Thema: literatur
12. August 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Ipcress - Streng Geheim heißt das Buch, das ich heute in dem neuen Antiquitätenläden in einer Bücherkiste entdeckt und im folgenden gekauft habe. Ist von Len Deighton. Ansonsten war in der Bücherkiste nur so John-Sinclair-Zeug - kenne ich mich zuwenig aus. Den gleichnamigen Film fand ich sehr nett, keine Ahnung aber, ob das Buch noch viel mit dem gemein hat. Lohnenswert war es schon allein wegen des Covers, das - auch aufgrund des allgemein leicht angefledderten Zustands - ganz eigenen Reiz entwickelt. Sieht aus wie auf Reisen gewesen, am Strand gelesen, vielleicht in irgendeiner Bahnhofskneipe, nachts zwischen zwei Zügen.
Ganz spannend die Stempel vorne drin, die Herkunft des Buches. Gedruckt 1968, steht da noch ganz regulär in der Signatur. Ein Stempel weist das Buch als am 22.11.1977 (Datum in den Stempel handschriftlich eingetragen) aufgenommen aus, der verantwortliche Aufnehmer hat zackig mit "Kleinberg" unterschrieben, laufende Nummer: 242. Weiter unten dann, mit anderer Tinte und wesentlich frischer: schlicht "09.FEB. 1990". Ob das wohl mit einer Aussortierung zu tun hat? Diese wird jedenfalls in grüner Tinte angezeigt, quer über die ganze Seite. Dazu leicht schräg und wieder andere Tinte die Adresse der "Instituto Aleman Biblioteca" - und die findet sich, dem Stempel nach, in Madrid. Ob die was mit der Aussortierung und Einsortierung zu tun hat? Ob dort am 9. Februar 1990 das Buch, daselbst im Herbst '77 einsortiert, aussortiert wurde? Und welchen Weg hat es in 14 Jahren zurückgelegt, um in einem kleinen Antiquitätenladen zu landen, schlussendlich in meinen Händen?
Darüber schweigt sich das Buch aus, starrt mich unverhohlen an. "Ich bin angekommen", scheint es zwischen den Seiten zu flüstern. "Und das ist doch das Einzige was zählt, oder?" Ich halte es in Händen wie einen kleinen Schatz. Wie eine entdeckte Flaschenpost. Nur nicht zu schnell aufmachen, sonst verfliegt womöglich noch der Zauber.
Ganz spannend die Stempel vorne drin, die Herkunft des Buches. Gedruckt 1968, steht da noch ganz regulär in der Signatur. Ein Stempel weist das Buch als am 22.11.1977 (Datum in den Stempel handschriftlich eingetragen) aufgenommen aus, der verantwortliche Aufnehmer hat zackig mit "Kleinberg" unterschrieben, laufende Nummer: 242. Weiter unten dann, mit anderer Tinte und wesentlich frischer: schlicht "09.FEB. 1990". Ob das wohl mit einer Aussortierung zu tun hat? Diese wird jedenfalls in grüner Tinte angezeigt, quer über die ganze Seite. Dazu leicht schräg und wieder andere Tinte die Adresse der "Instituto Aleman Biblioteca" - und die findet sich, dem Stempel nach, in Madrid. Ob die was mit der Aussortierung und Einsortierung zu tun hat? Ob dort am 9. Februar 1990 das Buch, daselbst im Herbst '77 einsortiert, aussortiert wurde? Und welchen Weg hat es in 14 Jahren zurückgelegt, um in einem kleinen Antiquitätenladen zu landen, schlussendlich in meinen Händen?
Darüber schweigt sich das Buch aus, starrt mich unverhohlen an. "Ich bin angekommen", scheint es zwischen den Seiten zu flüstern. "Und das ist doch das Einzige was zählt, oder?" Ich halte es in Händen wie einen kleinen Schatz. Wie eine entdeckte Flaschenpost. Nur nicht zu schnell aufmachen, sonst verfliegt womöglich noch der Zauber.
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Thema: literatur
08. August 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Das mitunter Schöne an Klang der Zeit von Richard Powers scheint mir, dass es bereits im ersten Kapitel - "Dezember 1961" - sein ganzes Konzept ausbreitet, alle Falten der Handlung schon impliziert, man es aber trotzdem erst später, beim gelegentlichen Zurückblättern und Nachschlagen, bemerkt. Zunächst eingenommen von der bloßen Fabulierkunst - Stichwort: Strandbuch - liest man da glatt drüber hinweg, hat's dann auch bald schon, eigentlich, vergessen, was da auf den ersten Seiten stand. Bei 700 Seiten Hardcover auch kein Wunder, denke ich. Dann der gelegentliche Blick zurück in den Anfang und es ergibt sich, trotz aller vermeintlich willkürlicher Sprünge und freier Assoziationen - eine Perlenschnur. Was das "cinematographischer Roman" auf dem Backcover als Hinweis soll, darf man sich aber wohl zurecht fragen. Gewiss ist da gelegentlich die Simulation filmischer Schnitttechniken zu spüren - Herauszögerungen, Locationwechsel, usw. -, aber trotzdem scheint mir das doch in erster Linie "literarische Literatur" zu sein. Whatever.
Bislang die Hälfte durch, bis spätestens 16. August will der Rest gelesen sein, sonst setzt's Gebühren bei der Bibliothek. Ob das nun ganz große Literatur ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Ein mal wieder rundum schön zu lesender, hie und da ganz und gar nicht unintelligenter Roman ist er jedoch - auch wenn der manchmal schon verkrampft liberale Gestus bisweilen ein bißchen arg in den Vordergrund gekehrt wirkt - allemal. Für mich als Freund des Taschenbuchs im übrigen auch eines der wenigen Hardcover, das ich mir lieber in dieser Form ins Regal stellen würde. Scheint mir passender. Vielleicht werde ich aber auch einfach nur älter.
perlentaucher
Bislang die Hälfte durch, bis spätestens 16. August will der Rest gelesen sein, sonst setzt's Gebühren bei der Bibliothek. Ob das nun ganz große Literatur ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Ein mal wieder rundum schön zu lesender, hie und da ganz und gar nicht unintelligenter Roman ist er jedoch - auch wenn der manchmal schon verkrampft liberale Gestus bisweilen ein bißchen arg in den Vordergrund gekehrt wirkt - allemal. Für mich als Freund des Taschenbuchs im übrigen auch eines der wenigen Hardcover, das ich mir lieber in dieser Form ins Regal stellen würde. Scheint mir passender. Vielleicht werde ich aber auch einfach nur älter.
perlentaucher
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Wunderschöne Ausgabe, leider nicht in meinem Besitz. Hier im übrigen, auf dem Server des Besitzers, noch etwas größer anzuschauen.
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09. Juni 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Edgar Wallace (1875-1932) kann als Prototyp des industriell vorgehenden Romanschreiberlings angesehen werden, der einer Kultur des Groschenromans, wie wir sie heute kennen, hinreichend die Pforten öffnete. Seine Arbeitsweise orientierte sich an ökonomischen Gesichtspunkten: Stand ein Roman an, sperrte er sich für einige Tage weg und diktierte, so will es die Überlieferung, in einem nicht enden wollenden Fluss die wesentlichen Aspekte des Werks auf Band, sein Sekretär goss die Aufnahmen anschließend in ein geschlossenes Stück Text, gelegentliche Schleifungen an Kohärenz inklusive. Bis zur Drucklegung war der Roman dann schon wieder vergessen, vermutlich lagen da schon etliche andere auf Tonband bereit. Sein Werk reicht von Reportagen und anderen journalistischen Arbeiten über exotische Abenteuerromane und die klassischen Krimis, deren reißerische Titel bis heute den meisten Menschen zumindest hierzulande ein Begriff sind, bis hin zu Drehbüchern wie etwa für King Kong (USA 1933).
Nicht nur sein Rückgriff auf Aufnahmemedien macht Wallace zumindest als Phänomen interessant und markiert ihn selbst als Schriftsteller seiner Zeit, vor allem von seinem weit verzweigte Pulp-Universum, das sich hier im Laufe eines schriftstellerischen Lebens entwickelte, sich in andere Medien ergoss, dort vollkommene Eigenständigkeit entwickelte und weitere Verzweigungen vornahm, geht eine gesteigerte Faszinationskraft aus. Bestes Beispiel ist die deutsche Wallace-Rezeption, die sich von den literarischen Werken und dem Körper des Autors bald getrennt und dessen Namen für sich beansprucht hat: Vor allem aufgrund der Rialtoreihe, die, im Auftrag von Constantin produziert, in den 60er und 70er Jahren eine große Zahl an allerdings sehr losen Wallace-Adaptionen ins Kino brachte und das gesamte Arsenal der damaligen deutscher Darstellerzunft durch ein Bilderbuch-England stapfen ließ, wie es nur in der Geisteswelt zwischen Rhein und Grenze zur DDR existierte, ist Edgar Wallace bis heute ein Begriff geblieben, der jüngst mit Oliver Kalkofes nur mäßig gelungener Parodie Der Wixxer wieder ins Gespräch gekommen ist. Diese ästhetisch unter den Vorgaben des Gothic- und Trash-Kinos sehr schönen, narrativ oft wenig kohärenten Krimi-Schinken bilden den Nukleus eines Wallace-Kultes, der mit dem eigentlichen Autor der zugrunde liegenden Bücher nurmehr wenig gemein hat: Bis heute entdecken immer wieder neue Fan-Generationen die Filme, sie sammeln das reißerische Werbe-Artwork und forschen den vielen personellen Verflechtungen rund um die Filme nach. Die Person Edgar Wallace also gewissermaßen - das ist jetzt natürlich augenzwinkernd zu verstehen - als "erster Beweger" eines bis heute Echos von sich gebenden Pulp-Phänomens.
Der Berliner Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag hat sein ohnehin sehr schönes Programm nun mit einem umfangreichen Wallace-Lexikon verziert. Verantwortlich zeichnen Joachim Kramp und der Theologe Jürgen Wehnert, ersterer hat im selben Verlag schon das Fanbuch Hallo, hier spricht Edgar Wallace! publiziert, zu dem dieses Lexikon nun als Ergänzung angesehen werden darf. Schon rein äußerlich ist die Arbeit der beiden beachtlich und man merkt beim bloßen Ansehen bereits, wie weit sich das Edgar Wallace Universum bis heute verzweigt hat: Mit über 700 Seiten ist das Buch ein echtes Schwergewicht geworden, das in jedem Bücherregal stattlich auffällt; der Verlag, für dicke Filmlexika bekannt, bleibt sich seiner Linie somit erfreulich treu.
"Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein!", lautet der 1926 vom Goldmann Verlag, dem damaligen Wallace-Verlagshaus hierzulande, entwickelte Werbeslogan, der sich schon bald zum geflügelten Wort mauserte und heutzutage auch auf dem Einband des Lexikons zu lesen ist. Und er bewahrheitet sich aufs Neue: Wer einmal mit dem Schmökern in diesem Band angefangen hat, wird ihn so schnell nicht mehr aus der Hand legen. Dafür sorgen alleine schon die unzähligen Einträge zu selbst noch entfernt wallace-relevanten Themen, die zudem untereinander stark - man möchte in heutigen Tagen schon fast sagen - verlinkt sind. Berücksichtigt wurden nicht nur alle internationalen Wallace-Verfilmungen - die sattsam bekannte Rialtoreihe nimmt darin ja nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz aus -, sondern natürlich auch alle Romane, Übersetzer, Figuren, deren Darsteller, Produzenten, wiederkehrende Motive, Spielorte, Kritiken, Hörspiele, usw. usf. Wer beim Nachschlagen eines Films anfängt und den Verzweigungen folgt, kommt über das Recherchieren von Vita und Werk diverser Darsteller über die Regisseure hin zu den Produktionsgesellschaften wieder zurück oder sonst wohin. Auch Schlagwörter wie "Trivialliteratur", die für Wallace zwar sicher relevant sind, mit dem Werk aber nicht in erster Ordnung zusammenhängen, wurden berücksichtigt und befriedigend aufgearbeitet. Die exakte Recherchearbeit der beiden Autoren, die wohl gut mehrere Jahre für sich beansprucht haben mag, tut ihr übriges, um jede Lektüre in dem Lexikon erkenntnisreich zu gestalten. Vor einer solchen Arbeit und Katalogisierung kann man nur den Hut ziehen.
Schön auch, dass nicht nur Bleiwüste herrscht. Die weite Welt von Edgar Wallace bietet immerhin hinreichend knalliges Anschauungsmaterial, nach dem es den Genre- und Pulpfreund dürstet. Herausragend ist dabei natürlich der mittige Farbteil, der viele qualitativ sehr überzeugende Reproduktionen von Aushangsmaterialien und Filmplakaten der klassischen Rialtoreihe versammelt. Dieses Material ist von ganz eigenem ästhetischen Reiz und lässt Freunden der Filme ohne weiteres das Herz höher schlagen. Aber auch der Textteil des Lexikons wird angenehm oft mit Buchcovers, Stils, Portraitfotografien und anderem Bildmaterial aufgelockert. Da man sich leider für ein offenbar eher preisgünstiges, nicht wirklich weißes Papier entschieden hat, sind diese Reproduktionen zwar nicht umwerfend, erfüllen ihren Zweck in einem solchen Lexikon als Anschauungsmaterial aber voll und ganz. Vielleicht aber darf man ja noch auf eine Auswertung des zugrunde liegenden Materials in einem dafür optimierten Bildband hoffen? Zu wünschen wäre es.
Ein schönes großformatiges Lexikon ist das geworden, für das man im Regal gerne Platz macht. Eine faszinierende, verästelte Pulp-Welt, die da gelungen zwischen zwei Buchdeckel gebannt wurde und in die man sich beim angeregten Schmökern nur zu gerne verliert - und welches Lexikon kann über seinen bloßen Nachschlagewerkcharakter schon einen solchen Mehrwert für sich beanspruchen? Zudem auch eine filmhistorisch wichtige Aufarbeitung eines nicht zu unterschätzenden Phänomens der ohnehin oft genug stiefmütterlich behandelten Historie der Populärkultur, die privates Archivmaterial, frei verfügbares Wissen und zahlreiche historische Quellen konzentriert bündelt und sich - das wird sich zeigen - hoffentlich als Referenz für zukünftige Forschungsarbeiten am Wallace-Korpus erweisen wird.
