im Forumsprogramm nun eingedampft wurde, ist sehr bedauerlich. Dennoch findet sich mit Jiang Hu wieder - wie beinahe schon Tradition - ein Mafiagangsterfilm aus Hongkong mit Superstar Andy Lau im Programm (vorletztes Jahr Infernal Affairs, letztes Jahr der wahnwitzige Running on Karma und Infernal Affairs 3). Genauere Informationen hier.
Definitiv auch anschauen werde ich mir Violent Days, einen französischen Spielfilm, der mit stilisierenden Mitteln die Subkultur der Rockabillies, deren Alltag und die Rolle der Gewalt darin behandelt.


(This Charming Girl)

Im traditionell in der Öffentlichkeit etwas unterrepräsentierten Kinderfilmfest/14Plus hat man Shunji Iwais neuesten Film ja beinahe schon versteckt: Hana & Alice, der, wie man hört, auf den drei Werbeclips des Regisseurs für einen Schokoriegel basiert. In der Vergangenheit drehte Iwai Filme den unglaublich bezaubernden Swallowtail Butterfly und den traurig-schönen All About Lily Chou-Chou, der vor drei Jahren im Panorama gezeigt wurde. Hier gibt es bei filmforen.de einen reich bebilderten Infothread, der große Lust macht.

Everyone's Darling, die Perspektive Deutsches Kino, reizte mich in Vergangenheit nur wenig. Bloß pflichtbewusst weise ich deshalb auf die Filme Happy End, Blackout und Weltverbesserungsmaßnahmen hin, die ich mir wohl ansehen werde. Letzterem begegne ich dabei eher kritisch: Als einen Vorschlag zur Verbesserung der Welt zieht der offenbar essayistisch konzipierten Films wohl tatsächlich mal wieder den alten Antisemiten Gesell mit seinem Rostgeld aus der Schublade - verkürzte Kapitalismuskritik my Ass! (Aber mal schauen, was der Film noch so weiß).
Ehrlich interessant klingt Was lebst Du?. Der Film "erzählt - [...] sehr persönlich und äußerst unterhalsam - aus der Welt von von vier muslimischen Freunden unterschiedlicher Nationalitäten in Köln.", so das Programm-Journal. Ein Kandidat für: Mal schauen, was mein Terminplan hergibt!

Übliches zum 20. Jubiläum beim Panorama: Arthouse, Dokumentationen, etwas kleinere Starfilme, die es nicht in den Wettbewerb geschafft haben. Das Thema Sex steht diesmal sehr im Vordergrund: Gezeigt wird die Dokumentation Inside Deep Throat, die sich der Geschichte des ersten auf breiter Basis populären Pornofilms, Deep Throat, annimmt, der, wie man heute auf SpOn lesen konnte, anlässlich dieser Dokumentation nun auch wieder ins (US-)Kino kommt. Dass man diesen filmhistorisch wichtigen (!) Film nicht auch gleich noch gezeigt bekommt, ist eigentlich etwas schade (wäre allerdings dem Kulturbürgertum, der Hauptklientel des Panoramas, wohl auch nicht zuzumuten ...). Wer im "Schedule-Druck" ist, sei im übrigen darauf hingewiesen, dass Constantin einen deutschen Kinostart für den Sommer ankündigt. Ebenfalls mit der Pornografie beschäftigt sich u.a. Cycles of Porn - Sex/Life in L.A. Part 2. Im Mittelpunkt stehen die Auswirkungen des Internets auf die Branche.
Protocols of Zion scheint eine sehr interessante Dokumentation über die vom russischen Geheimdienst erstellten "Protokolle von Zion", bis heute Kernstück antisemitischer Phantasmagorien, zu sein. Steht fest in meinem Timetable!
Die Berliner Ausnahmerockband MUTTER wird in Wir waren niemals hier beleuchtet.
Der neue Andreas Dresen, Willenbrock, läuft ebenfalls im Panorama. Und wieder zieht Dresen mit Axel Prahl gen Osten, die dortigen Befindlichkeiten zu untersuchen und sichtbar zu machen.
Keine Lieder über Liebe ist wohl so eine Art fiktiver Dokumentarfilm-im-Film über die Wege einer jungen deutschen Independentband. Mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle, unter Mitwirkung von Markus von KETTCAR entstanden, den ich als Sänger von ...BUT ALIVE seinerzeit mal sehr toll fand (KETTCAR nun eher nicht so, aber schon die letzte ...BUT ALIVE kam bei mir nie an).


(Peacock)

