Montag, 12. September 2005
09.09.2005, Heimkino

Ringo Lams junger Versuch, klassische Motive des Hongkong-Actionkinos (Bruderfreundschaft bis in den Tod, etc.) in eine Szenerie jenseits üblicher Hongkong-Artisterie, die lediglich "Aaaahs!" und "Oooohs" hervorrufen soll, zu transferieren, um so wieder eine neue Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit zu installieren, gelingt nicht ganz. Die Actionszenen zielen nicht auf Überwältigung, sondern auf Wucht, Ringo Lam erzählt eher, als dass er vorführt.

Meisterhaft sind die ersten 10 Minuten, nicht so sehr wegen des Formellen, sondern aufgrund ihrer rigiden Ökonomie. Binnen kürzester Zeit springt der Film von Triadenthriller zu Gefängnisdrama, streift jenen Gefängnisfilm-Existenzialismus, den er in seinem jüngsten Film In Hell so katastrophal verschenkte, und erzählt schon bald die Geschichte eines Mannes, der in jungen Jahren sein Leben vergeudete, die besten im Knast verbrachte, nun, nach diversen politschen Wechseln im Lande frühzeitig entlassen, sauber bleiben will und sich prompt und eh er sich versieht in einem Hotelzimmer mit einem Raketenwerfer wiederfindet, vor dem Fenster die Kundgebung eines politischen Aufsteigers, der um die Ecke gebracht werden soll. Alles spricht gegen ihn, er denkt jedoch nicht daran, den "Job" zu erledigen und hat alsbald buchstäblich viele Parteien (denn das Attentat wird, wenn auch nicht von ihm, so doch, in letzter Sekunde, zum erfolgreichen Beschluss gebracht), die Polizei und alle anderen hinter sich. Ringo Lams Kunst besteht darin, dies alles atemberaubend fix auf den Punkt zu bringen, ohne auf Glaubwürdigkeit und Tiefe zu verzichten, die notwendig sind, ein solches Gefüge der Gehetztheit, das dem folgt, zu etablieren.

Ein Raffinement, das selten im Genrefilm geworden ist. Und auch Ringo Lam vermag es nicht, den anfänglich bereitwillig verschenkten Zucker auf volle Lauflänge vorrätig zu halten. Zuweilen wird es etwas schlicht, die personellen Verstrickungen und Tragödien (derjenige, der den Mann gelinkt hat - oder auch nicht? - , ist natürlich sein Gefährte aus alten Jugendtagen) bleiben bloße Behauptungen. Und Lam will zuviel an Story: Ideal wäre es gewesen, hätte man aus der Überlegung, wie dieser unschuldige "Attentäter" seine Unschuld wider die Umstände unter Beweis stellt, die weiteren Ereignisse - und eben die formale Gestaltung, das Ästhetische - abgeleitet. Doch dieser Aspekt - der zu Beginn vielversprechend über allem liegt - wird zu Gunsten einer politischen Verstrickung, die so recht nichts hergeben will, geopfert, zu Gunsten von ein paar Intrigen, die nicht meisterlich konstruiert sind, was sie sein müssen, wollen sie heutzutage noch bestechen. Darüber gezuckert gibt es actionlastige Auseinandersetzungen, die nicht entschädigen dafür, dass das, aus dem sie resultieren, nicht das ist, was man sich anfangs noch versprach. Mehr als nur Kurzweil ist hier leider nicht drin, trotz allem Potential.

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Montag, 5. September 2005
Ab 08. September im Kino.

Er sieht nicht unbedingt blendend aus, aber das, was er hat, weiß er einzusetzen. Seine pazifikblauen Augen etwa, die sanfte, aber zwingende Stimme, seine gewandte Ausdrucksweise. Er ist vielleicht nicht perfekt rasiert, aber doch so, dass man darin charmantes Understatement erkennt. Er ist höflich, zuvorkommend, gewitzt, aber keineswegs aufdringlich, er bleibt auf reservierter Distanz, und ist dann wiederum selbstbewusst und vorpreschend. Sein Auftreten gegenüber Frauen mag ein wenig altmodisch wirken, doch könnte man darin fast schon wieder ein Stück wiederentdeckter Galanz ausmachen. Kurzum: Der Mann hat Charisma bis auf die Knochen, und zwar von jener Sorte, bei der man sich nie ganz sicher sein kann, ob sie nicht doch einen ganz und gar anderen, halbseidenen Charakter verbirgt, den er immerhin schon in seinem Namen mehr schlecht als recht versteckt hält: Jackson Rippner. Gespielt wird er von Cillian Murphy, den man in 28 Days Later als Sympathieträger durch die menschenleeren Straßen Londons irren und kürzlich auch in Christopher Nolans hervorragendem Reset des Batman-Franchise als fürchterlich madigen Bösewicht Scarecrow agieren sah. In Wes Cravens Red Eye wirft er nun erneut sein ganzes Talent in die Waagschale und zieht nicht nur das Publikum, sondern auch Lisa Reisert (Rachel McAdams) in seinen Bann.

Die wiederum besetzt im Servicebereich einer renommierten Hotelkette eine hochrangige Position und fliegt deshalb oft genug, für die kleineren Angestellten in der Lobby aber stets mobil erreichbar, kreuz und quer durch die Staaten. Ihr Machtwort übers Handy macht zuvor aussichtlose Umbuchungswünsche mit einem Male möglich, zur Not wird auch das persönliche Login übers Telefon kommuniziert – der Kunde ist schließlich König. Jackson Rippner begegnet sie an einem dieser Abende, an denen der Stress mal wieder kein Ende nimmt und das Flugzeug auch noch Verspätung hat. Er steht in der Gruppe echauffierter Reisender hinter ihr, man kommt ins Gespräch, trinkt etwas zusammen, wagt den kurzen Flirt und findet sich schließlich im Flugzeug auch noch auf benachbarten Plätzen wieder. Beim rumpelnden Abflug lenkt er noch charmant von jeder aufwallenden Flugangst ab, nur um sich dann – kaum dürfen die Gurte wieder geöffnet werden – unter voller Beibehaltung der charismatischen Jovialität als verschlagener Gegner in einem abgekarteten Spiel zu erkennen zu geben. Er verlange ja gar nicht viel von ihr, gibt er ihr rasch und einnehmend zu erkennen, nur ein bisschen Mitarbeit. Ein einzelner Anruf in jenem Hotel, wo heute Nacht ein hochrangiger Minister untergebracht ist, genüge schon. Eine außerplanmäßige Umbuchung des Politikers in ein anderes Appartement, in dem sich ein gezieltes Attentat ein wenig leichter bewerkstelligen ließe, mehr sei es ja gar nicht. Dann, so Rippner weiter, würde ihrem Vater, der sich gerade frisch pensioniert in ihrem Zuhause vor dem Fernseher trollt, auch kein Haar gekrümmt. Über den Wolken nimmt der Psychokrieg auf beengtestem Raume seinen Lauf...

Nach 5 Jahren Pause ist Red Eye neben dem peinlichen Werwolf-Reinfall Cursed bereits der zweite Craven-Film in diesem Jahr, und im Vergleich macht er viel wett. Zwar zeichnet sich Red Eye nach all den postmodernen Meta-Spielereien, anhand derer Craven den Horrorfilm der 90er definierte, durch vollkommene Abwesenheit solcher selbstreflexiver Zaubertricks aus; dafür bietet er aber eine hübsch konstruierte und angenehm straight runtergespulte Genre-Story, die sich allerdings im Vorfeld etwas verheißungsvoller anhört, als ihre Konkretisierung es letzten Endes erfüllt. Aber ein Craven ist eben kein Hitchcock, der aus diesem Stoff eine exakt ausgezirkelte Studie in Sachen Suspense entwickelt hätte.

