Montag, 16. Februar 2004
Die Berlinale ist vorbei, die Bären erlegt, am Potsdamer Platz kehrt wieder Ruhe ein, auch wenn man mit vereinten medialen Anstrengungen dem Rest der Welt etwas anderes weißmachen will.

Als Statistikfreak hab ich ein Faible für das gänzlich Nutzlose, als Lohnschreiber für das geschriebene Wort ohne literarischen Wert. Die Berlinale war also, zumindest für mich:

42 Filme in 10 Tagen, mit eingerechnet sind allerdings 9 Filme im entspannten Vorfeld der Pressevorführungen, die alljährlich ab Mitte Januar stattfinden.

7 Schachteln Zigaretten (erschreckend, und ein neuer persönlicher Rekord)

ca. 15 Portionen Bier, meist Hefeweizen, manchmal aber auch Pils

8 mal Chinapfanne beim Asiaten für 2,50 Euro (ja, ich habs gezählt)

1 mal Currywurst am Imbißstand gegenüber dem Cinemaxx (der kulinarische Tiefpunkt)

5 Stunden Schlaf, im Schnitt

1 Alkoholexzess

und daran anschließend:

1 mal Auto vergessen und am nächsten Morgen vermisst (dazu muss man wissen: aus Zeitgründen reise ich zum Potsdamer Platz mit Auto und S-Bahn an – fragwürdig, vor allem wenn man weiß, dass die Zeitersparnis etwa 5 Minuten ausmacht, handgestoppt, im Vergleich zur direkten Verbindung mit der U2)

2 mal im Kino eingeschlafen:
- bei „Demain, on déménage“ (vielleicht war ja ich der Schnarcher, den Kollege Knoerer in seiner Rezension zum Film beneidet – eine der vielen Rätsel, die ein Filmfestival in der Rückbesinnung bereit hält)
- und bei „Quattro Noza“, aber nur ganz kurz.

1 Filmparty (hab vergessen zu welchem Film)

Und abschließend noch ein nachgeschobenes Best-/Worst of:

Best: Running on Karma (Johnny To)
Worst: Quattro Noza und Country of my Skull

Schönstes Filmerlebnis: Days of Heaven (Terrence Mallick)

Furchtbarstes Filmerlebnis: Eine mit heftigen Blähungen halb durchgestandene Vorführung von The Candidate.

Surrealstes Filmerlebnis: One missed Call (Takeshi Miike) – Geruchskino in bester 50ies Manier. Als die verrottete Leiche der Mutter entdeckt wird, steigt beißender Pissegeruch auf. Grund: ein Penner, der sich verlaufen hat und schließlich freundlich, aber bestimmt des Saales verwiesen wird.

Das war´s von mir, es bleibt: vielen Dank fürs Lesen und bis zum nächsten Mal.

Thomas Reuthebuch


° ° °




Wettbewerb: Final Cut (USA 2003, Omar Naim)
Ein Film mit einer spannenden Prämisse und einer enttäuschenden Umsetzung. Robin Williams spielt den introvertierten Cutter mit bemerkenswerter Eindimensionalität, Mira Sorvino wird im dramaturgisch günstigen Moment wie ein hübsch anzusehendes Artefakt aus dem Hut gezaubert. Der Score verkleistert in beispiellos unerträglicher Weise die wenigen gedanklichen Freiräume, die der Plot dem Zuschauer läßt und auch filmhandwerklich ist speziell das Finale überraschend ungelenk inszeniert. Zwei Stunden vertane Lebenszeit.

Retrospektive: Sisters (USA 1972/73, Brian de Palma)
De Palmas verstörendster Film, vielleicht. Fühlt sich spätestens in der Hypnosesequenz wie ein früher Cronenberg an. Die erste Hälfte des Films ist jedoch de Palma pur, steckt voller Querverweise auf diverse Hitchcock Klassiker und greift exzessiv auf drastische filmische Mittel wie etwa die Split-Screen Technik zurück. Mit offensichtlicher Freude spielt de Palma mit gängigen Thrillerkonventionen, werden zusehends allgemeingültige Genreregeln unterlaufen und der Blick des Zuschauers in beispielhafter Weise zersetzt. Am Ende steht die völlige Orientierungslosigkeit des Betrachters und eine geniale letzte Einstellung, die mit diebischer Freude die ins leere gelaufenen Erwartungshaltungen des Zuschauers kommentiert.