Jürgen Kramp/Joachim Wehnert: Das Edgar Wallace Lexikon
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2004
ca. 720 Seiten, zahlreiche Bilder
ISBN: 3896025082
web: kleiner filmguide
Nicht nur sein Rückgriff auf Aufnahmemedien macht Wallace zumindest als Phänomen interessant und markiert ihn selbst als Schriftsteller seiner Zeit, vor allem von seinem weit verzweigte Pulp-Universum, das sich hier im Laufe eines schriftstellerischen Lebens entwickelte, sich in andere Medien ergoss, dort vollkommene Eigenständigkeit entwickelte und weitere Verzweigungen vornahm, geht eine gesteigerte Faszinationskraft aus. Bestes Beispiel ist die deutsche Wallace-Rezeption, die sich von den literarischen Werken und dem Körper des Autors bald getrennt und dessen Namen für sich beansprucht hat: Vor allem aufgrund der Rialtoreihe, die, im Auftrag von Constantin produziert, in den 60er und 70er Jahren eine große Zahl an allerdings sehr losen Wallace-Adaptionen ins Kino brachte und das gesamte Arsenal der damaligen deutscher Darstellerzunft durch ein Bilderbuch-England stapfen ließ, wie es nur in der Geisteswelt zwischen Rhein und Grenze zur DDR existierte, ist Edgar Wallace bis heute ein Begriff geblieben, der jüngst mit Oliver Kalkofes nur mäßig gelungener Parodie Der Wixxer wieder ins Gespräch gekommen ist. Diese ästhetisch unter den Vorgaben des Gothic- und Trash-Kinos sehr schönen, narrativ oft wenig kohärenten Krimi-Schinken bilden den Nukleus eines Wallace-Kultes, der mit dem eigentlichen Autor der zugrunde liegenden Bücher nurmehr wenig gemein hat: Bis heute entdecken immer wieder neue Fan-Generationen die Filme, sie sammeln das reißerische Werbe-Artwork und forschen den vielen personellen Verflechtungen rund um die Filme nach. Die Person Edgar Wallace also gewissermaßen - das ist jetzt natürlich augenzwinkernd zu verstehen - als "erster Beweger" eines bis heute Echos von sich gebenden Pulp-Phänomens.
Der Berliner Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag hat sein ohnehin sehr schönes Programm nun mit einem umfangreichen Wallace-Lexikon verziert. Verantwortlich zeichnen Joachim Kramp und der Theologe Jürgen Wehnert, ersterer hat im selben Verlag schon das Fanbuch Hallo, hier spricht Edgar Wallace! publiziert, zu dem dieses Lexikon nun als Ergänzung angesehen werden darf. Schon rein äußerlich ist die Arbeit der beiden beachtlich und man merkt beim bloßen Ansehen bereits, wie weit sich das Edgar Wallace Universum bis heute verzweigt hat: Mit über 700 Seiten ist das Buch ein echtes Schwergewicht geworden, das in jedem Bücherregal stattlich auffällt; der Verlag, für dicke Filmlexika bekannt, bleibt sich seiner Linie somit erfreulich treu.
"Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein!", lautet der 1926 vom Goldmann Verlag, dem damaligen Wallace-Verlagshaus hierzulande, entwickelte Werbeslogan, der sich schon bald zum geflügelten Wort mauserte und heutzutage auch auf dem Einband des Lexikons zu lesen ist. Und er bewahrheitet sich aufs Neue: Wer einmal mit dem Schmökern in diesem Band angefangen hat, wird ihn so schnell nicht mehr aus der Hand legen. Dafür sorgen alleine schon die unzähligen Einträge zu selbst noch entfernt wallace-relevanten Themen, die zudem untereinander stark - man möchte in heutigen Tagen schon fast sagen - verlinkt sind. Berücksichtigt wurden nicht nur alle internationalen Wallace-Verfilmungen - die sattsam bekannte Rialtoreihe nimmt darin ja nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz aus -, sondern natürlich auch alle Romane, Übersetzer, Figuren, deren Darsteller, Produzenten, wiederkehrende Motive, Spielorte, Kritiken, Hörspiele, usw. usf. Wer beim Nachschlagen eines Films anfängt und den Verzweigungen folgt, kommt über das Recherchieren von Vita und Werk diverser Darsteller über die Regisseure hin zu den Produktionsgesellschaften wieder zurück oder sonst wohin. Auch Schlagwörter wie "Trivialliteratur", die für Wallace zwar sicher relevant sind, mit dem Werk aber nicht in erster Ordnung zusammenhängen, wurden berücksichtigt und befriedigend aufgearbeitet. Die exakte Recherchearbeit der beiden Autoren, die wohl gut mehrere Jahre für sich beansprucht haben mag, tut ihr übriges, um jede Lektüre in dem Lexikon erkenntnisreich zu gestalten. Vor einer solchen Arbeit und Katalogisierung kann man nur den Hut ziehen.
Schön auch, dass nicht nur Bleiwüste herrscht. Die weite Welt von Edgar Wallace bietet immerhin hinreichend knalliges Anschauungsmaterial, nach dem es den Genre- und Pulpfreund dürstet. Herausragend ist dabei natürlich der mittige Farbteil, der viele qualitativ sehr überzeugende Reproduktionen von Aushangsmaterialien und Filmplakaten der klassischen Rialtoreihe versammelt. Dieses Material ist von ganz eigenem ästhetischen Reiz und lässt Freunden der Filme ohne weiteres das Herz höher schlagen. Aber auch der Textteil des Lexikons wird angenehm oft mit Buchcovers, Stils, Portraitfotografien und anderem Bildmaterial aufgelockert. Da man sich leider für ein offenbar eher preisgünstiges, nicht wirklich weißes Papier entschieden hat, sind diese Reproduktionen zwar nicht umwerfend, erfüllen ihren Zweck in einem solchen Lexikon als Anschauungsmaterial aber voll und ganz. Vielleicht aber darf man ja noch auf eine Auswertung des zugrunde liegenden Materials in einem dafür optimierten Bildband hoffen? Zu wünschen wäre es.
Ein schönes großformatiges Lexikon ist das geworden, für das man im Regal gerne Platz macht. Eine faszinierende, verästelte Pulp-Welt, die da gelungen zwischen zwei Buchdeckel gebannt wurde und in die man sich beim angeregten Schmökern nur zu gerne verliert - und welches Lexikon kann über seinen bloßen Nachschlagewerkcharakter schon einen solchen Mehrwert für sich beanspruchen? Zudem auch eine filmhistorisch wichtige Aufarbeitung eines nicht zu unterschätzenden Phänomens der ohnehin oft genug stiefmütterlich behandelten Historie der Populärkultur, die privates Archivmaterial, frei verfügbares Wissen und zahlreiche historische Quellen konzentriert bündelt und sich - das wird sich zeigen - hoffentlich als Referenz für zukünftige Forschungsarbeiten am Wallace-Korpus erweisen wird.
Jürgen Kramp/Joachim Wehnert: Das Edgar Wallace Lexikon
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2004
ca. 720 Seiten, zahlreiche Bilder
ISBN: 3896025082
web: kleiner filmguide
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Thema: literatur
Ein Buch, von dem ich mir gewünscht habe, dass es mir gefällt. Nicht nur wegen des Titels, vor allem wegen meiner Entdeckung: Ich bin eigentlich kein Freund des langwierigen Suchens. Zwar kein wirklicher Romantiker, gefällt mir die Idee, dass sich das, was in mein Leben kommen sollte, schon irgendwie bei mir bemerkbar macht. Auf Flohmärkten wühle ich beispielsweise nicht: Ich schaue mir Stände an und horche allenfalls dahingehend auf meine Intuition, dass ich mal ein Buch hochhebe, um zu kucken, welches drunter liegt. Wenn es hier was für mich geben sollte, dann wird mich das schon anspringen. Mir gefällt dieses Konzept, auch wenn ich weiß, dass sich dahinter nichts verbirgt, dass es Spielerei ist, aber ich laufe gerne so durch's Leben, es gibt den einzelnen Dingen einen direkten Bezug.
Wie verhielt es sich also hier? Ich stand vor einigen Wochen in der Karl-Marx-Buchhandlung, wo ich gerne und dann auch tendenziell andächtig bin - nicht weil ich diesen Laden, dieses Antiquariat so liebe (da gibt es, für mich, weit bessere), sondern weil es die bedächtige Atmosphäre dort irgendwie zu gebieten scheint. Gekauft habe ich dort hingegen selten was. Und dann dieses Buch, das mir beim gedankenverlorenen Mit-dem-Finger-über-Buchrücken-Streichen beinahe schon in die Hände fiel. Wie schön es auch gefertigt ist: Ein Einband aus mattem Karton, ein sehr faseriges Papier innen drin und außen klebt dann noch ein Hochglanz-Foto eines alten Projektors (oder einer Kamera? Ich habe das gerade nicht präsent, das Buch auch nicht zur Hand und interessanterweise ähnelt sich beides ja frappant) drauf. Zudem steht vorne noch "1. Auflage 1999" drin, hinten drauf keine Spur von einem Euro-Preis, nur so ein kleiner Aufkleber, auf den jemand mit Kugelschreiber 'ne "6" draufgeschrieben hat. Das Gefühl, dass dieses ungemein schöne Buch dort schon seit bald 5 Jahren im Regal liegt begeisterte mich umgehend: Es wollte von mir gefunden, gelesen werden. Hier fügte sich etwas zusammen, der Umstand, dass ich ohnehin nur noch 6 Euro in der Tasche hatte, unterstrich dies noch. Also zur Kasse.
Auch die Synopse klang nett und spannend: Ein Arbeiter im Ost-Berlin der 70er liebt nichts so sehr wie alte Filme und Fussball. Als an einem Abend die Nachbarin zum Fernsehkucken vorbeikommt - gezeigt wird eine Burleske aus den 30ern - , ändert sich sein von Beamtenwillkür und eingeschlafener Ehe gezeichnetetes Leben von Grund auf: Die Alte jauchzt plötzlich auf, dass sei sie dort im Fernsehen, diese Tänzerin dort, in jungen Jahren versteht sich. Der Arbeiter zeigt sich im folgenden irritiert, wenn nicht geschockt. Auf seinen ziellosen Wegen durch Ost-Berlin begegnet er einem jungen Mädchen, das ihn fasziniert. Als seine Frau für ein Wochenende verreist - zu etwas unausgesprochen Eindeutigem - stürzt der Arbeiter in einer Kneipe ab und landet mit dickem Kopf in einem bohème-artigen Künstlermilieu. Dort trifft er auch das Mädchen wieder, sein Leben wirbelt zunehmend durcheinander ...
Soweit, sogut. Die Lektüre gestaltete sich anfangs recht nett. Vor allem die Szenen mit den Beamten - der Arbeiter beantragt stur Woche für Woche eine größere Wohnung, natürlich ohne Erfolg - weisen ein paar nette (versteckte?) Spitzen auf, die auf angenehm unaufdringliche Weise das Absurde dieser Situation herausarbeiteten. Auch im weiteren Verlauf ist alles irgendwie nett. Aber: Leider Gottes empfand ich das alles als nie wirklich begeisternd. Und literarisch ist das, zumindest für meine Begriffe und aus heutiger Perspektive, zwar ambitioniert, aber letztendlich eigentlich nur Routine. Wenn der Typ betrunken ist, vermischen sich direkte und indirekte Rede, innere Beschreibung und Dialog, Perspektive und Raum zu einem Kuddelmuddel, das auf rein sprachlicher Ebene den Zustand des Protagonisten simuliert, über das bloß Naheliegende aber irgendwie nicht hinauskommt. Und überhaupt: Irgendwie ging mir die schlichte, milieuverhaftete Sicht auf die Welt, die da eigentümlich fasziniert für das eigene literarische Werk aufgegriffen wurde, mit der Zeit erheblich auf die Nuss. Vielleicht bin ich da überheblich, das mag sein, aber die Perspektive eines solchen Menschen ist für mich denkbar uninteressant (ich räume ein, dies aus einer historischen Distanz zu schreiben, in der das Phänomen der Talkshow das aufdringliche Zurschaustellen der Befindlichkeiten eher schlichter Menschen regelrecht zum bestimmenden Paradigma der Medienwelt erhoben hat). Vielleicht kenne ich mich auch nur in der Literaturwelt der DDR nicht gut genug aus (erst heute wieder auf dem Flohmarkt Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. dann doch liegengelassen, obwohl ich doch schon letzte Woche daran vorbeigegangen bin). Andererseits scheint mir die Lust am bloßen Fabulieren einer irgendwie skurrilen, letztendlich aber doch piefig bleibenden Geschichte mit der ganzen Lust an Jargon und Milieu wiederum unangenehm vertraut - sei es aus west-deutscher Literatur oder aus gesamtdeutschen Filmen der Post-Wendezeit.
Es war natürlich nicht so vollkommen schlecht, wie das jetzt alles klingt. Hier und da fand ich das sogar sehr schön. Nur im Gesamten hat's für mich nicht funktioniert. Das nächste Mal funktioniert meine Intuition, was das Aufspüren betrifft, bitte wieder besser.
literaturhaus.at:klaus schlesinger | aufbau verlag
Wie verhielt es sich also hier? Ich stand vor einigen Wochen in der Karl-Marx-Buchhandlung, wo ich gerne und dann auch tendenziell andächtig bin - nicht weil ich diesen Laden, dieses Antiquariat so liebe (da gibt es, für mich, weit bessere), sondern weil es die bedächtige Atmosphäre dort irgendwie zu gebieten scheint. Gekauft habe ich dort hingegen selten was. Und dann dieses Buch, das mir beim gedankenverlorenen Mit-dem-Finger-über-Buchrücken-Streichen beinahe schon in die Hände fiel. Wie schön es auch gefertigt ist: Ein Einband aus mattem Karton, ein sehr faseriges Papier innen drin und außen klebt dann noch ein Hochglanz-Foto eines alten Projektors (oder einer Kamera? Ich habe das gerade nicht präsent, das Buch auch nicht zur Hand und interessanterweise ähnelt sich beides ja frappant) drauf. Zudem steht vorne noch "1. Auflage 1999" drin, hinten drauf keine Spur von einem Euro-Preis, nur so ein kleiner Aufkleber, auf den jemand mit Kugelschreiber 'ne "6" draufgeschrieben hat. Das Gefühl, dass dieses ungemein schöne Buch dort schon seit bald 5 Jahren im Regal liegt begeisterte mich umgehend: Es wollte von mir gefunden, gelesen werden. Hier fügte sich etwas zusammen, der Umstand, dass ich ohnehin nur noch 6 Euro in der Tasche hatte, unterstrich dies noch. Also zur Kasse.
Auch die Synopse klang nett und spannend: Ein Arbeiter im Ost-Berlin der 70er liebt nichts so sehr wie alte Filme und Fussball. Als an einem Abend die Nachbarin zum Fernsehkucken vorbeikommt - gezeigt wird eine Burleske aus den 30ern - , ändert sich sein von Beamtenwillkür und eingeschlafener Ehe gezeichnetetes Leben von Grund auf: Die Alte jauchzt plötzlich auf, dass sei sie dort im Fernsehen, diese Tänzerin dort, in jungen Jahren versteht sich. Der Arbeiter zeigt sich im folgenden irritiert, wenn nicht geschockt. Auf seinen ziellosen Wegen durch Ost-Berlin begegnet er einem jungen Mädchen, das ihn fasziniert. Als seine Frau für ein Wochenende verreist - zu etwas unausgesprochen Eindeutigem - stürzt der Arbeiter in einer Kneipe ab und landet mit dickem Kopf in einem bohème-artigen Künstlermilieu. Dort trifft er auch das Mädchen wieder, sein Leben wirbelt zunehmend durcheinander ...