Craven hingegen zieht es, getreu seiner Werktradition, vor, den Zuschauer direkt zu affizieren: Weg vom Drehbuch-Gimmick, hin zum gezielten Einsatz von Filmtechnik und der Suggestivkraft der exzellent spielenden und aufeinander abgestimmten Darsteller. Er versteht es, an pointierten Stellen durch exakten Kamera- und Soundeinsatz beispielsweise die immer schon latent bedrohliche Atmosphäre eines Flugzeugstarts adäquat in Film zu übersetzen; die beengten Verhältnisse des Passagierraums - Hauptspielort des Geschehens - werden durch schlängelnde Kamerafahrten über und zwischen den Sitzreihen vermittelt, ein kleiner Höhepunkt der Raum-Inszenierung ist schließlich die kämpferische Auseinandersetzung zwischen Jackson und Lisa in der schmalen Toilettenkabine. Und dann eben Cillian Murphys umschmeichelnde Stimme, für die alleine man den Film unbedingt in einem ordentlich ausgestattetem Kino und in der originalsprachlichen Fassung sehen sollte. In seinem Umgang mit dem Material erweist sich Craven hier als Meister der filmischen Ökonomie, der sich in angenehm unaufgeregter Weise zurückzunehmen weiß und keine prahlerische Smartness, wie sie im Genrekino spätestens seit The Usual Suspects leider zum Standard wurde, sondern gutes altes Genre-Handwerk vorlegt (und wie es die Generation der Werbefilmemacher, die heute an die Fleischtöpfe der Produktionsfonds vorgerufen wird, wohl niemals zustande bringen wird).

Dass sich die Story späterhin wieder umbiegt zu einem Katz-und-Maus-Spiel nach üblicher Manier, dessen Finale entfernt an jenes des ersten Nightmare-Films erinnert, ist vielleicht nur konsequent. Craven ist kein Hitchcock und Red Eye kein großartiges Meisterwerk, dies nun ganz sicher nicht. Lediglich sorgfältig austariertes Genrekino fernab affektierter Artisterie, im besten altmodischen Sinne. Und das immerhin ist schon einiges.

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Sonntag, 4. September 2005
„They’re using tools!“
- Herbert West (Wissenschaftler)

Die lebenden Toten und ihre spezifische Sozietät im Verhältnis zu und im Widerstreit mit der des Menschen ist das bestimmende Thema von Romeros Living-Dead-Reihe. Mit jedem weiteren Film wurde die „Gesellschaft“ der wiederauferstandenen Toten näher beleuchtet, ja regelrecht (und in Day of the Dead sogar innerhalb der Narration) erforscht. Zusehends verschiebt sich dabei die Perspektive und mit ihr die Sympathie: 1969 waren die lebenden Toten noch geradewegs biblisch-mysteriöse, voneinander kaum unterscheidbare Wesen innerhalb einer wogenden Masse, die ihren ungleich lebendigeren Verwandten aus unerfindlichen Gründen nach dem Leben trachtet – und damit auch ein treffender Kommentar zum seinerzeit herrschenden sozialen Klima der USA, das von inneren Auflösungserscheinungen gezeichnet war. Die lebenden Toten bilden in diesem Szenario den immer wieder in den Vordergrund drängenden Hintergrund, vor dem sich eine kleine Gruppe ums Überleben Kämpfender in ihrer Ratlosigkeit nach und nach selbst ans Messer liefert. In Dawn of the Dead wird diese Grundstruktur zwar beibehalten – letzten Endes sind es die Menschen selbst, die über sich herfallen (die in das Einkaufszentrum einfallenden Rocker) und es somit den Zombies überhaupt erst ermöglichen, ihr Werk auch weiterhin zu verrichten -, doch erfahren die Zombies bereits eine differenziertere Konnotation: Ihre Kleidung (z.B. die des Krishna-Zombies) macht sie bereits eindeutig einer zwar verloren gegangenen, über kulturelle Codes bestimmten und ermittelbaren Identität zuordbar, der einzelne Zombie gewinnt Charakter, wird in slapstickhaften Szenen seiner Ungeschicklichkeit bloßgestellt und in einigen wenigen Einstellungen bereits als tendenziell melancholisches Wesen vermittelt. Der Zombie wird wieder in die Nähe des Menschen gerückt, das Projekt einer fortschreitenden Uneindeutigkeit zwischen den Parteien wird angeschoben. Bald dämmert es dann auch den Bewohnern der Shopping Mall, dass ihre untoten Widersacher schon fast instinktiv in das Konsumentenparadies drängen, weil sie bereits „früher“ gerne und als bestimmenden Teil ihres Lebens hier gewesen sind; sie selbst beeilen sich schließlich, gewissermaßen als Vorform des Zombielebens und um die aufgestellte Hypothese zu stützen, erst mal kräftig shoppen zu gehen. In Day of the Dead schließlich ist der eigentliche Konfliktherd vollends in die Zone der menschlichen Kultur zurückgedrungen: Keine quasi-kriegerische Auseinandersetzung mit den Zombies steht auf dem Plan, sondern vorrangig die zwischen einer jeder Ratio verlustig gegangenen Logik des Militarismus und des Machismos mit einer (mehr oder weniger) an alten humanistischen Werten orientierten Logik der Wissenschaft und Zivilisierung, die in der zunächst zweckfrei anmutenden Forschung am Zombiegewebe eine Möglichkeit zur Domestizierung und vielleicht sogar Diplomatie mit der Gegenkultur zu entdecken versucht. Das passende Bild für die Zeit der „Reaganomics“ und des späten Kalten Krieges. Das Resultat dieser wissenschaftlichen Bestrebungen ist schließlich „Bub“, der gesellschaftsfähige Parade-Zombie, der Walkman hört und Comics liest und zum Ende womöglich die abhanden gekommene Sprache wiederfindet. Ein in dieser Welt faszinierendes Zwitterwesen an der Nahstelle beider Gesellschaften, das schlussendlich im Kampf zwischen Mensch und Zombie auch die Seiten wechselt. Land of the Dead wiederum - 20 Jahre später und an einem interessanten Zeitpunkt in der Geschichte des apokalyptischen Films entstanden, an dem dessen jüngsten Beispiele (etwa Day after Tomorrow oder Spielbergs War of the Worlds, aber eben auch Land of the Dead selbst), nach den amüsant-unverbindlichen Revue-Veranstaltungen des Genres in den 90er Jahren mit ihrer distanzierender Panorama-Optik, wieder einen deutlich grimmigeren Ton anschlagen - führt diese Bewegung des sukzessiven Shiftings zum konsequenten Höhepunkt, indem er, salopp gesagt, die Rollen vertauscht und die Übergangsstellen zwischen Zombies und Menschen deutlich in den Vordergrund rückt.



In Land of the Dead hat sich der magere Rest der Menschheit weitestgehend mit der Lage arrangiert. Man hat sich auf einer Halbinsel inmitten einer Metropole verschanzt und gesellschaftlich re-formiert. In der Mitte der Insel ragt Fiddler’s Green auf, ein megalomanischer Tower, in dem eine wohlhabende Elite die letzten Reichtümer hortet und konsumiert, sich also im hemmungslosen Eskapismus über die Situation da draußen hinwegtröstet und alte Zeiten wiederaufleben lässt. An der Spitze dieser buchstäblichen High Society steht Kaufman (Dennis Hopper), der in seinem Auftreten wohl nicht zufällig an eine us-amerikanische Führungskraft erinnert. Ringsum des Towers sammelt sich indes eine krude, verkommene Gesellschaft von Habenichtsen und paramilitärischen Einsatzkräften, die sich in dunklen Gassen und Spelunken im post-apokalyptischem Vergnügungs-Zynismus suhlt, wie man ihn auch aus der Mad Max-Reihe kennt. Jenseits der die Insel umgebenden Flüsse liegt der verfallende Rest der Metropole, das Land der lebenden Toten, in das immer wieder raffgierige Plünderexpeditionen unternommen werden, um den relativen Lebensstandard der kleinen Enklave zu halten. Längst schon haben die armen Teufel dieser Todeskommandos eine Skrupellosigkeit entwickelt, die nicht von ungefähr an das Büffelschießen aus Wildwestfilmen erinnert. Die tumb durch die Gegend wankenden Zombies sind nichts anderes als Freiwild, das bei zu großer Nähe unangenehm werden kann.