Retrospektive: The Parallax View (USA 1973/74, Alan J. Pakula)
Ein Film, nicht ohne dramaturgische Schwächen, zwischendurch, der jedoch durch sein konsequent umgesetztes visuelles Konzept als Meisterwerk zu bezeichnen ist. Die finale Plansequenz ist in ihrem Erfindungsreichtum atemberaubend. Gordon Willis reizt das verwendete Filmmaterial in faszinierender Low-Key Ästhetik aus, die Bilder legen sich wie Tableaus über ihre Figuren. Interessant auch Pakulas Inszenierungsstil in den dialoglastigen Szenen, speziell in den Zweier-Konstellationen. Es gibt kaum Coverage, die Kamera folgt selten dem Schuß-Gegenschuß-Prinzip. Dahinter steckt ein ungeheures Zutrauen in die Schaupieler und es wird einem schmerzhaft bewußt, wie berechenbar das gegenwärtige Hollywoodkino in seinem fehlenden Selbstvertrauen ist.

Retrospektive: The Deer Hunter (USA ?, Michael Cimino)
Bemerkenswert: der Grad an veränderter Wahrnehmung auf der großen Leinwand. Bereits in den ersten Totalen des kleinen Industriestädtchens in der Nähe von Pittsburgh werden mögliche Zweifel an dem Sinn einer erneuten Sichtung des Films im Rahmen der Retro gründlich zerstreut. Es folgen drei unvergessliche Stunden. Michael Ciminos von mir im Fernsehen immer als zu lang empfundener Film, entwickelt eine erstaunliche Sogkraft. Die latent homosexuelle Beziehung zwischen Michael und Nick bildet das dramaturgische Fundament, ihre Dreiecksbeziehung mit Meryl Streep hält den Film zusammen. Die Vietman Sequenzen sind kürzer als erinnert und die letzte Szene, wenn die alten Freunde gemeinsam „God bless America“ intonieren, sagt mehr über die amerikanische Seele aus als viele kluge Abhandlungen.

Thomas Reuthebuch


° ° °




Sonntag, 15. Februar 2004
Lepages La face cachée de la lune (Panorama; Kanada 2003) ist im wesentlichen eine recht aufgeblasene Kleinigkeit. Mit etwas Moderne-Tristesse a la Houellebecq angereichert (ohne aber freilich dessen kontroversen Biss auch nur ansatzweise zu erreichen) möchte man auch gerne sowas wie der Stadtneurotiker der 00er Jahre darstellen, ohne dabei freilich Allens Klasse oder Selbstironie zu erreichen. Aufgelockert wird das Ganze durch nett inszenierte Einschübe, in denen Goldfische durchs Weltall zu schwimmen scheinen und ähnlichen Anbiederungsversuchen an ein bildungsbürgerliches Publikum. Man möchte gefallen, koste es, was es wolle. Und man möchte etwas aussagen. Über den State of the Art des sinnlos dahintreibenden Lebens, den alles bestimmenden Narzismus. Man erschöpft sich in erschreckend schmalen Theoremen der Psychoanalyse, die so naheliegend wie egal sind. Alles in allem: Ärgerlich, auch hinsichtlich des teils euphorischen Medienechos, das dem Film hier wie jenseits des Atlantiks zuteil wurde. Allein das Titelthema bleibt Tage lang hängen und vereint in sich mehr Tristesse als der ganze Film. imdb

Im Wettbewerb bekam man Eric Rohmers Triple Agent (Frankreich 2003) zu sehen. Auch ich halte den Film im Sinne der Kritik von jump-cut.de (Link folgt) für intelligent, das ändert aber nichts daran, dass ich mich bisweilen ganz fürchterlich gelangweilt habe. Vielleicht weil ich doch zu sehr Genre-Buff bin. Vielleicht weil mich das Thema über weite Strecken auch nicht sonderlich interessierte, bzw. mir, bei aller Intelligenz des Drehbuchs und der Regie, nicht so recht einleuchten wollte, warum dieser Film nun unbedingt noch gedreht werden musste. Vielleicht auch, weil ich mich mit Rohmer schlicht zu wenig auskenne. Wie auch immer: Froh war ich schon, als es vorbei war, will das aber eben nicht unbedingt dem Film anhängen. imdb


° ° °




Unheimliches trägt sich unter (vornehmlich weiblichen) japanischen Jugendlichen zu: Eine nach der anderen erhält einen mysteriösen Anruf aufs Handy, der nicht nur auch vom eigenen Handy kommt, sondern auch noch aus der näheren Zukunft und nichts anderes als den eigenen Tod überträgt. Der tritt in Folge auch meist recht pünktlich ein. Nachdem Yumis Freundeskreis nicht nur rapide geschrumpft ist, sondern auch sie selbst einen solchen Anruf erhalten hat, versucht sie der Sache zusammen mit dem jungen Natsumi auf den Grund zu gehen. Bald schon zeichnet sich ab, dass ein in der Vergangenheit nicht nur wohlwollend behandeltes Mädchen als Ursache für das paranormale Treiben in Betracht gezogen werden darf.