Der diesjährige Wettbewerb setzt den letztes Jahr unter den Eindrücken der vorgeschobenen Oscar-Verleihung beschrittenen Weg fort: Mehr Europa, mehr Afrika, weniger USA, weniger Hollywood-Stars. Entsprechend mehr Kulturbürgerprogramm, engagierte Arthouse-Filme, etc. In einer Zeit, wo sich gerade dieses Segment eigentlich in einer sackgassenartigen Krise befindet, mag man davon halten, was man will. Wenn aber die Aufmerksamkeit weg vom Glamour geht und hin zu den Filmen (oder gar: Zu besonderen Filmen der Nebensektionen) findet, dann soll einem das auch recht sein. Einige interessante Filme gibt es auch hier, auch wenn der Wettbewerb, wie letztes Jahr, im Allgemeinen eher uninteressant ausfällt: Vor allem natürlich Gespenster von Christian Petzold soll empfohlen werden. Schon Wolfsburg, eigentlich nur für's TV gedreht, dann doch noch im Panorama gelandet und mit Ach und Krach Wochen später in lachhaft geringer Kopienzahl sogar im Kino, hätte das Zeug zum veritablen Wettbewerbsfilm gehabt. Dass Petzold hier nun berücksichtigt wurde, freut mich persönlich ganz besonders.
Mit Twilight Samurai war Yoji Yamada vor zwei Jahren schon im Wettbewerb vertreten. Der Film war langweilig, formal fad und streckenweise gar furchtbar schmonzettig. Weiß der Geier, warum ich also auf seinen neuen Film, The Hidden Blade, hinweise. Vielleicht weil ich gerade Lust auf Samuraifilme habe (und weil Japan im Wettbewerb nicht gerade stark repräsentiert ist). Empfehlung unter Vorbehalt also.
Peacock ist das Regiedebüt des chinesischen Kameramanns Gu Chang Wei, der auch Lebewohl, meine Konkubine geschossen hat. Im Mittelpunkt steht der Alltag der 70er und 80er Jahre einer chinesischen Arbeiterfamilie in der Provinz.
Ganz besonders freue ich mich auf Tsai Ming Liangs The Wayward Cloud, in dem der taiwanesische Regisseur die Liebesgeschichte seines letzten Films What Time is it there? (meine Kritik) fortschreibt. War dieser jedoch eine Übung in formaler Reduktion und Langsamkeit, scheint das "Sequel" andere Wege zu beschreiten: Das Programm-Journal spricht von "bunten Musical-Einlagen". Ich bin gespannt!
Eine Sache des Herzens ist der Hinweis auf The Life Aquatic, der neue Film von Wes Anderson. Dass viele die Royal Tennenbaums abtaten, kann ich gut nachvollziehen und sehe die Kritikpunkte ein. Dennoch war da was, was in mir was zum Klingen brachte, etwas, was über bloße sophisticated Schrulligkeit hinausging. Der Soundtrack, die Farben, all das - wie heiße Schokolade am Herbstnachmittag. In The Life Aquatic schickt Anderson nun seine "Muse" Bill Murray in ein Unterwasserabenteuer. Ich freue mich!

Das Berlinale-Special ehrt die Shochiku, eine der traditionsreichsten Produktionsgesellschaften aus Japan, die in diesem Jahr die 110 voll macht - also exakt so alt wie das Kino selbst ist. Gezeigt wird deshalb der 1954 entstandene Film Nijushi no Hitomi, ein Antikriegsdrama, das vom Jahr 1928 an das Schicksal der Kameraden einer Schulklasse über Jahrzehnte hinweg beobachtet. Sehr vielversprechende Screenshots gibt es auf dvdbeaver.com. Auf Filmsasia.com finden sich zwei euphorische Besprechungen und auch das sagenhafte imdb-Voting - 8.1 bei 60 Stimmen - sollte einem den Film schmackhaft machen.
Auch nicht uninteressant erscheint mit der russische Beitrag Nochnoj Dozor, ein mit hohem Produktionsaufwand realisierter Blockbuster aus dem Fantasy-Thriller-Genre: Zahlreiche Fabel- und Halbwesen treffen sich in Moskau zur finalen Konfrontation zwischen Gut und Böse ein, das Journal verspricht ein "halsbrecherisches Tempo" und zwei Sequels befinden sich schon in Planung. Man darf gespannt sein.

Auf ein spannendes, inspirierendes, entdeckungsreiches Festival am Potsdamer Platz und seinen Trabanten im Berlinale-Planetensystem!


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Montag, 7. Februar 2005
Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Die Begegnung mit der verschrobenen japanischen Diva Madam Umeki (Matsuzaka Keiko) eröffnet der jungen Immobilienverkäuferin Meili (Teresa Cheung) eine seltsame erotische Schattenwelt. Deren nostalgisch-luxuriös eingerichtetes Apartement steht zum Verkauf und Meili obliegt es, es nach bestem Wissen und Gewissen an den wohl Geeignetsten zu verkaufen. Bei einer Besichtigung begegnet sie dem jungen attraktiven Kim (Sho), der sie in seinen Bann zieht und sie verführt. Doch auch die stattliche Erscheinung des Polizeioffiziers #4708 fällt ihr bei ihren täglichen Wegen durch die Gassen der Stadt auf. Der ist ganz sinnlich und streift alles im Vorbeigehen mit seinen Fingerkuppen. Eine junge Frau (Harisu) stößt zu dem Geflecht, die sich als die junge Madam Umeki ausgibt, kurz nach ihrer Geschlechtsumwandlung, die sie durchgeführt hat, um Kim zu gefallen. Der wiederum findet bald Gefallen an #4708. Und vor dem feinen Ambiente ihres Apartements führt die ältere Madam Umeki Meili in die wunderbare Welt des Fetischs und des Masochismus ein ...



Der Hongkonger Regisseur Yonfan hat für dieses panasiatische Projekt eine illustre internationale Truppe um sich geschart: Die Darsteller stammen aus Korea, Hongkong und Japan, den Soundtrack voller dunkler Exotik hat Bollywood-Dauerkomponist Surender Sodhi erstellt und Kameramann Wang Yu, der schon den bezaubernden Souzhou River (2000) geschossen hat, stammt aus China. Ziel war die Schaffung einer "new cinematic force". Herausgekommen ist allenfalls eine kinematische Farce, deren Blödheit bald schon physisches Unbehagen auf Zuschauerseite nach sich zieht.



