Samstag, 11. Januar 2014
Angekündigt als "trister Überraschungsfilm" entpuppt sich Alexander Maxwells Mysterien der Pornographie als hypnotisch-relaxte Voyeurmeditation in grobkörnigem Schwarzweiß: Ein "Wissenschaftler" namens Albert Jenkins, der aussieht wie eine Mischung aus Martin Scorsese im Vollbartmodus und Charles Manson, führt sein neugieriges Publikum in die Schattenwelt der "Untergrundzeitungen" ein, in denen so verheißungsvolle wie anspielungsreiche Kleinanzeigen laszive Sensationen und geheimnisvollen Nervenkitzel versprechen - und all diese erotischen Abenteuer liegen zum Greifen nahe, sofern man über die dafür nötigen Finanzmittel verfügt, wie Jenkins immer wieder mit wissendem Grinsen Richtung Kamera versichert. Verspricht der deutsche, raunende Verleihtitel noch ein romantisch verbrämtes Zauberland, spricht der amerikanische Originaltitel auf hemdsärmelig geschäftige Weise Tacheles: It's All For Sale - als befände man sich im Paradies für Gebrauchtwageninteressenten.

Von pädagogischen Projekten wie den etwa im selben Zeitraum entstandenen Kolle-Filmen, die auf zwar anrührend naive, aber doch aufrichtige Weise von der Sorge um ein emanzipiertes Sexleben ihres Publikums getragen sind, ist Mysterien der Pornographie beträchtlich entfernt: Der Film bedient auf allen Ebenen die Haltung eines Voyeurs. Primärer historischer Adressat dürfte wohl wirklich eher der in seinem erotischen Begehren tendenziell sanft verklemmte Mitbürger gewesen sein, der zwar niemals auf eine dieser Kleinanzeigen reagieren würde, aber eigentlich schon mal gerne einen sicheren Blick in die Welt der sexuellen Libertinage werfen möchte. In Albert Jenkins hat er für dieses Anliegen einen verständnisvollen Bündnispartner: Neben der reißerischen Präsentation des publizistischen Quellmaterials fokussiert er vor allem auf die schön säuberliche Präsentation des eigenen "Medienapparats", wie es also ihm, Jenkins, gelingen kann, die im folgenden, vorgeblich im Selbstversuch erstellten Aufnahmen zu erstellen: Man erfährt, wo das Tonbandgerät versteckt war, und ahnt, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind, eine beträchtliche Kamera in einer Aktentasche so zu drappieren, dass sie von außen nicht auffällt, aber dennoch maximale Einsicht in das muntere Treiben besteht. Was einerseits die folgenden Aufnahmen - Jenkins beim Gruppensex, Jenkins beim Nacktfoto-Termin, Jenkins im Nudistencamp, Jenkins bei der Privatmassage, Jenkins beim Dildo-Einkauf, Jenkins bei der Voodoo-Audienz, etc. - authentifiziert, schafft dem unsicheren Voyeur zugleich eine rückversicherte Basis der Anschauung: Keine Sorge, wir werden alles sehen - auch wenn Jenkins, väterlicher Freund, der er ist, darauf hinweist, dass er beim Gruppensex "natürlich einige Szenen herausschneiden" musste - und uns wird nichts passieren. Puh.



Die eigentlichen Attraktionen dann: Meditation im Stillstand. Tatsächlich großartig von melancholischer Gitarrenmusik unterlegt, die man heute als American Primitivism auch einem an Singer/Songwritertum geschultem Indie-Expertenpublikum vorlegen könnte. Gerade diese Tiefenentspanntheit - okay, manchmal gibt es auch blöde Witzeleien, wenn Jenkins etwa an einen schwulen Masseur gerät - verleiht dem Film einen fast sehnsüchtigen Resonanzraum nach jener Form von Freiheit, der sich verzwicktes Spießbürgertum kaum aussetzen würde.



Bizarr geraten sind jene Momente, in denen uns Jenkins - eigener Auskunft nach "Verhaltensforscher" - via Kleinanzeige erworbene Nudistenfilmchen zeigt. Er bedient den Projektor, setzt den Film in Gang und der Film-im-Film übernimmt rahmenlos die eigentliche Form. Zwischendrin immer wieder: Inserts von Jenkins' Gesicht in Großaufnahme - düster dräuend, lüstern dreinblickend. Eine Erinnerung an den eigentlichen Ort des Films einerseits, andererseits wächst Jenkins in diesen kurzen Inserts aber selbst zu so etwas wie einem dunklen Hohepriester einer düsteren erotischen Fantasie heran. Spooky.