Sounds like Ringu, doesn't it? Und in der Tat ähnelt der neue Miike auf der bloßen Plot-Ebene dem japanischen Schlüssel-Horrorfilm von 1998 über weite Strecken frappant, wenn nicht gar fatal. Dafür unterscheidet man sich aber auf ästhetischer Ebene doch beträchtlich von Hideo Nakatas Film: Hier werden alle Register des technischen Könnens gezogen, um eine gruselige Atmosphäre zu erzielen. Seien es die oft zum Einsatz kommenden Farbfilter, ein ausgefeiltes Sounddesign oder eine zum Teil atemberaubende Kameraarbeit: Für ein paar somatische Schocks, die sich gewaschen haben, reicht das allemal. Auffällig ist auch, mit welcher rein inhaltlichen Reduktion Miike, dessen Name sonst gerne synonym für ein Kino der Transgression verwendet wird, seine Bilder entstehen lässt. Statt fröhlicher Eskapaden mit organischem Material setzt er in One Missed Call eher auf pointierten Einsatz von Grausamkeiten und sucht sein Heil diesmal eher in einer latent gothisch-makabren Atmosphäre und Ästhetik.

Leider aber hat Miike seinen Film vor allem im letzten Drittel nicht mehr so recht im Griff. Wenngleich auf schwindelerregende Trips ins und durchs Körperinnere diesmal verzichtet wird, bricht sein Film doch noch immer, beinahe schon: wie nicht anders gewohnt, aus und verliert sich im Porösen. Will meinen: Zum Ende hin wirds bisweilen etwas beliebig und dramaturgisch eigentlich schon ungelenk. Das mag zwar gegen den Strich gängiger Inszenierungsmodi gebürstet sein, ist aber im Ergebnis dann doch mitunter nur schlicht langweilig, hat man sich erstmal ausgegruselt. Kurzum: Für das offenbar recht ambitioniert gemeinte Ende - auch und gerade in Hinsicht auf das filmische Vorbild -, ist der Film an sich schlicht nicht ambitioniert genug und bleibt, von einigen Spitzen mit Gänsehautgarantie mal abgesehen, eher durchschnittlich in der Welle jüngster Japan-Grusler. Eigentlich schade.

Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Internationalen Forum des jungen Films.

>> One Missed Call (Chakushin ari; Japan 2003)
>> Regie: Takashi Miike
>> Darsteller: Kazue Fukiishi, Kou Shibasaki, Shinichi Tsutsumi

imdb | katalog (pdf)
alle Berlinale-Kritiken


° ° °




Samstag, 14. Februar 2004
... die Bären sind vergeben. Und was sich bereits in den begeisterten Kritiken in den Feuilletons oder im Web und auf der letzten Seite des täglichen Berlinale-Screens (wo namhafte, internationale Kritiker die bisherigen Wettbewerbsfilme mit Sternen bewerten) abzeichnete, ist eingetroffen: Mit Fatih Akins Gegen die Wand geht der diesjährige Goldene Bär der Jury an einen deutschen Film. Die Screen spricht bereits von einem Kickstart für denauf den Hofer Filmetagen im letzten Herbst gegründeten Filmverleih timebandits, dersich nach der Insolvenz der Ottfilm kurzentschlossen des Films annahm. Der Film kommt am 22.04. regulär ins Kino.

Der große Preis der Jury geht an Daniel Burmans Lost Embrace. Kim Ki-Duks Regieleistung des eher kontrovers diskutierten Samaria (Besprechung)wird mit einem Silbernen Bären bedacht. Nicht einigen konnte sich die Jury auf den Silbernen Bären für die beste Schauspielerinnenleistung: Ex aequo geht der Preis deshalb an Catalina Sandino Moreno (Maria voll der Gnade) und Charlize Theron (Monster, Besprechung). Als bester Schauspieler wurde Daniel Hendler für seine Performance in Maria voll der Gnade ausgezeichnet. Einen Silbernen Bären für eine besonders herausragende künstlerische Leistung geht an das Schauspieler-Ensemble von Björn Runges Om Jag Vänder Mig Om. Die beste Filmmusik des diesjährigen Wettbewerbs geschrieben zu haben darf sich Banda Osiris rühmen, der den Soundtrack zu Primo Amore komponierte.