Ein Zombie – ein Afro-Amerikaner, und wie man weiß will die Hautfarbe bei Romero viel heißen – ist der ewigen Raubzüge und Massaker an seinesgleichen schließlich überdrüssig. Er schnappt sich eine Waffe – erst ein Knüppel, bald eine automatische Schusswaffe - , erlernt schrittweise ihren Gebrauch und schart schließlich die Horden der lebenden Toten um sich, die es ihm bald gleich tun: Während rings um Fiddler’s Green innere Konflikte aufbrechen und den letzten Rest Zivilisation in Frage stellen, beginnt vor den Toren der Festung der lange Marsch der lebenden Toten auf die parasitär agierende Zelle inmitten der Metropole ...

Romeros aktuellster Kommentar zum Zeitgeschehen könnte wohl kaum drastischer ausfallen: Die letzten Überbleibsel der Menschheit sind ein moralisch verkommener, eitler, selbstsüchtiger Haufen, die sich für die Geschehnisse außerhalb ihres Mini-Soziotops nicht weiter interessieren und nach innen hin eine unüberwindbare Hierarchiestufe zwischen Superreichen und Superarmen installieren. Die Sympathieträger unter ihnen lassen sich an einer Hand abzählen. Sie scharen sich um Riley (Simon Baker), den Anführer einer kleinen Miliz, die gelegentlich für Plünderungen auszieht.

An seiner Seite steht Charlie (Robert Joy), ein an der Grenze zum Autismus in sich verkrochener, treffsicherer Scharfschütze mit halbverbranntem Gesicht und kaum nennenswertem Artikulationsvermögen. Er ist vielleicht die interessanteste Figur im ganzen Ensemble: Nicht umsonst wird er bei seinem ersten Auftritt aufgrund seiner äußeren Erscheinung für einen Zombie gehalten; seine niedrige Intelligenz und sein hohes Geschick an der Waffe rücken ihn bewusst in die Nähe des schwarzen Anführers der Untoten, der wiederum schon fast ein Mensch sein könnte. Romero unterstreicht diese Uneindeutigkeit noch, welche die ganze Dichotomie zwischen Zombies und Menschen und damit die Unvereinbarkeit beider Gesellschaftsentwürfe in Frage zu stellen vermag, indem er mal die eine, mal die andere Hälfte von Charlies Gesicht im Dunkeln lässt und ihn so bald als Zombie, bald als Menschen zeichnet.

Die Schar der Untoten hingegen, die von Beginn an als ausgebeutete und drangsalierte Gruppe erscheint, kann sich der nicht mal mehr klammheimlichen Sympathie sicher sein. Obgleich an sich die überwältigende Masse, sind sie doch nichts anderes als die marginalisierte Multitude an der sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Peripherie, die unnachgiebig ins Zentrum drängt (Romero nötigt einen regelrecht, in Michael Hardts und Toni Negris Polit-Philosophie Empire nachzuschlagen). Dieses Zentrum, die verschanzte Insel mit ihrem weithin sichtbaren Turm, ist dabei unschwer - und schon alleine aufgrund ihrer topografischen Anlage als Halbinsel zwischen zwei Flüssen inmitten einer Metropole – als Spiegelbild Manhattans zu erkennen, Fiddler’s Green schließlich als die Twin Towers des WTC und Dennis Hoppers Figur (der sogar Zitate seines realen Vorbilds in den Mund gelegt werden) als George W. Bush. Auf einen Nenner gebracht, zeichnet Romero hier das Bild einer sich rigide gegen die Welt abschottende und an ihr Raubbau begehende USA, die im Inneren zur Stabilisierung der Verhältnisse einen rigorosen sozialen Unfrieden pflegt, damit aber überhaupt erst die Möglichkeit und Bedingung ihrer Überwindung hervorbringt. Während sich ihre Eliten mittels Luxus in Weltvergessenheit einschläfern, gilt Romeros Sympathie klar den Zombies, jenen marginalisierten Freaks, die sich nun erstmals organisieren, zur Waffe greifen und das System schlussendlich in seinen Grundfesten erschüttern. Entsprechend inszeniert er sie erstmals als eine Heerschar von höchst individuellen Charakterköpfen und lässt seine Kamera ein geradewegs inniges Verhältnis zu ihnen pflegen. Den Fan der Reihe dürfte dies nur erfreuen, kann man sich doch nun endlich an den hervorragend gestalteten Untoten satt freuen. Die menschlichen Figuren indessen neigen, nicht unbedingt zum Vorteil des Films, allesamt eher zur Blässe. Viele Gründe, dieser post-apokalyptischen Gesellschaft eine auch weiterhin blühende Zukunft zu wünschen und entsprechend mit ihr mitzufiebern, gibt Romero dem Zuschauer ohnehin nicht an die Hand.



Alles beim Alten, könnte man also meinen. Romero setzt seine Zombiereihe inhaltlich und motivisch konsequent fort, erneut hat er wieder viel zu kommentieren, und der Holzhammer, der die Rhetorik seines Vortrags bildet, ist auch bald 40 Jahre nach Night of the Living Dead noch immer gut in Schwung. Dass er sich gar nicht erst bemüht, seine Zombiesaga inhaltlich und ästhetisch aktuellen und gewiss gewinnträchtigeren Produktionen anzunähern, ist ihm dabei zumindest respektvoll anzurechnen. Auch die beibehaltene, weitgehende Ironiefreiheit ist ein Plus. Zombies und Spezialeffekte sind so toll wie nie, und in zahlreichen Actionszenen zeitigt er mittels exzellenter Kameraführung, sorgfältiger Montage und edlem Sounddesign ungemein ruppige somatische Wirkungen. So wuchtig wurde bei Romeros Zombies jedenfalls noch nie zu Werke gegangen. Zwar gab es zu Savinis Zeiten deutlich mehr zu sehen, doch gelingt es Romero durch allerlei scheußlich gestrickte Saftigkeiten auf der Tonspur den vielleicht „körpernahsten“ Splatterfilm seiner Karriere vorzulegen. Das flutscht und reißt und squeezt und quillt, dass es nur eine Art hat. Der jüngst eingeschlagene Weg des Kinos, sich zusehends vom Primat der Sichtbarkeit zu entfernen und stattdessen die akustische Ebene mit ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, um auf den Zuschauerkörper eindringlich einzuwirken, wird hier konsequent weiterbeschritten (und nicht zuletzt deshalb ist Passion of the Christ ja auch so ein unsagbar dummer Film).

Und dennoch, trotz alldem bleibt nach dem Film ein leicht säuerlicher Nachgeschmack zurück. Land of the Dead ist keiner dieser Reinfälle, wie sie Romero zuvor beinahe schon in Serie produziert hatte, er ist aber eben auch keiner der Klassiker, aus der die Reihe zuvor ausschließlich bestand, und es sieht auch nicht danach aus, als könnte er mal eines Tages zu dieser Riege stoßen. Gewiss ist Land of the Dead aus genannten Gründen eine recht respektable Fortsetzung, die nicht den Nimbus des vollkommen Unnötigen mit sich trägt. Unzufriedenheit bleibt dennoch.