Soweit, sogut. Die Lektüre gestaltete sich anfangs recht nett. Vor allem die Szenen mit den Beamten - der Arbeiter beantragt stur Woche für Woche eine größere Wohnung, natürlich ohne Erfolg - weisen ein paar nette (versteckte?) Spitzen auf, die auf angenehm unaufdringliche Weise das Absurde dieser Situation herausarbeiteten. Auch im weiteren Verlauf ist alles irgendwie nett. Aber: Leider Gottes empfand ich das alles als nie wirklich begeisternd. Und literarisch ist das, zumindest für meine Begriffe und aus heutiger Perspektive, zwar ambitioniert, aber letztendlich eigentlich nur Routine. Wenn der Typ betrunken ist, vermischen sich direkte und indirekte Rede, innere Beschreibung und Dialog, Perspektive und Raum zu einem Kuddelmuddel, das auf rein sprachlicher Ebene den Zustand des Protagonisten simuliert, über das bloß Naheliegende aber irgendwie nicht hinauskommt. Und überhaupt: Irgendwie ging mir die schlichte, milieuverhaftete Sicht auf die Welt, die da eigentümlich fasziniert für das eigene literarische Werk aufgegriffen wurde, mit der Zeit erheblich auf die Nuss. Vielleicht bin ich da überheblich, das mag sein, aber die Perspektive eines solchen Menschen ist für mich denkbar uninteressant (ich räume ein, dies aus einer historischen Distanz zu schreiben, in der das Phänomen der Talkshow das aufdringliche Zurschaustellen der Befindlichkeiten eher schlichter Menschen regelrecht zum bestimmenden Paradigma der Medienwelt erhoben hat). Vielleicht kenne ich mich auch nur in der Literaturwelt der DDR nicht gut genug aus (erst heute wieder auf dem Flohmarkt Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. dann doch liegengelassen, obwohl ich doch schon letzte Woche daran vorbeigegangen bin). Andererseits scheint mir die Lust am bloßen Fabulieren einer irgendwie skurrilen, letztendlich aber doch piefig bleibenden Geschichte mit der ganzen Lust an Jargon und Milieu wiederum unangenehm vertraut - sei es aus west-deutscher Literatur oder aus gesamtdeutschen Filmen der Post-Wendezeit.
Es war natürlich nicht so vollkommen schlecht, wie das jetzt alles klingt. Hier und da fand ich das sogar sehr schön. Nur im Gesamten hat's für mich nicht funktioniert. Das nächste Mal funktioniert meine Intuition, was das Aufspüren betrifft, bitte wieder besser.
literaturhaus.at:klaus schlesinger | aufbau verlag
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Thema: literatur
19. April 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Die Genrefrage dient bis heute immer wieder als Anlass langer, oft langwieriger Diskussionen. Was ist ein Genre? Verbindlicher Katalog, flexibles Bedeutungssystem, eine vermarktungseffiziente Kategorie oder schlicht nur die Summe seiner einzelnen Vertreter? Welche Genres gibt es? Ist beispielsweise der Film Noir schon Genre oder nur eine Spielart des Krimis? Und wie konstituiert sich die Zugehörigkeit eines Films zu einem oder mehreren Genres? Gibt es den perfekten Musterfilm für jedes Genre oder ist jeder Film nur graduell genrezugehörig? Wie werden Genres erweitert und was sagt das über das Verhältnis von Wegbereitern, Epigonen und selbstreflexiven, vielleicht gar widerborstigen Vertretern eines Genres aus?
Kurzum: Ein normativer Genrebegriff ist kaum möglich. Genres sind als permanenter work-in-progress zu begreifen, als ein, an den Rändern deutlich unscharfer, Katalog an Filmen, die sich zumindest graduell berühren, und sei es über eine Vielzahl anderer Filme hinweg. Im wesentlichen sind Genres also ein für das zerstreute oder an schneller Information interessierte Gespräch über Film bequemes, bei genauerem Hinsehen indes schwer zu erfassendes Ordnungssystem, um wesentliches über einen Film oder einen Filmzusammenhang auszusagen, ohne Anspruch, eine tiefere Realität der Filmordnung wiederzugeben.
Solche Fragestellungen fallen auf das Schreiben über Genres zurück. Letzten Endes bilden sie gar dessen grundlegende Basis, auch wenn sie vom Autor, ausgehend etwa von einem eher sorglosen Umgang mit dem Begriff des Genres, nicht reflektiert wurden. Als besonders populär haben sich die Genrebeobachtungen Georg Seeßlens erwiesen, der das Genre vor allem als mythische Kuppel begreift, die sich über eine bestimmte Anzahl von Filmen stülpt und diese zusammenfasst. Diese Kuppel besitzt eine eigene Erzählung, ist mit einer Vielzahl von Motiven ausgestattet und schwebt oft schon als Abstraktum erscheinend über den Filmen, denen in dieser Methode allenfalls noch die Rolle der spezifischen Argumentstütze zukommt. Entsprechend purzeln die Filmtitel durch die betreffenden Publikationen und sind, meist ohne nähere Betrachtung, schnell wieder vergessen. Seeßlens Genrebeobachtungen sind gleichzusetzen mit dem liebevollen Blick auf die gefüllten Regale einer Bibliothek, ohne dabei in den Büchern, die ins Blickfeld geraten, nennenswert zu blättern, wenn sie denn überhaupt aus dem Regal genommen werden.
Einen dazu geradewegs konträr erscheinenden Weg hat sich die seit kurzem ins Leben gerufene Reihe „Filmgenres“ des Reclam-Verlags ausgesucht. Die im wesentlichen aus dem weitläufigen Dunstkreis der Filmwissenschaft Mainz herausgegebenen Titel rücken vom als Kuppel verstandenen Genrebegriff ab und greifen, um im Bild zu bleiben, mit Lust und Freude in die Regale des jeweiligen Archivs. Eine der Methode Seeßlen erfrischend entgegengerichtete, vielleicht nicht unbedingt bessere, zumindest aber mindestens ebenso interessante Methode, die ein Genre streng vom einzelnen Film ausgehend begreift. Entsprechend eindeutig fällt das Verhältnis zwischen Filmvorstellungen und Theorieteil in den bislang erschienenen Bänden (drei bislang, zehn sollen es werden) aus: Kurzen Erläuterungen und Notizen zum Genre – abhängig vom Herausgeber mit unterschiedlicher Ausrichtung – folgt stets eine erfreulich weitgefächerte, selbstredend nie komplette Auswahl in Form von ausführlichen Besprechungen von für das jeweilige Genre wichtigen und konstituierenden Filmen, ohne dabei Lückenlosigkeit in Aussicht zu stellen oder eine ausdrückliche Kanonisierung zu betreiben. Als Sortierung bot sich die Chronologie der Filme selbst an, wobei Serials – wie etwa in der Science Fiction die Star Wars-Reihe oder in der Fantasy-Ausgabe „Der Herr der Ringe“ – in eigenen Kapitel zusammengefasst und anhand des Produktionsjahres des ersten Films sortiert wurden.
Ein wirklicher roter Faden kann sich aufgrund der zahlreichen Autoren, die sich die Filme untereinander aufgeteilt haben, natürlich nicht aufbauen, doch ist die Lektüre auch nicht für ein klassisches Durcharbeiten angelegt, sondern lädt eher zum gezielten Nachschlagen, etwa nach einer Filmsichtung, oder zur kommentierenden Begleitung einer systematischen Erschließung des Korpus ein. Ein jeder Filmbesprechung hintangestelltes knappes Literaturverzeichnis bietet sich zudem als Anknüpfungspunkt für eigene Untersuchungen an, zumal sich die Empfehlungen auch als angenehm vom einzelnen Film abstrahiert erscheinen. Einer Besprechung eines australischen Films folgt dann beispielsweise auch ein Hinweis auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem australischen Kino im allgemeinen. Die in ihrer Form offensichtlich nach Vorgabe normierten Besprechungen sind dabei weniger als feuilletonistische Kritik angelegt, sondern zielen eher auf eine umfassende Portraitierung und Verortung des Films ab. Hierfür ist es unabdinglich einen Film auch inhaltlich komplett, also inklusive sein Ende, synoptisch zusammenzufassen. Diese ausführlichen Plotzusammenfassungen, die sich oft auch mit ästhetischen Betrachtungen verweben, bilden meist den Einstieg in die Besprechung und werden dann im folgenden um Hinweise auf Eigenheiten und Besonderheiten der Inszenierung, Kommentare zur Rezeptionsgeschichte, Verortung in der Filmgeschichte oder Aufarbeitung der intertextuellen Bezüge ergänzt. Persönliche Wertungen oder Geschmäcklerei sind - in den Besprechungen, leider nicht immer in der Auswahl der Filme durch den/die Herausgeber - erfreulicherweise auf ein Minimum reduziert. So können die Besprechungen gut als Bestandsaufnahmen und Einsortierungen in den jeweiligen Genrekosmos fungieren, ohne dabei an Eigenständigkeit zu verlieren. Im Ergebnis ist die Lektüre anregend und informativ, zumal mit den versammelten Autoren – zumeist bekannte Filmpublizisten, aber auch einige Pendler zwischen akademischen und publizistischen Background haben sich eingefunden– auf ihrem Gebiet sichtlich kompetente Mitarbeiter verpflichtet werden konnten. Dass dabei längst nicht alles, was zu diesem oder jenem Film zu schreiben wäre, auch Eingang in die jeweilige Besprechung fand, ist dabei als Prämisse für die Lektüre der nach Verlagsvorgabe kompakt formatierten Büchlein vorauszuschicken.
Die drei bislang erschienenen Bände sollen im folgenden kurz vorgestellt werden:
Thomas Koeber (Hg.): Science Fiction
Thomas Koebner, prominentestes Aushängeschild der Mainzer Filmwissenschaft und Herausgeber der Reihe „Filmschriften“ des Gardez Verlags, zeichnet auch hier als Herausgeber für die Auseinandersetzung mit der Sciene Fiction verantwortlich, deren Wurzeln er in der knappen, aber – wie man es von ihm gewohnt ist – präzisen „Vorbemerkung“ in der Literatur des 19. Jahrhunderts verortet und deren wichtigsten Motive – zB der künstliche Mensch, Begegnung mit Außerirdischen, Technik und Utopie, u.a. – er prägnant und souverän kursorisch umreißt. Dabei begreift er Science Fiction nicht als hermetisches System, sondern verweist auf Berührungspunkte mit dem Horrorfilm, der Fantasy und dem Märchen. Besonderes Augenmerk gilt dann vor allem den eher philosophisch orientierten „Meisterwerken“ der Gattung, die das, wie er schreibt, „früher eher einfältige Genre“ als Form nutzen, um über die bloße Zerstreuung der Phantasmagorie hinaus Überlegungen über den Menschen und sein Verhältnis zum Fremden, zum Universum und seinen Schöpfungen anzustellen, ohne dabei die Anmerkung zu vergessen, dass die Meisterwerke dieser wie jeder Gattung nur die Spitzen in einem ansonsten von Realisationen und Produktionen bestimmten Korpus stellen.
Gewiss hätte man sich, zudem von einem führenden Wissenschaftler wie Koebner, etwas mehr als nur eine Vorbemerkung zu der ungemein reichen und vielfältigen Tradition der Science Fiction gewünscht. Die einführenden Notizen dienen in dieser Form eher einer gegenseitigen Versicherung des grundlegenden Wissensstandes, auf dem das Buch aufbaut. Vielleicht will man in dieser knappen Form aber auch nur auf die Filme selbst verweisen, die hier, als Entsprechung auf den Hinweis auf die Science Fiction als genuin hybride angelegtes Genrekorsett, an den Rändern des Korpus großzügig ausgewählt wurden: Filme wie FRANKENSTEIN (1931) werden ebenso berücksichtigt wie Cormans LITTLE SHOP OF HORRORS (1960) oder Jeunets skurrile Ästhetikübung DELICATESSEN (1991). Die ungeheure Anzahl an Filmen – von allen bislang vorliegenden Bänden der Reihe ist dieser der eindeutig umfangreichste – ist zum einen erfreulich, kann jedoch zum anderen über die Fixierung auf übliche Klassiker und einen gewissen US-Zentrismus nicht hinwegtäuschen. Vor allem der naive Pulp der 50er und 60er wird nur kurz und im üblichen Rahmen – Jack Arnold, Forbidden Planet und dergleichen – umrissen, ohne dabei tiefer zu schürfen. Unverzeihliches Versäumnis: Ed Woods PLAN 9 FROM OUTER SPACE (1959), für das Verständnis einer gewissen Rezeptionshaltung bestimmten Ausformungen der filmischen Science Fiction gegenüber unumgänglich, wird noch nicht einmal erwähnt. Diese Limitierung ist der offensichtlichen Orientierung an hierzulande auf VHS oder DVD erhältlichen Filme geschuldet, die sich auch an der bemerkenswerten Konzentration auf Filme der beiden letzten Dekaden bemerkbar macht. Der Blick auf das Genre wird hierdurch - besonders auch vor dem Hintergrund der mittels Internet wesentlich vereinfachten Importierbarkeit hierzulande nie ausgewerteter Filme - unnötig zugunsten einer lediglich national-spezifischen Perspektive beschnitten. Der japanische Film – reich an eigentlich prädestiniertem Material, das jedoch, so Koebner in seiner Vorbemerkung eher wenig überzeugend, „eine eigene Art“ bilde – fand mit AVALON (2001) gerade mal eine einzige Berücksichtigung, der vom selben Regisseur inszenierte Anime GHOST IN THE SHELL (1996) - hierzulande zwar nicht erhältlich, als Stichwortgeber für zahlreiche Virtual-Reality-Überlegungen des Genres indes von großer Bedeutung - wird lediglich am Rande bemerkt. Doch sollen diese Mängel nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen Besprechungen versiert und gelungen durchgeführt wurden und als „Reiseführer“ durch die phantastischen Welten und Universen des Genres ohne weiteres im Einzelnen geeignet sind.