Weitere Auszeichnungen, auch anderer Juries, sind hier auf der Website der Berlinale einzusehen.

Insgesamt neigt sich eine (wenn auch nicht rundum) gelungene Berlinale ihrem Ende zu. Nach einem schleppenden Start, der von kaum zu beeindrucken wissenden Wettbewerbsbeiträgen und Absagen großer Stars gezeichnet war, entwickelte das Festival nach ein paar Tagen Anlaufschwierigkeiten doch noch Charakter und Kontur. Gerade die Absenz allzu großer Namen auf dem Roten Teppich und in den Pressekonferenzen (okayokay, da waren auch Nicholson und Keaton, also gut) lenkte die Aufmerksamkeit doch wieder vermehrt auf die Filme selbst. Und die sind, wie der vielgescholtene Moritz de Hadeln, unter dem auch nicht alles schlechter war, einmal zum Besten gab, noch immer die eigentlichen Stars eines Festivals.

Der etwas mau, bzw. allzu bemüht ernsthaft geratene Wettbewerb drückte einen schon bald in die Nebensektionen. Wie zu erwarten, entpuppte sich unter diesen vor allem die mit viel Sorgfalt und Liebe durchgeführte Retrospektive zu einem wahren Schmankerl für den Filmenthusiasten. 60 Filme des New Hollywood waren dort zu sehen, 15 davon sogar mit teils extra für die Berlinale neugezogenen Kopien. Der stiefmütterlich im Dachstuhl angesiedelte Saal 8 des Cinemaxx gerierte sich dergestalt für ein paar Tage zu einer aufregenden Zeitmaschine, in der nicht nur liebgewonnene Klassiker einmal auf der (dennoch noch immer recht) großen Leinwand gesichtet werden konnten, sondern die auch einige empfindliche Lücken zu schließen wusste. Für ein paar Momente lang wurde hier Filmgeschichte plötzlich wieder vollkommen gegenwärtig und das nicht nur, weil zahlreiche Filmvorführungen noch zusätzlich mit der Anwesenheit der Filmemacher geziert wurde. Sogar Terrence Malick huschte für zwei Vorführungen verschüchtert vor das Publikum, Monte Hellman stellte sich bereitwillig den Fragen des Publikums, Peter Fonda entpuppte sich, wie nicht anders zu erwarten, als Entertainer, der sich und seinen Film The Hired Hand auch 30 Jahre später noch gut verkaufen kann. Kein Zweifel: Die aufregendsten Momente konnte man in diesem Jahr in dem versteckten Kino oberhalb der ganz großen Säle erleben und so nimmt es nicht viel Wunder, dass die obligatorisch zwischen zwei Filmterminen oder aber bei einem zufälligen Meet-In vor dem Pommes-Stand gestellte und meist mit einem "Weiß noch nicht so recht" beantwortete Frage nach dem persönlichen Highlight in der Regel nur von eifrigen Retro-Besuchern eindeutig beantwortet werden konnte.

Doch noch ist die Berlinale nicht zu Ende. Neben der Preisverleihung heute Abend, finden noch bis in die Nacht Vorführungen am Potsdamer Platz und in den über die Stadt verstreuten "Satellitenkinos" statt. Morgen gibt es dann wieder den Publikumstag, der im letzten Jahr erstmal eingeführt wurde: Alle Reihen präsentieren hier nochmals zu verbilligten Preisen ihre Highlights. Auch im Filmtagebuch wird es noch einige nachgereichte Short Cuts und Kritiken geben. Und dann beginnt ab Montag auch schon im Kino Arsenal die Wiederholung von ausgesuchten Titeln aus dem Internationalen Forum, während der Filmkunsthaus Babylon im März unter anderem auch einige Hongkong-Titel der Berlinale im Rahmen des zweiwöchigen Hongkong Film Panoramas wiederholen wird (genauere Infos bald hier oder unter cineasia.de).

Auf Wiedersehen dann im nächsten Jahr im Februar. Am gleichen Ort, aber wohl nicht zur gleichen Zeit: Unter Umständen wird die Berlinale eine Woche später stattfinden, um sich im Vorfeld der vorgezogenen Oscarverleihungen etwas vorteilhafter zu positionieren. Mit angenehmeren Wetterbedingungen ist aber auch dann wohl nicht zu rechnen, was für eine verpasste Gelegenheit!