Irgendwo zwischen delikater Erotikliteratur des 19. Jahrhunderts - Sacher-Masoch kommt einem gelegentlich in den Sinn - und 80er Jahre Lack-und-Leder-Hochglanz angesiedelt, ist Colour Blossoms ein bemerkenswert unerotischer Erotikfilm, der in seinem verkrampften Bemühen, noch jede Nuance des Genderbendings durchzudeklinieren, dieses an sich ehrenwerte Projekt eigentlich nur einer seltsam peinlichen Lächerlichkeit preisgibt, ohne dass eine derart ironische Haltung irgendwie intendiert wäre. Die Geschichte mit dem Polizeioffizier und dem Spiel mit fremden Wohnungen erinnert ein wenig an Chungking Express, mit dem Unterschied, dass jeglicher Esprit vermieden wurde, wenn #4708 wiederholt mit vergeistigter Visage an Treppengeländern herumfummelt. Auch die Einrichtung der alten Wohnung verrät deutlich, dass man es auf Wong Kar-Weis Studien in Nostalgie abgesehen hatte. Dieser Hang zur offenkundigen Anlehnung vermischt sich mit einer stilisierten Obsessionserotik wie man sie motivisch von Jess Franco kennen kann. Von beiden auf ihre Weise reizvollen Regisseuren übernimmt man aber qualitativ rein gar nichts, sondern gefällt sich vielmehr im Abspulen einer zum Ende hin immer penetranteren, aber stets öde bleibenden Ledermodeschau ohne Sinn und Verstand, die von Fetischismus oder Masochismus nichts verstanden hat und seine Darsteller mit einer Würdelosigkeit nach der anderen bestraft, die diese mit ernster Miene durchzuexerzieren vom jedweder Souveränität verlustig gegangenen Regisseur verdammt sind. Diese Verdammung überträgt sich 1:1 auf den Zuschauer, der ob dieses Machwerks mehr als nur einmal den Blick kopfschüttelnd zu Boden senkt. Nurmehr ratlos ist man da, wenn man erfährt, dass die Vereinigung der Filmkritiker Hongkongs in ihrem Jahresrückblick dem Film, mit neun anderen, eine lobende Erwähnung zusprachen.

Oder kurz: Wir raten ab. (aber sowas von)

imdb | kritik auf jump-cut.de (-MAERZ-)


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Der Film läuft in der Sektion Panorama und ab 17.Februar im Kino.

Der Swing-Entertainer Bobby Darin ist, im Gegensatz zu seinem alles überragenden Vorbild Frank Sinatra, eine tragische Figur der populären Kultur der 50er Jahre. Trotz einiger Evergreens, die er der Musikgeschichte beschert hatte immer eine Nummer kleiner als Sinatra geblieben, kehrten ihn die 60er Jahre - trotz einiger Versuche, an sie anzuschließen - beinahe schon rüpelhaft unter den Teppich. Mit 37 starb er schließlich an den Folgen einer Krankheit aus Kindertagen, die sein Herz geschwächt hatte; ein stolzes Alter eigentlich, wenn man bedenkt, dass ihm seine Ärzte - folgt man Spaceys Film - maximal 15 Jahre vorausgesagt hatten. In jüngsten Jahren erfuhr Darin zumindest in zweiter Ordnung eine kleine Renaissance: Durch Robbie Williams’ Neuauflagen diverser Darinsongs, darunter auch, eingesungen für den Soundtrack des Pixar-Animationsspektakels Findet Nemo, Beyond the Sea.

Viele Jahre soll Kevin Spacey für diese Projekt gerungen haben. Dass man das dem fertigen Film, dessen Produktion Spacey kurzerhand, nachdem er in den Staaten wohl keine Möglichkeit mehr sah (und ihm, was ebenso anzusehen ist, die Zeit auch aus biologischen Gründen davon zu laufen drohte) , nach Großbritannien und Deutschland verlegte, ansähe, ist glatt untertrieben. Beyond the Sea ist nichts geringeres als die ultimative Kevin Spacey Picture Show. Spacey schrieb das Drehbuch, führte Regie, produzierte, tanzte alle Choreografien selbst und sang zudem jeden Verwendung findenden Darinsong neu mit eigener Stimme ein. Vor allem die performativen Aspekte seiner Arbeit gelingen Spacey dabei durchaus: Mit seiner zwischen Lausbub und Womanizer changierender Physiognomie ist er die Paradebesetzung für die augenzwinkernden Performances der Swing-Ära. Auch der Stepptanz gelingt ihm ausnehmend gut, so dass die (zahlreichen) Musicaleinlagen des Films, die diegetisch mal verbindlich (Film-im-Film), mal unverbindlich („It was a fantasy sequence“, sagt Darin-Spacey an einer Stelle) eingestreut sind, ohne weiteres vor der Tradition des Genres bestehen können. Und natürlich stellen sie das eigentliche – mal mehr, mal weniger erfolgreiche - Spektakel des Films, bzw. für Spacey wohl den primum movens, sich überhaupt diesem Stoff zu widmen, dar: Ganz unverhohlen wollte Spacey sich als stepptanzender, swingend-singender Entertainer inszenieren, solange ihm das Alter dies noch gestattete.