Norbert Grob, Bernd Kiefer, Marcus Stiglegger (Hgg.): Western
Weit interessanter gestaltet sich die Erkundung des ältesten Genres der Filmgeschichte, was vielleicht, ohne damit etwas zu unterstellen, der gesteigerten Leidenschaft der bekennenden Genreliebhaber, die für die Herausgeberschaft verantwortlich zeichnen, geschuldet sein mag. So findet sich hier, neben der obligatorischen Vorbemerkung, die auf Problemstellungen einer solchen Kompilierung hinweist, eine von Grob und Kiefer erstellte Einführung in den Western, die auf engstem Raume essentielles Wissen in konzentriertester Form versammelt und bei der Auseinandersetzung mit Motivik und Geschichte des Genres stets in Griffnähe gehalten werden sollte. Grob und Kiefer, deutlich als Fachmänner auf ihrem Gebiet und Cinephile mit Passion zu erkennen, vermitteln einen schier schwindelerregenden Einblick in Genese, Entwicklung und Rezeption des Westerns, für den andere Publizisten ein ganzes Buch füllen müssten. Schön auch, dass man nicht in das alte Muster einer einen Traditionsbruch implizierenden nationalen Differenzierung des Westerns nach us-amerikanischen und italienischen verfällt, sondern dass man auch den Italowestern nahtlos in eine fortlaufende Entwicklung des Genres einpflegt.
Der in der Vorbemerkung geäußerte Anspruch, auch von der offiziellen Filmgeschichtsschreibung übergangene Werke des Westerns mittels einer solchen Kontextualisierung zu erschließen und wieder ins Gedächtnis zu holen, ist zudem erfreulicherweise als erfüllt zu betrachten. So hält sich das Verhältnis aus unvermeidbarem Klassiker und noch zu erschließender Produktion gut die Waage und gestattet so einen umfassenden Panoramablick auf das Genre, das sich von dieser Warte aus erkunden lässt. Gewidmet ist das Buch Frieda Grafe und Brigitte Desalm, die beide das Erscheinen dieses Buches nicht mehr erlebten und entsprechend leider keine Beiträge mehr zusteuern konnten. Eine Genehmigung Frieda Grafes, ihr 1984 erschienenes Essay über Samuel Fullers 40 GEWEHRE zu übernehmen, lag glücklicherweise noch vor, so dass einer der „schönsten Texte, die je über einen Western geschrieben wurden“ (die Autoren in der Vorbemerkung) seinen Weg in diese Herausgeberschaft noch finden konnte, wo er nicht nur Zeugnis über einen Film abliefert, sondern auch als Respektbekundung vor einer aus der deutschsprachigen Filmpublizistik nicht wegzudenkenden Persönlichkeit und deren spezifische Herangehensweise an Film und der Niederschrift seines Erlebens zu verstehen ist. Eine schöne Cinephilie, typisch für Bücher, die mit Grob im Zusammenhang stehen, die sich hier ausdrückt und sich glücklicherweise durch das ganze, schöne Buch zieht.
Andreas Friedrich (Hg.): Fantasy- und Märchenfilm
Das Buch hat’s schon mit seinem Gegenstand schwer. Inwiefern ist der Fantasyfilm ein eigenständiges Genre und welche Filme sind ihm zuzurechnen? Inwiefern verschafft sich der Fantasyfilm Distinktion gegenüber dem Abenteuer-, Horror- oder Science-Fiction-Film? Herausgeber Andreas Friedrich sieht dieses Problemfeld auch und hat für seine Auswahl deshalb vor allem märchenhafte Züge der Erzählung oder offensichtliche Anlehnungen an das Märchen (wie z.B. den Aufgriff von Hexenfiguren und ähnlichem) zum Kriterium für seine Auswahl erhoben und sich zudem vor allem auch auf Filme aus den damaligen Ostblockstaaten bemüht. Zeichentrickfilme und Animes konnten nur repräsentativ berücksichtigt werden, was, wie der Autor ebenfalls einräumt, schade ist, sind doch beide Gattungen zum einen ohnehin stets unterrepräsentiert, zum anderen haben beide Wesentliches für den zu betrachtenden Korpus beigetragen. So ganz einleuchten mag dies nicht, wenn man den Umfang des Buches – das bislang dünnste – im Vergleich zu dem der anderen Bücher der Reihe betrachtet.
Ansonsten weiß Friedrich nur wenig Neues oder gar Erkenntnisversprechendes über den Fantasy- und Märchenfilm mitzuteilen, leider hält er sich sehr lange mit einer Verteidigung des Gegenstands auf, die sich vor allem an der vorgeblich vorherrschenden Geisteshaltung, es handele sich bei Fantasy bloß um eskapistische, somit vernachlässigbare Trivialitäten, abarbeitet und sich von diesem ohnehin kaum diskussionswürdigen apodiktischen Urteil in dieser Form auch noch bereitwillig ein Bein stellen lässt. Statt einer Verteidigung gewähnter Kritiker hätte der Textsammlung ein etwas souveränerer Umgang mit dem eigenen Gegenstand, die sich gerade in der Nichtachtung konservativer Kulturpessimisten profiliert und Perspektiven jenseits dieser Haltung eröffnet, gut angestanden.
Die zusammenfassende Auswahl an Filmen kann ebenso nur bedingt überzeugen, auch hier hat man sich zwar um einen Mittelweg aus frühester Filmgeschichte, großzügiger Beschau des Genres an seinen Rändern und Schnittpunkten und bislang eher weniger Beachtetes bemüht. Als interessant gestaltet sich hierbei die Möglichkeit einer gekreuzten Lektüre unter verschiedenen Vorzeichen, wenn etwa Bryan Singers X-MEN (2000) hier wie auch im Science Fiction-Band der Reihe Berücksichtigung, aber einen individuellen Text findet. Warum andere, sich ähnlich, bzw. noch offensichtlicher zwischen beiden Lagern situierende Filme indes nicht einer zweiten Bestandsaufnahme unterzogen wurden, ist nicht ersichtlich. Etwas schade ist zudem, dass man sich vor allem auf die persönliche Liebhaberei bei der Zusammenstellung verlassen hat. Ein besonderes Augenmerk auf russische und tschechische Märchenfilme macht zwar Sinn, jedoch lässt sich die nahezu vollkommene Unterschlagung des asiatischen Films nicht rechtfertigen. Vor allem der Hongkong-Film erweist sich bis in unsere Zeit als seit Jahrzehnten nicht versiegen wollender Quell farbenprächtiger, einfallsreicher und brillanter Fantasyfilme, die über bloße Körperartistik hinaus dem Genre Relevantes mitzuteilen haben. Auch die komplette Unterschlagung der unzähligen Herkules-, Maciste-, Ursus- und Sandalenfilme aus dem Italien der 60er Jahre ist eigentlich nicht zu verzeihen und hätte als Phänomen wenigstens an ein, zwei repräsentativ vorgestellten Filmen Entsprechung erfahren müssen, von denen ausgehend ein Überblick über diese kurze, aber heftige Welle an Genrefilmen hätte gestattet werden können.
Alles in allem erweist sich die Reihe als interessant mit Ausbaumöglichkeiten. Eine Öffnung hin zu mehr B- und Pulpfilmen wäre sicher wünschenswert, auch wäre eine gesteigerte Konzentration auf Theorie und Geschichte des Genres in Form von konzentrierten Einführungen sicherlich begrüßenswert. Grob und Kiefer haben es in ihrer Betrachtung des Westerns eindrucksvoll vorgemacht, die weiteren Titel der Reihe – als nächstes sind Bücher zum Abenteuer- und Horrorfilm angekündigt – werden sich an dieser Latte messen lassen müssen.
Kurzum: Ein normativer Genrebegriff ist kaum möglich. Genres sind als permanenter work-in-progress zu begreifen, als ein, an den Rändern deutlich unscharfer, Katalog an Filmen, die sich zumindest graduell berühren, und sei es über eine Vielzahl anderer Filme hinweg. Im wesentlichen sind Genres also ein für das zerstreute oder an schneller Information interessierte Gespräch über Film bequemes, bei genauerem Hinsehen indes schwer zu erfassendes Ordnungssystem, um wesentliches über einen Film oder einen Filmzusammenhang auszusagen, ohne Anspruch, eine tiefere Realität der Filmordnung wiederzugeben.
Solche Fragestellungen fallen auf das Schreiben über Genres zurück. Letzten Endes bilden sie gar dessen grundlegende Basis, auch wenn sie vom Autor, ausgehend etwa von einem eher sorglosen Umgang mit dem Begriff des Genres, nicht reflektiert wurden. Als besonders populär haben sich die Genrebeobachtungen Georg Seeßlens erwiesen, der das Genre vor allem als mythische Kuppel begreift, die sich über eine bestimmte Anzahl von Filmen stülpt und diese zusammenfasst. Diese Kuppel besitzt eine eigene Erzählung, ist mit einer Vielzahl von Motiven ausgestattet und schwebt oft schon als Abstraktum erscheinend über den Filmen, denen in dieser Methode allenfalls noch die Rolle der spezifischen Argumentstütze zukommt. Entsprechend purzeln die Filmtitel durch die betreffenden Publikationen und sind, meist ohne nähere Betrachtung, schnell wieder vergessen. Seeßlens Genrebeobachtungen sind gleichzusetzen mit dem liebevollen Blick auf die gefüllten Regale einer Bibliothek, ohne dabei in den Büchern, die ins Blickfeld geraten, nennenswert zu blättern, wenn sie denn überhaupt aus dem Regal genommen werden.
Einen dazu geradewegs konträr erscheinenden Weg hat sich die seit kurzem ins Leben gerufene Reihe „Filmgenres“ des Reclam-Verlags ausgesucht. Die im wesentlichen aus dem weitläufigen Dunstkreis der Filmwissenschaft Mainz herausgegebenen Titel rücken vom als Kuppel verstandenen Genrebegriff ab und greifen, um im Bild zu bleiben, mit Lust und Freude in die Regale des jeweiligen Archivs. Eine der Methode Seeßlen erfrischend entgegengerichtete, vielleicht nicht unbedingt bessere, zumindest aber mindestens ebenso interessante Methode, die ein Genre streng vom einzelnen Film ausgehend begreift. Entsprechend eindeutig fällt das Verhältnis zwischen Filmvorstellungen und Theorieteil in den bislang erschienenen Bänden (drei bislang, zehn sollen es werden) aus: Kurzen Erläuterungen und Notizen zum Genre – abhängig vom Herausgeber mit unterschiedlicher Ausrichtung – folgt stets eine erfreulich weitgefächerte, selbstredend nie komplette Auswahl in Form von ausführlichen Besprechungen von für das jeweilige Genre wichtigen und konstituierenden Filmen, ohne dabei Lückenlosigkeit in Aussicht zu stellen oder eine ausdrückliche Kanonisierung zu betreiben. Als Sortierung bot sich die Chronologie der Filme selbst an, wobei Serials – wie etwa in der Science Fiction die Star Wars-Reihe oder in der Fantasy-Ausgabe „Der Herr der Ringe“ – in eigenen Kapitel zusammengefasst und anhand des Produktionsjahres des ersten Films sortiert wurden.
Ein wirklicher roter Faden kann sich aufgrund der zahlreichen Autoren, die sich die Filme untereinander aufgeteilt haben, natürlich nicht aufbauen, doch ist die Lektüre auch nicht für ein klassisches Durcharbeiten angelegt, sondern lädt eher zum gezielten Nachschlagen, etwa nach einer Filmsichtung, oder zur kommentierenden Begleitung einer systematischen Erschließung des Korpus ein. Ein jeder Filmbesprechung hintangestelltes knappes Literaturverzeichnis bietet sich zudem als Anknüpfungspunkt für eigene Untersuchungen an, zumal sich die Empfehlungen auch als angenehm vom einzelnen Film abstrahiert erscheinen. Einer Besprechung eines australischen Films folgt dann beispielsweise auch ein Hinweis auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem australischen Kino im allgemeinen. Die in ihrer Form offensichtlich nach Vorgabe normierten Besprechungen sind dabei weniger als feuilletonistische Kritik angelegt, sondern zielen eher auf eine umfassende Portraitierung und Verortung des Films ab. Hierfür ist es unabdinglich einen Film auch inhaltlich komplett, also inklusive sein Ende, synoptisch zusammenzufassen. Diese ausführlichen Plotzusammenfassungen, die sich oft auch mit ästhetischen Betrachtungen verweben, bilden meist den Einstieg in die Besprechung und werden dann im folgenden um Hinweise auf Eigenheiten und Besonderheiten der Inszenierung, Kommentare zur Rezeptionsgeschichte, Verortung in der Filmgeschichte oder Aufarbeitung der intertextuellen Bezüge ergänzt. Persönliche Wertungen oder Geschmäcklerei sind - in den Besprechungen, leider nicht immer in der Auswahl der Filme durch den/die Herausgeber - erfreulicherweise auf ein Minimum reduziert. So können die Besprechungen gut als Bestandsaufnahmen und Einsortierungen in den jeweiligen Genrekosmos fungieren, ohne dabei an Eigenständigkeit zu verlieren. Im Ergebnis ist die Lektüre anregend und informativ, zumal mit den versammelten Autoren – zumeist bekannte Filmpublizisten, aber auch einige Pendler zwischen akademischen und publizistischen Background haben sich eingefunden– auf ihrem Gebiet sichtlich kompetente Mitarbeiter verpflichtet werden konnten. Dass dabei längst nicht alles, was zu diesem oder jenem Film zu schreiben wäre, auch Eingang in die jeweilige Besprechung fand, ist dabei als Prämisse für die Lektüre der nach Verlagsvorgabe kompakt formatierten Büchlein vorauszuschicken.
Die drei bislang erschienenen Bände sollen im folgenden kurz vorgestellt werden:
Thomas Koeber (Hg.): Science Fiction
Thomas Koebner, prominentestes Aushängeschild der Mainzer Filmwissenschaft und Herausgeber der Reihe „Filmschriften“ des Gardez Verlags, zeichnet auch hier als Herausgeber für die Auseinandersetzung mit der Sciene Fiction verantwortlich, deren Wurzeln er in der knappen, aber – wie man es von ihm gewohnt ist – präzisen „Vorbemerkung“ in der Literatur des 19. Jahrhunderts verortet und deren wichtigsten Motive – zB der künstliche Mensch, Begegnung mit Außerirdischen, Technik und Utopie, u.a. – er prägnant und souverän kursorisch umreißt. Dabei begreift er Science Fiction nicht als hermetisches System, sondern verweist auf Berührungspunkte mit dem Horrorfilm, der Fantasy und dem Märchen. Besonderes Augenmerk gilt dann vor allem den eher philosophisch orientierten „Meisterwerken“ der Gattung, die das, wie er schreibt, „früher eher einfältige Genre“ als Form nutzen, um über die bloße Zerstreuung der Phantasmagorie hinaus Überlegungen über den Menschen und sein Verhältnis zum Fremden, zum Universum und seinen Schöpfungen anzustellen, ohne dabei die Anmerkung zu vergessen, dass die Meisterwerke dieser wie jeder Gattung nur die Spitzen in einem ansonsten von Realisationen und Produktionen bestimmten Korpus stellen.