Es liegt vielleicht zum einen dran, dass Romero seinen Film zwar ohne Ende voll haut mit kommentierenden Parallelen und aufgeladener Polit-Rethorik, doch will es ihm, wie noch in allen vorangegangenen Teilen, nicht recht gelingen, die Besonderheit der sich mal hierhin, mal dorthin verzweigenden Spielhandlung direkt aus dem politisch aufgeladenen Szenario abzuleiten und mit diesem nahtlos zu verschweißen. Alle aufwändig bemühten Parallelen und Hints kommen über den Status einer Theaterkulisse nicht hinaus, vor der sich etwas abspielt, was nur in einigen wenigen Aspekten unbedingten Bezug zu seinem Hintergrund hat. Waren alle bisherigen Filme der Reihe noch Musterbeispiele für eine kompakte, ökonomisch ungemein wirkkräftige Verdichtung von Szenario, Parabel und mitreißender Story, wirken in Land of the Dead alle Bestandteile merkwürdig lose auf- und nebeneinander gereiht. Entsprechend legt der Film sein Hauptaugenmerk auf einige in der Tat hervorragend inszenierte Actionnummern, die allerdings, wiederum im Gegensatz zu den Vorläufern, nie eine wirklich direkte Verbindung mit dem Szenario aufbauen, sondern oft genug lediglich für sich stehen. Im restlichen Filmgeschehen hingegen ist weitgehend formal konzeptlose Öde angesagt. Die Kameraarbeit wirkt willkürlich, immer ist man viel zu dicht an den Personen dran, das einstige Gespür für Bildaufbau und wirkungsvolle Montage scheint Romero in den letzten Jahren komplett abhanden gekommen zu sein. Land of the Dead wirkt deshalb über weite Strecken merkwürdig altbacken, gerade so, als hätte ein ins Alter gekommener Regisseur die moderne Technik nicht mehr recht im Griff und es im Laufe der Zeit obendrein noch verpasst, so etwas wie gediegene Altmeisterlichkeit zu entwickeln. Die interessanten Verschiebungen im Motiv des Zombies und die oben geschilderte, formal reizvolle Auflösung der optischen Drastiken wirken deshalb schon fast verschenkt. Stände hier nicht Romeros Name im Vorspann, würde der Film in einem dafür passenden Umfeld – sagen wir: dem Fantasy Filmfest – vermutlich kaum weiter auffallen, sondern lediglich als einer von vielen weiteren seiner Art verbucht werden.

Es hätte gewiss weitaus schlimmer werden können – und vielleicht muss man schon zufrieden sein, dass Romero die mit Bruiser erreichte Talsohle in seinem Werk nun offenbar hinter sich gelassen hat. Aber so widerwillig man sich dies vielleicht eingestehen möchte, Zack Snyder hat es im letzten Jahr eben doch – und nun eben auch dem einstigen Großmeister des Subgenres – vorgemacht, wie man einen grimmig-blutigen, dramaturgisch mitreißenden, formal und ästhetisch erhabenen und auch inhaltlich keineswegs leergeputzten Zombiefilm heutzutage gestaltet. Anhand eines Remakes von Dawn of the Dead, ausgerechnet.

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Mittwoch, 27. Juli 2005
27.07.2005, UFA Palast Kosmos; Inhalt.

Aus einem Film mit der fröhlich–sarkastisch geträllerten Zeile So long, so long, so long – and thanks for all the fish! geschmissen zu werden, wenn dies gerade eben in der Tat die (persönlich) letzte Vorführung in einem Kino gewesen ist, das mit Ende des laufenden Geschäftstages den Spielbetrieb einstellt (und das einem, in letzter Zeit, sehr ans Herz, vor allem auch im Sinne von Lebensqualität, gewachsen ist), macht auf seltsame Weise Sinn. Zumal ich dort auch Big Fish von Tim Burton zum ersten Mal gesehen hatte, der mich seinerzeit umgeworfen hatte, weil er alles, was Kino kann und ist, so prägnant auf den Punkt brachte, weil er mich, einmal mehr, wissen ließ, warum das Kino für mich, mit Wiglaf Droste letztens in der taz gesprochen, „ein heiliger Ort“ ist. „So long – and thanks for all the films!“, möchte ich da antworten, eine kleine, verschämte Träne im Augenwinkel. Draußen der vergnügte Sonnenschein – vor dem Gang ins Kino herrschte noch trübe Wolkentristesse – scheint mich auszulachen.

Der Film selbst, der die letzte Begegnung bestimmte, hätte dabei nun sicher etwas besser ausfallen können. Beileibe ist Jennings’ Adaption kein schlechter Film, gewiss nicht, er ist liebevoll gestaltet und vor allem geht er verantwortungsvoll mit der honorigen Vorlage um. Vielleicht kann man von einem Film gewordenen Hitchhiker’s Guide, der natürlich auch meine Jugendtage dereinst versüsst hatte (auch wenn ich nun kein Freund von Physik und dergleichen gewesen bin), auch gar nicht viel mehr erwarten. Dies mag gut sein. Dennoch, die Quirligkeit des Geschehens überträgt sich nicht recht, man schaut zu, beziehungsweise wohnt man eher bei, aber man ist nicht drin. Dies ist schade, aber zu mehr als respektvollem Abnicken hat es in meinem Falle, leider, nicht gereicht.

Es liegt vielleicht an den unterschiedlichen Bedingungen unter der jeweiligen Medialität des Stoffes. Die Literatur (aber auch: Der Comic und mithin das Hörspiel) hat leichtes Spiel, einen diegetischen Raum mit Phantasmen und Gedankenspielen vollzustopfen, ohne in sich zusammenzubrechen, da das ureigene Terrain – Schrift und Sprache – eben nie verlassen wird. Es bedarf dazu auch zunächst keines großen Aufwands, man erinnere sich nur an das recht beschränkte Vokabular, mit dem H.P. Lovecraft seinerzeit und mit einigem Effekt den kosmologischen Schrecken aus der Tiefe des Alls und der Zeit in irdische Keller und Grotten verpflanzte. Film hingegen sieht sich bei solchen Vorhaben besonderen Härten ausgesetzt und kann ein phantastisch aufgeladenes diegetische Gefüge nur mit einigem technischem Mehraufwand leisten, der perfektioniert genug sein muss, um nicht in erster Linie auf die Installiertheit des Geschehens aufmerksam zu machen (besonders trashige Filme, die ihren Produktionsprozess auf diese Weise aufdringlich sichtbar machen, nähern sich deshalb auch schon wieder eher der Avantgarde als dem Trivialen der Groschenheftliteratur an). Douglas Adams hat nun also zunächst einmal keine größeren Probleme, ein, im wahrsten Sinne des Wortes, unwahrscheinliches Geschehen durch allerlei Exkurse und wilde physikalische Spekulationen in eine in sich geschlossene Systematik zu überführen, in der es sich orientieren lässt (auch wenn die nächstgrößere Überraschung immer nur eine Seite weit entfernt liegt, aber auch diese wird sich mit Sicherheit integriert haben lassen). Es ist ja geradewegs ein Merkmal von Adams’ phantastischem Zyklus, dass die Dinge, Erscheinungen und Begebenheiten bei ihm nie nur immer Äußerlichkeit besitzen, sondern ganz im Gegenteil abstrakte Tiefe, Historie, sich durch ein Gebettet-Sein in einem Zusammenhang auszuzeichnen, den Adams, als omni-präsenter und –potenter Erzähler, der das Geschehen immer wieder zwecks Erläuterung verlässt und sich dem Leser zuwendet, nicht müde wird zu schildern und zu kitten.



