Thema: Berlinale 2004
19. Januar 04 | Autor: immo | 0 Kommentare | Kommentieren
Seit heute steht die Jury des Wettbewerbs der Berlinale fest. Als Präsidentin konnte die us-amerikanische Schauspielerin Frances McDormand (u.a. Fargo) verpflichtet werden. Um die Gunst folgender Juroren wird zudem gebuhlt:
Maji-da Abdi (Äthiopien, Regisseurin und Produzentin)
Valeria Bruni Tedeschi (Italien, Schauspielerin und Regisseurin)
Samira Makhmalbaf (Iran, Regisseurin)
Peter Rommel (Deutschland, Produzent)
Gabriele Salvatores (Italien, Regisseur)
Dan Talbot (USA, unabhängiger Filmverleiher und Besitzer des New Yorker Filmkunsttheaters Lincoln Plaza Cinema)
Die Jury wird am 14. Februar die verschiedenen Auszeichnungen des Wettbewerbs verleihen.
Die Jury wird am 14. Februar die verschiedenen Auszeichnungen des Wettbewerbs verleihen.
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Thema: Berlinale 2004
19. Januar 04 | Autor: thomas.reuthebuch | 0 Kommentare | Kommentieren
Ein kleines Dorf, irgendwo auf der anderen Seite der chinesischen Mauer, dort wo alte Legenden und Traditionen bis heute lebendig geblieben sind. Man hängt etwa dem merkwürdigen Glauben an, dass sich unverheiratete Tote einsam fühlen. Regisseur William Kwok Wai Lun, der mit Wing Wang auch das Drehbuch schrieb und seine Ausbildung in Hong Kong und New York genoß, wurde durch einen Zeitungsartikel auf diesen Brauch aufmerksam. In einem weit abgelegenen Landstrich des riesigen Landes kam man einer Gaunerbande auf die Spur die frische Gräber aufgebrochen hatten. Die entwendeten Leichen der toten Frauen wurden umgehend feilgeboten um in magischen Heiratsritualen an den bereits verstorbenen Singlegatten verkuppelt zu werden. In "Darkness Bride" verbindet Kwok Wai Lun diese skurrile Geschichte mit einer fest verankerten chinesischen Tradition: der Würde der Jungfräulichkeit.
Es geht also um die Zwiespältigkeit von Moralbegriffen und deren Verfall, die beinahe exemplarisch anmutend in der Dreiecksbeziehung zwischen dem verschlossenen Sissy, dessen bescheuerter Name wohl auch im chinesischen ähnlich dämlich klingt, seiner kindlichen Verlobten Qing Hua und dem Waisenknaben Chun Sheng. Qing Hua träumt von einer rot gekleideten Frau, von Menschen umringt, Chun Sheng wird etwa zur selben Zeit dazu angestiftet das "Grab der Jungfrau" zu plündern, jener Ort, an dem der Legende nach eine Frau auf der Flucht vor Räubern von einem Felsen sprang um ihre Jungfräulichkeit zu retten. Bereits in der Hochzeitsnacht sitzt Chung Sen mit am Tisch, heimlich versteht sich, und stößt mit Qing Hua und ner Pulle Hochprozentigem aufs Leben an. Wenig später ist Sissy spurlos verschwunden. Nachdem er kurzerhand von den Dorfältesten für Tod erklärt wird, soll ihm Qing Hua ins Jenseits folgen. Die eigene Mutter mischt ihr den Giftcocktail. Für das unerkannte Liebespaar ist die Zeit reif um aus dem Nest zu fliehen und das Glück in der großen Stadt zu suchen.
Der Film besteht aus zwei etwa gleich großen Teilen. Die erste Hälfte spielt im Dorf, in den selbst für chinesische Verhältnisse ärmlichen Lehmhöhlen, die in die hügelige Landschaft getrieben wurden - in einem mittelalterlich anmutendem Sozialverbund, inmitten einer kargen Landschaft, der Kameramann Wong Ping Hung immer wieder Bilder von bemerkenswerter Schönheit abringen kann. Die Erzählung braucht sehr viel Zeit um zu sich zu kommen, ist zunächst damit beschäftigt das Setting zu beschreiben, uns die Lebensumstände und die befremdlichen Rituale der Menschen näherzubringen. Die Einstellungsgrößen lassen uns kaum Luft, der abgeschrittene Raum, auch wenn wir häufig den Handlungsort wechseln, bleibt überschaubar. Dann jedoch, immer wiederkehrend, über den ganzen Film verteilt, löst sich der Blick. Wir gewinnen Distanz zu den Figuren, zu ihrer Welt und begreifen dadurch erst ihre Umstände. Mal ist es eine Kranfahrt, mal ein Dollyshot, immer jedoch sind es freischwebende, gleitende Kamerafahrten, die einen krassen Kontrast abgeben, zu dem was der Film dazwischen an Sozialstudie betreibt.
Im zweiten Teil dann die Stadt. Sissy wird zunächst gezeigt, der sich mit der Animierdame Yan Yan angefreundet hat, ihr die Kunden zutreibt und dabei von einer Gaunerbande instrumentalisiert wird, die den Freiern das Geld abpresst. Er trinkt zum ersten Mal Cola, findet gefallen an Kentucky Fried Chicken. In einer erbärmlichen Unterkunft trifft er schließlich auf Qing Hua und Chung Sheng, die in die Stadt gekommen sind um ihn zu suchen. Wie zu erwarten reagiert Quing Hua eifersüchtig auf Yan Yan, die den beiden Männern bald den Kopf verdreht hat.
Auch in der Stadt verfolgt Kwok Wai Lun das gleiche Prinzip. Wir sehen immer nur Ausschnitte, eine desolate Wartehalle, der winzige Fiseursalon, in dem Yan Yan unterschlüpft, die Gießerei, in der Chung Seng Arbeit findet. Der allgegenwärtige Verfall wird zum ästhetischen Prinzip erhoben. Hier beschränken sich die beschriebenen Fahrten auf Hinterhöfe oder Fußgängertunnel. Die einzige Totale zeigt ein Kraftwerk, vor dessen Hintergrund Betonpfeiler aus der Erde ragen. Nicht nur hier, auch bereits vorher, wenn ein verdörrter Baum das Bild dominiert, kommt einem Tarkowskij in den Sinn - die Stadt erinnert an die verbotene Zone aus "Stalker" - oder vielleicht sogar Lars von Trier, was die tableauartigen, durch die Kadrierung wie gerahmt wirkenden Bilder anbelangt. "Darkness Bride" ist aber zuallererst unabhängiges chinesisches Kino, wie man es ähnlich auch schon in den Jahren zuvor im Forum beobachten konnte. In der letzten Einstellung etwa sitzt Sissy in der Polizeistation. Kurz zuvor erst hat er Bekanntschaft gemacht mit der alltäglichen staatlichen Willkür, die Kleinkriminelle oder einfach nur Pechvögel auf Lieferwägen verlädt und vom plärrenden Megaphon begleitet durch die Stadt karrt. Als er da so sitzt, auf der Bank, entfernt sich die Kamera von ihm und zeigt uns zum ersten und einzigen Mal die Stadt im zusammenhängenden Kontext. Vor unseren Augen verschwindet die Häuserzeile hinter einer Wegbiegung, auf den unbefestigten Straßen verstreut liegt verlorengegangenes Transportgut - saftig rote Tomaten, die in ihrer Farbe an das Mädchen aus Qing Huas Träumen erinnert. Der Film kommt schließlich mit diesem Bild zu seinem ursprünglichen Anliegen zurück und es ist beinahe als stünde er sich mit diesem bemüht wirkenden thematischen Überbau selbst im Weg.