Gewiss hätte man sich, zudem von einem führenden Wissenschaftler wie Koebner, etwas mehr als nur eine Vorbemerkung zu der ungemein reichen und vielfältigen Tradition der Science Fiction gewünscht. Die einführenden Notizen dienen in dieser Form eher einer gegenseitigen Versicherung des grundlegenden Wissensstandes, auf dem das Buch aufbaut. Vielleicht will man in dieser knappen Form aber auch nur auf die Filme selbst verweisen, die hier, als Entsprechung auf den Hinweis auf die Science Fiction als genuin hybride angelegtes Genrekorsett, an den Rändern des Korpus großzügig ausgewählt wurden: Filme wie FRANKENSTEIN (1931) werden ebenso berücksichtigt wie Cormans LITTLE SHOP OF HORRORS (1960) oder Jeunets skurrile Ästhetikübung DELICATESSEN (1991). Die ungeheure Anzahl an Filmen – von allen bislang vorliegenden Bänden der Reihe ist dieser der eindeutig umfangreichste – ist zum einen erfreulich, kann jedoch zum anderen über die Fixierung auf übliche Klassiker und einen gewissen US-Zentrismus nicht hinwegtäuschen. Vor allem der naive Pulp der 50er und 60er wird nur kurz und im üblichen Rahmen – Jack Arnold, Forbidden Planet und dergleichen – umrissen, ohne dabei tiefer zu schürfen. Unverzeihliches Versäumnis: Ed Woods PLAN 9 FROM OUTER SPACE (1959), für das Verständnis einer gewissen Rezeptionshaltung bestimmten Ausformungen der filmischen Science Fiction gegenüber unumgänglich, wird noch nicht einmal erwähnt. Diese Limitierung ist der offensichtlichen Orientierung an hierzulande auf VHS oder DVD erhältlichen Filme geschuldet, die sich auch an der bemerkenswerten Konzentration auf Filme der beiden letzten Dekaden bemerkbar macht. Der Blick auf das Genre wird hierdurch - besonders auch vor dem Hintergrund der mittels Internet wesentlich vereinfachten Importierbarkeit hierzulande nie ausgewerteter Filme - unnötig zugunsten einer lediglich national-spezifischen Perspektive beschnitten. Der japanische Film – reich an eigentlich prädestiniertem Material, das jedoch, so Koebner in seiner Vorbemerkung eher wenig überzeugend, „eine eigene Art“ bilde – fand mit AVALON (2001) gerade mal eine einzige Berücksichtigung, der vom selben Regisseur inszenierte Anime GHOST IN THE SHELL (1996) - hierzulande zwar nicht erhältlich, als Stichwortgeber für zahlreiche Virtual-Reality-Überlegungen des Genres indes von großer Bedeutung - wird lediglich am Rande bemerkt. Doch sollen diese Mängel nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen Besprechungen versiert und gelungen durchgeführt wurden und als „Reiseführer“ durch die phantastischen Welten und Universen des Genres ohne weiteres im Einzelnen geeignet sind.
Norbert Grob, Bernd Kiefer, Marcus Stiglegger (Hgg.): Western
Weit interessanter gestaltet sich die Erkundung des ältesten Genres der Filmgeschichte, was vielleicht, ohne damit etwas zu unterstellen, der gesteigerten Leidenschaft der bekennenden Genreliebhaber, die für die Herausgeberschaft verantwortlich zeichnen, geschuldet sein mag. So findet sich hier, neben der obligatorischen Vorbemerkung, die auf Problemstellungen einer solchen Kompilierung hinweist, eine von Grob und Kiefer erstellte Einführung in den Western, die auf engstem Raume essentielles Wissen in konzentriertester Form versammelt und bei der Auseinandersetzung mit Motivik und Geschichte des Genres stets in Griffnähe gehalten werden sollte. Grob und Kiefer, deutlich als Fachmänner auf ihrem Gebiet und Cinephile mit Passion zu erkennen, vermitteln einen schier schwindelerregenden Einblick in Genese, Entwicklung und Rezeption des Westerns, für den andere Publizisten ein ganzes Buch füllen müssten. Schön auch, dass man nicht in das alte Muster einer einen Traditionsbruch implizierenden nationalen Differenzierung des Westerns nach us-amerikanischen und italienischen verfällt, sondern dass man auch den Italowestern nahtlos in eine fortlaufende Entwicklung des Genres einpflegt.
Der in der Vorbemerkung geäußerte Anspruch, auch von der offiziellen Filmgeschichtsschreibung übergangene Werke des Westerns mittels einer solchen Kontextualisierung zu erschließen und wieder ins Gedächtnis zu holen, ist zudem erfreulicherweise als erfüllt zu betrachten. So hält sich das Verhältnis aus unvermeidbarem Klassiker und noch zu erschließender Produktion gut die Waage und gestattet so einen umfassenden Panoramablick auf das Genre, das sich von dieser Warte aus erkunden lässt. Gewidmet ist das Buch Frieda Grafe und Brigitte Desalm, die beide das Erscheinen dieses Buches nicht mehr erlebten und entsprechend leider keine Beiträge mehr zusteuern konnten. Eine Genehmigung Frieda Grafes, ihr 1984 erschienenes Essay über Samuel Fullers 40 GEWEHRE zu übernehmen, lag glücklicherweise noch vor, so dass einer der „schönsten Texte, die je über einen Western geschrieben wurden“ (die Autoren in der Vorbemerkung) seinen Weg in diese Herausgeberschaft noch finden konnte, wo er nicht nur Zeugnis über einen Film abliefert, sondern auch als Respektbekundung vor einer aus der deutschsprachigen Filmpublizistik nicht wegzudenkenden Persönlichkeit und deren spezifische Herangehensweise an Film und der Niederschrift seines Erlebens zu verstehen ist. Eine schöne Cinephilie, typisch für Bücher, die mit Grob im Zusammenhang stehen, die sich hier ausdrückt und sich glücklicherweise durch das ganze, schöne Buch zieht.
Andreas Friedrich (Hg.): Fantasy- und Märchenfilm
Das Buch hat’s schon mit seinem Gegenstand schwer. Inwiefern ist der Fantasyfilm ein eigenständiges Genre und welche Filme sind ihm zuzurechnen? Inwiefern verschafft sich der Fantasyfilm Distinktion gegenüber dem Abenteuer-, Horror- oder Science-Fiction-Film? Herausgeber Andreas Friedrich sieht dieses Problemfeld auch und hat für seine Auswahl deshalb vor allem märchenhafte Züge der Erzählung oder offensichtliche Anlehnungen an das Märchen (wie z.B. den Aufgriff von Hexenfiguren und ähnlichem) zum Kriterium für seine Auswahl erhoben und sich zudem vor allem auch auf Filme aus den damaligen Ostblockstaaten bemüht. Zeichentrickfilme und Animes konnten nur repräsentativ berücksichtigt werden, was, wie der Autor ebenfalls einräumt, schade ist, sind doch beide Gattungen zum einen ohnehin stets unterrepräsentiert, zum anderen haben beide Wesentliches für den zu betrachtenden Korpus beigetragen. So ganz einleuchten mag dies nicht, wenn man den Umfang des Buches – das bislang dünnste – im Vergleich zu dem der anderen Bücher der Reihe betrachtet.
Ansonsten weiß Friedrich nur wenig Neues oder gar Erkenntnisversprechendes über den Fantasy- und Märchenfilm mitzuteilen, leider hält er sich sehr lange mit einer Verteidigung des Gegenstands auf, die sich vor allem an der vorgeblich vorherrschenden Geisteshaltung, es handele sich bei Fantasy bloß um eskapistische, somit vernachlässigbare Trivialitäten, abarbeitet und sich von diesem ohnehin kaum diskussionswürdigen apodiktischen Urteil in dieser Form auch noch bereitwillig ein Bein stellen lässt. Statt einer Verteidigung gewähnter Kritiker hätte der Textsammlung ein etwas souveränerer Umgang mit dem eigenen Gegenstand, die sich gerade in der Nichtachtung konservativer Kulturpessimisten profiliert und Perspektiven jenseits dieser Haltung eröffnet, gut angestanden.
Die zusammenfassende Auswahl an Filmen kann ebenso nur bedingt überzeugen, auch hier hat man sich zwar um einen Mittelweg aus frühester Filmgeschichte, großzügiger Beschau des Genres an seinen Rändern und Schnittpunkten und bislang eher weniger Beachtetes bemüht. Als interessant gestaltet sich hierbei die Möglichkeit einer gekreuzten Lektüre unter verschiedenen Vorzeichen, wenn etwa Bryan Singers X-MEN (2000) hier wie auch im Science Fiction-Band der Reihe Berücksichtigung, aber einen individuellen Text findet. Warum andere, sich ähnlich, bzw. noch offensichtlicher zwischen beiden Lagern situierende Filme indes nicht einer zweiten Bestandsaufnahme unterzogen wurden, ist nicht ersichtlich. Etwas schade ist zudem, dass man sich vor allem auf die persönliche Liebhaberei bei der Zusammenstellung verlassen hat. Ein besonderes Augenmerk auf russische und tschechische Märchenfilme macht zwar Sinn, jedoch lässt sich die nahezu vollkommene Unterschlagung des asiatischen Films nicht rechtfertigen. Vor allem der Hongkong-Film erweist sich bis in unsere Zeit als seit Jahrzehnten nicht versiegen wollender Quell farbenprächtiger, einfallsreicher und brillanter Fantasyfilme, die über bloße Körperartistik hinaus dem Genre Relevantes mitzuteilen haben. Auch die komplette Unterschlagung der unzähligen Herkules-, Maciste-, Ursus- und Sandalenfilme aus dem Italien der 60er Jahre ist eigentlich nicht zu verzeihen und hätte als Phänomen wenigstens an ein, zwei repräsentativ vorgestellten Filmen Entsprechung erfahren müssen, von denen ausgehend ein Überblick über diese kurze, aber heftige Welle an Genrefilmen hätte gestattet werden können.
Alles in allem erweist sich die Reihe als interessant mit Ausbaumöglichkeiten. Eine Öffnung hin zu mehr B- und Pulpfilmen wäre sicher wünschenswert, auch wäre eine gesteigerte Konzentration auf Theorie und Geschichte des Genres in Form von konzentrierten Einführungen sicherlich begrüßenswert. Grob und Kiefer haben es in ihrer Betrachtung des Westerns eindrucksvoll vorgemacht, die weiteren Titel der Reihe – als nächstes sind Bücher zum Abenteuer- und Horrorfilm angekündigt – werden sich an dieser Latte messen lassen müssen.
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Thema: literatur
Bis heute stellen die Filme des us-amerikanischen Regisseurs Sam Peckinpah ein Faszinosum und ein großes Erbe der Filmgeschichte dar. Vor allem die Auflösung der zahlreichen Gewaltszenen - Peckinpah war wohl der erste Auteur, den vor allem (auch) die Darstellung von Gewalt interessierte - in ambivalent poetische Bilder, in denen das Schreckliche und das Schöne so dicht beieinander liegen wie selten in der Geschichte zuvor, wirkte stilbildend und zählt, in Filmen von Enzo G. Castellari, John Woo und Quentin Tarantino vielzitiert, mit zu seinem großen Vermächtnis. Ganz nebenbei verschaffte ihm dieses offensichtlichste Merkmal seiner Filme den Ruf, ein Macho zu sein, der Männerfilme für harte Kerle drehe. Dass Peckinpah meist schon frühmorgens auf dem Set zu trinken begann und in nicht wenige Frauengeschichten verwickelt war, scheint diese Einschätzung noch zu untermauern. Bei genauerem Hinblicken aber zielt der Vorwurf ins Leere: Die oft als glorifizierend bezeichneten, typischen Todesszenen in Zeitlupe entpuppen sich weit weniger als Verherrlichung, sondern entsprechen dem melancholischen Duktus seiner Filme, in denen - ganz im Gegenteil, möchte man da seinen Kritikern entgegen halten - allzu bornierter Machismo ganz deutlich narrativ als Quell allen Unheils gezeichnet ist. Nicht nur diese, bis heute oft angestrengte Kontroverse um Peckinpahs Werk und ihrem ideologischen Gehalt machen ihn, so Mike Siegel, Autor des vorliegenden Bandes "Passion & Poetry - Sam Peckinpah in Pictures", zu einem der "meistbesprochenen Regisseure aller Zeiten".
Diese Einschätzung kann man Siegel glauben oder auch nicht. Eine kurze Suchanfrage bei Amazon zeichnet ein eher widersprüchliches Bild: Zumindest im deutschsprachigen Raum scheint gerade mal ein einziges Buch zu Peckinpahs Werk erschienen zu sein, in den 80er Jahren bereits und obendrein allenfalls noch antiquarisch beziehbar. Vor diesem Hintergrund ist es etwas schade, dass auch mit dieser Veröffentlichung die Gelegenheit zur theoretisch-analytischen Auseinandersetzung mit Peckinpahs Filmen versäumt wurde: Mike Siegel zeigt sich, als glühender Verehrer und jahrelanger Sammler von Memorabilia und Artefakten, vor allem an einer Nachzeichnung der Biografie des Regisseurs anhand seiner Filmografie interessiert. Kindheit und Jugend werden entsprechend kursorisch auf wenigen Seiten zusammengefasst, um anschließend auf mehreren hundert Seiten akribisch die ersten TV-Jahre und ersten Gehversuche im Bereich des Spielfilms zu dokumentieren. Zu diesem Zweck werden unzählige Hintergrundinformationen zur Entstehung der jeweiligen Arbeiten, Anekdoten vom Set, biografische Details wie auch Mutmaßungen zu Peckinpahs inneren Befindlichkeiten zu einem eher schon literarischem Text, dessen einzelne Kapitel sich streng an der Chronologie des filmischen Schaffens orientieren, verwoben. Zu den Filmen selbst finden sich kaum verbindliche Aussagen, die über bloße Angaben zum Inhalt hinausgehen.
Eine solche Textsorte birgt durchaus ihre Gefahren, zumal bereits Biografien über Peckinpah existieren. Doch Siegel schlägt daraus einen Vorteil, indem er sich ausdrücklich auf diese beiden Texte bezieht, bzw. sie miteinander abgleicht und, was der eigentliche Reiz ist, seine zahlreichen, wie es scheint recht freundschaftlichen, Beziehungen zu Hinterbliebenen und Freunden Peckinpahs nutzt, um die bisherige Quelllage zusammenzufassen und dieser neue biografische Erkenntnisse hinzuzufügen. Des weiteren kompiliert dieser nicht zu Unrecht "... in Pictures" untertitelte Band zahlreiche Fotografien - zum größten Teil äußerst rares, wenn nicht sogar bislang unveröffentlichtes Material - in beeindruckender Qualität. Darin offenbart sich schließlich die wahre Qualität dieser Publikation, die eine Materialsammlung von unschätzbarem, archivarischem Wert darstellt. Dies unterstreicht noch ein dem Text angefügter Appendix, der auf fast 100 Seiten qualitativ hochwertige, farbige Reproduktionen von internationalem Artwork zu Peckinpahs Filmen versammelt, darunter etwa auch so exotisches wie interessantes Material aus unter anderem Thailand, der Türkei oder Japan. Eine außergewöhnliche, schöne Zusammenstellung, in der man sich beim Schmökern regelrecht stundelang verlieren kann. Als einzigen Malus lassen sich vielleicht, wenn auch nur am Rande, die bisweilen etwas bemüht private Nähe suggerierenden Bildunterschriften festhalten, die das Gezeigte, ganz nach Familienfotoalbumtradition, gelegentlich auch mit ironischen Kommentaren oder Mutmaßungen über innere Prozesse der Fotografierten zu bereichern versuchen, wo doch das Bild schon für sich alleine steht.