Auch wenn nun die filmische Adaption sich bemüht, diesem Gestus durch gelegentliche Brüche in der Narration – der (natürlich allerliebst gestaltete) Führer „Per Anhalter durch die Galaxis“ schiebt sich immer mal wieder erläuternd in den Vordergrund – Entsprechung zu leisten, will es ihm eben doch nicht gelingen, adäquat analog zu funktionieren. Er ist, im wesentlichen und über weite Strecken, Darstellung der Abfolge äußerlicher Ereignisse, die alleine schon durch ihre räumlich-physikalische Verhältnisse zueinander in Bewegung geraten. Notgedrungen bleibt da einiges an Gehalt und Relevantem auf der Strecke, denn wenn man Douglas Adams’ Story einfach nur nacherzählt, respektive in diesem Fall: mit sicherlich viel Liebe zum Detail illustriert, kommt dabei vor allem Stückwerk, heilloses Chaos und selbstzweckhafte Skurrilität heraus, die notwendig nur an die leicht dümmliche Konzeption von Trash erinnert, die sich an der Sinnlosigkeit des Dargebotenen schon zufrieden ist (von daher wundert es im übrigen auch keineswegs, dass das hiesige Feuilleton den Film ein wenig krampfhaft in die Nähe von Monty Python zu rücken versuchte, was sich anhand des Films nun allerdings keineswegs nachvollziehen lässt, aber eben auch Monty Python wurde ja hierzulande immer nur als Nonstop-Nonsens-Revue rezipiert und keineswegs als das intellektuell wie künstlerisch durchdachte, hochgradig subversive Projekt, welches das Werk der Briten nun einmal darstellt). So bleiben die Macken der unzähligen, grotesk gestalteten Wesen, die das All in diesem Film beherbergt, eben reine Episode, das Ding mit dem Unwahrscheinlichkeitsantrieb, der im Buch immer wieder aufgegriffen und thematisiert wird, bloßes Fortbewegungsmittel mit teils ins Absurde spielenden Ergebnissen. Er wird eben erklärt, so ein bisschen zumindest, um eine grundsätzliche Bedingung zur Möglichkeit von Flucht in ausweglosen Situationen einigermaßen zu verankern, um dergestalt den Fortgang der Ereignisse gewährleisten zu können. Ein bloßes narrative device, dem aber die Gehirnakrobatik – und damit überhaupt erst das, was bei der Lektüre des Buches noch mit der Zungen schnalzen ließ – abgeht. Dort ist er kniffliges Gedankenspiel, wenn auch an sich unrealistisch, aber von der Idee her brillant, hier nun haben wir einen Grund, das Raumschiff für einen Moment lang als Wollknäuel durchs All treiben zu lassen – ein bloß optischer Gag, weil es eben unwahrscheinlich ist. „Wir haben wieder Normalität erreicht!“ – in der Adaption klingt das nur schräg, bedeutet aber nichts.

Wobei dies nun vernichtender klingt als der Film es eigentlich verdient hat. Er hat gewiss schöne Momente – eben jener mit dem Wollknäuel etwa führt immerhin dazu, dass auch im Inneren des Raumschiffs für eine kurze Sequenz lang alles, buchstäblich, gestrickt ist und sich die Figuren per Woll-Animation vor unseren Augen bewegen. Eine Idee zum Küssen! Oder aber die vortreffliche Visualisierung der Planeten-Werkstatt – hier treibt die optische Phantastik wunderbare Blüten, hier entwickelt sich binnen Momenten die ganze Kraft des Films, eben in der Äußerlichkeit, welche die literarische Vorlage eben doch immer nur annäherungsweise implizieren kann. Wir sausen durch einen schier endlosen Raum, überall angefangene Planeten, mögliche Ersatzteillager, Baustellen, Fragmente, ja auch Arbeiter, die emsig ans Werk gehen. Einer streicht noch eben, für Erde 2, die australische Wüste mit dem Farbeimer rot an. Überhaupt hat man sich Mühe gegeben, die Gestaltung ganz im Sinne der Vorlage zu leisten – und trifft deren Duktus oft ziemlich gut.



Auch für Freunde der alten TV-Serie gibt es ein klein wenig Zucker für die Seele. So taucht beispielsweise die liebgewonnene, ungelenk spielfigurartige Roboterfigur des depressiven Marvin aus der Serie hier nun als Statist im Bild auf. Der filmeigene Marvin hingegen, futuristisch wie ein Kolani-Computer anzusehen, gibt bloß mehr einen Sprücheklopfer ab, dessen Tag das heute (und gestern und morgen) schlicht nicht ist. Nur die Grille eines Programmierers, könnte man meinen, eine eben wunderliche Begebenheit, von der allerdings, außer im Präsentieren ihrer selbst, kaum Gewinn geschlagen wird.

Leider gehen besagte Glanzmomente unter im Trubel und in der Hektik anderer, weniger gelungener Episoden, die eben, von der Komplexität der Gedankenzwickereien und –saltos, die das Buch absatzweise durchführt, weitgehend befreit, zu bloßen Revuenummern verkommen. Diese stehen im Ganzen des Filmes oft befremdlich nebeneinander, finden aber kaum zueinander. Der Film betont den Trash- und Campappeal der Vorlage, lässt alles freakig erscheinen, belässt es aber bei einer Bebilderung, und schafft eben die Entsprechung nicht. Man wohnt bei, schaut nur zu. Drin ist man nicht. Und in diesem Kino hier auch nicht mehr - so long!

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Montag, 25. Juli 2005
im Heimkino gesehen

Das Leben in diesem Kaff, irgendwo in Venezuela, nicht lange nach dem zweiten Weltkrieg, ist soviel wert wie ein bisschen Schweiß und Fliegendreck. Die auf der Suche nach Geld und Freiheit hier elend gestrandeten paar Existenzen aus Europa sind den Bewohnern selbst schon lästig wie die Fliegen. Hier ist der Ort, an dem das Gewebe der alten Träume erbarmungslos enttarnt wird: Ein bisschen schaler Restalk auf dem Boden eines schmierigen Glases und der Kredit in der Schenke ist auch schon längst aufgebraucht. Es sei denn, man ist neu hier und trägt Anzug, dann kommen die Stiefellecker und Honigschmierer aus allen Löchern, vielleicht springt ja was dabei heraus. Der erste Fleck auf dem guten Stück Kleidung schließlich lässt auch den Neuen schnell als einen von ihresgleichen erkennbar werden, Gescheiterte, Gefallene allesamt. Hier kommst Du nicht raus, es fehlt am Geld und die Weiber sind auch schon lästig geworden, nur zum Schlagen noch gut. Ein Hundeleben, auf allen vieren kommt sie anfangs angekrochen.

Doch dann brennen die Ölquellen. 500 Kilometer weit weg. Der Plan der Hochmächtigen: Wedelt mit 2000 Dollar, schickt ein paar Lumpen los und lasst sie das Nitroglycerin hinbringen, um die nötige Sprengung vornehmen zu lassen. Nur ein Mörder kommt auf eine solche Idee, und Mörder gibt's hier an jeder Ecke. Doch kein Traum ist so sehr zu Ende geträumt, keine pflastiger Boden hart genug beim Aufprall, um nicht doch noch die Elenden Schlange an der eigenen Schlachtbank stehen zu lassen. 2000 Dollar oder tot - die Wahl fällt leicht in diesem Loch. Zwei LKWs sind bald beladen, vier Wahnsinnige leichter Hand gefunden, man schlägt sich schließlich um einen Posten in diesem Himmelfahrtskommando und bald jeder beschwört, Zeit seines Lebens nichts anderes als Lastkraftwagenfahrer gewesen zu sein. Nur die eigene Großmutter zu verkaufen fiele noch leichter.

Es folgen, nach langer Milieuschilderung, aufreibende, existenzielle Momente. Der vielleicht großartigste: Der alte Mann, der sich reingeschlichen hat, vorher noch der große Aufschneider in der Bar, bekommt es mit der Angst zu tun, die den bereits Gesetzten eigen ist. Als man sich entschließt, einen ungünstigen Felsbrocken zu sprengen und zu diesem Zweck die beiden Wägen etwas abseits postiert, wird diesen Todesmutigen der Wahnsinn der Tat erst bewusst, als die Lunte längst schon Funken versprüht: Was wenn ein Brocken die empfindliche Ladung trifft? Drei sind in Deckung, doch der alte war noch am Wagen und auf ihre Rufe, er solle da weg, reagiert er wie einer, der die Hosen elend gestrichen hat: Er rennt nicht weg, er zittert, zittert am ganzen Leib, so sehr, dass er im Türrahmen mit beiden Händen sich festkrallen muss. Ringsherum um ihn: Die Brocken im Bann der Gravitation. Ein atemloser Moment, der Mensch im Aggregatzustand seiner Gehetztheit: Zur Freiheit verurteilt, den Tod inklusive.

Oder der Moment, als der Alte entschläft, in den Armen des Jüngeren, der nicht müde geworden ist, ihn einen feigen Hund zu nennen. Eine eigentümliche Zärtlichkeit, rührend, aber nicht rührselig, überwältigt nun diesen. Die Feuersbrunst der Quellen heißt sie willkommen, das Ziel ist erreicht, der Alte tot. Ich musste an den Moment in Camus' Die Pest denken, als die beiden Freunde nachts ins Wasser springen und nur der Mond ist über ihnen und für eine kurze Parzelle Zeit scheint alles gut, auch wenn die Melancholie doch nie ganz verloren geht.

