Mittwoch, 1. November 2006
Thema: Kinokultur
Es ist im äußersten Maße erstaunlich, welche Renaissance derzeit Werner Herzog erfährt. Freilich nicht in Deutschland, wo Herzog seit der (gelungenen) DVD-Edition von Kinowelt offenbar als historisiert gilt; zumindest hört man hier kaum mehr etwas von ihm, geschweige denn, dass man seine neuen Arbeiten im Kino nachvollziehen könnte. Nein, Ort des Geschehens sind die USA.

Dort hat Herzog seit dem etwas obskuren Rad der Zeit in kurzer Zeit eine Fülle von Arbeiten vorgelegt wie schon seit langem nicht mehr: Den hervorragenden Grizzly Man etwa, kurz zuvor The White Diamond (der es immerhin auch in hiesige Kinos geschafft hat, wenn auch nur mit kläglicher Kopienzahl) und nun The Wild Blue Yonder, eine irritierende Mischung aus Dokumentation, Essayfilm und Science Fiction; ebenfalls zu erwähnen ist seine Mitarbeit als Schauspieler in dem großartigen Incident at Loch Ness. Rescue Dawn, ein neuer Spielfilm feierte jüngst Premiere, hie und da hört man bereits von weiteren Projekten.

Das interessante aber ist nun eben, dass diese Filme in den Staaten auch wirklich wahrgenommen werden - kurios genug, sollte man meinen, handelt es sich doch (zumeist) um Dokumentationen, die zumindest hierzulande eher als Kinoblei verschrien sind (so sie denn keinen Karneval nach Fasson von Pausenclown Michael Moore in Aussicht stellen). Kaum eine Woche ohne ein Feature, einen ausführlichen Artikel, ein Interview oder einzelne Filmkritiken in den US-Printmedien - und dies meist an prominenter Stelle und von kundigen Autoren verfasst. Henry Rollins hatte sich Herzog sogar als Gast in seine TV-Show geholt. Seine Filme führen einige Jahrestoplisten der US-Kritiker an und wenn man Herzog selbst Glauben schenken darf, katapultierte sich der DVD-Release seines Nosferatu seinerzeit binnen einer Woche auf die Top-Position der Verkaufscharts (wenn ich mich recht erinnere, sprach er von 300.000 verkauften Einheiten, wobei hier wohl auch der Weltmarkt zu berücksichtigen ist: Meines Wissens handelte es sich um die weltweit erste Veröffentlichung des Films und dies sozusagen 'zur Pionierzeit' des DVD-Imports). Werner Herzog Superstar!

Einen rechten Reim kann ich mir allerdings nicht darauf machen (davon abgesehen, dass ich die Filme für große halte!). Natürlich freut es mich aber - und ich finde es, als Phänomen, eben sehr interessant. Allerdings ist es natürlich auch für den hinreichend morschen Zustand der hiesigen Kinokultur bezeichnend: Während hier das Kinoprogramm in einer unglaublichen Art und Weise von Woche zu Woche öder wird, erfahren andernorts einige großartige Werke die breite Aufmerksamkeit, die sie auch verdient haben.


Zum Nachvollzug der medialen Präsenz Herzogs empfiehlt sich im übrigen das Werner Herzog Archive.



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Samstag, 28. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
Das Zentrum für Antiziganismusforschung hat in der Sache "Borat, der Film" Strafanzeige gestellt.

Siehe hier: http://www.ezaf.org/Borat.pdf

Schade, dass sich so eine wichtige Einrichtung durch so eine Aktion ausweisen zu müssen meint und damit Gefahr läuft, die eigene Arbeit in Misskredit zu bringen; dass es in dem Film ebenso wenig um eine Affirmation des Antisemitismus, wie des Antiziganismus geht, dass es in ihm eben gerade nicht darum geht, Sexismus und Homophobie zu zelebrieren und zu bejahen, lässt sich ohne weiteres an ihm feststellen. Ganz im Gegenteil tritt die erschreckende Naivität hinter solchen Konstruktionen ebenso zutage, wie deren historische Kulturalität. Natürlich strapaziert der Film solche Modelle, bis sich die Balken biegen; gerade darin entlarvt er die tief in ihnen versteckte Barbarei und deren von Grund auf neurotischen, an jeder Evidenz mangelnden Charakter. Es ist ja eben kein Zufall, dass Borat eben nicht in Kasachstan spielt und dort einfach nur barbarische Klischees willkürlich aneinanderreiht (das wäre an Langeweile und Dummheit ja auch kaum mehr zu überbieten); im Gegenteil nämlich, im vollen Bewusstsein um die Wirkung werden hier kulturelle Entwürfe, die sich verbal zwar gerade noch "Guten Tag" sagen können, unter dieser Oberfläche aber schon schreiende Dissonanzen hervorbringen, direkt aneinandergerieben, um ein Spannverhältnis herzustellen, in dem Affirmation schlechterdings schon mangels sicherer Beobachtungswarte nicht möglich ist. Borat macht in der Konfrontation überhaupt erst sichtbar, was an Ätzendem noch hinter Fassaden schlummert. [wiederum falsch aber finde ich die Beobachtungen, die heute in der "Berliner Zeitung" geschrieben stehen und in eine ähnliche Richtung zielen, und dies nicht nur, weil die Wiedergaben der Szenen zum Teil stark verzerrt sind; was hier, auf Seiten der us-amerikanisch "Bloßgestellten", als Affirmation von Barbarei gedeutet wird, ist dies eben gerade nicht, sondern Ausdruck tiefster Irritiertheit, was erst deutlich wird, wenn man das im Film sieht und eben nicht auf verfälschende Wiedergaben zurückgreifen muss; "Borat" ist eben, und Gott sei's gedankt, kein Michael Moore]