Mike Siegels Illustration von Peckinpahs Biografie ist, allen Bedenken gegenüber der Methode zum Trotz, ein schönes Buch geworden, eher zum entspannten darin Blättern geeignet als für tiefergehende Studien am ästhetischen Material selbst. Der Lücke, die dahingehend in der Filmpublizistik noch immer besteht, ist man sich zwar auch weiterhin schmerzlich bewusst, doch könnte ein Publikation wie die hier vorliegende auch zu einer erneuten Beschäftigung mit Peckinpahs filmischem Werk, mit hoffentlich entsprechendem Ergebnis, einladen oder aber die Blicke überhaupt wieder auf diese Filmografie lenken. Wünschenswert wäre dies allemal.
>> Mike Siegel: Passion & Poetry. Sam Peckinpah in Pictures (Mitarbeit Ulrich Bruckner)
>> 480 Seiten, etwa 900 Abbildungen, davon ca. 400 in Farbe.
>> Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003
>> Premium Paperback auf Kunstdruckpapier, 16,5 x 23,5 cm
>> 29,90 EUR (D) / 50,50 sFr
>> ISBN 3-89602-472-8
Diese Einschätzung kann man Siegel glauben oder auch nicht. Eine kurze Suchanfrage bei Amazon zeichnet ein eher widersprüchliches Bild: Zumindest im deutschsprachigen Raum scheint gerade mal ein einziges Buch zu Peckinpahs Werk erschienen zu sein, in den 80er Jahren bereits und obendrein allenfalls noch antiquarisch beziehbar. Vor diesem Hintergrund ist es etwas schade, dass auch mit dieser Veröffentlichung die Gelegenheit zur theoretisch-analytischen Auseinandersetzung mit Peckinpahs Filmen versäumt wurde: Mike Siegel zeigt sich, als glühender Verehrer und jahrelanger Sammler von Memorabilia und Artefakten, vor allem an einer Nachzeichnung der Biografie des Regisseurs anhand seiner Filmografie interessiert. Kindheit und Jugend werden entsprechend kursorisch auf wenigen Seiten zusammengefasst, um anschließend auf mehreren hundert Seiten akribisch die ersten TV-Jahre und ersten Gehversuche im Bereich des Spielfilms zu dokumentieren. Zu diesem Zweck werden unzählige Hintergrundinformationen zur Entstehung der jeweiligen Arbeiten, Anekdoten vom Set, biografische Details wie auch Mutmaßungen zu Peckinpahs inneren Befindlichkeiten zu einem eher schon literarischem Text, dessen einzelne Kapitel sich streng an der Chronologie des filmischen Schaffens orientieren, verwoben. Zu den Filmen selbst finden sich kaum verbindliche Aussagen, die über bloße Angaben zum Inhalt hinausgehen.
Eine solche Textsorte birgt durchaus ihre Gefahren, zumal bereits Biografien über Peckinpah existieren. Doch Siegel schlägt daraus einen Vorteil, indem er sich ausdrücklich auf diese beiden Texte bezieht, bzw. sie miteinander abgleicht und, was der eigentliche Reiz ist, seine zahlreichen, wie es scheint recht freundschaftlichen, Beziehungen zu Hinterbliebenen und Freunden Peckinpahs nutzt, um die bisherige Quelllage zusammenzufassen und dieser neue biografische Erkenntnisse hinzuzufügen. Des weiteren kompiliert dieser nicht zu Unrecht "... in Pictures" untertitelte Band zahlreiche Fotografien - zum größten Teil äußerst rares, wenn nicht sogar bislang unveröffentlichtes Material - in beeindruckender Qualität. Darin offenbart sich schließlich die wahre Qualität dieser Publikation, die eine Materialsammlung von unschätzbarem, archivarischem Wert darstellt. Dies unterstreicht noch ein dem Text angefügter Appendix, der auf fast 100 Seiten qualitativ hochwertige, farbige Reproduktionen von internationalem Artwork zu Peckinpahs Filmen versammelt, darunter etwa auch so exotisches wie interessantes Material aus unter anderem Thailand, der Türkei oder Japan. Eine außergewöhnliche, schöne Zusammenstellung, in der man sich beim Schmökern regelrecht stundelang verlieren kann. Als einzigen Malus lassen sich vielleicht, wenn auch nur am Rande, die bisweilen etwas bemüht private Nähe suggerierenden Bildunterschriften festhalten, die das Gezeigte, ganz nach Familienfotoalbumtradition, gelegentlich auch mit ironischen Kommentaren oder Mutmaßungen über innere Prozesse der Fotografierten zu bereichern versuchen, wo doch das Bild schon für sich alleine steht.
Mike Siegels Illustration von Peckinpahs Biografie ist, allen Bedenken gegenüber der Methode zum Trotz, ein schönes Buch geworden, eher zum entspannten darin Blättern geeignet als für tiefergehende Studien am ästhetischen Material selbst. Der Lücke, die dahingehend in der Filmpublizistik noch immer besteht, ist man sich zwar auch weiterhin schmerzlich bewusst, doch könnte ein Publikation wie die hier vorliegende auch zu einer erneuten Beschäftigung mit Peckinpahs filmischem Werk, mit hoffentlich entsprechendem Ergebnis, einladen oder aber die Blicke überhaupt wieder auf diese Filmografie lenken. Wünschenswert wäre dies allemal.
>> Mike Siegel: Passion & Poetry. Sam Peckinpah in Pictures (Mitarbeit Ulrich Bruckner)
>> 480 Seiten, etwa 900 Abbildungen, davon ca. 400 in Farbe.
>> Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003
>> Premium Paperback auf Kunstdruckpapier, 16,5 x 23,5 cm
>> 29,90 EUR (D) / 50,50 sFr
>> ISBN 3-89602-472-8
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Thema: literatur
22. November 03 | Autor: immo | 0 Kommentare | Kommentieren
Der Italowestern gehört offenbar selbst schon seit langem zu jenen Leichen, die er in seinen reißerischen Filmtiteln oft beschwört. Verging zu seinen Hochzeiten kaum eine Woche ohne einen, manchmal auch zwei oder drei neue Western made in Italy, erfährt er in der schnelllebigen italienischen Filmproduktion mittlerweile nur mehr im Dekadenturnus Gnade. Und dennoch: Die Faszinationskraft der ganz vordergründig auf Physis hin inszenierten und moralisch oft faszinierend sorglosen Filme - das heißt: zumindest die der besseren - ist bis heute ungebrochen. Kein Interview mit Quentin Tarantino über Kill Bill Vol.01 (USA 2003) in diesen Tagen, in dem nicht Leones Epen die Referenz erwiesen wird. Eine jüngste, sehr sorgfältig produzierte DVD-Veröffentlichung von Spiel mir das Lied vom Tod (Sergio Leone, Italien 1968) stellte jüngst ein kleines Medienereignis für sich dar, inklusive luxuriöser limitierter Edition mit einer Mundharmonika als Dreingabe und einmaligen Ehrenvorführungen in ausgesuchten Kinos im ganzen Land. In Internetforen vernetzen sich die zahlreichen Fans und schanzen sich gegenseitig heißbegehrte Sendetermine im Nachtprogramm oder weltweite DVD-Veröffentlichungstermine zu.
Eine solche Vernetzung tut Not, denn der Korpus des Subgenres ist ein kaum überschaubarer. Da die italienische Filmproduktion in ihren Glanzzeiten sich wie kaum eine zweite nach Moden und Trends richtete, die bei kostengünstiger Produktion kommerziell ergiebig ausgeschlachtet werden konnten, herrschte in den Kinos seinerzeit eine wahre Schwemme von immer neuen Variationen und Kombinationen der wenigen zugrunde liegenden Erzählungen und Motive. Erschwerend hinzu kam das nicht selten recht zweifelhafte Verhalten hiesiger Filmverleiher, die die Filme gerne sinnverfremdend synchronisieren ließen, willfährige Schnittversionen erstellten oder einen an sich einzelnen Film nonchalant einem gerade beliebtes Serial hintan stellten: An sich waren die meisten Djangos, Ringos oder Sartanas gar keine solchen.
Eine ungefähre Ahnung des Korpusumfangs vermittelt alleine schon die physische Beschaffenheit von Ulrich P. Bruckners Versuch, die Datenlage des Subgenres detailliert zu erfassen und es überblickend darzustellen: "Für ein paar Leichen mehr. Der Italowestern von seinen Anfängen bis heute" liegt beeindruckend schwer in der Hand und beansprucht für sich einiges an Regalfläche. Doch auch der Inhalt kann sich sehen lassen: Nach einem sehr persönlichen Überblick über das Genre und einer knappen wie schlüssigen Zusammenstellung der gängigsten Motive, aus denen sich der Italowestern immer wieder baukastenartig zusammensetzt, betrachtet Bruckner die einzelnen Filmjahre und ermöglicht dergestalt eine historische Perspektive auf das Phänomen. Nach der Chronologie der Starttermine werden zunächst alle in Deutschland angelaufenen Italowestern unter Angabe des Originaltitels - eine wichtige Orientierungshilfe - aufgelistet, um sich im folgenden dann den jeweils "wichtigsten" Filmen detailliert zuzuwenden. Diese Auswahl hat gewiss ökonomische Gründe: Eine vergleichbare Vorstellung aller Filme würde den Umfang der Publikation bei weitem sprengen. Da sich der Italowestern aus einer Handvoll motivischer und ästhetischer Vorreiter und weitaus zahlreicheren ungenierten Derrivaten zusammensetzt und mit 100 vorgestellten Filmen das Spektrum der Beobachtung zudem sehr großzügig ausfällt, hält sich der Kanoneffekt angenehm in Grenzen. Dafür lässt man sich pro ausgewähltem Film angemessen Platz: Neben den Credits findet sich eine detaillierte Inhaltsangabe, gefolgt von Hintergrundinformationen und filmkritikähnlichen Einschätzungen wie auch einer auszugsweisen Zitation zeitgenössischer Kritiken aus dem Filmdienst und anderen Publikationen. Hochwertige wie seltene Bildstils, Plakat- und Aushangrepros vermitteln einen guten Eindruck der Filme und ihrer oft sympathisch reißerischen Vermarktung.
Dieser Überblick beansprucht gut die Hälfte des Buchumfangs und macht somit den Kernteil des Buches aus. Jedoch wurden - Bruckner ist seit Jahrzehnten leidenschaftlicher Sammler von allem, was mit dem Italowestern zu tun hat - noch zahlreiche, weitere Quellen ausgewertet und aufgearbeitet, denn der Italowestern ist, wie nahezu jedes B-Movie-Genre, auch schmückendes Beiwerk, Anekdote am Rande und Archäologie: Im lexikalisch orientierten Bereich stellt Bruckner Regisseure, Kameramänner, Drehbuchautoren und - besonders wichtig, deshalb etwas ausführlicher - Komponisten und Musiker vor und erstellt anhand einer Übersicht der Drehorte eine Art Landkarte des Italowesterns. Dem folgt eine komplette lexikalische Aufarbeitung des gesamten Korpus jenseits deutscher Kinoauswertungen mit allen wichtigen Angaben und kurzer Inhaltsangabe, wie obendrein auch eine überblicksartige Skizzierung des Euro-Westerns jenseits von Cinécitta. Für eigene Forschungsarbeiten besonders engagierter Fans stellt Bruckner zudem mittels einer Liste aller Pseudonyme italienischer Filmschaffender ein nützliches Werkzeug zur Seite: Aus Gründen internationaler Vermarktbarkeit arbeiteten zahlreiche Regisseure und Schauspieler unter englischem Tarnnamen, was Recherchen in der Vergangenheit oft erschwerte. Interviews mit ausgewählten Regisseuren, Schauspielern und Komponisten gewähren zudem einen spannenden anekdotenreichen Blick hinter die Kulissen.
"Als ich Anfang der Siebziger Jahre im österreichischen Fernsehen den ersten Leone-Western [...] sah, war ich von der Machart dieser vollkommen anderen Art von Western völlig verzaubert. [...] Man konnte seinen Augen kaum trauen.", mit diesen Worten beginnt Bruckner seine so liebevolle wie akribische Aufarbeitung. Diese tiefe Verbundenheit zu seinem Gegenstand merkt man dem Buch auf jeder Seite an. Ein wahrhaftiges Liebhaberwerk wurde da geschaffen, ein Glücksfall der Buchpublikation, die oft genug aus ökonomischen und anderen Erwägungen zu Kompromissen gezwungen ist. Hiervon indes keine Spur, das Italowesternlexikon, wie es längst schon unter Fans des Subgenres genannt wird, ist ein Projekt aus reiner Leidenschaft, ohne aber - und dies ist wichtig zu erwähnen - in bloße Schwärmerei zu verfallen. Bruckner geht exakt vor und erweist somit der Filmgeschichtsschreibung einen großen Dienst, indem er - unmöglich angesichts der Fülle an Informationen natürlich, dies am Rande zu verifizieren, indes, man ist gewillt, dem Band blind zu vertrauen - die Koordinaten eines bislang kaum überblickbaren Genres noch bis ins Detail erschließt und kompiliert. Einmal mehr hat sich die jahrzehntelange Leidenschaft eines Sammlers und privaten Archivars als echter Segen für die Forschung erwiesen, den kanonisierende Institutionen und finanziell marginalisierte Archive vermutlich kaum bewerkstelligen hätten können. Für tiefergehende Forschungsarbeiten am Italowestern wird an dieser Publikation kein Weg vorbeiführen.
Bleibt allein die nach wie vor kritische Editionslage: Nur wenige Produktionen konnten sich bislang überhaupt einer Auswertung auf DVD erfreuen. Wie also den durch die Lektüre entstandenen Heißhunger stillen? Auch hier ist ein klein wenig Licht am Ende des Tunnels zu erkennen: Ulrich P. Bruckner steht der noch jungen Koch Media, einem Label, das sich vor allem dem nostalgischen Genrefilm verpflichtet fühlt, als beaufsichtigender Leiter voran. Und wie könnte es auch anders sein: Die ersten Italowestern, darunter teils äußerst rare Filme, sind bereits angekündigt. Was für seine prominentesten Antihelden verlässlich gilt, scheint auch für den Italowestern selbst Geltung zu beanspruchen: Er ist einfach nicht totzukriegen, er kehrt immer wieder zurück. Dies soll uns nur recht sein.