Darkness Bride (You Gow, Hong Kong/Taiwan 2003)
Regie: William Kwok Wai Lun; Buch: William Kwok Wai Lun, Wing Wang; Kamera: Wong Ping Hung
Darsteller: Fang Jing (Qing Hua), Tang Lu (Yan Yan), Wu Jian (Chun Sheng), Gao Fei (Sissy)
Länge: 104 Minuten
Es geht also um die Zwiespältigkeit von Moralbegriffen und deren Verfall, die beinahe exemplarisch anmutend in der Dreiecksbeziehung zwischen dem verschlossenen Sissy, dessen bescheuerter Name wohl auch im chinesischen ähnlich dämlich klingt, seiner kindlichen Verlobten Qing Hua und dem Waisenknaben Chun Sheng. Qing Hua träumt von einer rot gekleideten Frau, von Menschen umringt, Chun Sheng wird etwa zur selben Zeit dazu angestiftet das "Grab der Jungfrau" zu plündern, jener Ort, an dem der Legende nach eine Frau auf der Flucht vor Räubern von einem Felsen sprang um ihre Jungfräulichkeit zu retten. Bereits in der Hochzeitsnacht sitzt Chung Sen mit am Tisch, heimlich versteht sich, und stößt mit Qing Hua und ner Pulle Hochprozentigem aufs Leben an. Wenig später ist Sissy spurlos verschwunden. Nachdem er kurzerhand von den Dorfältesten für Tod erklärt wird, soll ihm Qing Hua ins Jenseits folgen. Die eigene Mutter mischt ihr den Giftcocktail. Für das unerkannte Liebespaar ist die Zeit reif um aus dem Nest zu fliehen und das Glück in der großen Stadt zu suchen.
Der Film besteht aus zwei etwa gleich großen Teilen. Die erste Hälfte spielt im Dorf, in den selbst für chinesische Verhältnisse ärmlichen Lehmhöhlen, die in die hügelige Landschaft getrieben wurden - in einem mittelalterlich anmutendem Sozialverbund, inmitten einer kargen Landschaft, der Kameramann Wong Ping Hung immer wieder Bilder von bemerkenswerter Schönheit abringen kann. Die Erzählung braucht sehr viel Zeit um zu sich zu kommen, ist zunächst damit beschäftigt das Setting zu beschreiben, uns die Lebensumstände und die befremdlichen Rituale der Menschen näherzubringen. Die Einstellungsgrößen lassen uns kaum Luft, der abgeschrittene Raum, auch wenn wir häufig den Handlungsort wechseln, bleibt überschaubar. Dann jedoch, immer wiederkehrend, über den ganzen Film verteilt, löst sich der Blick. Wir gewinnen Distanz zu den Figuren, zu ihrer Welt und begreifen dadurch erst ihre Umstände. Mal ist es eine Kranfahrt, mal ein Dollyshot, immer jedoch sind es freischwebende, gleitende Kamerafahrten, die einen krassen Kontrast abgeben, zu dem was der Film dazwischen an Sozialstudie betreibt.
Im zweiten Teil dann die Stadt. Sissy wird zunächst gezeigt, der sich mit der Animierdame Yan Yan angefreundet hat, ihr die Kunden zutreibt und dabei von einer Gaunerbande instrumentalisiert wird, die den Freiern das Geld abpresst. Er trinkt zum ersten Mal Cola, findet gefallen an Kentucky Fried Chicken. In einer erbärmlichen Unterkunft trifft er schließlich auf Qing Hua und Chung Sheng, die in die Stadt gekommen sind um ihn zu suchen. Wie zu erwarten reagiert Quing Hua eifersüchtig auf Yan Yan, die den beiden Männern bald den Kopf verdreht hat.
Auch in der Stadt verfolgt Kwok Wai Lun das gleiche Prinzip. Wir sehen immer nur Ausschnitte, eine desolate Wartehalle, der winzige Fiseursalon, in dem Yan Yan unterschlüpft, die Gießerei, in der Chung Seng Arbeit findet. Der allgegenwärtige Verfall wird zum ästhetischen Prinzip erhoben. Hier beschränken sich die beschriebenen Fahrten auf Hinterhöfe oder Fußgängertunnel. Die einzige Totale zeigt ein Kraftwerk, vor dessen Hintergrund Betonpfeiler aus der Erde ragen. Nicht nur hier, auch bereits vorher, wenn ein verdörrter Baum das Bild dominiert, kommt einem Tarkowskij in den Sinn - die Stadt erinnert an die verbotene Zone aus "Stalker" - oder vielleicht sogar Lars von Trier, was die tableauartigen, durch die Kadrierung wie gerahmt wirkenden Bilder anbelangt. "Darkness Bride" ist aber zuallererst unabhängiges chinesisches Kino, wie man es ähnlich auch schon in den Jahren zuvor im Forum beobachten konnte. In der letzten Einstellung etwa sitzt Sissy in der Polizeistation. Kurz zuvor erst hat er Bekanntschaft gemacht mit der alltäglichen staatlichen Willkür, die Kleinkriminelle oder einfach nur Pechvögel auf Lieferwägen verlädt und vom plärrenden Megaphon begleitet durch die Stadt karrt. Als er da so sitzt, auf der Bank, entfernt sich die Kamera von ihm und zeigt uns zum ersten und einzigen Mal die Stadt im zusammenhängenden Kontext. Vor unseren Augen verschwindet die Häuserzeile hinter einer Wegbiegung, auf den unbefestigten Straßen verstreut liegt verlorengegangenes Transportgut - saftig rote Tomaten, die in ihrer Farbe an das Mädchen aus Qing Huas Träumen erinnert. Der Film kommt schließlich mit diesem Bild zu seinem ursprünglichen Anliegen zurück und es ist beinahe als stünde er sich mit diesem bemüht wirkenden thematischen Überbau selbst im Weg.
Darkness Bride (You Gow, Hong Kong/Taiwan 2003)
Regie: William Kwok Wai Lun; Buch: William Kwok Wai Lun, Wing Wang; Kamera: Wong Ping Hung
Darsteller: Fang Jing (Qing Hua), Tang Lu (Yan Yan), Wu Jian (Chun Sheng), Gao Fei (Sissy)
Länge: 104 Minuten
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Thema: Berlinale 2004
Ein Boxkampf, 3 Paare, 6 Menschen. Alle mehr oder weniger zufällig anwesend. Die ersten zwei sind Angestellte eines Restaurants, von denen der eine noch nebenher Kickboxer ausbildet. Sein Mann kommt zu spät zum natürlich fingierten Kampf, also verpflichtet er seinen Kollegen, einen Koch. Der streubt sich, er kann doch gar nicht boxen - egal. Die anderen zwei sind Geschäftsmänner, die während des Kampfes dort doch eigentlich nur essen gehen wollten und an deren Platz sich ausgerechnet der Yakuza mit seiner Bande setzt, der auch den Kampf geschmiert hat. Und dann schließlich noch zwei jugendliche Kleinkriminelle, die während des Kampfes einen Koffer mit Geld klauen wollen. Man greift natürlich zum Falschen, wie man in Sabus Filmen immer nur das Falsche machen kann: Der Koch gewinnt, blöderweise, den Kampf, der Yakuza ist sauer, schießt um sich, trifft einen der Kleinganoven, die Polizei razzt, schießt ebenfalls um sich. Alle sechs fliehen, alle in andere Richtungen, ab ins nächste Auto, ganz egal welches.
Sabus Filme sind meist Anordnungen, Installationen. Schön säuberlich findet jedes Element wie ein Dominostein seinen Platz, recht übersichtlich geht es meist auch zu. Und ist der erste Stein dann angestoßen, folgt die unvermeidliche Kettenreaktion, die Sabu genüsslich inszeniert. Die darf sich dann auch gern verzweigen, parallel verlaufen, letztendlich führt dann aber doch meist alles, mit vielen Knalleffekten zwischendrin, in einem Punkt wieder zusammen, ergibt ein großes Bild. Wenngleich Sabus Filme gewiss nicht überraschungsarm sind, so sind sie doch nie umständlich geheimnisvoll. Schnitt und Kamera heischen nicht, sind aber effektiv eingesetzt: Zeigen statt Blicke lenken. Präsentieren statt manipulieren. Verschiedene, unabhängige Ereignisse und ihre Folgen rund um den Boxkampf als Angelpunkt der Geschichte werden isoliert betrachtet, um schließlich gegen Ende, wortwörtlich, zusammenzuprallen. Wo beispielsweise De Palma eine ganz große Oper der Kameraführung inszeniert hätte - man denke etwa an Snake Eyes -, gibt sich Sabu ganz klassisch mit einer ruhigen Kamera und einem konstruktiven Schnitt zufrieden, um unübersichtliches strukturell aufzulösen. Die ritualisierte Inszenierung des Kampfes und seiner Umstände, den wir zu Beginn in der ersten Episoden sehen, dient ihm allein als Erkennungsmerkmal: Zurück zur Schnittstelle, zweimal insgesamt. Die Sprache der Mathematik wäre eine passende für Sabus Filme: Blessing Bell, letztes Jahr im Forum zu sehen, war jener Film, den man mit "Und dann... und dann... und dann..." passend nacherzählt hätte. Man könnte vielleicht auch geometrische Figuren verwenden.