° ° °




The Machinist will ein kluger Film sein, ein kluger Paranoia-Film, um genau zu sein. Zur Paranoia gehört der Weltverlust, der als Weltgewinn wahrgenommen wird: Was das Umfeld mit dem Kopf schütteln lässt, ist einzig einer als solche wahrgenommenen geschärften Deutung der Welt und ihrer Vorgänge zu verdanken. Klug ist ein solcher Film dann, wenn er dem Zuschauer allerlei mehr oder weniger offensichtliche Anspielungen präsentiert, wie die Welt in der Logik des Films wohl wirklich beschaffen sein könnte, ihn also die Perspektive des Paranoiden teilen lässt, ihn aber auch nicht förmlich mit der Nase auf die Lösung stößt. Weniger klug ist ein solcher Film, wenn er viel Aufwand betreibt, auch, was sich am Ende herausstellen wird, viele Anspielungen in den Raum stellt, davon aber keine verbindlich genug kontextualisiert, dass der Zuschauer noch eine Chance hätte, selber hinter irgendein Geheimnis zu kommen. Deswegen bleibt The Machinist am Ende dann schal, weil er Hokuspokus betreibt und sich selbst am Ende einfach nur serviert. Das ist unelegant und eitel.

Dabei gäbe die Erzählung sicher einiges mehr her: Es geht um Trevor Reznick (Christian Bale, der sich hier, in bester Method-Acting-Tradition beeindruckend ausgezehrt hat), der, ein ausgehungerter Schatten seiner Selbst, in einer düsteren Fabrik schmierige Maschinen bedient. Er leidet nicht nur an Gewichtsverlust, sondern auch an Schlaflosigkeit: Ein Jahr will er nicht mehr geschlafen haben - ein körperliches, seelisches Wrack. In der Freizeit besucht er eine Prostituierte, nachts besucht er das Café im Flughafen, wo er sich in die Bedienung, nun, vielleicht nicht verliebt, aber doch Interesse an ihr findet. Nach einem Arbeitsunfall unter seiner Mitwirkung, der seinem Kollegen (Michael Ironside) den Unterarm kostet, scheint sich die Welt zu verschieben: Ein speckiger Kollege, den außer Trevor keiner zu kennen scheint, taucht auf (und erinnert, im ersten Moment, an Lawrence Fishburne in Matrix) und gibt allerlei kryptische Anweisungen und Hinweise. Seltsame Notizen an seinem Kühlschrank deuten auf Einbrecher mit zweifelhaftem Ansinnen hin. Seltsame Notizen an seinem Kühlschrank deuten auf Einbrecher mit zweifelhaftem Ansinnen hin. Ein in letzter Sekunde verhinderter Arbeitsunfall, der wiederum ihm beinahe den Arm gekostet hätte, lässt jedes Vertrauen in seine Umwelt schwinden: In seiner manischen Suche nach der Wahrheit, wer gegen ihn intrigiert und warum, richtet sich Trevor zunehmend selbst (oder was davon übrig ist) zugrunde.

The Machinist will viel, vor allem auf ästhetischer Ebene. Der ganze Film ist mit einem grün-modrigem Filter bearbeitet worden, natürliche Farben wurden fast zur Gänze ausgebleicht. Auch die Kameraarbeit verfremdet und subjektiviert das Geschehen adäquat mit Sprüngen ins Detail, wo es nötig wird, und ungewöhnlichen Perspektiven. Sieht zwar alles nach B-Video-Ästhetik aus, aber auch das hat ohne Zweifel seinen Reiz. Ein zweiter Donnie Darko aber, der man wohl irgendwie, unter Beimengung von Elementen jüngster Paranoia-Schlüsselfilme wie Pi oder Fight Club, sein möchte, ist man hingegen nicht geworden. Dafür gibt man sich, ist des Rätsels Lösung erstmal auf dem Tisch, iim Kern, jenseits des äußerlichen Budenzaubers, dann doch als zu hausbacken und zu gewöhnlich zu erkennen. Eigentlich ist das alles Literatur des 19. Jahrhunderts, Stichwort Edgar Allan Poe, nur mit anderen Mitteln umgesetzt. Den Dostojewski lässt man dann ja auch mal überdeutlich ins Bild ragen, Trevor liest Der Idiot. Eine reichlich idiotische Anspielung, denkt man sich im übrigen nach dem Film, eine ganz bezeichnende für sein Vorgehen sowieso.

Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Panorama.