>> Ulrich P. Bruckner: Für ein paar Leichen mehr. Der Italowestern von seinen Anfängen bis heute. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 2002
>> 520 Seiten, 600 Abbildungen, Hardcover
>> 34,90 Euro, ISBN 3896024167
Eine solche Vernetzung tut Not, denn der Korpus des Subgenres ist ein kaum überschaubarer. Da die italienische Filmproduktion in ihren Glanzzeiten sich wie kaum eine zweite nach Moden und Trends richtete, die bei kostengünstiger Produktion kommerziell ergiebig ausgeschlachtet werden konnten, herrschte in den Kinos seinerzeit eine wahre Schwemme von immer neuen Variationen und Kombinationen der wenigen zugrunde liegenden Erzählungen und Motive. Erschwerend hinzu kam das nicht selten recht zweifelhafte Verhalten hiesiger Filmverleiher, die die Filme gerne sinnverfremdend synchronisieren ließen, willfährige Schnittversionen erstellten oder einen an sich einzelnen Film nonchalant einem gerade beliebtes Serial hintan stellten: An sich waren die meisten Djangos, Ringos oder Sartanas gar keine solchen.
Eine ungefähre Ahnung des Korpusumfangs vermittelt alleine schon die physische Beschaffenheit von Ulrich P. Bruckners Versuch, die Datenlage des Subgenres detailliert zu erfassen und es überblickend darzustellen: "Für ein paar Leichen mehr. Der Italowestern von seinen Anfängen bis heute" liegt beeindruckend schwer in der Hand und beansprucht für sich einiges an Regalfläche. Doch auch der Inhalt kann sich sehen lassen: Nach einem sehr persönlichen Überblick über das Genre und einer knappen wie schlüssigen Zusammenstellung der gängigsten Motive, aus denen sich der Italowestern immer wieder baukastenartig zusammensetzt, betrachtet Bruckner die einzelnen Filmjahre und ermöglicht dergestalt eine historische Perspektive auf das Phänomen. Nach der Chronologie der Starttermine werden zunächst alle in Deutschland angelaufenen Italowestern unter Angabe des Originaltitels - eine wichtige Orientierungshilfe - aufgelistet, um sich im folgenden dann den jeweils "wichtigsten" Filmen detailliert zuzuwenden. Diese Auswahl hat gewiss ökonomische Gründe: Eine vergleichbare Vorstellung aller Filme würde den Umfang der Publikation bei weitem sprengen. Da sich der Italowestern aus einer Handvoll motivischer und ästhetischer Vorreiter und weitaus zahlreicheren ungenierten Derrivaten zusammensetzt und mit 100 vorgestellten Filmen das Spektrum der Beobachtung zudem sehr großzügig ausfällt, hält sich der Kanoneffekt angenehm in Grenzen. Dafür lässt man sich pro ausgewähltem Film angemessen Platz: Neben den Credits findet sich eine detaillierte Inhaltsangabe, gefolgt von Hintergrundinformationen und filmkritikähnlichen Einschätzungen wie auch einer auszugsweisen Zitation zeitgenössischer Kritiken aus dem Filmdienst und anderen Publikationen. Hochwertige wie seltene Bildstils, Plakat- und Aushangrepros vermitteln einen guten Eindruck der Filme und ihrer oft sympathisch reißerischen Vermarktung.
Dieser Überblick beansprucht gut die Hälfte des Buchumfangs und macht somit den Kernteil des Buches aus. Jedoch wurden - Bruckner ist seit Jahrzehnten leidenschaftlicher Sammler von allem, was mit dem Italowestern zu tun hat - noch zahlreiche, weitere Quellen ausgewertet und aufgearbeitet, denn der Italowestern ist, wie nahezu jedes B-Movie-Genre, auch schmückendes Beiwerk, Anekdote am Rande und Archäologie: Im lexikalisch orientierten Bereich stellt Bruckner Regisseure, Kameramänner, Drehbuchautoren und - besonders wichtig, deshalb etwas ausführlicher - Komponisten und Musiker vor und erstellt anhand einer Übersicht der Drehorte eine Art Landkarte des Italowesterns. Dem folgt eine komplette lexikalische Aufarbeitung des gesamten Korpus jenseits deutscher Kinoauswertungen mit allen wichtigen Angaben und kurzer Inhaltsangabe, wie obendrein auch eine überblicksartige Skizzierung des Euro-Westerns jenseits von Cinécitta. Für eigene Forschungsarbeiten besonders engagierter Fans stellt Bruckner zudem mittels einer Liste aller Pseudonyme italienischer Filmschaffender ein nützliches Werkzeug zur Seite: Aus Gründen internationaler Vermarktbarkeit arbeiteten zahlreiche Regisseure und Schauspieler unter englischem Tarnnamen, was Recherchen in der Vergangenheit oft erschwerte. Interviews mit ausgewählten Regisseuren, Schauspielern und Komponisten gewähren zudem einen spannenden anekdotenreichen Blick hinter die Kulissen.
"Als ich Anfang der Siebziger Jahre im österreichischen Fernsehen den ersten Leone-Western [...] sah, war ich von der Machart dieser vollkommen anderen Art von Western völlig verzaubert. [...] Man konnte seinen Augen kaum trauen.", mit diesen Worten beginnt Bruckner seine so liebevolle wie akribische Aufarbeitung. Diese tiefe Verbundenheit zu seinem Gegenstand merkt man dem Buch auf jeder Seite an. Ein wahrhaftiges Liebhaberwerk wurde da geschaffen, ein Glücksfall der Buchpublikation, die oft genug aus ökonomischen und anderen Erwägungen zu Kompromissen gezwungen ist. Hiervon indes keine Spur, das Italowesternlexikon, wie es längst schon unter Fans des Subgenres genannt wird, ist ein Projekt aus reiner Leidenschaft, ohne aber - und dies ist wichtig zu erwähnen - in bloße Schwärmerei zu verfallen. Bruckner geht exakt vor und erweist somit der Filmgeschichtsschreibung einen großen Dienst, indem er - unmöglich angesichts der Fülle an Informationen natürlich, dies am Rande zu verifizieren, indes, man ist gewillt, dem Band blind zu vertrauen - die Koordinaten eines bislang kaum überblickbaren Genres noch bis ins Detail erschließt und kompiliert. Einmal mehr hat sich die jahrzehntelange Leidenschaft eines Sammlers und privaten Archivars als echter Segen für die Forschung erwiesen, den kanonisierende Institutionen und finanziell marginalisierte Archive vermutlich kaum bewerkstelligen hätten können. Für tiefergehende Forschungsarbeiten am Italowestern wird an dieser Publikation kein Weg vorbeiführen.
Bleibt allein die nach wie vor kritische Editionslage: Nur wenige Produktionen konnten sich bislang überhaupt einer Auswertung auf DVD erfreuen. Wie also den durch die Lektüre entstandenen Heißhunger stillen? Auch hier ist ein klein wenig Licht am Ende des Tunnels zu erkennen: Ulrich P. Bruckner steht der noch jungen Koch Media, einem Label, das sich vor allem dem nostalgischen Genrefilm verpflichtet fühlt, als beaufsichtigender Leiter voran. Und wie könnte es auch anders sein: Die ersten Italowestern, darunter teils äußerst rare Filme, sind bereits angekündigt. Was für seine prominentesten Antihelden verlässlich gilt, scheint auch für den Italowestern selbst Geltung zu beanspruchen: Er ist einfach nicht totzukriegen, er kehrt immer wieder zurück. Dies soll uns nur recht sein.
>> Ulrich P. Bruckner: Für ein paar Leichen mehr. Der Italowestern von seinen Anfängen bis heute. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 2002
>> 520 Seiten, 600 Abbildungen, Hardcover
>> 34,90 Euro, ISBN 3896024167
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Thema: literatur
05. November 03 | Autor: immo | 0 Kommentare | Kommentieren
D.I.Y., also "Do it yourself", ist nicht nur Parole und Glaubensbekenntnis ungezählter Flanellhemdträger mit Heimwerker-Ambitionen, es ist auch Kampfbegriff und identitätsstiftendes Moment jener Punk-Subkultur, die, jenseits von Kommerz und Major Labels, totale Kontrolle über das eigene Werk als Ideal formuliert. An Platten alleine hält sich das nicht auf: Selbstkopierte Fanzines, oft liebevoll mit Uhu und Schere gestaltet, ungewöhnliche Plattencover aus selbstbedrucktem Jutestoff oder gleich aus Pappe selbstgefaltet bis hin zum im Wohnzimmer veranstalteten Konzert sind die Markenzeichen jener Bewegung. Im Jahr 1978, dem Jahr als die erste große kommerzielle Punkwelle zusehends degenerierte (und somit letztendlich auch den ersten Nährboden für den folgenden Underground stellte), sollte auch ein zweites Großereignis der Geschichte der D.I.Y.-Kultur stattfinden, weitab von Punk und Jugendrebellion allerdings: Klaus Beyer, gelernter Kerzenwachszieher, bezieht in Kreuzberg eine Ein-Zimmer-Wohnung.
Diese sollte sich in den folgenden Jahren zum Entstehungsort unzähliger Kleinkunstwerke gerieren, darunter Dutzende Super8-Videos, denen die charakteristische 70er-Tapete zur Kulisse diente. Weil seine Mutter kein Englisch verstand, begann Klaus Beyer Songs der Beatles merkwürdig zwar, aber an sich stimmig einzudeutschen und sang diese ein: "Es sollte sich reimen", so Beyer. Weil er zu der Musik noch ein Bild vermitteln wollte, drehte er kurzerhand mit seiner Kamera Videos dazu: Die Kulissen bastelte er selbst, wie er auch alle Rollen übernahm. Der Rest ist Legende: Im Berliner Frontkino entdeckte die damals sehr vitale Super8-Szene der Alternativ- und Punkkultur, der auch Regisseur und Filmkritiker Jörg Buttgereit entspringen sollte, die unbekümmerten Filme, es folgten die Documenta in Kassel, TV-Auftritte und Konzerte im ganzen Land: Mit seiner im besten Sinne des Wortes naiven Kunst wurde Beyer schnell Kult und obendrein Vaterfigur der in Berlin Mitte bis Ende der Neunzigerjahre überaus angesagten Wohnzimmerkonzert-Szene. Beyer blieb auf dem Boden und Kerzenwachszieher obendrein und lebt auch heute noch, wenn auch mittlerweile arbeitslos, in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Nur die Tapete ist mittlerweile weiß. Damit er einen neutralen Hintergrund für Aufnahmen habe, wie er meint. Unlängst beging man im Berliner Brotfabrikkino seinen 50. Geburtstag.
Zu diesem Ereignis erschien im Martin Schmitz Verlag "Das System Klaus Beyer", in erster Linie eine Sammlung von Gesprächen von, wenn man so will, Fans und, zumindest entfernt, Geistesverwandter mit Klaus Beyer und seinem langjährigen Manager wie auch Herausgeber des Buches, Frank Behnke: Jörg Buttgereit, Christoph Schlingensief und der Journalist Detlef Kuhlbrodt stellten sich jeweils für ein "Kaffeekränzchengesprächen" (Verleger Schmitz) ein. Des weiteren finden sich Reproduktionen von Beyers handcolorierten Schwarzweißfotografien (darauf meist zu sehen: er selbst, wie sich überhaupt alles immer um die Person Beyer dreht) und selbstgemaltem und -gebasteltem Artwork, das auch vor kurzem in einer Ausstellung in Berlin zu sehen war, wie auch einige Texte aus Beyers akribisch geführtem Konzert-Tagebuch.
Dankenswerterweise hat man die Gespräche nicht einfach nur protokolliert, sondern - ähnlich der Vorgehensweise bei einem Dokumentarfilm, vielleicht ja aber auch an Beyers Collagen-Ästhetik selbst angelehnt - wesentliches ausgeschnitten und aneinander montiert: Zu gut zwei Dutzend Schlagworten, wie etwa Liebe, Kunst oder Wohnung, finden sich kurze Gesprächsfragmente, in denen, das ist das interessante, meist eher die Gesprächspartner über sich selbst und ihr Verhältnis zu Klaus Beyer sprechen, als dass Beyer selbst der Interviewte ist. Beyer beschreibt sich selbst als ruhigen Menschen und die Gespräche unterstreichen dies: Oft ist es nur ein kurzer Satz, eine Bestätigung oder kleine Relativierung, die er einbringt, gefolgt von absatzlangen Gedankengängen seiner Gegenüber. Ein sympathischer, uneitler Eindruck, der dem Idealbild vom Künstler, der sein Werk nicht erklärt, sehr nahe kommt. So ist es, neben den schön anzusehenden Reproduktionen natürlich, das Spannende an diesem Buch, dass etablierte Künstler wie Schlingensief und Buttgereit, die ähnliche Wurzeln aufweisen wie Beyer, sich selbst und ihr Werk zum "anderen Universum des Klaus Beyer" (so der Titel einer Dokumentation) in Bezug nehmen, Gemeinsamkeiten in Herangehensweise, Schaffungsprozess und Intention feststellen (oder aber im einzelnen auch nicht) oder aber Bezüge in der Kunstgeschichte aufdecken, die dem unbekümmerten Kreuzberger noch nicht einmal oder kaum bekannt sind: Buttgereit zieht John Waters und Andy Warhol heran, Schlingensief, der selbst schon mehrfach mit Beyer gearbeitet hat, verweist auf Méliès. Nur Kuhlbrodt ist weit weniger verkopft, sondern schlicht und ergreifend guter Bekannter und langjähriger Fan. Auch das ist im Rahmen des Buchs gewiss nicht ohne Reiz.
Eine kleine Welt tut sich beim Lesen auf, bestehend aus 70er Jahre Panorama-Tapeten, bemalten Bettlaken, Plattenspielern aus orangem Plastik und der naiven Gemütlichkeit von verschmitzt in Hosen steckenden Kragenhemden und Pantoffeln. Dies alles aber ohne den beißenden Zynismus des White Trash, ja selbst Trash ist, paradoxerweise, nur ein unzulänglicher Begriff für Klaus Beyers oft schon solipsistisch anmutende Arbeiten, die sich zwar aus ganz ähnlichen Quellen des 70er Jahre Universums speisen wie etwa die Retro-Filme Wenzel Storchs, von deren oft bemüht wirkendem Appeal aber weit entfernt sind. Mit dem Begriff vom "System Klaus Beyer" hat Schlingensief das Phänomen wohl in der Tat gelungen umrissen. Man muss Klaus Beyer einfach mögen, bzw. ernstnehmen.