Doch in Hard-Luck Hero mag dieses Konzept diesmal nicht wirklich überzeugend aufgehen. Wo in vergangenen Filmen die Struktur der Anordnung lediglich die Matrix für ein Feuerwerk absurd-witziger (Monday) oder absurd-charmanter (Blessing Bell) Ideen bildete, ist sie in Hard-Luck Hero nur noch Erkennungsmerkmal ohne weitere Referenz, das sagt: "Dies ist ein Sabu-Film." Und danach auch schon verstummt. Nachdem seine Filmografie bislang als Archiv von Fortbewegungsstudien angesehen werden darf - eine Binsenweisheit, natürlich -, scheint sich ein zweites Konzept abzuzeichnen: Sabus Filme gleichen mehr und mehr filmischen Pendants zu jener Sorte von Witz, die meist genüsslich lang und mit eindeutigen Absichten umständlich erzählt werden, um sich dann zuletzt in einer nicht vorhandenen Pointe zu erschöpfen, die in erster Linie, nach all dem Aufwand, zunächst nur für den Erzähler witzig ist. In Blessing Bell ging dieses Auflösungskonzept noch gut auf: Hier hatte Sabu die Lacher in dieser eigentlich recht unbefriedigenden Auflösung ohne weiteres auf seiner Seite. Nach Hard-Luck Hero aber, wo alles nur noch altbekanntes Schema ist und der Witz sich dann, auch in der Organisation des Zeitablaufs der Geschehnisse, nur darin erschöpft, als finales Bild einen in der Tat spektakulär inszenierten Crash zu zeigen, wundert man sich indes eher über diesen wunderlichen Erzähler. Dass es sich lediglich um einen kleinen Ausrutscher in einer ansonsten ohne Zweifel beeindruckenden Filmografie handelt, bleibt zu hoffen.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
>> Hard Luck Hero (Japan 2003)
>> Regie: Sabu
zur Berlinale-Kritikenübersicht | kritik von e.knörer
Sabus Filme sind meist Anordnungen, Installationen. Schön säuberlich findet jedes Element wie ein Dominostein seinen Platz, recht übersichtlich geht es meist auch zu. Und ist der erste Stein dann angestoßen, folgt die unvermeidliche Kettenreaktion, die Sabu genüsslich inszeniert. Die darf sich dann auch gern verzweigen, parallel verlaufen, letztendlich führt dann aber doch meist alles, mit vielen Knalleffekten zwischendrin, in einem Punkt wieder zusammen, ergibt ein großes Bild. Wenngleich Sabus Filme gewiss nicht überraschungsarm sind, so sind sie doch nie umständlich geheimnisvoll. Schnitt und Kamera heischen nicht, sind aber effektiv eingesetzt: Zeigen statt Blicke lenken. Präsentieren statt manipulieren. Verschiedene, unabhängige Ereignisse und ihre Folgen rund um den Boxkampf als Angelpunkt der Geschichte werden isoliert betrachtet, um schließlich gegen Ende, wortwörtlich, zusammenzuprallen. Wo beispielsweise De Palma eine ganz große Oper der Kameraführung inszeniert hätte - man denke etwa an Snake Eyes -, gibt sich Sabu ganz klassisch mit einer ruhigen Kamera und einem konstruktiven Schnitt zufrieden, um unübersichtliches strukturell aufzulösen. Die ritualisierte Inszenierung des Kampfes und seiner Umstände, den wir zu Beginn in der ersten Episoden sehen, dient ihm allein als Erkennungsmerkmal: Zurück zur Schnittstelle, zweimal insgesamt. Die Sprache der Mathematik wäre eine passende für Sabus Filme: Blessing Bell, letztes Jahr im Forum zu sehen, war jener Film, den man mit "Und dann... und dann... und dann..." passend nacherzählt hätte. Man könnte vielleicht auch geometrische Figuren verwenden.
Doch in Hard-Luck Hero mag dieses Konzept diesmal nicht wirklich überzeugend aufgehen. Wo in vergangenen Filmen die Struktur der Anordnung lediglich die Matrix für ein Feuerwerk absurd-witziger (Monday) oder absurd-charmanter (Blessing Bell) Ideen bildete, ist sie in Hard-Luck Hero nur noch Erkennungsmerkmal ohne weitere Referenz, das sagt: "Dies ist ein Sabu-Film." Und danach auch schon verstummt. Nachdem seine Filmografie bislang als Archiv von Fortbewegungsstudien angesehen werden darf - eine Binsenweisheit, natürlich -, scheint sich ein zweites Konzept abzuzeichnen: Sabus Filme gleichen mehr und mehr filmischen Pendants zu jener Sorte von Witz, die meist genüsslich lang und mit eindeutigen Absichten umständlich erzählt werden, um sich dann zuletzt in einer nicht vorhandenen Pointe zu erschöpfen, die in erster Linie, nach all dem Aufwand, zunächst nur für den Erzähler witzig ist. In Blessing Bell ging dieses Auflösungskonzept noch gut auf: Hier hatte Sabu die Lacher in dieser eigentlich recht unbefriedigenden Auflösung ohne weiteres auf seiner Seite. Nach Hard-Luck Hero aber, wo alles nur noch altbekanntes Schema ist und der Witz sich dann, auch in der Organisation des Zeitablaufs der Geschehnisse, nur darin erschöpft, als finales Bild einen in der Tat spektakulär inszenierten Crash zu zeigen, wundert man sich indes eher über diesen wunderlichen Erzähler. Dass es sich lediglich um einen kleinen Ausrutscher in einer ansonsten ohne Zweifel beeindruckenden Filmografie handelt, bleibt zu hoffen.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
>> Hard Luck Hero (Japan 2003)
>> Regie: Sabu
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Thema: Berlinale 2004
Thomas Reuthebuch und Thomas Groh berichten gemeinsam von den Filmen der 54. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Im folgenden alle besprochenen Filme im direkten Überblick mit Links zu den Kritiken und als besonderen Service noch die Links zu den Besprechungen unserer Kollegen von jump-cut.de. Diese Übersicht wird im Verlauf natürlich ständig aktualisiert.