Am Ende ist gewiss alles umsonst gewesen. Ein schlechter Scherz, Ironie des Schicksals, ein Augenschlag später alles vorbei, im Taumel des Jubels. 2000 Dollar, ein verflucht billiger Tod. Sie werden es wert sein, ins Gras gebissen zu haben.

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Montag, 18. Juli 2005
18.07., UFA Palast Kosmos; Inhalt.

1987 ist das Jahr, in dem die Superhelden Neurotiker, Selbstzweifler und nicht zuletzt Schauplatz menschlicher Aggregatzustände wurden. Sei es Alan Moores meisterhaftes Comic Watchmen, in dem das Genre selbst weidlich zur Disposition gestellt wird, oder Frank Millers Dark Knight Returns, in dem sich eine medial durchhysterisierte Gesellschaft gegen einen alternden Batman richtet, dessen Dämonen auch in seinen letzten Lebensjahren nicht von ihm ablassen wollen. Comics, die das Superheldengenre aufwerteten und einem breiteren Publikum jenseits pubertärer Jungensfantasien erschlossen. Dass sich dies nicht auch auf die filmischen Adaptionen der modernen Mythen ausgewirkt hätte, wäre glatt gelogen: Tim Burtons Batmanfilme, Ang Lees Hulk, der ohnehin auf noir-esque Düsternis ausgelegte Punisher und gerade erst vor kurzem Christopher Nolans atemberaubender Batman Begins machten sich den in den Vorlagen erlangten Grad an Reflexivität zu Nutze.

In The Fantastic Four ist von jenem Geist nun rein gar nichts mehr zu spüren. Das ohnehin vielleicht albernste Franchise aus dem Hause Marvel entpuppt sich als ein eigentümlich konstruiertes Gebilde, in dem zwischen enervierender Dialoglastigkeit, mit der die Probleme der durch radioaktive Strahlung frisch genveränderten Nunmehr-Superhelden auf ungelenke Art einer unterdurchschnittlichen Soap Opera gewälzt werden, und blödelhafter Clipästhetik für die Generation Klingelton changiert wird, dass selbst noch das letzte bisschen Wohlwollen mit Füßen getreten scheint.

Bemerkenswert ist, wie der Film zu sich selbst stolpert: Die Zahl der Minuten ist noch nicht zweistellig, da liegt das Grundgerüst auch schon vollkommen fertig auf dem Tisch und will eigentlich nur noch mit Fleisch angereichert werden. Stattdessen fallen den Machern immer wieder neue Möglichkeiten ein, wie man das Geschehen ziehen und dehnen kann, als würde man Mr. Fantastics Eigenschaft, sich nach Belieben ausdehnen zu können, dramaturgisch abbilden wollen. Und das steinerne Thing weiß immer noch einen blöderen, unwitzigeren Spruch als den vorangegangenen abzuliefern. Die Probleme – Hilfe, wir sind nun Außenseiter! – werden in Manier von Kinderserien verhandelt. „Anders zu sein heißt nicht, dass man weniger wert ist!“, heißt es an einer Stelle, an der die Augen vom Verdrehen schon deutlich zu schmerzen begonnen haben. Überhaupt ist irgendwie alles richtig wurscht an diesem Film: Alles, was man antippt, wird bald schon wieder stehen gelassen, kein Faden, der verfolgt wird, kein Masterplan, der sich abzeichnet. Flache Charaktere, ein Bösewicht von der Stange, allesamt Knallchargen, die fast ausschließlich aus TV-Serien auf die breite Leinwand gesprungen sind. Ein bisschen Materialschlacht, die formalästhetisch nach biederstem Konzept aufgelöst wurden. Kurzum: Hier wurde nichts gewollt, hier gab es keine Vision, kein Stück Großartigkeit sollte erreicht werden – warum schließlich auch? Der Zuschauer hat immerhin schon gezahlt, und ganz offenkundig nichts anderes stand hier im Vordergrund.

The Fantastic Four ist albern und ungemein öde, ein unsagbar morscher, maroder Film. Er steht für einen infantilen Regress im Superheldenfilm, an dessen Ende nur die Teenage Mutant Hero Turtles aus ihren vergessenen Kanälen hervorspringen können.

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Montag, 18. Juli 2005
gesehen im Heimkino

1955 war die Welt samt Weltall noch in Ordnung. Der Sputnik-Schock, ausgelöst durch die erfolgte erstmalige Begehung des Weltalls seitens der Sowjetunion, die eine beispielhafte Paranoiawelle in den USA bedingte, lag noch zwei Jahre in der Zukunft und ließ sich noch lange nicht erahnen. Ganz im Gegenteil, Eisenhower gab sich öffentlich noch bester Dinge, dass der erste Satellit im All bereits in absehbarer Zeit Signale in den Westen senden würde. Eine nationale Verfasstheit und ihre Disposition im Wandel, die sich am seinerzeit vor allem im B-Kino sehr populären Science-Fiction-Film ideal nachvollziehen lässt. In Conquest of Space, 1955 entstanden, der ansonsten alle üblichen Erkennungsmerkmale eines Weltallfilms der 50er Jahre mit sich führt (für das farbenfrohe Technicolor konzipierte Plastikbauten im Space Age Look, naive Spezialeffekte und übliche Gruppenkonstitution; kurzum: alles, was diesen knarzigen Filmzusammenhang so herrlich macht), in diesem Film also ist der Weltraum noch ein friedlicher Ort, in dem keine Pappmaché-Wesenheiten auf Unbill aus sind. Die Tiefe des Alls hält noch keine Schrecken – unschwer als Codierung von Sputnik und seinen Implikationen zu erkennen - verborgen, vielmehr stellt sich die Frage, wie und ob der Raum zu kolonisieren sei. Das im Genrefilm grundsätzlich notwendige, ja diesen als solchen geradewegs konstituierende Spannungsverhältnis, aus dem die Narration Dynamik erzielt, findet sich hier noch im Inneren begründet: Fragen der soldatischen wie ethischen Moral vor dem Betritt der unbekannten Tiefe bestimmen maßgeblich die Ereignisse und bilden so die Parabel auf eine Nation, die selbst noch im Zweifel ist, was vom Weltall zu erwarten sei.

Ort des Geschehens ist, zunächst, eine erdnahe Raumstation (die – wenn auch nicht effektästhetisch, so doch zumindest rein konzeptuell – das spätere Space Wheel bei Kubrick vorweg nimmt), auf der eine große Schar Techniker und Wissenschaftler den ersten Flug zum Mond vorbereitet. Damit ist man augenscheinlich schon eine ganze Weile beschäftigt, wie die ersten Szenen - nach pathetischer Vorrede aus dem Off - zeigen: Allerorten herrscht Unlust und Heimweh, ein zwar gestrenger, aber väterlich auftretender General (dessen Sohn in der Tat ebenfalls in der Crew tätig ist und sich prominent mit Zweifeln am Projekt hervortut) mahnt zum Durchhalten und hält die Truppe zusammen. Im Mittelpunkt steht eine Auswahlmannschaft von sechs Mann unterschiedlichster Facon, die seit bereits einem Jahr ein besonderes Training samt zermürbender Pillendiät absolviert. Etwas Abwechslung kommt in den Alltag, als das Ziel der Mission eine Modifikation erfährt: Nun nicht mehr der Trabant der Erde, sondern ihr nächster Nachbar, der Mars, sei in den nächsten Tagen anzuvisieren. Der General stellt ein kleines Team aus seiner Elite-Mannschaft zusammen und lässt das fertiggestellte Raumschiff samt neuen Koordinaten besteigen. Doch die vielen Tage auf dem Weg zum Mars gehen nicht ohne Spuren an dem General vorüber. Dieser blättert in der Bibel, gibt sich geläutert, bleibt im Endeffekt aber doch nur radikalisiert: Die Erde sei des Menschen von Gott zugewiesener Platz im All, das Unternehmen sei Aufbegehr wider den Allmächtigen. Auf dem Mars angekommen, spitzt sich die Lage für die Crew zu: Während draußen die Astronauten damit beschäftigt sind, den Mars als spätere Weizenkammer der Erde urbar zu machen, wagt der fanatisierte General die Sabotage...