Dies, wie der Umstand, dass Spacey als 44jähriger über weite Strecken im Film einen knapp 20jährigen verkörpert, lädt natürlich zu hämischer Kritik ein, die Spacey jedoch im Film durch eine pro- und epilogische Rahmung antizipiert und dadurch zu zerstreuen sucht. Ganz nebenbei eröffnet er dem nicht unheiklen Subgenre des Biopics einen selbstreflexiven Diskurs, den es bis dato, meines Wissens, darin nicht gegeben hat. Ganz nach Tradition De Palmas lässt Spacey seinen Film nämlich als eine dem Zuschauer zunächst nicht als solche erschließbare inszenierte Realität innerhalb der Filmrealität beginnen: Der espritvolle Auftritt vor begeistertem Publikum eines Nachtclubs entpuppt sich jäh als Dreharbeit zu einem Darinbiopic, in dem Darin sich selbst verkörpert. Die Maske des Sunnyboys fällt schnell, als er recht eitel die Szene abbricht, wiederholen lässt und dem Nächstbesten daran die Schuld unterjubelt. Kritische Dialoge folgen, ob Darin nicht schon zu alt für eine solche Performance sei, es nehme ihm doch keiner mehr ab, einen 20jährigen darzustellen. Auftritt eines kleines Jungen, der sich aus den Kulissen nach vorne schiebt, im Film-im-Film soll er Darin als Jungen spielen, im eigentlichen Film (den wir sehen) macht er das auch und darüber hinaus ist er Darin noch die Wiederkehr der eigenen Vergangenheit: Er, der Junge, sei kein Darsteller, sondern der kleine Darin selbst, den der erwachsene Darin zurückgelassen habe. Diskussionen im diegetisch ortlos Bleibenden folgen, wie nun Darin im Film sein Leben inszenieren solle, der junge meint, so sei es nicht gewesen, der alte kontert, dass im Film nicht Authentizität, sondern Künstlichkeit gefragt sei.



Das Subgenre selbst erfährt in diesen Momenten eine Thematisierung seiner eigenen Problemstellungen, die den fertigen Elaboraten in der Regel, fatalerweise, oft nicht mehr anzusehen sind. Denn ganz grundsätzlich ist dies in mehrerlei Hinsicht determiniert: Es hat historische Fakten zu berücksichtigen, muss aus der Fülle eines Lebens in zwei, maximal drei Stunden die Essenz ziehen, es ist den Strukturen und dem Verlauf des Dramas verpflichtet, das die Faktizität schnell überformt, und nicht zuletzt vor allem ein Produkt seines Autors, der ein eigenes künstlerisches Projekt verfolgt. Das fertige Produkt muss sinnfällig sein, eine Geschichte nach üblichem Schema erzählen und soll darüber noch faktisch bleiben: Dies ist, beileibe, nicht zu schaffen, was das Biopic – am perfidesten vielleicht im TV-Format „Dies ist Dein Leben“ (das in Beyond the Sea ebenfalls kurz aus der Schublade gezogen wird) – nicht daran hindert, Faktizität für sich zu beanspruchen und als historisches Dokument für sich mehr oder weniger Geltung zu verlangen. Beyond the Sea schlägt hier einen deutlich anderen Weg ein, indem er von Anfang keinen Zweifel daran lässt, dass hier nicht „Bobby Darin, wie er wirklich war“ versucht wird, sondern dass vor allem Kevin Spacey, als alles überblickende Instanz des Films, und seine Leidenschaft für diesen Stoff, den Bobby Darins Leben darstellt, im Mittelpunkt steht. So unterstreicht auch der Epilog, der den Zuschauer nach Bobby Darins Tod dennoch mit Zungenschlag aus dem Film verabschiedet, dass der Privatmensch Darin vielleicht gestorben sein mag, die Kunstfigur Darin aber, gerade deshalb, niemals sterben kann und auch nicht Darins Tod am Ende des Films zu beklagen ist: Weil es um den Privatmenschen, in diesem Film, trotz aller Indizien, die zunächst dagegen sprechen mögen, nicht geht, nicht gehen kann.

Zugegeben, diese reflexive Note mag reiner Apologetik geschuldet sein, kraft derer sich Spacey von Beginn an schon jeden Egotrip zurechtgelegt hat. Dafür spricht, dass solche Einschübe im Film (der innerhalb seiner Rahmung im wesentlichen dann eben doch dem klassischen Biopic entspricht) eher selten sind und die als sinnstrukturierend angesehenen Stationen aus Darins Leben in nahezu einheitlicher Form dargeboten wurden. Dass dies mal unterhaltsam, mal schrecklich öde ausgefallen ist, spricht ferner gegen den Film. Aber dass überhaupt einmal, aus welchen Beweggründen auch immer, gewagt wurde, der heiligen Erzählung des Biopics eine kritische Schlagseite zu geben, ist an sich schon bemerkenswert genug.

imdb | filmz.de


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Freitag, 4. Februar 2005
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Am Potsdamer Platz tut sich langsam was. Arbeiter verzieren die Bäume mit Lichtern. Erste Pllakate für Wettbewerbsfilme sind auf den Straßen zu sehen. Das Journal liegt aus, das Programm ist abgeschlossen (obwohl: Überraschungen gibt es immer wieder).

Noch 6 Tage. Dann leben wir wieder ganz auf dem Planeten Potsdamer Platz und seinen Trabanten.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Adam und Paul kennen sich von Kindesbeinen an. Sie leben in Dublin, im unteren Milieu, wo man sich schon morgens zum Dosenbier im Park verabredet. Sie selbst hat es dabei am härtesten getroffen: Beide Junkies, ziehen sie verwahrlost durch die Stadt, immer auf der Suche nach etwas Geld, um sich den nächsten Kick zu besorgen. Man trifft sich auf der Straße mit Schicksalsgenossen, klaut im Supermarkt, trifft alte Bekannte, die nichts mehr mit einem zu tun wollen und lässt sich generell durch die Rand- und Abfallbezirke einer bürgerlichen Welt treiben. Adam & Paul schildert dabei die Ereignisse eines einzelnen Tages.