Freilich, wer nur geschichtsverbissene Moralität sucht, deshalb über den einzelnen Begriff nicht mehr hinauskommt und ästhetische Verortung und Position im Diskursfeld nicht mehr in den Blick bekommt, mag zum typischen Kurzschlussreflex neigen, der sich immer wieder in der Kulturgeschichte der politischen Bewegtheit nachweisen lässt: Zum Angriff nämlich auf die symbolische Ordnung, in die der politische Kampf verschoben wird, und darin zumeist auch schlechterdings ausgerechnet auf jene Schnittstellen, die gerade irritieren und Krisen auslösen, in denen es um soviel besser wäre, sich zu verorten und zu intervenieren, als die blanke Konfrontationsstellung zu suchen. Das Modell dahinter ist strukturell ur-christliche Schlichtheit: Das Wort wird Fleisch und lebt, seiner allerersten begrifflichen Natur nach. Das Begriffe aber Operatoren ausgesetzt sind, dass es Bedeutungsebenen gibt, ästhetisch-begriffliche Schaltkreise, einrückende Verfahen und Gänsefüßchen, dass eben ein Begriff nie nur an und für sich /ist/, dies will solche Methode kaum wahrhaben.

Solche Schlichtheit jedenfalls, die von Grund auf ein Bild vom Menschen als höchst dummes Wesen in sich trägt, ist es, die mir weit mehr Angst macht, als der Scherz mit dem Entsetzen, der in Borat Signifikantenketten aufsprengt und einen dabei - ich denke an jene Szene mit den White-Trash-Proleten im Van - Nase und Gebiss voran auf eine blanke Realität des Barbarischen stößen lässt, die - im ganzen Kinosaal - das Lachen angesichts solcher Evidenz verstummen ließ. Zumindest in dieser einen Hinsicht (doch beileibe nicht in jeder) immerhin ähnelt die Figur Borat strukturell einer anderen aus der Filmgeschichte, die durch dynamische Brutalitäten jenseits eigener Interventionsmöglichkeiten taumelt, die grotesk über-affirmierend durch Konventionen und die Physik stolpert und beides dadurch überhaupt erst in den Blick geraten lässt, Chaplin nämlich.


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Mittwoch, 25. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
Seltsames hört man aus den Staaten, genauer: aus New York. Da soll David Lee Fisher, der bislang als visual arts artist in Erscheinung getreten ist, ein Remake von Wienes Kabinett des Dr. Caligari angefertigt haben, das nun in New York anläuft. Hierfür hat Fisher Setfotos und stills des Originalfilms eingescannt und schließlich per Green Screen Darsteller in die so entstandenen Kulissen kopiert. Diese wiederum aber sprechen nun im Film, was, laut New York Times, irritierend wirke. Ansonsten zeigt sich die Times soweit aufgeschlossen, wenn auch nicht begeistert; die Village Voice hingegen spricht von einem ill-advised remake und winkt ab.

Seltsam genug ist das ganze jedenfalls schon; auf eine erste Sichtung bin ich schon gespannt. Schon das still, mit dem die Times ihren Artikel illustriert, ist auf sehr seltsame Weise irritierend:




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Sonntag, 22. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
»The Subversive Nub was started in Nov. 2005 by Philip Hood as an easily accessible place to find the films from Amos Vogel's influential book on film as a subversive art.«
The Subversive Nub.



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Dienstag, 17. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
» ...
"I think participating in film festivals is an artist's basic right, like taking part in an art exhibition or a book exhibition."
Lou Ye will seinen neuen Film trotz Berufsverbot (siehe hier und hier) auch auf weiteren Festivals zeigen.

Die chinesische Botschaft in Deutschland hat auf meine Mail im übrigen nicht reagiert.