>> The Machinist (Spanien 2004)
>> Regie: Brad Anderson
>> Drehbuch: Scott Kassar
>> Darsteller: Christian Bale, Jennifer Jason Leigh, Aitana Sánchez-Gijón, u.a.

imdb
alle Berlinale-Kritiken


° ° °




Samstag, 14. Februar 2004
Retrospektive: American Graffitti (USA 1972/73, George Lucas)
Zum ersten Mal als Teenager auf Video oder im Fernsehen gesehen und geliebt. Grund genug für eine erneute Sichtung, diesmal im Kino, zumal sonst parallel nichts lief, das mich weiter interessiert hätte. Manchmal ist es jedoch besser die schönen Erinnerungen auf sich beruhen zu lassen. Von allen Filmen der Retrospektive die ich bislang sah, ist American Graffitti der konvensionellste und, um ehrlich zu sein, der langweiligste. Am interessantesten vielleicht noch die Geschichte um den Radio-DJ Wolfman Jack, dessen Stimme als verbindendes Element des ständig präsenten Soundtracks fungiert. Überhaupt trägt die Musik den Film und dessen Figuren wie Halluzinationen durch einen Traum, einen Zuckersüßen im übrigen, der für keinen seiner Protagonisten ein böses Erwachen bereithält.

Retrospektive: The King of Marvin Gardens (USA 1972, Bob Rafelson)
Bob Rafelson autobiographisch gefärbter Film über zwei ungleiche Brüder und den großem Traum von Reichtum und einem Leben außerhalb der öden Alltagsrealitäten. Der Film ist ungeheuer dicht inszeniert, nimmt sich aber zusehends die Luft zum Atmen. Am Ende will man schnell raus, um kurze Zeit später dann doch feststellen zu müssen, dass die Gedanken noch immer den Figuren nachhängen. Grund dafür sind die durchweg tollen schauspielerischen Leistungen, allen voran Bruce Dern als Energiebündel und der gegen den Strich besetzte Jack Nicholson als sein introvertierter Bruder. Wirklich Spaß, wie im Beiblatt behauptet, macht „Marvin Gardens“ jedoch nicht.

Panorama: Quattro Noza (USA 2003, Joey Curtis)
Ein Film über Minorities in L.A., die sich mit aufgemotzten Kleinwägen Rennen liefern. Natürlich eingebettet eine Dreiecksgeschichte: der harte Chato, Sohn von Immigranten aus Guatemala, seine Sandkastenliebe Noza und der weiße Quattro, aus der Wüste, versteht sich. Nicht, das die Geschichte nicht dämlich wäre, die Dialoge grauenhaft gestelzt geschrieben und entsprechend unbedarft nachgeplappert würden, das größte Verbrechen des Films ist sein nicht vorhandenes ästhetisches Konzept. Die fraglos preiswerte Produktion hat es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, die DV-Bilder zu verfremden um die Production Value nach oben zu treiben. Nur so ist der ständige Einsatz von Shutter-Effekten, das permanent in die Breite verzerrte Bild, die hohe Schnittfolge und die entfesselte Handkamera zu erklären. Ein unerträglicher Film.


° ° °




Donnerstag, 12. Februar 2004
Gerade mal 10 Minuten ausgehalten habe ich The Adventures Of Iron Pussy (Forum; Apichatpong Weerasethakul/Michael Shaowanasai, Thailand 2003). Mit knalligen Farben zitiert man gleich zu Beginn sattsam bekannten 70er Action-Trash, würzt das ganze etwas mit Crossgender-Travestie und Bollywood scheint man auch zu kennen (in besagter Zeit zwei Musiksequenzen). Wirkte auf mich, ehrlich gesagt, wie fußlahmer queerer Akademiker-Trash, dem ich eigentlich noch nie wirklich viel abgewinnen konnte. Ob der Film wirklich schlecht oder sehr egal ist, kann ich natürlich nicht sagen, aber die Frage, ob ich mir dieses lustvolle Treiben volle 90 Minuten lang ansehe oder nicht doch meine Sinne etwas für mir wichtigere Filme schone, konnte ich sehr schnell sehr eindeutig beantworten. Und viel verpasst habe ich wohl, laut Ekkehard Knörer offensichtlich auch nicht. imdb

Zwar komplett gesehen, aber mir auch eher egal war Baytong (Forum; Nonzee Nimibutr, Thailand 2003). Ein in irdischen Belangen gänzlicher unbeleckter, buddhistischer Mönch kehrt nach einem muslimischen Terroranschlag, in dem Verwandte ums Leben kamen, zu den Überlebenden seiner Familie in die Stadt zurück und lernt viel über das moderne Leben und die (unschuldige, kindliche) Liebe zu einem anderen Menschen, wie auch umgekehrt die modernen Menschen von ihm lernen können. Das schlägt in Thailand, das wohl scharf in buddhistisch und islamische Regionen unterteilt ist, natürlich besondere Saiten im nationalen Konzert an, rief bei mir aber nicht viel mehr als ein wohlwollendes "nett" hervor. Der Mönch war immerhin sehr gut gespielt.