>>> Frank Behnke (Hrsg) Das System Klaus Beyer
>>> Berlin: Martin Schmitz, 2003
>>> 128 Seiten, zahlreiche Abbildungen
>>> 24,50 Euro
Diese sollte sich in den folgenden Jahren zum Entstehungsort unzähliger Kleinkunstwerke gerieren, darunter Dutzende Super8-Videos, denen die charakteristische 70er-Tapete zur Kulisse diente. Weil seine Mutter kein Englisch verstand, begann Klaus Beyer Songs der Beatles merkwürdig zwar, aber an sich stimmig einzudeutschen und sang diese ein: "Es sollte sich reimen", so Beyer. Weil er zu der Musik noch ein Bild vermitteln wollte, drehte er kurzerhand mit seiner Kamera Videos dazu: Die Kulissen bastelte er selbst, wie er auch alle Rollen übernahm. Der Rest ist Legende: Im Berliner Frontkino entdeckte die damals sehr vitale Super8-Szene der Alternativ- und Punkkultur, der auch Regisseur und Filmkritiker Jörg Buttgereit entspringen sollte, die unbekümmerten Filme, es folgten die Documenta in Kassel, TV-Auftritte und Konzerte im ganzen Land: Mit seiner im besten Sinne des Wortes naiven Kunst wurde Beyer schnell Kult und obendrein Vaterfigur der in Berlin Mitte bis Ende der Neunzigerjahre überaus angesagten Wohnzimmerkonzert-Szene. Beyer blieb auf dem Boden und Kerzenwachszieher obendrein und lebt auch heute noch, wenn auch mittlerweile arbeitslos, in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Nur die Tapete ist mittlerweile weiß. Damit er einen neutralen Hintergrund für Aufnahmen habe, wie er meint. Unlängst beging man im Berliner Brotfabrikkino seinen 50. Geburtstag.
Zu diesem Ereignis erschien im Martin Schmitz Verlag "Das System Klaus Beyer", in erster Linie eine Sammlung von Gesprächen von, wenn man so will, Fans und, zumindest entfernt, Geistesverwandter mit Klaus Beyer und seinem langjährigen Manager wie auch Herausgeber des Buches, Frank Behnke: Jörg Buttgereit, Christoph Schlingensief und der Journalist Detlef Kuhlbrodt stellten sich jeweils für ein "Kaffeekränzchengesprächen" (Verleger Schmitz) ein. Des weiteren finden sich Reproduktionen von Beyers handcolorierten Schwarzweißfotografien (darauf meist zu sehen: er selbst, wie sich überhaupt alles immer um die Person Beyer dreht) und selbstgemaltem und -gebasteltem Artwork, das auch vor kurzem in einer Ausstellung in Berlin zu sehen war, wie auch einige Texte aus Beyers akribisch geführtem Konzert-Tagebuch.
Dankenswerterweise hat man die Gespräche nicht einfach nur protokolliert, sondern - ähnlich der Vorgehensweise bei einem Dokumentarfilm, vielleicht ja aber auch an Beyers Collagen-Ästhetik selbst angelehnt - wesentliches ausgeschnitten und aneinander montiert: Zu gut zwei Dutzend Schlagworten, wie etwa Liebe, Kunst oder Wohnung, finden sich kurze Gesprächsfragmente, in denen, das ist das interessante, meist eher die Gesprächspartner über sich selbst und ihr Verhältnis zu Klaus Beyer sprechen, als dass Beyer selbst der Interviewte ist. Beyer beschreibt sich selbst als ruhigen Menschen und die Gespräche unterstreichen dies: Oft ist es nur ein kurzer Satz, eine Bestätigung oder kleine Relativierung, die er einbringt, gefolgt von absatzlangen Gedankengängen seiner Gegenüber. Ein sympathischer, uneitler Eindruck, der dem Idealbild vom Künstler, der sein Werk nicht erklärt, sehr nahe kommt. So ist es, neben den schön anzusehenden Reproduktionen natürlich, das Spannende an diesem Buch, dass etablierte Künstler wie Schlingensief und Buttgereit, die ähnliche Wurzeln aufweisen wie Beyer, sich selbst und ihr Werk zum "anderen Universum des Klaus Beyer" (so der Titel einer Dokumentation) in Bezug nehmen, Gemeinsamkeiten in Herangehensweise, Schaffungsprozess und Intention feststellen (oder aber im einzelnen auch nicht) oder aber Bezüge in der Kunstgeschichte aufdecken, die dem unbekümmerten Kreuzberger noch nicht einmal oder kaum bekannt sind: Buttgereit zieht John Waters und Andy Warhol heran, Schlingensief, der selbst schon mehrfach mit Beyer gearbeitet hat, verweist auf Méliès. Nur Kuhlbrodt ist weit weniger verkopft, sondern schlicht und ergreifend guter Bekannter und langjähriger Fan. Auch das ist im Rahmen des Buchs gewiss nicht ohne Reiz.
Eine kleine Welt tut sich beim Lesen auf, bestehend aus 70er Jahre Panorama-Tapeten, bemalten Bettlaken, Plattenspielern aus orangem Plastik und der naiven Gemütlichkeit von verschmitzt in Hosen steckenden Kragenhemden und Pantoffeln. Dies alles aber ohne den beißenden Zynismus des White Trash, ja selbst Trash ist, paradoxerweise, nur ein unzulänglicher Begriff für Klaus Beyers oft schon solipsistisch anmutende Arbeiten, die sich zwar aus ganz ähnlichen Quellen des 70er Jahre Universums speisen wie etwa die Retro-Filme Wenzel Storchs, von deren oft bemüht wirkendem Appeal aber weit entfernt sind. Mit dem Begriff vom "System Klaus Beyer" hat Schlingensief das Phänomen wohl in der Tat gelungen umrissen. Man muss Klaus Beyer einfach mögen, bzw. ernstnehmen.
>>> Frank Behnke (Hrsg) Das System Klaus Beyer
>>> Berlin: Martin Schmitz, 2003
>>> 128 Seiten, zahlreiche Abbildungen
>>> 24,50 Euro
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Thema: literatur
04. November 03 | Autor: immo | 0 Kommentare | Kommentieren
Nicht nur die Größe der Leinwand macht das Kino "bigger than life", auch die darauf gestrahlten Spektakel lassen die Koordinaten des Alltags oft weit hinter sich. Besonders Katastrophen in allen Facetten und Erscheinungsformen gehören zu den sensationellen Dauerbrennern der Filmgeschichte: Die Darstellung sorgt für aufsehenerregende und gut vermarktbare Schauwerte, die das Publikum im sicheren Saal erstaunen und erschaudern lassen, die mit der Katastrophe einhergehende Schilderung persönlicher Schicksale sorgt für emotionale Rührung, das in der Regel siegreiche Überwinden für Triumphgefühle. Und natürlich lassen sich rückblickend auch ganz vortrefflich gesellschaftliche Diskurse anhand der Filme ablesen. Ob nun in den 50ern die Angst vor den Kommunisten den Ufos die Genese im Kinosaal bescherte, ob in den 90ern unbändige Naturgewalten die Metropolen bedrohten oder ob Godzilla über Jahrzehnte hinweg, ähnlich den Atombomben auf Hiroshima oder Nagasaki, jede nennenswerte Siedlung Japans platt walzte: Immer ist die filmische Erzählung von der Katastrophe auch Ausdruck sozialer Befindlichkeiten und Selbstverständnisse.
In seinem "Lexikon der Katastrophenfilme" versucht sich nun Manfred Hobsch an einer Katalogisierung des Topos. Ein schwieriges Unterfangen natürlich, da die Katastrophe im Film an sich noch keine Grundlage für ein fest umrissenes Genre bildet, sondern sich, dem Kriegsfilm nicht unähnlich, eher als bestimmende Kulisse eines davor sich abspielenden Horror-, Action- oder Science-Fiction-Film geriert. In einem dem lexikalischen Segment des umfangreichen Bandes vorangestellten knappen Aufsatz arbeitet Hobsch dennoch, vornehmlich unter Rekurs auf zahlreiche Quellen, einige Motive und Regularien des Katastrophenfilms heraus, die den folgenden Korpus grob definieren und an den Rändern dennoch ausreichend Spielraum gewähren. Dennoch verwundert es zumindest ein wenig, dass sich unter den aufgelisteten Filmen dann auch etwa Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum (UK 1968) findet, was im Text etwas bemüht gerechtfertigt wird: "... der intelligente Bordcomputer ihres Raumschiffs, HAL, macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die Mission endet mit einer Katastrophe." Dass man auf der anderen Seite dann aber etwa The Texas Chain Saw Massacre (USA 1974), der mit ähnlicher Begründung erwähnt werden könnte, oder M. Night Shymalans Signs (USA 2002), der unter dem Aspekt des Invasionsfilms nun ganz gewiss einen Eintrag verdient hätte, übergeht, erscheint nicht sonderlich plausibel. Allerdings lassen sich solche Unschärfen am Rande in einem Lexikon, dessen Gegenstand an sich schon nicht klar zu umreißen ist, wohl wirklich kaum vermeiden.
Ansonsten weiß die Zusammenstellung zu überzeugen: Aufgelistet werden einige Hundert Titel mit den wichtigsten Credits und einer für lexikalische Verhältnisse überaus ausführlichen Inhaltsangabe, jeweils noch mit einem oder mehreren wertenden Zitaten meist zeitgenössischer Filmkritik aus so unterschiedlichen Quellen wie etwa dem Lexikon des internationalen Films oder aber auch TV Movie und Konsorten. Vor allem diese Zitate sind von großem Interesse, entsprechen sie doch, im Idealfalle, einem kleinen Überblick über die Rezeptionsgeschichte und bereichern das ansonsten sehr auf die Vermittlung bloß empirisch messbarer Fakten konzentrierte Buch. Erfreulich obendrein, dass man auch tiefer in den Kellern der Filmgeschichte geforscht hat und auch hierzulande gerne von der Zensur weggesperrte oder schlicht weitestgehend in Vergessenheit geratene Filme, wie etwa einige Schlüsselfilme des italienischen Splatterfilms, mit einreiht. Ausgesuchtes Bildmaterial, dem man vielleicht nur hier und da ein wenig mehr Platz und ein etwas qualitativ geeigneteres Papier als Grundlage gewünscht hätte, sorgt obendrein für eine erfreuliche Abwechslung in der Gestaltung der großen Masse an Text.
Gewiss, ein so leidenschaftlicher Band wie das aus gleichem Verlagshause stammende Italowestern-Lexikon, mit seiner bald schon unüberschaubaren Fülle an akribisch zusammengetragenen Hintergrundinformationen, historischen Fakten und Filmvorstellungen, ist das Katastrophenfilm-Lexikon nicht geworden. Eine weitgehend solide und überzeugende Zusammenstellung von Filmen anhand eines bestimmenden Topos mit genügend Informationen, um auch jenseits der bloßen Auflistung bestehen zu können, die man gerne zu Recherchezwecken aber auch zum entspannten Schmökern und Filme-Entdecken zur Hand nimmt, ist Manfred Hobsch allemal gelungen.
Manfred Hobsch: Das große Lexikon der Katastrophenfilme
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003
770 Seiten, zahlreiche Abbildungen
24,90 Euro
In seinem "Lexikon der Katastrophenfilme" versucht sich nun Manfred Hobsch an einer Katalogisierung des Topos. Ein schwieriges Unterfangen natürlich, da die Katastrophe im Film an sich noch keine Grundlage für ein fest umrissenes Genre bildet, sondern sich, dem Kriegsfilm nicht unähnlich, eher als bestimmende Kulisse eines davor sich abspielenden Horror-, Action- oder Science-Fiction-Film geriert. In einem dem lexikalischen Segment des umfangreichen Bandes vorangestellten knappen Aufsatz arbeitet Hobsch dennoch, vornehmlich unter Rekurs auf zahlreiche Quellen, einige Motive und Regularien des Katastrophenfilms heraus, die den folgenden Korpus grob definieren und an den Rändern dennoch ausreichend Spielraum gewähren. Dennoch verwundert es zumindest ein wenig, dass sich unter den aufgelisteten Filmen dann auch etwa Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum (UK 1968) findet, was im Text etwas bemüht gerechtfertigt wird: "... der intelligente Bordcomputer ihres Raumschiffs, HAL, macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die Mission endet mit einer Katastrophe." Dass man auf der anderen Seite dann aber etwa The Texas Chain Saw Massacre (USA 1974), der mit ähnlicher Begründung erwähnt werden könnte, oder M. Night Shymalans Signs (USA 2002), der unter dem Aspekt des Invasionsfilms nun ganz gewiss einen Eintrag verdient hätte, übergeht, erscheint nicht sonderlich plausibel. Allerdings lassen sich solche Unschärfen am Rande in einem Lexikon, dessen Gegenstand an sich schon nicht klar zu umreißen ist, wohl wirklich kaum vermeiden.
Ansonsten weiß die Zusammenstellung zu überzeugen: Aufgelistet werden einige Hundert Titel mit den wichtigsten Credits und einer für lexikalische Verhältnisse überaus ausführlichen Inhaltsangabe, jeweils noch mit einem oder mehreren wertenden Zitaten meist zeitgenössischer Filmkritik aus so unterschiedlichen Quellen wie etwa dem Lexikon des internationalen Films oder aber auch TV Movie und Konsorten. Vor allem diese Zitate sind von großem Interesse, entsprechen sie doch, im Idealfalle, einem kleinen Überblick über die Rezeptionsgeschichte und bereichern das ansonsten sehr auf die Vermittlung bloß empirisch messbarer Fakten konzentrierte Buch. Erfreulich obendrein, dass man auch tiefer in den Kellern der Filmgeschichte geforscht hat und auch hierzulande gerne von der Zensur weggesperrte oder schlicht weitestgehend in Vergessenheit geratene Filme, wie etwa einige Schlüsselfilme des italienischen Splatterfilms, mit einreiht. Ausgesuchtes Bildmaterial, dem man vielleicht nur hier und da ein wenig mehr Platz und ein etwas qualitativ geeigneteres Papier als Grundlage gewünscht hätte, sorgt obendrein für eine erfreuliche Abwechslung in der Gestaltung der großen Masse an Text.
Gewiss, ein so leidenschaftlicher Band wie das aus gleichem Verlagshause stammende Italowestern-Lexikon, mit seiner bald schon unüberschaubaren Fülle an akribisch zusammengetragenen Hintergrundinformationen, historischen Fakten und Filmvorstellungen, ist das Katastrophenfilm-Lexikon nicht geworden. Eine weitgehend solide und überzeugende Zusammenstellung von Filmen anhand eines bestimmenden Topos mit genügend Informationen, um auch jenseits der bloßen Auflistung bestehen zu können, die man gerne zu Recherchezwecken aber auch zum entspannten Schmökern und Filme-Entdecken zur Hand nimmt, ist Manfred Hobsch allemal gelungen.
Manfred Hobsch: Das große Lexikon der Katastrophenfilme
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003
770 Seiten, zahlreiche Abbildungen
24,90 Euro
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