A Day on the Planet (Isao Yukisada, Japan 2003) [Panorama]
Thomas Groh A Tale of Two Sisters (Kim Jee-Woon, Südkorea 2003) [Forum]
Thomas Reuthebuch | Thomas Groh | Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Akame 48 Waterfalls (Genjirou Arato, Japan 2003) [Panorama]
Thomas Reuthebuch | Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Badlands (Terrence Malick, USA 1973) [Retrospektive]
Thomas Groh Baytong (Nonzee Nimibutr, Thailand 2003) [Forum]
Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Before Sunset (Richard Linklater, USA 2004) [Wettbewerb]
Thomas Groh Capitalist Manifesto: Workin Men of All Countries, Accumulate! (Kim Gok/Kim Sun, Korea 2003) [Forum]
Thomas Groh Chicken is Barefoot, The (Morisaki Azuma, Japan 2003) [Forum]
Thomas Groh (Kurzkritik) Cold Mountain (Anthony Minghella, USA 2003) [Wettbewerb]
Thomas Reuthebuch | Thomas Groh | Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Country of my Skull (John Boorman, GB/Irland 2003)
Thomas Reuthebuch Darkness Bride (William Kwok Wai Lun, Hong Kong/Taiwan, 2003) [Forum]
Thomas Reuthebuch David Holzman's Diary (Jim McBride, USA 1967)
Thomas Groh | Thomas Reuthebuch Demain, on déménage (Frankreich 2003, Chantal Ackerman) [Panorama]
Thomas Reuthebuch Film as a Subversive Art (Paul Cronin, Großbritannien/USA 2003) [Forum]
Thomas Groh | Ekkehard Knörer (jump-cut.de) French Connection (William Friedkin, USA 1971) [Retrospektive]
Thomas Groh | Thomas Reuthebuch Hard Luck Hero (Sabu, Japan 2003) [Forum]
Thomas Groh | Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Last Detail, The (Hal Ashby, USA 1973/73) [Retrospektive]
Thomas Reuthebuch Lost in Time (Derek Yee, Hongkong 2003) [Panorama]
Thomas Groh Machinist, The (Brad Anderson, Spanien 2004) [Panorama]
Thomas Groh | Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Monster (Patty Jankins, USA 2003) [Wettbewerb]
Thomas Groh My Girl (div., Thailand 2003) [Forum]
Thomas Groh Nacht singt ihre Lieder, Die (Romuald Karmakar, Deutschland 2004) [Wettbewerb]
Thomas Groh Night of the living Dead (George A. Romero, USA 1968) [Retrospektive]
Thomas Groh One Missed Call (Takashi Miike, Japan 2003) [Forum]
Thomas Groh Panic in Needle Park, The (Jerry Schatzberg, USA 1970/71) [Retrospektive]
Thomas Reuthebuch Proteus (John Greyson, Jack Lewis, Südafrika 2003) [Panorama]
Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Running On Karma (Johnnie To/Wai Ka Fai, Hongkong 2003) [Forum]
Thomas Reuthebuch | Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Samaria (Kim Ki-Duk, Südkorea 2003) [Wettbewerb]
Thomas Reuthebuch Sisters (Brian de Palma, USA 1973) [Retrospektive]
Thomas Groh Something's Gotta Give (Nancy Meyers, USA 2003) [Wettbewerb]
Thomas Groh Stratosphere Girl, The (Matthias X. Oberg, Deutschland 2003) [Panorama]
Thomas Reuthebuch | Thomas Groh Sweet Sweetback´s Baadasssss Song (Melvin Van Peebles, USA 1970/71) [Retrospektive]
Thomas Reuthebuch Two-Lane Blacktop (Monte Hellman, USA 1971) [Retrospektive]
Ekkehard Knörer (jump-cut.de) Was nützt die Liebe in Gedanken? (Achim von Börries, Deutschland 2004) [Panorama]
Thomas Groh Wild Angels, The (Roger Corman, USA 1966) [Retrospektive]
Thomas Groh Wild Bunch, The (Sam Peckinpah, USA 1969) [Retrospektive]
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Thema: Berlinale 2004
17. Januar 04 | Autor: thomas.reuthebuch | 0 Kommentare | Kommentieren
Die süße 18-jährige Angela liebt Manga-Comics und sie verliert sich gerne beim Zeichnen in ihre Phantasien. Die stilistischen Mittel des Films lassen von Anfang an keinen Zweifel an der imaginierten Realität, in der sich das Mädchen lustvoll verliert. Aus dem Off klingt ihre Stimme, den Beginn eines Abenteuers kommentierend, und kurz nachdem Angela an einem lauen Abend vom japanischen DJ-Touristen Yamamoto nach Tokyo eingeladen wird um ihn zu besuchen, sitzt sie auch schon im Flugzeug. Über die Leinwand läuft die Projektion eines Pferderennens, ein feister Japaner lacht dreckig als die Tiere reihenweise an den Hindernissen scheitern und Angela fragt sich was wohl aus all den Menschen wird, die kein Ziel im Leben haben, die sich treiben lassen, bis sie irgendwann aufgesogen werden, von der bösen Welt, und verschwinden, vermutlich.
Schnitt und wir befinden uns im nächtlichen Tokyo, pulsierendes Leben wo man hinsieht, immer wieder im Zeitraffer beschleunigte, sich durch die Häuserschluchten katapultierende Fahrtaufnahmen. Angela ist in einer Hostessen-WG gelandet, zur fünft auf engstem Raum. Sie krabbelt im Klo auf ein kleines Podest, verliert die Balance, fällt mit der Wand ins Haus, hier: in die Nachbarwohnung der verständnislosen japanischen Familie. Sie heuert nach anfänglichen Schwierigkeiten in der edlen Animierbar an, die quasi als Verlängerung der WG dient. Die Mädels sind zickig, haben Angst, dass die Neue ihnen die Kunden wegschnappt und wir sehen uns kein Stück veranlasst daran zu zweifeln. Viel zu deutlich wird uns Chloé Winkel in der Rolle der Angela als Lolita präsentiert, wird sie in ihren hautengen, figurbetonten Klamotten regelrecht vorgeführt. Zu spitz der einladende Mund, zu knackig die Brüste, immer vorteilhaft ins Licht gerückt, versteht sich. Ich befürchte, man erwies ihr damit einen Bärendienst.
Weder Chloés schauspielerisches Können noch M.X.Obergs Inszenierung vermögen diesem Ansatz zu folgen - folgerichtig deshalb vielleicht nur, dass es auch dem Drehbuch an Mut mangelt. Anstatt die sexuell aufgeladene Atmosphäre zu nutzen und tiefer zu gehen, dem Tagtraum die dunkle Seite zu entlocken, verliert sich der Film in einem lächerlichen Thrillerplot, in einer idealisierten, naiven Teenagerphantasie (wer hat im übrigen behauptet, dass Teenagerphantasien idealisiert und naiv sein müssen?) - und selbst der traut man dann nicht über den Weg. Der Yakuza-Boss mit dem fehlenden kleinen Finger ist eine Karikatur, von Filip Peeters als Knallcharge dargestellt, die Suche nach der vermissten Larissa, die locker die zweite Hälfte des Films in Anspruch nimmt, verliert sich zunehmend in geschwätzigen dialoglastigen Szenen, mit anderen Worten: der Film läuft auf Grundeis.
Vielversprechend waren die sorgfältig austarierten Szenen im ersten Drittel, die uns im Schwebezustand hielten, unser Interesse am großen Abenteuer anfachten; bemerkenswert ist die Kameraarbeit von Michael Mieke, sind die wunderschön ausgeleuchteten, stilisierten Sets, wenn der Film zurückwill, auf die Ebene der assoziationsgesteuerten Imagination seiner Hauptfigur. Aber es fehlt an Entschiedenheit, das alles zusammenzuhalten; es fehlt auch, fürchte ich, an inszenatorischem Handwerk. Gerade gegen Ende misslingen kleine Momente, wenn ein vielsagender Blick ins Nichts läuft oder die Schauspieler "verkehrt" durchs Bild laufen. Immer sind das natürlich auch Fragen des Geschmacks und der Intention. Mir schien es jedoch als subsummierten sich diese "Kleinigkeiten" zur Ursache für das Umkippen des Films.
Die letzte Szene, in der Angela zeichnend in ihrem Reihenhaus gezeigt wird, in der Blickachse die Protagonisten der Geschichte, als Interieur einer Gartenlandschaft entlarvt, wirkt unter diesem Eindruck beinahe wie eine Entschuldigung.
Ab 02. Septemerb 2004 im Kino.
The Stratosphere Girl (Deutschland 2003)
Regie/Drehbuch: Matthias X. Oberg
Darsteller: Cloé Winkel, John Ng, Tara Elders, Mette Louise Holland, u.a.
Länge: 85 Minuten
imdb | offizielle website
alle berlinale-kritiken | kritik von th.groh
Schnitt und wir befinden uns im nächtlichen Tokyo, pulsierendes Leben wo man hinsieht, immer wieder im Zeitraffer beschleunigte, sich durch die Häuserschluchten katapultierende Fahrtaufnahmen. Angela ist in einer Hostessen-WG gelandet, zur fünft auf engstem Raum. Sie krabbelt im Klo auf ein kleines Podest, verliert die Balance, fällt mit der Wand ins Haus, hier: in die Nachbarwohnung der verständnislosen japanischen Familie. Sie heuert nach anfänglichen Schwierigkeiten in der edlen Animierbar an, die quasi als Verlängerung der WG dient. Die Mädels sind zickig, haben Angst, dass die Neue ihnen die Kunden wegschnappt und wir sehen uns kein Stück veranlasst daran zu zweifeln. Viel zu deutlich wird uns Chloé Winkel in der Rolle der Angela als Lolita präsentiert, wird sie in ihren hautengen, figurbetonten Klamotten regelrecht vorgeführt. Zu spitz der einladende Mund, zu knackig die Brüste, immer vorteilhaft ins Licht gerückt, versteht sich. Ich befürchte, man erwies ihr damit einen Bärendienst.
Weder Chloés schauspielerisches Können noch M.X.Obergs Inszenierung vermögen diesem Ansatz zu folgen - folgerichtig deshalb vielleicht nur, dass es auch dem Drehbuch an Mut mangelt. Anstatt die sexuell aufgeladene Atmosphäre zu nutzen und tiefer zu gehen, dem Tagtraum die dunkle Seite zu entlocken, verliert sich der Film in einem lächerlichen Thrillerplot, in einer idealisierten, naiven Teenagerphantasie (wer hat im übrigen behauptet, dass Teenagerphantasien idealisiert und naiv sein müssen?) - und selbst der traut man dann nicht über den Weg. Der Yakuza-Boss mit dem fehlenden kleinen Finger ist eine Karikatur, von Filip Peeters als Knallcharge dargestellt, die Suche nach der vermissten Larissa, die locker die zweite Hälfte des Films in Anspruch nimmt, verliert sich zunehmend in geschwätzigen dialoglastigen Szenen, mit anderen Worten: der Film läuft auf Grundeis.