Eine vielfältig zusammengesetzte Crew zwischen Zweifel an dem Projekt und Euphorie, mit an Bord der Kalauer schwingende Spaßprolet ohne nennenswerte Sensibilität und Bildung sowie der sorgfältig arbeitende Wissenschaftler-Typus nebst nibelungentreuem Anhänger des Generals, religiöser Fanatismus und pionierartiger Idealismus inklusive: Unschwer ist die Crew als diskursives Spiegelbild der us-amerikanischen Gesellschaft an der Schwelle zum Weltraumzeitalter zu erkennen. Dies macht Conquest of Space in erster Linie als historisches Dokument interessant. Oder vielleicht noch etwas genauer: Als Dokument für die „Diskursphilie“, die das us-amerikanische Kino seit je her und bis heute prägt. Der Freund plastikbunter Genrefilme hat dabei ein wenig das Nachsehen: Stimmt der schöne Technicolor-Vorspann samt pathetischer „Die Welt am Rande ihrer Grenzen!“-Vorrede noch atmosphärisch ein, bestimmen vor allem angestaubte Dialoglastigkeit das weitere Geschehen, das eher an einen Pfadfinderausflug erinnert.

Hie und da gibt es ein paar schöne Außenansichten der Plastikraumschiffe zu sehen, die sich, auf Technicolor gefilmt, sehr schön machen. Aufregend geraten ist die Begegnung mit einem rötlich glühenden Asteroiden; eine Zwischenepisode auf dem langen Weg zum Mars. Auch der rote Planet ist nett, will meinen: sehr künstlich gestaltet und erfreut das solcher Obskuritäten niemals satte Auge. Ansonsten überwiegt, letzten Endes eher zum Nachteil des Filmes, übliche Professionalität in der Inszenierung eines eher kleinen Science-Fiction-Films jener Tage. Weitaus spannender für heutige Interessen sind da die merkwürdigen, ja grobschlächtig gemachten Filme, die das Auge – damals wie heute – mit Farbenfreude und Austattungslaune in Ekstase versetzen wollen.

Nachtrag: Der in Scope gedrehte Filme wurde in einer Fullscreen-Fassung geschaut, vielleicht ging auch deshalb ein wenig Wirkung verloren.

Conquest of Space ist vielleicht einfach nur am falschen Zeitpunkt der Historie entstanden, um vollends zu überzeugen.


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Donnerstag, 16. Juni 2005
15.06.2005, Heimkino


Der Vampir als Romantiker, Melancholiker, Wanderer. Durch die Geschichte und, deshalb auch, das alte Europa. Der Dandy als Hintergrundrauschen eines kulturellen Zusammenhangs, der an seinen Rändern fransig, unübersichtlich, ja zusammenhanglos zu werden droht - die Universalgeschichte, als Konzept des frühen 19. Jahrhunderts, wird denkbar, wenn einer alleine das Leben und seine Grenzen hinter sich lässt, den Blick als Zeuge auf Geschichte selbst zu werfen in der Lage ist, und gleichzeitig aber leer(gebrannt), da das Versprechen als Lug erkennbar wird für denjenigen, der nicht notwendig das Vergangene qua Referenz und Neudeutung nur vergegenwärtigt.

Erfüllung nun aber, ja Balsam für die zwar abhanden gekommene, aber dennoch geschundene Seele findet dieser schwermütige Dandy durch die Zeiten nun im Kino schließlich, wo die Blaue Blume des Meeres, die auf ewig abhanden gekommen schien, als technisches Versprechen zunächst in der Luft liegt und schließlich, mit Technicolor, wieder in die verblasste Kopie, die Geisterform eines Lebens tritt. Hier nun wird Geschichte kompakt, sinnlich, was vormals nur bloßer Idealismus schien. Sinn wird produziert durch zweierlei Verfahren, die den Sinnesapparat des Menschen wiederum hintergehen, übertrumpfen: Die Fähigkeit, eine Bewegung vorzutäuschen, deren einzelne Elemente aber dem Auge sich entziehen, sowie das Versprechen der Ewigkeit von Bewegung durch den Raum. Beides nun trifft auch auf den Vampir der Handlung selbst zu, der seinen Standpunkt im diegetischen Raumgefüge mit einer Geschwindigkeit ändern kann, dass die zeitlich durch die Handlung umspannte Differenz unter einer 24stel Sekunde liegt, also Kamera wie Menschen sich gleichermaßen entzieht. Und die Ewigkeit selbst ist die Sphäre, die dem Darben an der eigenen Schicksalshaftigkeit und Geschichtsverlorenheit notwendigen Raum erst verleiht.

1791 ist der Ausgangs-, 1994 der Endpunkt. Das erste Jahr ist nicht weit weg vom Leiden des jungen Werther, es markiert zudem die Schwelle zur Romantik, das zweite seinerseits das Jahr, in dem Multimedia endgültig den Durchbruch fand und das Einlösen des Versprechens vom Computer als Medium schlechthin zum Greifen nahe lag. Film, als Leitmedium, wurde schlagartig anachronistisch und liegt seitdem selbst als lebender Toter darnieder. Daraus mag sich zum einen erklären, was es mit der Depression des Vampirs auf sich hat, der sein Vermächtnis diktiert wissen will, wo er doch im Zeitalter des Kinematographen am Ende seiner Suche, ja bei sich selbst angekommen ist. Zum anderen mag sich die eigentümliche Kameraarbeit des Filmes erklären: Es bleibt diffus, sicher, aber dieser Film, so nahe er noch an heutiger Zeit liegt, wirkt so, als würden Filme heute so nicht mehr geschossen.

(nur kurios am Rande ist, dass ich während der Sichtung dran dachte, The Company of Wolves mal wieder sehen zu müssen und wie sich herausstellt, teilen sich beide Filme den selben Regisseur)

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Mittwoch, 15. Juni 2005
14.06.2005, Heimkino

Wo das Kino auf das Unsichtbare trifft, stellt es Fragen über sich selbst. Das Primat des Optischen, der maximal möglichen Sichtbarkeit trifft auf einen Gegenstand, den darzustellen andere Wege beschritten werden müssen. Mit etwas Glück (oder eben Klugheit) eröffnet sich eine Reflexion über das Kino selbst.

Bei Harvey ist das große Unsichtbare ein zwei Meter zehn großer Hase selben Namens, der alleine dem zwar bis an die Grenze zum physischen Schmerz freundlichen, doch offenbar auch leicht vernebelten Elwood (James Stewart, während der Dreharbeiten, so scheit es jedenfalls, permanent bekifft) sichtbar ist. Seine Mitmenschen zweifeln deshalb an seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit und schalten analysierende Instanzen ein. Kunterbunte Verwechslungen - mal mehr, mal weniger effizient im Sinne der Komödie - sind die Folge, eine allgemeine Versöhnlichkeit mit menschlichem Antlitz, nicht ohne einen etwas zu heftig geratenen Stich ins Kitschige, ihr Beschluss.

Das/Der Unsichtbare wird über die naheliegendste Strategie ins Bild gesetzt: Über die physische Referenz. Elwood öffnet umsichtig die Türen, fasst am nicht ersichtlichen Arm, wirft den Blick ins Leere der Imagination. Mehr fällt dem Film nicht ein, außer der schließlich gegen Ende ins Menschelnde zielenden Frage, ob denn das, was wir - und Elwoods Umwelt - da nicht zu Gesicht bekommen, nicht vielleicht doch sehr eigentlich zu Gesicht zu bekommen wäre, wäre der Blick nur ein wenig mehr der des Träumenden, als der Elwood in seinem gutmütigen Alkoholismus - ständig trachtet's ihn, einen "zu lüpfen" - gezeichnet wird. Die Hollywood-Schaukel am Ende bewegt sich "von selbst", das Tor wird geöffnet - der Film führt einen dicht ran, doch der Perspektivwechsel - von der äußeren Welt in Elwoods subjektive - wird nicht vollzogen.