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Donnerstag, 12. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
1. Cane Toads: An Unnatural History (1988, Mark Lewis)
2. Fast, Cheap & Out of Control (1997, Errol Morris)
3. Forest of Bliss (1986, Robert Gardner)
4. Good News: Von Kolporteuren, toten Hunden und anderen Wienern (1990, Ulrich Seidl)
5. Letter from Siberia (1958, Chris Marker)
6. Les Maitres Fous (1955, Jean Rouch)
7. Nanook of the North (1922, Robert Flaherty)
8. Spend It All (1972, Les Blank)
Und noch viele weitere Toplisten von Kritikern und Filmeschaffenden hier.; einige ganz wundervolle, aber auch viele erstaunliche dabei. [via]




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Mittwoch, 11. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
So lautet der Titel einer spannenden Filmretrospektive, die leider nicht in Berlin, sondern in London, genauer: im National Film Theatre des British Film Institute, stattfindet. Gezeigt werden cult classics japanischer Provenienz, einer spannender als der andere. Auf der Website des BFI gibt es ein kleines Onlinespecial, das zumindest als Titel-Einstiegsliste für einen etwaigen Nachvollzug der Reihe im privaten Gemach ganz gut brauchbar ist (wenn ich das ersten Blickes recht überschaue, sind die meisten der Filme, wenn nicht sogar alle, mittlerweile zumindest international auf DVD beziehbar). Und wer im November an der Themse weilt, sollte sich die Termine notieren; es lohnt sich.

Gesondert hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch auf Female Prisoner 701, dessen Sequel, Female Convict Scorpion, in der Reihe zu sehen ist. Female Prioner 701 ist vor nicht allzu langer Zeit auch hierzulande auf DVD bei Rapid Eye Movies erschienen (wenngleich unter dem Titel Sasori 1 - Scorpion) und versammelt gleichermaßen Zutaten des Exploitation- wie des Autorenkinos, vagabundiert bald durch sleazige Folterszenarien, bald durch hochstilisierte Kunstfilm-Vignetten und wahrt dabei stets die vor allem auch für das japanische Genrekino typische, formästhetische Brillanz. Ein wahrhaft exquisites filmhistorisches Abenteuer, das einen schon über die schiere Möglichkeit des Daseins einer solchen Form zum Staunen bringt. In wenigstens einigermaßen gut sortierten Videotheken schon für sehr wenig Geld zu haben.


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Montag, 2. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
Es hätte ja mal wer bescheid sagen können, dass da was ist. Hat aber keiner. Also erfährt man's aus den Blättern. Nun.

Ein Symposium zur so genannten "Neuen Berliner Schule" hat in Berlin stattgefunden. Dieser Begriff meint einen sehr losen Zusammenhang - wenn überhaupt - von Filmemachenden, die in den 90ern an der dffb ihr Handwerk erlernt haben. Nach den für den deutschen Film weitgehend verschenkten 80er Jahren bildete sich hier ein feines Gespinst heraus, eine Art neuer Autorenfilm, jenseits von Eichinger-Manufaktur und Tykwer-Geschmeide. Namen? Köhler, Hochhäusler, Arslan, Petzold, Karmakar vielleicht, Schanelec und noch einige mehr. Aber das sind jetzt nur Einzelne. Berliner Schule also?

Die taz war auf dem Symposium. Der Tagesspiegel ebenfalls.

Kritischer geht's im Blog meines Kommilitonen Lukas zu. Und Christoph Hochhäusler berichtet wiederum in seinem Blog aus der Podiumsperspektive.

Eine erste, problembewusste Sondierung des heiklen Begriffs nimmt diese Gesprächscollage aus dem new-filmkritik-Umfeld vor. Ein Seminar folgt dann im Wintersemester an der Filmwissenschaft der FU Berlin.


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Montag, 2. Oktober 2006
Thema: Kinokultur
”P2P Art - The aesthetics of ephemerality.”

Art made for - and only available on - the peer to peer networks.
The original artwork is first shared by the artist until one other user has downloaded it.
After that the artwork will be available for as long as other users share it.

The original file and all the material used to create it are deleted by the artist.

”There's no original”
Ein interessantes Konzept. Sein erster Beitrag: Filter, ein Film von Anders Weberg. Hier die Links:
  • torrent (piratebay)
  • torrent (demonoid)
  • edk2
  • Ich warte ja darauf, dass beispielsweise auch das Kino Arsenal mal ins p2p-Geschäft einsteigt. In Experimentalkino und Videokunst macht man dort ja schon. Ein ideales Distributionssystem.



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    Dienstag, 12. September 2006
    Thema: Kinokultur
    "I will oppose the ban," he says, without hesitation. "My work is to make movies. And I will do so until someone stands in front of my camera and tells me I must stop. It is my fundamental right."
    Regisseur Lou Ye im Interview für Guardian. Ich wünsche Lou Ye viel Erfolg und Kraft dabei und fordere nochmals alle auf, sich mit dem Regisseur eindeutig zu solidarisieren.

    Nachtrag: Die chinesische Botschaft in Deutschland ist unter chinaemb_de@mfa.gov.cn per Mail zu erreichen. Ich habe soeben eine Mail aufgesetzt und abgeschicht. Sollte ich Antwort erhalten, werde ich dies im Blog vermerken. Es steht natürlich jedem frei, sich ebenfalls an die Botschaft zu wenden.


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    lol