Vielversprechend waren die sorgfältig austarierten Szenen im ersten Drittel, die uns im Schwebezustand hielten, unser Interesse am großen Abenteuer anfachten; bemerkenswert ist die Kameraarbeit von Michael Mieke, sind die wunderschön ausgeleuchteten, stilisierten Sets, wenn der Film zurückwill, auf die Ebene der assoziationsgesteuerten Imagination seiner Hauptfigur. Aber es fehlt an Entschiedenheit, das alles zusammenzuhalten; es fehlt auch, fürchte ich, an inszenatorischem Handwerk. Gerade gegen Ende misslingen kleine Momente, wenn ein vielsagender Blick ins Nichts läuft oder die Schauspieler "verkehrt" durchs Bild laufen. Immer sind das natürlich auch Fragen des Geschmacks und der Intention. Mir schien es jedoch als subsummierten sich diese "Kleinigkeiten" zur Ursache für das Umkippen des Films.
Die letzte Szene, in der Angela zeichnend in ihrem Reihenhaus gezeigt wird, in der Blickachse die Protagonisten der Geschichte, als Interieur einer Gartenlandschaft entlarvt, wirkt unter diesem Eindruck beinahe wie eine Entschuldigung.
Ab 02. Septemerb 2004 im Kino.
The Stratosphere Girl (Deutschland 2003)
Regie/Drehbuch: Matthias X. Oberg
Darsteller: Cloé Winkel, John Ng, Tara Elders, Mette Louise Holland, u.a.
Länge: 85 Minuten
imdb | offizielle website
alle berlinale-kritiken | kritik von th.groh
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Thema: Berlinale 2004
17. Januar 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
"Every line leads to somewhere" - "In a comic everything is possible." - "Every comic has a hero on a mission. Hero is a word for what you think is right." Mit Sätzen wie diesen charakterisiert die jugendliche Angela (Chloé Winkel) zu Beginn (und im weiteren Verlauf) von The Stratosphere Girl ihre Comiczeichnungen. Sie gibt damit auch eine Anleitung preis, wie diesem Film, der von Anfang an klar ersichtlich als entweder fertiger Comic oder aber als dessen Schaffungsprozess angesehen werden darf, zu folgen ist: Kohärenz des Plots ist nebensächlich, es zählt die Kraft der Phantasie, die wiederum freilich dann doch gewissen Genrekonzessionen verpflichtet ist. Angela ist Zeichnerin wie Heldin der Geschichte und genießt somit das Privileg, sich selbst nützliche Ratschläge geben zu können, die indes nicht immer auch beachtet werden. Ein charismatischer DJ aus Tokio (John Ng) zieht sie in einer jener magischen Nächte, in denen alles möglich scheint und also somit Lebensentwürfe neu konzipiert werden, in seinen Bann. Und dann sitzt sie auch schon im Flugzeug nach Tokio, wo sie Yamamoto, so sein Name, wiedersehen will, wozu er sie auch eingeladen hat, sie könne ja dort in der Metropole ihren Lebensunterhalt als Hostess eines, wie sich erst später rausstellt, eher zwielichtigen Abendbegleitungsservice verdienen. Doch die Stadt ist fremd, Yamamoto nicht erreichbar, und die WG mit lauter nicht nur wohlgesonnenen Kolleginnen, in der sie landet, eng und überfüllt. Alsbald stößt sie auf ihrem ziellosen Weg durch die neonlichtilluminierte Stadt auf Spuren einer seit kurzem vermissten Hostess, Larissa, deren Schicksal aufzuklären sie sich als Heldin zur Mission macht. Als sich hinter den Fassaden eine Unterwelt auftut, deren Zusammenhänge sie in ihrem Comic beschreibt, welcher natürlich den dubiosen Gestalten in die Hände fallen wird, scheint sie, nachdem sie Larrisas Schicksal aufgeklärt zu haben meint, ihres Lebens in der Stadt nicht mehr sicher. Letzte Hoffnung bleibt ein einziges Comic-Regularium: "Heros can't die, `cause who would then complete their missions"?
Zwei Filme kommen beim Zuschauen unentwegt in den Sinn: Sofia Coppolas traumähnlicher Lost in Translation (USA 2003, Kritik hier) und David Lynchs Blue Velvet (USA 1986). Nicht gerade die besten Karten für einen Film, der sichtlich darum bemüht ist, eine eigene Semantik zu entwickeln, um die aus hochsubjektivierter Perspektive erzählte Geschichte ästhetisch aufzulösen. Gerade zu Beginn, wenn das dichte Tokio, nach knapper Exposition in Europa, zur bestimmenden Kulisse wird, ähnelt man in seinen traumwandlerischen Streifzügen per Auto oder per pedes durch die Stadt doch recht frappant Sofia Coppolas jüngstem Film. Der Vorwurf des bloßen Plagiats zielt zwar ins Leere - beide Filme wurden in etwa zeitgleich produziert -, doch schafft es The Stratosphere Girl zu diesem Zeitpunkt kaum, aus dem Schatten (und der Klasse) des anderen Films zu treten. Erst als der Plot sich zunehmend wandelt und weg kommt von der Poesie aus Neonlicht-Fassaden und Exotismus, wenn er sich mehr und mehr als Thriller zu erkennen gibt, bekommt man Lost in Translation aus dem Kopf, nur um dann wiederum wenig später bloß Lynchs bizarres Meisterwerk der 80er Jahre vor Augen zu haben (auch wenn allzu Schmieriges in Obergs Film bestenfalls angedeutet wird, nie aber im Bildkader so etwas wie Repräsentanz erfährt). Etwas verhalten, beinahe schon verträumt naiv entfaltet sich hinter den Oberflächen von gediegener Abendclubatmosphäre, mehr oder weniger offenem Rivalinnentum um die reichsten japanischen Geschäftsmänner und der Glitzerplastikatmosphäre eine kleine, abgründige Welt, in der Zuhälter böse tun, Yakuza-Bosse böse kucken und Sex böse aussieht (letzten Endes aber alles nie wirklich glaubhaft böse und somit abgründig ist).
Die Auflösung dieses, zumal für Genrekenner eher leicht gestrickten Knotens entspricht dann auch den Vermutungen des geschulten Zuschauers von gleich zu Beginn: Könnte alles ja auch ganz anders sein. Vielleicht sehen wir nur Assoziationen eines mit dem Discman durchs Zimmer tanzenden Mädchens, welches vielleicht gerade zuvor einen spannenden Film gesehen hat. So erklärt sich denn auch final, mit eben diesem Bild im Abspann, die immer etwas seltsam verschämte Atmosphäre des Films: Eigentlich ist das alles nur Mädchenkitsch aus dem Jugendzimmer. Das ist an sich noch gar nichts Schlechtes. Sofia Coppolas Filme sind schließlich auch nichts anderes. Nur beide Jugendzimmer sind dann eben doch unterschiedlich eingerichtet: Bei Coppola finden wir orangefarbene Plastikplattenspieler, verkratzte Vinylsingles auf einem fusseligen Flokati und dann noch Lackschuhe, deren abgeplatzte Stellen hastig mit schwarzem Filzer übermalt wurden. In The Stratosphere Girl indes riecht alles nach Dachzimmer mit Schräge, Ikea-Nachttischlampe, Bravo-Hits-CDs und einem Blick in den sauberen Garten, wo Muttern gerade die Hecken schneidet. Etwas Abenteuerkolorit für's Reihenhaus, wie schade um die teils ja sogar wirklich sehr schönen Bilder.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen der Panorama-Sektion und ab 02. September 2004 im Kino.
>> The Stratosphere Girl (Deutschland 2003)
>> Regie/Drehbuch: Matthias X. Oberg
>> Darsteller: Cloé Winkel, John Ng, Tara Elders, Mette Louise Holland, u.a.