Dabei bleibt's, mehr als etwas naive Erkenntis war im Projekt vorab nicht vorgesehen. Über das Leben erfährt man soviel wie im x-beliebigen Schlagersong, über das Kino gleich noch viel weniger (man erinnere sich nur an die letzte Sequenz von Blow-Up, nur so im Vergleich). Eine klebrig nette Menschelei mit angestaubter Humorigkeit, die im Rührseligen verschwimmt, aus dessen Geist sie ja auch geboren war.

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Donnerstag, 9. Juni 2005
Heimkino

Steve Martin gibt hier Rigby Reardon, einen noch bis in den Scheitelzug hinein perfekt imitierten Noir-Privatermittler, dessen Welt von vorneherein schon inszenierungshalber noch nicht mal referent mit der unseren verbunden ist. Getreu seinen filmischen Vorbildern aus den 40er Jahren stolpert auch Reardon durch ein mehr oder weniger haarsträubend konstruiertes Krimi-Gebälk mit üblichen Zutaten. Es geht um Intrigen, persönliche Geflechte, etwas Liebe, Vorteildenken und so weiter. Für den Film selbst ist das nicht wichtig.

Denn Dead Men Don't Wear Plaid ist vor allem Konzept: Sein Clou besteht darin, dass er Szenen aus den Vertretern jenes erst Jahre später als solcher postulierten und Film Noir bezeichneten Zusammenhangs an B-Movies seziert und in sich einkopiert - in neuem, teils windschiefem Zusammenhang, den ein über alles gekleisterter Plot erstellt. Den Kitt zwischen diesen Szenen bilden formal und ästhetisch erstaunlich treffsicher gestaltete Sequenzen, die ihrerseits den Vorbilder nahe zu kommen trachten. Humphrey Bogart, Bette Davis, Vincent Price und viele andere (indirekt auch immer Hitchcock, aus dessen schwarzweißen Filmen jener Tage sich sehr großzügig bedient wird) verkommen nun also zu Sidekicks und Nebendarstellern in einer überdimensionierten Steve-Martin-Show.

Natürlich hätte man im Vorfeld gewarnt sein können. Steve Martin ist nun gewiss keiner, dessen Filme sonderlich durch Feinfühligkeit oder nennenswerte Gewitztheit brillieren. Eher steht sein Werk für mehr oder weniger effizienten Hauruck-Humor. Freilich führt der Film einen anfangs auf eine falsche Fährte: Der Vorspann ist liebevoll authentisch inszeniert, dazu passend gibt es das klassisch 'antike' Universal-Logo vorneweg und die Handlung selbst beginnt dann auch stilistisch sicher. Doch wer nun einen liebevoll gestalteten, postmodernen Nostalgiefilm erwartet, erfährt - wie eben auch der Gegenstand der steten Bezugnahme - sehr schnell einen gepflegten Tritt in den Unterleib (weswegen er auch meilenweit entfernt ist von jener "greatest hommage to the Film Noir", die ein imdb-Kommentator in diesem Film ausgemacht haben will; das exakte Gegenteil ist der Fall: Selten wurde ein filmhistorischer Zusammenhang im vollen Bewusstsein mit derart fettigen Schmierfingern verunstaltet, was im Eindruck durch die inszenatorische Sorgfalt, die man dem Film angedeihen ließ, nur verstärkt wird.). Steve Martin (im Verein mit Autoren und dem Regisseur) lässt es sich nicht nehmen, noch jede naheliegende Möglichkeit zum dummen Witz dankbar aufzugreifen, um sich auf diese öde Weise von einem Hirnriss zum nächsten zu spaßen. Der Humor ist dabei nicht mal weit von jenem entfernt, den später Zucker/Abrahams/Zucker zur Perfektion heranreifen lassen würden, doch bleibt er weit hinter der surrealen Qualität der elaboriertesten Werke dieses Teams. Hier ist das schlichte Alberei, ermüdendes Einerlei, dem es an jedem Sinn für Qualität auch im Absurden vollkommen mangelt.

Ich bezweifle, dass es sich bei Dead Men Don't Wear Plaid um einen Film handelt. Im wesentlichen ist das eine ausbuchstabierte Idee, die sich dem Ergebnis wieder entnehmen lässt. Mit etwas gönnerhafter Haltung könnte man gewiss Kommentar-Status anerkennen (zumindest aber den als illustratives Phänomen), was Film- und, an diese gekoppelt, Mediengeschichte betrifft. Denn freilich ist es kein Zufall, dass Dead Men Don't Wear Plaid an einem Zeitpunkt in Erscheinung tritt, an dem man sich des Ausmaßes der Homevideo-Revolution und der damit verbundenen, dramatisch gesteigerten Verfügbarkeit von Filmgeschichte und ihrer einzelnen Werke bereits bewusst sein konnte. Gleichzeitig könnte man im 'Zappen' durch die Noir-Klassiker, wie Dead Men Don't Wear Plaid es gewissermaßen praktiziert, schon einen frühen Hinweis auf die neue Kulturtechnik wähnen, die der Videorekorder mit seinen Funktionen 'Play', 'Fast Forward' und 'Rewind' (und nicht zuletzt - durch Schaltung zweier Rekorder miteinander - das Kompilieren einzelner, ihrem Kontext entrissener Sequenzen und Momente) ermöglicht. Mit der finalen Konstituierung von Video in den Wohnzimmern, die sich im Umfeld des Jahres 1982 vollzieht, gewinnt der vormals passive Akt der Filmsichtung eine performative Komponente: Der Film selbst wird im Einzelnen anwählbar, im Verbund mit anderen auch für den "Endverbraucher" im Alltag schaltbar. Das Augenmerk richtet sich infolge wieder auf den Moment und dessen Besonderheit (dass Tom Gunning in etwa zur gleichen Zeit wieder eine Rückkehr von Aspekten des frühesten Kinos ausmacht mag damit vielleicht sogar in Verbindung stehen), gleichzeitig wird Filmgeschichte nah an sich selbst, das heißt: am einzelnen Film, erforschbar, ohne dabei auf das Gönnertum von Kinos, Filmclubs oder Fernsehprogrammen angewiesen zu sein (unter Verweis auf Super8 mag man Gegenteiliges behaupten, doch war diese frühe Phase des Heimkinos nicht von einer massenhaften Bewegung bestimmt, ferner waren in ihr die einzelnen Filme auf rudimentäre, verzerrende Skelette ihrerselbst von wenigen Minuten Laufzeit beschränkt).

Für all diese Aspekte nun ließe sich der vorgebliche 'Film' Dead Men Don't Wear Plaid als Kronzeuge anführen, doch ist er eben nur die Bebilderung einer Idee, die in dieser Ausführung nur indexikalisch auf deren Existenz verweist, aber weder von ihr abhebt, noch jenseits ihrerselbst Ergebnisse zeitigt. Die Idee ist das Sampling der Filmgeschichte, doch diese funktioniert, mit all ihren Implikationen, auch und zunächst auch vor allem auf dem Papier als solche, etwa als theoretischer Entwurf jenseits der Praxis.

Ein Film aber kann wiederum diese Idee nur als Grundlage nutzen, um weiteres in Angriff zu nehmen oder aber um sie wenigstens im Sinne eines Erkenntnisprozesses Schritt für Schritt auszuführen. In Dead Men Don't Wear Plaid hingegen liegt lediglich eine Ausstellung ihrerselbst vor, geradeso, als wäre es damit schon getan. Diese beträgt nun knapp 90 Minuten, führt zu rein gar nichts, sondern verläuft sich vielmehr in die Sackgassen dümmlicher Witzelei. Ein ermüdendes, nervtötendes Filmerlebnis, in seiner Länge ganz und gar.

imdb ~ mrqe


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lol