Zwei Filme von Monte Hellman sind in der Retrospektive zu sehen gewesen: Two-Lane Blacktop (USA 1971) ist ein lakonisches Roadmovie, in dem Bewegung zum Selbstzweck gerät, der Ausgang eines eigentlich die Narration im späteren Verlauf bestimmenden Wettrennens durch die USA schließlich so egal wird, dass man den Film einfach, wortwörtlich, noch vor einem ordentlichen Beschluß sich auflösen lässt. Mit Rock'n'Roll und ähnlichen Popmythen hat das alles nur noch sehr wenig zu tun, bestenfalls ein leises Echo klingt da noch nach. Interessant dann auch die Figur des trampenden Mädchens, denn das Mädchen bekommt ja immer der Gute in alten Filmen. Dass sich das in diesem Film schließlich, nachdem sie mehrmals den Beifahrersitz gewechselt hat, mit irgendwem durchbrennt, der von der Erzählung weder etabliert wurde, noch sonst irgendwie von Interesse ist, ist schon sehr genial. Alles in allem: Groß! imdb
Der zweite Film dann war The Shooting (USA 1967), ein seltsamer Anti-Western, dessen Dialog ich leider über weite Strecken nicht so recht folgen konnte, was den Film im Gesamten nur noch befremdlicher machte als er ohnehin schon ist. Bisweilen schlägt er - etwa wenn in der weiten Wüste einem auf den Boden liegenden Mann begegnet wird - ins Mythologische um, dann wieder ist er knallhart realistisch. Kurz bevor der Film langweilig wird, schließt er schließlich dermaßen atemberaubend und verstörend, dass man ihn eigentlich gleich nochmal sehen möchte (dann aber nur mit Untertitel). imdb

The Hired Hand (Retrospektive; USA 1971) von Peter Fonda ist ein sich zum Genre ebenfalls sehr renitent verhaltender Western, den man wohl unter Drogeneinfluss sichten sollte. Interessant ist seine Struktur: Die an sich eh schon sehr minimalistische Erzählung wird in Etappen zergliedert, in denen es immer ein kleines Stückchen vorwärts geht, die Übergänge schließlich sind psychedelisch flirrende Montage- und Überblendungscollagen mit melancholischer Gitarrenmusik - deswegen auch Drogeneinfluss. Das ist so kitschig wie effizient und macht erst den eigentlichen Reiz aus: Die Handlungsetappen selbst fallen dann bisweilen etwas trocken und auch schlicht reizarm aus, erst die schummrig entrückten Kapitelüberschriften lassen eine entspannte Atmosphäre entstehen, die auch der Narration so etwas wie mythischen Charakter verleiht. Alles in allem: Irgendwie schon recht interessant. imdb


° ° °




Zu beachten gilt bei der heutigen Lektüre der Berichterstattung von der gestrigen Pressekonferenz zu Karmakars Wettbewerbsbeitrag Die Nacht singt ihre Lieder, dass Karmakar sehr viel Wahres von sich gegeben hat, gerade und besonders auch über den beklagenswerten Umgang einiger Journalisten im Filmbereich mit ihrem Sujet. Dies ist wichtig, weil kaum einer von denen, die heute in der Presse besonders blaffen, wohl ein Interesse daran hat, Karmakars Argumentationen und, ja, auch Auslassungen (aber eben: berechtigte welche) entsprechend nachvollziehbar wiederzugeben. Wie da heute dekontextualisiert wurde, das ist schon eine wahre Pracht.

Gesteigerte Relevanz kommt deshalb dem Originalfootage zu, das, gottlob, seit diesem Jahr auch übers Internet streambar ist.

Pressekonferenzen 11.02.


° ° °




Der Horrorfilm bedient ein Kino des Verlässlichkeitsverlusts. Raum und Zeit kündigen sich gegenseitig ihre Synchronität auf, Geister aus der Vergangenheit lugen hinter Türen in das gegenwärtige Gefüge hervor. So gesehen ist Brian de Palmas im Jahr 1973 entstandener Sisters durch und durch konsequent, wie er Realitäten entwickelt, Übersichten - beispielsweise durch die typischen Splitscreens - gewährt, dann aber doch jede Gewissheit über Bord wirft und ein Szenario entwickelt, in dem souveräne Positionen nicht mehr möglich scheinen. Für den Betroffenen im Film, wie auch im Hier und Jetzt, das bei de Palma immer nur eine wackelige Kategorie darstellt, für den Zuschauer im Kinosaal.