>> Länge: 85 Minuten
imdb | offizielle website
alle berlinale-kritiken | kritik von th.reuthebuch
Zwei Filme kommen beim Zuschauen unentwegt in den Sinn: Sofia Coppolas traumähnlicher Lost in Translation (USA 2003, Kritik hier) und David Lynchs Blue Velvet (USA 1986). Nicht gerade die besten Karten für einen Film, der sichtlich darum bemüht ist, eine eigene Semantik zu entwickeln, um die aus hochsubjektivierter Perspektive erzählte Geschichte ästhetisch aufzulösen. Gerade zu Beginn, wenn das dichte Tokio, nach knapper Exposition in Europa, zur bestimmenden Kulisse wird, ähnelt man in seinen traumwandlerischen Streifzügen per Auto oder per pedes durch die Stadt doch recht frappant Sofia Coppolas jüngstem Film. Der Vorwurf des bloßen Plagiats zielt zwar ins Leere - beide Filme wurden in etwa zeitgleich produziert -, doch schafft es The Stratosphere Girl zu diesem Zeitpunkt kaum, aus dem Schatten (und der Klasse) des anderen Films zu treten. Erst als der Plot sich zunehmend wandelt und weg kommt von der Poesie aus Neonlicht-Fassaden und Exotismus, wenn er sich mehr und mehr als Thriller zu erkennen gibt, bekommt man Lost in Translation aus dem Kopf, nur um dann wiederum wenig später bloß Lynchs bizarres Meisterwerk der 80er Jahre vor Augen zu haben (auch wenn allzu Schmieriges in Obergs Film bestenfalls angedeutet wird, nie aber im Bildkader so etwas wie Repräsentanz erfährt). Etwas verhalten, beinahe schon verträumt naiv entfaltet sich hinter den Oberflächen von gediegener Abendclubatmosphäre, mehr oder weniger offenem Rivalinnentum um die reichsten japanischen Geschäftsmänner und der Glitzerplastikatmosphäre eine kleine, abgründige Welt, in der Zuhälter böse tun, Yakuza-Bosse böse kucken und Sex böse aussieht (letzten Endes aber alles nie wirklich glaubhaft böse und somit abgründig ist).
Die Auflösung dieses, zumal für Genrekenner eher leicht gestrickten Knotens entspricht dann auch den Vermutungen des geschulten Zuschauers von gleich zu Beginn: Könnte alles ja auch ganz anders sein. Vielleicht sehen wir nur Assoziationen eines mit dem Discman durchs Zimmer tanzenden Mädchens, welches vielleicht gerade zuvor einen spannenden Film gesehen hat. So erklärt sich denn auch final, mit eben diesem Bild im Abspann, die immer etwas seltsam verschämte Atmosphäre des Films: Eigentlich ist das alles nur Mädchenkitsch aus dem Jugendzimmer. Das ist an sich noch gar nichts Schlechtes. Sofia Coppolas Filme sind schließlich auch nichts anderes. Nur beide Jugendzimmer sind dann eben doch unterschiedlich eingerichtet: Bei Coppola finden wir orangefarbene Plastikplattenspieler, verkratzte Vinylsingles auf einem fusseligen Flokati und dann noch Lackschuhe, deren abgeplatzte Stellen hastig mit schwarzem Filzer übermalt wurden. In The Stratosphere Girl indes riecht alles nach Dachzimmer mit Schräge, Ikea-Nachttischlampe, Bravo-Hits-CDs und einem Blick in den sauberen Garten, wo Muttern gerade die Hecken schneidet. Etwas Abenteuerkolorit für's Reihenhaus, wie schade um die teils ja sogar wirklich sehr schönen Bilder.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen der Panorama-Sektion und ab 02. September 2004 im Kino.
>> The Stratosphere Girl (Deutschland 2003)
>> Regie/Drehbuch: Matthias X. Oberg
>> Darsteller: Cloé Winkel, John Ng, Tara Elders, Mette Louise Holland, u.a.
>> Länge: 85 Minuten
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Thema: Berlinale 2004
16. Januar 04 | Autor: thomas.reuthebuch | 0 Kommentare | Kommentieren
Johnnie To und Wai Ka Fai demonstrieren in Running on Karma wie man so ziemlich jedes in Hong Kong kommerziell erfolgreiches Genre durch den Wolf dreht, wie man ermüdende Konventionen in ihre Einzelteile zerlegt, sie gegeneinander ausspielt, aneinanderreiht um am Ende dann doch wieder etwas Neues zu erhalten, für das es schwer ist die passenden Worte zu finden. Neben der Unabhängigkeit und dem nicht zu unterschätzenden Mut den es dazu braucht, schadet es ganz sicher nicht viel gesehen und viel ausprobiert zu haben - was das filmische Handwerk anbetrifft, versteht sich, aber auch sonst. Wenn man sich diesen Film ansieht, verdichtet sich mit zunehmender Zeit ein Verdacht zur Gewissheit. Es ist die Freude an der selbst gestellten Herausforderung, an der Überwindung des Undenkbaren, an der Überführung einer Geschichte in eine andere, und das beinahe ständig, von Szene zu Szene.
Der Plot von dem bodygebuildeten Ex-Mönch (ein Widerspruch an sich, der sich gerade deshalb so wunderbar treffend ins Konzept des Films einfügt) der mit seinem Glauben hadert, der Plot also, der den strukturellen Zusammenhalt liefert, als Kitt quasi, der ist natürlich ungemein wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger als bei einem klassischeren Ansatz. Dennoch ist er bei To/Fai nebensächlicher als sonstwo. Der gesuchte Mörder, der sich in einer der ersten Szenen groteskerweise aus einem winzigen Karton zwängt, wird sich später in einer Tasche verpackt und von den erbarmungslosen Schlägen eines Polizisten malträtiert, auf einem Busbahnhof wiederfinden. Eine nüchterne Einstellung, ein wenig länger als es nötig wäre, nein, exakt so lang wie es sein muss, sie reicht in diesem Moment aus um dem Publikum ein ungläubiges Glucksen zu entlocken. Das frappierende daran ist, und das hat der Film bis dahin erreicht: die Szene ist lustig und verstörend zugleich, sie ist brutal und anrührend (wenn einer Frau der Arm weggeschossen wird), sie wirft den Zuschauer aus der Balance ohne ihn zu verlieren - und wir sprechen hier von einem kommerziell erfolgreichen Film, der auf ein größeres, in Hongkong traditionell unruhiges Publikum abzielt. Genauso selbstverständlich wird man den muskelbepackten Lau auf einem Moped beobachten, in einer der witzigsten Szenen, wenn er wie im Slapstickfilm zur Verfolgung bläst und alle drei Meter gegen Häuserwände, Böschungen oder Randsteine kracht.
Um den Zuschauer nicht zu verunsichern, da ist man sich einig, muss man möglichst schnell etablieren auf welcher Hochzeit man tanzen will. Man kann auch das genaue Gegenteil davon tun und dennoch davonkommen. To/Fai habens bewiesen.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
>> Running on Karma (Hongkong 2003)
>> Regie: Johnnie To, Wai Ka Fai
>> Drehbuch: Wai Ka Fai, Yau Nai Hoi, Au Kin Yee, Yip Tin Shing
>> Darsteller: Andy Lau, Cecilia Cheung
imdb | offizielle website | trailer (6.8 MB, Quicktime)
alle berlinale-kritiken | | kritik von e.knörer
Der Plot von dem bodygebuildeten Ex-Mönch (ein Widerspruch an sich, der sich gerade deshalb so wunderbar treffend ins Konzept des Films einfügt) der mit seinem Glauben hadert, der Plot also, der den strukturellen Zusammenhalt liefert, als Kitt quasi, der ist natürlich ungemein wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger als bei einem klassischeren Ansatz. Dennoch ist er bei To/Fai nebensächlicher als sonstwo. Der gesuchte Mörder, der sich in einer der ersten Szenen groteskerweise aus einem winzigen Karton zwängt, wird sich später in einer Tasche verpackt und von den erbarmungslosen Schlägen eines Polizisten malträtiert, auf einem Busbahnhof wiederfinden. Eine nüchterne Einstellung, ein wenig länger als es nötig wäre, nein, exakt so lang wie es sein muss, sie reicht in diesem Moment aus um dem Publikum ein ungläubiges Glucksen zu entlocken. Das frappierende daran ist, und das hat der Film bis dahin erreicht: die Szene ist lustig und verstörend zugleich, sie ist brutal und anrührend (wenn einer Frau der Arm weggeschossen wird), sie wirft den Zuschauer aus der Balance ohne ihn zu verlieren - und wir sprechen hier von einem kommerziell erfolgreichen Film, der auf ein größeres, in Hongkong traditionell unruhiges Publikum abzielt. Genauso selbstverständlich wird man den muskelbepackten Lau auf einem Moped beobachten, in einer der witzigsten Szenen, wenn er wie im Slapstickfilm zur Verfolgung bläst und alle drei Meter gegen Häuserwände, Böschungen oder Randsteine kracht.