Adam & Paul ist ein karger Film, in dem alles schon geschehen, alles schon vorbei scheint. Schon im Vorspann sehen wir verwelkte Blumen im schmalen Schärfebereich, von melancholischer Musik unterlegt. Die beiden Protagonisten erwachen mitten in der Walachei auf einer Matratze – weiß der Geier, wie die dorthin kommt -, die Erinnerungen an die letzte Nacht sind ausgelöscht. Also auf, weiter, ans „Tageswerk“. Beide durchstreifen eine graue Stadt, die schon bessere Zeiten gesehen hat, treffen auf Menschen, mit denen sie eine undeutlich bleibende Geschichte verbindet. Gekonnt changiert der Film dabei zwischen einer Lakonie der Tristesse und einem bald zum Absurden neigenden Humor, der, und das ist das große Kunststück, die an sich traurige Situation der beiden niemals für bloße Possen ausbeutet. Das berühmte Lachen, das im Halse stecken bleibt, gibt es hier zwar nicht – wenn es auf einer Parkbank zu motorisch bedingten Problemen mit einem geklauten Milch-Tetrapak kommt, darf gerne und viel gelacht werden -, vielmehr zeichnet sich Adam & Paul durch eine Klugheit aus, in der das Tragische und Komische sich an den Rändern berühren und die mithin auch den Blick abwendet von den beiden als „Natural Born Losers“ und ihn eher distanzierend auf eine bürgerliche Welt werfen lässt, deren Sinn sich den beiden kaum erschließt: Im Gegenteil bedauern sie viele ihrer Zeitgenossen, für das Leben, das sie führen müssen. Nie aber mit Arroganz oder bloßer Agitation, das Unverständnis (auch das gegenüber der eigenen Situation) ist ein ehrliches. Wären die beiden etwas klüger, in ihrer Debilität (die sich auch am zur Knappheit neigenden irischen Dialekt festzumachen scheint) etwas weniger beschränkt, sie wären ein Pendant zum Diogenes, zum gewitzten Aussteiger, der die Welt im Innersten durchschaut.

Die beiden sind, um es deutlich zu sagen, vom Schicksal gefickt. Nichts gelingt, nichts schafft Geld heran, das Scheitern ist oft physisch schmerzlich. Ein blöderweise in der Unterwelt kolportiertes Gerücht, dass beide auf der Suche nach einem Schläger seien, der ihnen Geld schuldet, trägt Sorge dafür, dass eben jener sich bei Ihnen meldet und sie zum Schmiere stehen verdonnert, ansonsten drohten physische Konsequenzen. Dass die beiden es dennoch schaffen, aus dem Ganzen zumindest zunächst heil herauszukommen und sie sogar auf fast mirakulöse Weise zu ihrem Stoff kommen, lindert den Schicksalsschmerz erheblich. In diesen Momenten, wenn die beiden high durch die Welt taumeln, was der Film, ganz ohne formalen Pathos, ästhetisch nachempfinden lässt, wie sie also durch eine wenig sinnstiftende Welt sich bewegen, kann man sich die beiden durchaus als glücklichen Menschen vorstellen.



Überhaupt geht Adam & Paul mit einigem formalen Gespür zu Werke. Er beobachtet ein Detail der Gesellschaft, das üblicherweise kaum Repräsentanz erfährt. Das große Bild meidet er deshalb, Adam & Paul ist ein Film, der sich oft im schmalen Schärfebereich abspielt und die äußere Welt der beiden Taumelnden ausklammert. Wie sich die beiden oft schon solipsistisch in ihren lakonischen Dialogen austauschen und dabei oft auch einen Autismus im Duett entwickeln, wird dadurch formal unterstützt. Oft verlassen die beiden eine Episode des Films als wäre es ein Tableau, als streiften sie weiter und die Kamera bleibt stehen, beobachtet den Platz, wo sie eben noch waren und nun nicht mehr sind. Als gehörten sie nicht dazu, Elende, die sie sind.

imdb


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Freitag, 28. Januar 2005
Die diesjährige Werkschau des Festivals widmet sich dem koreanischen Filmemacher Im Kwon-Taek. Der Regisseur begann seine Karriere bereits in den 60er Jahren mit Genrearbeiten, von denen er sich heute weitgehend distanziert. Derzeit stellt er seine 100. Produktion fertig. Auf der Berlinale war Im Kwon-Taek bereits sieben Mal in verschiedenen Sektionen vertreten.

Das Werk des Regisseurs ist ebenso vielseitig wie umfangreich. In seinem Querschnitt durch die Geschichte und Kultur seines Landes behandelt Im Kwon-Taek immer wieder die Themen des Bürgerkriegs und der Teilung des Landes. Erst in den letzten Jahren wurde seine Filmografie als eine der bedeutendsten des asiatischen Kinos entdeckt und aufbereitet.

Im Kwon-Taek persönlich hat mit Unterstützung der koreanischen Filmorganisation KOFIC die 20 wichtigsten Filme seines Werks für eine Retrospektive zusammengestellt, die im direkten Anschluss des Festivals im Kino Arsenal in chronologischer Reihenfolge präsentiert wird. Von vielen Filmen wurden neue Kopien gezogen. Zu diesem Anlass erscheint in der Reihe "Kinemathek" eine Publikation von Erika und Ulrich Gregor über Im Kwon-Taek, die Originalbeiträge, eine komplette Filmographie sowie Texte zu den 20 Filmen enthält. Am 12. Februar wird Im Kwon-Taek im Filmpalast geehrt.