Eigentlich aber ist das Trashkino, noch nicht mal Exploitation im engeren Sinne. Und man darf gut und gerne über einiges lachen, ohne dem Film Gewalt anzutun. Wie dann aber de Palma die investigativen Versuche einer New Yorker Kolumnenjournalistin mit politischem Bewusstsein, entgegen der Apathie der Behörden und ihrer Vertreter einen Mord aufzuklären - also Realitäten ans Tageslicht zu befördern, zu schaffen -, torpediert und ins Gegenteil verkehrt - ein Trip ins Innere wie ins Unbekannte -, das ist dann schon großartig, lässt man sich von hölzern agierenden Mimen und einer bisweilen ungelenken Dramaturgie-Gymnastik nicht abschrecken. Das beginnt schon bei der Perspektive auf den Film und seiner Personen: Fixpunkte gibt es nicht, die Narration scheint von vielen Hauptpersonen auszugehen, an die sich gekettet wird, nur um sie, wenn sie ihren Part erfüllt haben, zugunsten der nächsten abzustoßen. Das ist, gewissermaßen, von Hitchcocks Psycho übernommen. Dann natürlich der Einsatz optischer Mittel: Wenn die Journalistin ein Irrenhaus betritt, in dem sie das konspirierende Mörderpärchen wähnt, verzerrt die Bildebene das Geschehen bald schon bis ins Undechiffrierbare: Erinnerungsfragmente, hypnotische Visionen, die rein ästhetisch an die ersten Tage des Kinos erinnern und bestimmt auch nicht zufällig Bunuels Un Chien Andalou zu zitieren scheinen, und nicht zu letzt grotesk verzerrte Gegenwartskeitpartikel erschaffen ein morbides Patchwork des Weltverlusts, unterlegt mit grell übersteuerter Musik.

Das Erfassen der Realität ist natürlich ein bestimmendes Thema in De Palmas Filmografie. Optische und audiovisuelle Hilfsmittel spielen bei ihm deshalb immer auch eine große Rolle in der Narration. In Sisters hat sich De Palma noch nicht ganz zu dieser technischen Ebene vorgearbeitet, auch wenn sie sich gelegentlich schon anzudeuten scheint. Die Modulationen der grundlegenden Wahrnehmung selbst sind es, die ihn hier noch primär zu interessieren scheinen: Augen, Ohren, organisches Material. Vielleicht fühlt sich der Film ja auch deshalb ähnlich an wie die frühen, zeitgleich entstandenen Arbeiten von David Cronenberg? Schon der Vorspann jedenfalls zeigt verstörende Detailaufnahmen eines Fötus im Uterus, dessen Gesichtspartie uns schnell frontal und leinwandfüllend gegenüber steht, die Augen ganz zentral. In diesem Zurschaustellen organischer Oberfläche liegt eine ganz beunruhigende Kraft: Was mag im Innern des Zellmaterials vorgehen? Was werden diese Augen eines Tages sehen können? Einen Moment später führt der Film uns selbst vor: Zwei Föten sind da auf einmal zu sehen, nicht bloß einer. Auch wir können unseren Augen nicht immer trauen.

De Palmas Filme enden selten mit Happy End. Meist finden seine Filme einen Beschluß, in dem der Regisseur seine Technik nochmals ausformuliert. Und hier findet sich dann doch schon ein optisches Gimmick und ein entsprechender Gag: Eine Couch, in der sich eine Leiche befindet (Rope? The Trouble with Harry?), mitten in der Wüste an einem gottverlassenen Bahnsteig, daneben eine Kuh, beides gefilmt aus der Gottesperspektive. Die Kamera geht zurück, gibt einen Telegrafiemast zu erkennen, an dem ein reichlich tumber Privatdetektiv incognito hängt, in der Hand ein Fernglas: Er observiert die Couch, den MacGuffin des Films. Eine groteske Situation und man meint De Palma sich köstlich über jenen Typ Menschen amüsieren zu hören, der sich, selbst noch in der bemühten Kompensation seiner Wahrnehmungsinsuffizienzien, nur in die Groteske manövrieren kann. Wir lachen mit, über diese Pointe, befreit auch nach diesem psychedelischen Horror-Thriller-irgendwas. Etwas Unsicherheit bleibt dennoch. Haben wir über uns gelacht?

Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin in der Retrospektive.

>> Die Schwestern des Bösen (Sisters, USA 1973)
>> Regie: Brian de Palma
>> Drehbuch: Brian de Palma, Louisa Rose
>> Darsteller: Margot Kidder, Jennifer Salt, Charles Durning, u.a.

imdb | mrqe | De Palma on Sisters
alle Berlinale-Kritiken


° ° °




lol