Um den Zuschauer nicht zu verunsichern, da ist man sich einig, muss man möglichst schnell etablieren auf welcher Hochzeit man tanzen will. Man kann auch das genaue Gegenteil davon tun und dennoch davonkommen. To/Fai habens bewiesen.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
>> Running on Karma (Hongkong 2003)
>> Regie: Johnnie To, Wai Ka Fai
>> Drehbuch: Wai Ka Fai, Yau Nai Hoi, Au Kin Yee, Yip Tin Shing
>> Darsteller: Andy Lau, Cecilia Cheung
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Thema: Berlinale 2004
16. Januar 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Zwei tragende Themen gibt es in diesem Film: Die Erinnerung (oder sagen wir: die Vergangenheit) und das "Dahinter". Und natürlich besteht ein Zusammenhang: Was, wenn sich etwas hinter der Erinnerung an die Vergangenheit verbirgt? Eine Vergangenheit etwa, an die sich nicht erinnert werden will. Verdrängung also, Sigmund Freud, all diese Dinge.
Die Gegenwart des Films erstickt geradezu am Vergangenem: Der Schauplatz des kammerspielartigen Geschehens, ein altes Anwesen irgendwo im koreanischen Nirgendwo, könnte glatt aus dem viktorianischen England stammen. Alles bestickt und geradezu aufdringlich pittoresk. Dann die Figuren darin (grotesk deplaziert vor diesem Hintergrund eigentlich): Vater, zwei Töchter und die böse, böse Stiefmutter (Ja! Genau!). Dass da früher was war, was das Heute nicht so recht funktionabel gestaltet, wird umgehend klar. Alles neurotisch, hysterisch, paranoid. Wer wem wann was angetan hat: Kaum ersichtlich. Andeutungen zwar überall, nie aber Aussagen, Auseinandersetzungen. Ausflüchte und Gemeinheiten am Rande. Stieftöchter in Schränke sperren beispielsweise, ganz wie das Vorbild aus dem Märchen. Und dann in alten Kisten Fotos von ganz früher. Als die leibliche Mutter noch lebte: Schock, Trauma, Gesichter werden durchgestrichen, rausgerissen, weg damit, weg mit dieser Vergangenheit. Verdrängungsarbeit, man kommt ja kaum mehr zu was anderem. Es entstehen auf engstem Raum Dynamiken, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben: "Was zum Teufel hat uns hierher gebracht?", irgendwann als Frage im Raum, kurz bevor man dem anderen die schwere Statue über den Schädel zieht. Lieber keine Antworten abwarten, könnte äußerst unangenehm werden. Draufhauen, aus dem Weg räumen, statt sich erinnern. Bis es soweit kommt, ist man längst schon im Kinosessel versunken, ganz tief drinnen in dieser angespannten Welt, auch wenn man selbst mehr Fragen als Antworten hat. Das ist in dem Moment egal.
Wo die Vergangenheit, das Erinnerungsvermögen derart trügerisch ist, darf auch der Raum gut und gerne Gegenstand der Sabotage sein. Dann wird der Psychothriller zum Horrorfilm. Und der hat dem 19. Jahrhundert wieder sehr viel zu verdanken. Da ist er ja schon wieder, dieser Sigmund Freud. Das Unheimliche des "Dahinter", das Unheimliche des seiner Integrität verlustig gegangenen Raumes. Türe knarzen? Was ist dahinter? Vorhänge wabern? Und dahinter? Was verbirgt sich unter der Spüle? Und wer stampft da oben, einen Stock drüber, so laut über den Boden? Ist doch keiner hier! Dafür aber quillt Blut unter den Dielen hervor, wenn man mal genau hinkuckt (das macht natürlich nur die Kamera, also wir): Hier hat's offenbar Leichen im Keller. Keller, Erinnerung, Vergangenheit, Verdrängung - wir kennen das Spiel bereits. Und jeder hat seinen eigenen Raum: Selten sieht man mal zwei in einer Einstellung, mit Ausnahme der beiden Geschwister natürlich, denn um die geht's ja, der Rest: isoliert. Über lange Strecken wie's scheint sogar komplett verschwunden, wenn der Film sich gerade mal auf wen besonders konzentriert.
Das Bemerkenswerte: Man fasst den Horrorfilm ästhetisch wie inhaltlich zusammen. Das hat man mit Kubricks Shining gemein. Etwas Haunted House, dann Geisterfilm, verdrängte Schuld, also somit dann auch Poe, doch dann wieder die Kehrtwende und weg von all dem Hokuspokus: Also moderner Horrorfilm. Wo der Nachbar der Böse ist. Wie wenig metaphysisch es eigentlich zugeht, sieht man schon etwa, wenn die expressionistischen Traditionen verpflichtete Ausleuchtung zwar vorhanden, doch nie aber, wie beispielsweise bei Bava, eine dem Effekt untergeordnete und gekünstelte ist, sondern ihren Ursprung direkt in der Diegese findet: Ein Lampenschirm wird umgeworfen, bevor er von unten Gesichter in ein seltsames Licht kleiden darf. Und wenn am Ende das Projekt der Auflösung des Raumes weit genug fortgeschritten ist, wenn Verlässlichkeit als Zustand inhaltslos geworden ist, dann ist die Begegnung mit sich Selbst so naheliegend wie, in Folge, gruselig. Und jetzt bitte Geigen! Ganz laut, immer der selbe, gellende Ton. Sie wissen schon.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
>> A Tale of Two Sisters (Janghwa, Hongryeon; Südkorea 2003)
>> Regie/Drehbuch: Kim Jee-Won
>> Darsteller: Lim Su-Yeong, Mun Geun-Yeong, Yum Jung-Ah u.a.
imdb | mrqe
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Die Gegenwart des Films erstickt geradezu am Vergangenem: Der Schauplatz des kammerspielartigen Geschehens, ein altes Anwesen irgendwo im koreanischen Nirgendwo, könnte glatt aus dem viktorianischen England stammen. Alles bestickt und geradezu aufdringlich pittoresk. Dann die Figuren darin (grotesk deplaziert vor diesem Hintergrund eigentlich): Vater, zwei Töchter und die böse, böse Stiefmutter (Ja! Genau!). Dass da früher was war, was das Heute nicht so recht funktionabel gestaltet, wird umgehend klar. Alles neurotisch, hysterisch, paranoid. Wer wem wann was angetan hat: Kaum ersichtlich. Andeutungen zwar überall, nie aber Aussagen, Auseinandersetzungen. Ausflüchte und Gemeinheiten am Rande. Stieftöchter in Schränke sperren beispielsweise, ganz wie das Vorbild aus dem Märchen. Und dann in alten Kisten Fotos von ganz früher. Als die leibliche Mutter noch lebte: Schock, Trauma, Gesichter werden durchgestrichen, rausgerissen, weg damit, weg mit dieser Vergangenheit. Verdrängungsarbeit, man kommt ja kaum mehr zu was anderem. Es entstehen auf engstem Raum Dynamiken, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben: "Was zum Teufel hat uns hierher gebracht?", irgendwann als Frage im Raum, kurz bevor man dem anderen die schwere Statue über den Schädel zieht. Lieber keine Antworten abwarten, könnte äußerst unangenehm werden. Draufhauen, aus dem Weg räumen, statt sich erinnern. Bis es soweit kommt, ist man längst schon im Kinosessel versunken, ganz tief drinnen in dieser angespannten Welt, auch wenn man selbst mehr Fragen als Antworten hat. Das ist in dem Moment egal.
Wo die Vergangenheit, das Erinnerungsvermögen derart trügerisch ist, darf auch der Raum gut und gerne Gegenstand der Sabotage sein. Dann wird der Psychothriller zum Horrorfilm. Und der hat dem 19. Jahrhundert wieder sehr viel zu verdanken. Da ist er ja schon wieder, dieser Sigmund Freud. Das Unheimliche des "Dahinter", das Unheimliche des seiner Integrität verlustig gegangenen Raumes. Türe knarzen? Was ist dahinter? Vorhänge wabern? Und dahinter? Was verbirgt sich unter der Spüle? Und wer stampft da oben, einen Stock drüber, so laut über den Boden? Ist doch keiner hier! Dafür aber quillt Blut unter den Dielen hervor, wenn man mal genau hinkuckt (das macht natürlich nur die Kamera, also wir): Hier hat's offenbar Leichen im Keller. Keller, Erinnerung, Vergangenheit, Verdrängung - wir kennen das Spiel bereits. Und jeder hat seinen eigenen Raum: Selten sieht man mal zwei in einer Einstellung, mit Ausnahme der beiden Geschwister natürlich, denn um die geht's ja, der Rest: isoliert. Über lange Strecken wie's scheint sogar komplett verschwunden, wenn der Film sich gerade mal auf wen besonders konzentriert.