Auf dem Festival sind sieben Filme aus der Zusammenstellung für die Retrospektive zu sehen:

Berlinale Special:
Chunhyang Dyeon (2000)

Forum:
Jokbo (The Genealogy, 1978)
Gisoddeum (1985)
Chukje (Festival, 1996)

Panorama:
Mandala (1981)

Retrospektive:
Wang Sib Ri (A Bygone Romance, 1976 )
Sopyonjie (1993)

Auf der Website des Arsenals findet sich ein umfangreicher Programmtext mit weiteren Informationen.

Auf futuremovies.com kann man ein Interview nachlesen. Ein kurzes Portrait findet sich auf Jump Cut. Bert Rebhandl portraitiert den Regisseur für die Berliner Zeitung.


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Die Internationale Jury der 55. Berlinale ist komplett. Neben dem bereits feststehenden Jurypräsidenten Roland Emmerich werden die Schauspielerinnen Ingeborga Dapkunaite (Litauen), Bai Ling (China) und Franka Potente (Deutschland), der Produzent Wouter Barendrecht (Niederlande), der Modeschöpfer Nino Cerruti (Italien) und der Drehbuchautor Andrei Kurkov (Ukraine) die begehrten Trophäen des Wettbewerbs verleihen. Bai Ling ist zudem im Panorama-Film Dumplings auf der Leinwand zu sehen.

Weitere Informationen zu den Jurymitgliedern hier.


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Freitag, 21. Januar 2005
Das Programm des 35. Internationalen Forums des Jungen Films zeigt sich verschlankt. Mit einem Viertel weniger Filme als im Vorjahr möchte man sich auf das Wesentliche konzentrieren und, wie der Leiter des Forums auf einer Pressevorführung vor wenigen Tagen anmerkte, auch dem in Vergangenheit häufig geäußerten Wunsch nach besserer Übersicht und konzentrierterer Zusammenstellung entsprechen. Einem experimentierfreudigen, innovativen globalen Filmschaffen, das unkonventionelle Wege jenseits des Mainstream geht, eine Öffentlichkeit zu bieten, bleibt dabei auch weiterhin das Ziel der traditionell etwas eigenständigeren Sektion.

Das nun feststehende Programm präsentiert 24 Weltpremieren bei insgesamtn 39 Spiel- und Dokumentarfilmen, darunter 16 Erstlingswerke. Insgesamt sind im Forum 33 Produktionsländer vertreten.

Die Regiedebüts und Filme junger Regisseurinnen und Regisseure, die das Bild des 35. Forums prägen, seien dabei "Frech, spielerisch und bunt". Nicht allein der Kompilationsfilm Lost and Found, der eine junge Generation osteuropäischer Filmemacher vorstellt, zeugt von einer neuen Welle des Filmschaffens zwischen Estland und Rumänien. Auch Spielfilmdebüts wie der von dadaistischer Fantasie überschäumende russische Beitrag Pakostnik der Medienkünstlerin Tania Detkina oder Alexander Shapiros Putevoditel aus der Ukraine, eine ironisch-coole Gebrauchsanleitung der Stadt Kiew, zeugen von einem ungezügelten, wilden Kino, das in Osteuropa wiedererstarkt.

Die Bandbreite der Spielfilmdebüts reicht von dem chinesischen Film Niu Pi (Oxhide), in dem die 23jährige Liu Jiayin ihren beengten Pekinger Familienalltag in trotzige Breitwandbilder fasst, bis zu dem ersten langen Film der britischen Installationskünstlerin Tracey Emin, die ihrer autobiografisch geprägten Arbeit mit Top Spot eine abgründige Erinnerung an ihren Heimatort Margate hinzufügt.

Der Crossover zwischen den Kultursparten ist ein durchgängiges Merkmal des aktuellen Forumprogramms. Aus einer Lesetour mit Fotos, Originaltönen und Musikbeispielen zu seinem Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“ hat der Musikjournalist Jürgen Teipel mit verschwende deine jugend.doc eine minimalistische Collage für die Leinwand entwickelt, die ein authentisches Bild der deutschen Punk- und New-Wave-Bewegung von 1977 bis 1983 zeichnet. Dem Tanztheater widmet sich die französische Regisseurin Claire Denis in Vers Mathilde, einem experimentellen, quasi spiegelbildlichen Porträt der Choreografin Mathilde Monnier. Auch der in Berlin entstandene Spielfilm Stadt als Beute entspringt der Bühnenwelt: Aus den Proben zu einem Stück des Autors René Pollesch haben die Regisseurinnen Irene von Alberti, Miriam Dehne und Esther Gronenborn drei überraschende Berlin-Geschichten entwickelt, die das Verhältnis von Kunst und Lebenswirklichkeit augenzwinkernd kommentieren.

Es kennzeichnet die Filmauswahl des Forums, dass Spielfilme Wirklichkeit deuten und Dokumentarfilme Geschichten schreiben. So porträtiert der US-Spielfilm On the Outs von Lori Silverbush und Michael Skolnik mit nüchternem Realismus das Leben von drei jungen Frauen in Jersey City, die zwischen Straßenkriminalität und Knast ihren Lebensraum suchen, während die spanische Regisseurin Mercedes Moncada Rodríguez in El Inmortal die haarsträubende Story von Zwillingsbrüdern erzählt, die im nicaraguanischen Bürgerkrieg auseinander gerissen wurden, um sich auf beiden Seiten der Front wiederzufinden: Sandinist der eine, Contra der andere.