Das Bemerkenswerte: Man fasst den Horrorfilm ästhetisch wie inhaltlich zusammen. Das hat man mit Kubricks Shining gemein. Etwas Haunted House, dann Geisterfilm, verdrängte Schuld, also somit dann auch Poe, doch dann wieder die Kehrtwende und weg von all dem Hokuspokus: Also moderner Horrorfilm. Wo der Nachbar der Böse ist. Wie wenig metaphysisch es eigentlich zugeht, sieht man schon etwa, wenn die expressionistischen Traditionen verpflichtete Ausleuchtung zwar vorhanden, doch nie aber, wie beispielsweise bei Bava, eine dem Effekt untergeordnete und gekünstelte ist, sondern ihren Ursprung direkt in der Diegese findet: Ein Lampenschirm wird umgeworfen, bevor er von unten Gesichter in ein seltsames Licht kleiden darf. Und wenn am Ende das Projekt der Auflösung des Raumes weit genug fortgeschritten ist, wenn Verlässlichkeit als Zustand inhaltslos geworden ist, dann ist die Begegnung mit sich Selbst so naheliegend wie, in Folge, gruselig. Und jetzt bitte Geigen! Ganz laut, immer der selbe, gellende Ton. Sie wissen schon.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
>> A Tale of Two Sisters (Janghwa, Hongryeon; Südkorea 2003)
>> Regie/Drehbuch: Kim Jee-Won
>> Darsteller: Lim Su-Yeong, Mun Geun-Yeong, Yum Jung-Ah u.a.
imdb | mrqe
alle berlinale-kritiken | kritik von th.reuthebuch | kritik von e.knörer
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Thema: Berlinale 2004
15. Januar 04 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Die Spekulationen haben zugetroffen: Cold Mountain von Anthony Mingella wird am Abend des 05. Februars offiziell die 54. Internationalen Filmfestspiele Berlin eröffnen: Am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs kennzeichnen Gewalt und Zerstörung die Landschaften, die der desertierte und verwundete Konföderierten-Soldat Inman (Jude Law) zu Fuß durchqueren muss, um zurück zu seiner Geliebten Ada (Nicole Kidman) zu gelangen. Der Film läuft außer Konkurrenz im Wettbewerb. Als Galastars werden neben dem Regisseur auch die beiden Hauptdarsteller auf dem roten Teppich erwartet.
Auch eine ganze Reihe weiterer Filme des Wettbewerbs ist seit heute konfirmiert:Ae Fond Kiss (Ken Loach, Weltpremiere)
Country of my Skull (John Boorman, Weltpremiere)
Om jag vänder mig om (Björn Runge, Weltpremiere)
Confidences trop intimes (Patrice Leconte, Weltpremiere)
Feux Rouges (Cédric Kahn, Weltpremiere)
Triple Agent (Eric Rohmer, Weltpremiere)
Trilogia: To livadi pou dakrisi (Theo Angelopoulos, Weltpremiere)
Primo Amore (Matteo Garrone, Weltpremiere)
Beautiful Country (Hans Petter Moland)
Monster (Petty Jenkins, internationale Premiere)
Before Sunset (Richard Linklater, Weltpremiere)
Something's Gotta Give (Nancy Meyers, außer Konkurrenz)
(Weitere Wettbewerbsfilme hier)
Insgesamt werden 26 Filme im Wettbewerb gezeigt, 22 davon werden um die Gunst der Jury buhlen.
Auch eine ganze Reihe weiterer Filme des Wettbewerbs ist seit heute konfirmiert:
(Weitere Wettbewerbsfilme hier)
Insgesamt werden 26 Filme im Wettbewerb gezeigt, 22 davon werden um die Gunst der Jury buhlen.
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Thema: Berlinale 2004
15. Januar 04 | Autor: thomas.reuthebuch | 0 Kommentare | Kommentieren
Kim Jee-woons Drehbuch verbindet geschickt und durchaus kunstvoll die tragische Geschichte einer koreanischen Familie mit allerlei Genreversatzstücken und verstörenden Beschreibungen einer dysfunktionalen Psyche. Die schattenhafte Gestalt der toten Mutter, die zunächst grotesk verwachsen der jungen Su-mi erscheint (wie vieles wird auch diese Irritation später erklärt werden), der schleimig-durchnässte Körper, der sich aus Su-yeons Kleiderschrank erbricht oder etwa der expressive Gebrauch der Tonspur, der das subtile Grauen durch seine verstörenden, schrecklich verzerrten Kratz- und Kreischlaute zum Terror geraten läßt.
Der alles kennende und zitierende Filmbuff mag das vor allem aus dem japanischen Kino der letzten Jahre bereits kennen. Manches erinnert an The Shining, eine lange Steadicam-Fahrt durch das Haus, die in ihrer Nüchternheit auf den heraufdräuenden Schrecken verweisenden ruhigen Totalen. Was solls. Die beschriebenen Mittel sind hier kein Selbstzweck sondern entwickeln sich aus der Geschichte heraus, aus diesem für Su-mi unglückseligsten Moment, der im Film ganz am Ende steht, der augenscheinlich für ihren Rückzug, für ihre zunehmenden Autoaggressionen verantwortlich zeichnet, wenn die Mutter bereits tot ist, die verhaßte Stiefmutter an ihre Stelle getreten ist und die kleine Schwester Su-yeon sich selbst überlassen bleibt. Kim Jee-woon weiß ganz genau was den Psychothriller zum Erfolg führt, wohin sich all der Aufwand an Verschleierungsstrategien und scheinbaren perspektivischen Wechseln richten muss. Manchmal hätte man sich vielleicht ein wenig mehr Ökonomie gewünscht - eine Szene mit dem Bruder der Stiefmutter und dessen Frau etwa wirkt überflüssig ? ein andermal scheint Jee-woon nicht den Ausgang aus einer Sequenz zu finden (wenn Su-mi die Stiefmutter konfrontiert).
A tale of Two Sisters ist vor allen Dingen handwerklich gut gemachtes Genrekino und dazu cleverer als das meiste was Hollywood auf vergleichbarem Terrain zu bieten hat. Kein Wunder dass sich laut Variety Dreamworks die Remake Rechte gesichert hat.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
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Der alles kennende und zitierende Filmbuff mag das vor allem aus dem japanischen Kino der letzten Jahre bereits kennen. Manches erinnert an The Shining, eine lange Steadicam-Fahrt durch das Haus, die in ihrer Nüchternheit auf den heraufdräuenden Schrecken verweisenden ruhigen Totalen. Was solls. Die beschriebenen Mittel sind hier kein Selbstzweck sondern entwickeln sich aus der Geschichte heraus, aus diesem für Su-mi unglückseligsten Moment, der im Film ganz am Ende steht, der augenscheinlich für ihren Rückzug, für ihre zunehmenden Autoaggressionen verantwortlich zeichnet, wenn die Mutter bereits tot ist, die verhaßte Stiefmutter an ihre Stelle getreten ist und die kleine Schwester Su-yeon sich selbst überlassen bleibt. Kim Jee-woon weiß ganz genau was den Psychothriller zum Erfolg führt, wohin sich all der Aufwand an Verschleierungsstrategien und scheinbaren perspektivischen Wechseln richten muss. Manchmal hätte man sich vielleicht ein wenig mehr Ökonomie gewünscht - eine Szene mit dem Bruder der Stiefmutter und dessen Frau etwa wirkt überflüssig ? ein andermal scheint Jee-woon nicht den Ausgang aus einer Sequenz zu finden (wenn Su-mi die Stiefmutter konfrontiert).
A tale of Two Sisters ist vor allen Dingen handwerklich gut gemachtes Genrekino und dazu cleverer als das meiste was Hollywood auf vergleichbarem Terrain zu bieten hat. Kein Wunder dass sich laut Variety Dreamworks die Remake Rechte gesichert hat.
Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films.
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