Eine Auflistung aller Weltpremieren und Europäische Premieren im Programm des Forums findet sich in den Kommentaren.


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Donnerstag, 20. Januar 2005
21 Filme werden im Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin um die Goldenen und Silbernen Bären konkurrieren. Vervollständigt wird das Programm durch fünf weitere Produktionen, die außer Konkurrenz im Berlinale Palast präsentiert werden. Fünf Spielfilmdebüts wurden für das diesjährige Wettbewerbsprogramm ausgewählt. Insgesamt werden 16 Weltpremieren gezeigt.

Zu den 11 bereits veröffentlichen Produktionen (siehe hier) kommen folgende 15 Filme hinzu:

Die amerikanische Produktion Sometimes in April konfrontiert mit dem Trauma des grausamen Bürgerkriegs in Ruanda. Raoul Pecks Film beginnt seine Untersuchung am gleichen Ort wie Hotel Rwanda von Terry George, geht dabei jedoch einen ganz anderen Weg. Sometimes in April zeigt in den Hauptrollen Oris Erhuero, Idris Elba und Debra Winger. Pecks Film läuft als Weltpremiere im Wettbewerb. Mit Régis Wargniers Eröffnungsfilm Man to Man und Mark Dornford-Mays U-Carmen eKhayelitsha stehen sie für ein anhaltendes Interesse an Afrika.

Heights (USA/Großbritannien), das Spielfilmdebüt des Regisseurs Chris Terrio, verbindet fünf Schicksale an einem Sommertag in New York zu einem schillernden Geflecht der Liebesirrungen und -wirrungen. Der Film läuft als europäische Premiere außer Konkurrenz im Wettbewerb. Glenn Close, Isabella Rossellini und Elizabeth Banks spielen die Hauptrollen.

Der italienische Regisseur Stefano Mordini schildert in seinem Spielfilmdebüt Provincia Meccanica, wie eine junge und unkonventionelle Familie an den gesellschaftlichen Normen zu zerbrechen droht. In dem Wettbewerbsbeitrag um die chaotischen und liebevollen Eltern sind Stefano Accorsi und Valentina Cervi zu sehen.

In der dänischen Produktion Anklaget (Accused) von Jacob Thuesen nimmt das Leben des Familienvaters Henrik (Troels Lyby) eine dramatische Wendung, als ihn seine Tochter Stine (Kirstine Rosenkrands Mikkelsen) eines schwerwiegenden Verbrechens bezichtigt. Auch Thuesen, bislang als Cutter und Dokumentarfilmer tätig, debütiert mit Anklaget als Spielfilmregisseur und präsentiert seinen Film im Berlinale-Wettbewerb als Weltpremiere.

Außer Konkurrenz läuft die Weltpremiere des Episodenfilms Tickets (Italien, Großbritannien) von Ermanno Olmi, Abbas Kiarostami und Ken Loach. Ihre miteinander verwobenen Geschichten um Liebe, Hingabe und Selbstaufopferung spielen sich alle in einem Zug nach Rom ab. In den drei Episoden ist u.a. Valeria Bruni-Tedeschi, Mitglied der Internationalen Jury der Berlinale 2004, zu sehen.

In Les Mots Bleu (Words in Blue) des französischen Regisseurs Alain Corneau versucht ein Lehrer, die Hintergründe der Kommunikationslosigkeit eines kleinen Mädchens aufzudecken. Sylvie Testud, Sergi Lopez, Camille Gauthier und Laurent Pétin spielen die Hauptrollen in dieser Familiengeschichte, die ebenfalls auf der Berlinale ihre Weltpremiere erleben wird.

Ein junger Mann, der eine Existenz am Rande der Legalität führt, steht im Mittelpunkt von De Battre Mon Coeur s’est arrêté (The Beat That My Heart Skipped) des Franzosen Jacques Audiard, einer weiteren Weltpremiere im Wettbewerb. Das Bemühen, seinem Leben eine andere Richtung zu geben, führt den Protagonisten in eine Kette ungewöhnlicher Situationen. In den Hauptrollen sind Romain Duris, Emmanuelle Devos und Niels Arestrup zu sehen.

Die Weltpremiere der niederländisch-deutsch-französischen Koproduktion Paradise Now von Hany Abu-Assad erzählt von den letzten 48 Stunden im Leben zweier palästinensischer Selbstmordattentäter. Die Protagonisten dieses Dramas werden von Kais Nashif und Ali Hamade verkörpert.

Der russische Regisseur Aleksandr Sokurov präsentiert mit der Weltpremiere Solnze (The Sun, Russische Föderation, Italien, Frankreich) den dritten Teil einer Trilogie über die Psychologie der Macht. Im Zentrum der Handlung steht der japanische Kaiser Hirohito. Issey Ogatha, Kaori Momoi und Shiro Sano sind in den Hauptrollen zu sehen. Sokurov war zuletzt 1994 mit Tichie stranicy (Verborgene Seiten) im Berlinale-Wettbewerb vertreten.

Regisseur Tsai Ming-Liang, zuletzt 1997 mit He Liu (Der Fluss) im Wettbewerb der Berlinale, greift in der taiwanesisch-chinesisch-französischen Koproduktion Tian bian yi duo yun (The Wayward Cloud) erneut die Themen Entfremdung und Isolation auf. Bunte Musicalszenen werden mit expliziten Sexszenen kontrastiert. In dieser Weltpremiere spielen Schiang Chyi Chen, Kang Sheng Lee, Vincent Wang und Yi Ching Lu die Hauptrollen.

Kakushi Ken-Oni no Tsume (The Hidden Blade) des Japaners Yoji Yamada erzählt die Geschichte eines Samurai, der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Zeit gesellschaftlichen Umbruchs seinen Platz in der Welt sucht und dem dabei die Liebe zur Herausforderung wird. In den Hauptrollen sind Masatoshi Nagase, Takako Matsu, Hidetaka Yoshioka zu sehen. Vor zwei Jahren nahm Yoji Yamada bereits mit The Twilight Samurai (Samurai in der Dämmerung; meine Kritik hier) am Wettbewerb der Berlinale teil.

Der gefeierte amerikanische Video-Clip- und Kurzfilm-Regisseur Mike Mills präsentiert mit Thumbsucker (USA) sein Spielfilmdebüt. Der Film schildert die ebenso skurrile wie dramatische Odyssee eines jungen Teenagers in die Drogensucht. Die Hauptrollen spielen Lou Taylor-Pucci, Vincent D’Onofrio, Keanu Reeves und Tilda Swinton.

Vom Anzeigenleiter einer Sportillustrierten, der seinen Job an einen jungen Überflieger abtreten muss, erzählt Paul Weitz in In Good Company (USA). Dennis Quaid, Topher Grace und Scarlett Johansson spielen die Hauptrollen in dieser Geschichte um Konkurrenz, Karriere und Kontrollverlust, die im Berlinale-Wettbewerb als internationale Premiere zu sehen sein wird.

Außer Konkurrenz präsentiert Andy Tennant die romantische Komödie Hitch (USA). Hollywood-Star Will Smith spielt einen als "Date Doktor" berüchtigten New Yorker Heiratsvermittler, der mit der Gabe begnadet ist, die unscheinbarsten Männer mit den begehrtesten Frauen zu verkuppeln. In einer weiteren Hauptrolle dieser internationalen Premiere ist Eva Mendez zu erleben.

Den Abschluss des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs markiert die amerikanisch-deutsche Koproduktion Kinsey von Bill Condon (Gods and Monsters, 1998), die ebenfalls außer Konkurrenz gezeigt wird. Mit seiner 1948 erschienenen Untersuchung „Das sexuelle Verhalten des Mannes“ veränderte Alfred C. Kinsey die amerikanische Kultur und gilt seit dem als Begründer der wissenschaftlichen Sexuallehre. Liam Neeson und Laura Linney spielen die Hauptrollen in dieser Geschichte um das Leben des engagierten Forschers.


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Mit neun Beiträgen, darunter sechs Spielfilme und drei Dokumentarfilme, ist das Programm der diesjährigen Perspektive bestätigt.

Ein Dokumentarfilm der besonderen Art eröffnet die vierte Ausgabe der Berlinale-Reihe Perspektive Deutsches Kino. Dancing With Myself von Judith Keil und Antje Kruska – die bereits mit ihrem Film Der Glanz von Berlin (filmz.de) in der ersten Ausgabe der Perspektive Deutsches Kino vertreten waren – schildert die Leiden und Leidenschaften dreier Berliner, die erst beim Tanzen zu sich selbst finden. Dancing With Myself zeigt, wie das Genre des Dokumentarfilms seine eigenen Grenzen immer wieder neu definieren kann. „Der Film geht emotional und formal weit über das klassisch Dokumentarische hinaus. Er eröffnet einen neuen Blick auf unsere Wirklichkeit und steht damit für das gesamte Programm der Perspektive Deutsches Kino“, begründet Sektionsleiter Alfred Holighaus seine Auswahl.

Auch Weltverbesserungsmaßnahmen von Jörn Hintzer und Jakob Hüfner spielt – wenn auch auf ironische Weise – mit den Formen des Dokumentarischen. Präsentiert werden sieben skurrile wie auch einleuchtende Methoden und Erfindungen, die überflüssigen Schwierigkeiten des Alltags zu lösen. Euro-Scheine mit Verfallsdatum, die zur schnellen Investition und damit zum Ankurbeln der Konjunktur zwingen, sind nur ein Beispiel für die Maßnahmen zur Verbesserung unserer Welt.

Die Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte, zwischen Nacht und Tag, zwischen Sehnsucht und Verzweiflung, das ist die Welt, in der Katze im Sack von Florian Schwarz spielt. Die Figuren sind immer für Überraschungen gut, egal, ob sie diese selbst verursachen oder mit ihnen konfrontiert werden. Christoph Bach, Jule Böwe und Walter Kreye glänzen in diesem Film des Absolventen der Filmakademie Ludwigsburg.

Eine eigene Welt schafft sich die Hauptfigur in dem 30-minütigen Spielfilm-Debüt Happy End von dem jungen Hamburger Werbefilmer Sebastian Strasser. Matthias Schweighöfer spielt einen jungen Eigenbrötler, der sich das Leben aus Ziffern erklärt. Doch wo die Liebe hinfällt, zählen Zahlen nichts mehr. Eine Coming-of-Age-Geschichte, endlich mal nicht als Klamotte, sondern als echte romantische Komödie erzählt.

Neben der Perspektive Deutsches Kino hat der deutsche Film ein weiteres Forum gefunden. Am 11.Februar 2005, zu Beginn der Berlinale, wird mit filmportal.de die weltweit größte Internetplattform zum deutschen Film an den Start gehen. Filmografische und biografische Angaben zu 30.000 deutschen Filmen und rund 100.000 Personen, 7.000 Fotos, Kritiken, Inhaltsangaben, Interviews und Porträts sowie Themenschwerpunkte werden auf www.filmportal.de kostenlos abrufbar sein.


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