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Ein Film, der im Vorfeld eigentlich wie für mich gemacht schien (und in der Tat freute ich mich auf dieses Erlebnis mit am meisten): Scandelaris Das Paradies - international bekannter unter dem Titel Beyond Love and Evil - widmet sich lose den Klassikern der sexuell subversiven Literatur im Spannungsfeld zwischen De Sade und Sacher-Masoch, legt dabei auf narrative Kohärenz wenig wert und feiert den Schangel mit Kostümen, bizarren Ritualen und allgemein entgrenzter Entrücktheit. Und obwohl der Film über weite Strecken ein bisschen so wirkt, als hätte hier ein Jean Rollin mit deutlich mehr Budget (und deutlich umfangreicherem Theaterfundus zum Plündern) seiner sexuellen Libertinage und seiner Lust am freakigen Verkleiden gefrönt, nervte mich Das Paradies zu meiner eigenen Verblüffung ziemlich schnell.

Es mag daran liegen, dass der Film für mich keinerlei poetischen Wert entwickelt hat, das Gezeigte also ästhetisch nur selten über das hinauswuchs, was es eben zeigte: Menschen in obskuren Kostümen, die Obskures sagen und obskure Schminke tragen. Selbst noch eine Szene, in der sich eine junge Frau lustvoll in allerlei Fischen und einem Oktopus wälzte, wirkte lediglich wie die platte Nachstellung einer, in diesem Fall dem japanischen Kulturkreis entlehnten, Ikonografie transgressiver Sexualität ohne je eigenen archaischen oder wenigstens subversiven Reiz zu entwickeln. Die Veranstaltung wirkte wie Kindergeburtstag mit Verkleiden auf mich: Nie schoss das ins Delirium, sondern stellte immer nur dessen Behauptung auf. Nie entwickelte das Lust und Pathos, sondern blieb als infantile Provokation ohne shock value zurück (zugegeben: heute sagt sich das leicht, 1971 mag das anders gewesen sein). Hinzu kommt, dass ich den Eindruck nicht los wurde, dass der Filme seine ausgestellten Libertinagen und die profunde Widersprüchlichkeit seiner Figuren - es geht um eine Gruppe von Aussteigern, die die "Gemeinheiten" der Menschen hinter sich lassen, um das Reich totaler sexueller Freiheit zu erkunden, dabei aber eine im höchsten Maße phallokratische Despotie entwickeln - im Grunde genommen als Schachfiguren zur Denunziation und Diffamierung sexueller Freiheitsbewegungen auf dem Spielbrett bewegt.


Dazu passt, dass das einzige mir als wirklich poetisch in Erinnerung bleibende Bild ausgerechnet eine heteronormative Rekonstruktion vornimmt: Der junge Mann, der hier seine junge Frau dem Kreis der sexuellen Libertinage zu entreißen versucht, stürzt mit dieser nackt in einen Wildbach, wo er sie tatsächlich vergewaltigt - was innerhalb des Konstrukt des Films, der fortlaufend von Grenzübertritten und Überwältigungen handelt, allerdings nicht allzu viel heißt. Kamera, Musik, Schnitt, Rhythmus und Körperbewegungen gehen an dieser Stelle erstmals eine wirkliche Symbiose ein, sie poetisieren das bloß faktisch Vorfilmische, erstmals bewegen sich Körper mit- und auf Bezug zueinander, es entsteht eine eigene, sehr faszinierende Ästhetik des Körpers im sexuellen Rausch, der hier keinen Theatertand mehr braucht, um Ekstase zu erreichen oder wenigstens abzubilden. Dass nun ausgerechnet dieses Bild als einziges die Qualität eines cine-ästhetischen Faszinosums entwickelte, während die viel interessanteren, da unkonventionelleren Sexualitäten, die der Film noch zeigte, zur Klamottenparade verkamen, nehme ich ihm sehr übel.

(und ja, gewiss gibt es Momente, in denen für einen Moment lang ein anarchischer Funke aufblitzte. Die Szene als eine Art engmaschige Polonäse vor den Augen des masochistischen Verzichtergreises aus einer Tür herausmarschiert kommt, um in die nächste wieder einzumarschieren, war natürlich super)

Florian meinte sehr passend nach der Sichtung: "Intellektuell armselig." Und Lukas schrieb gar bloß ein "Nehmt den Hippies die Kameras weg". Beobachtung am Rande: Der Titel Vulkane der höllischen Triebe, der auf den so bezeichneten Film so gar nicht passen wollte, wäre hier jedenfalls deutlich passender gewesen als Das Paradies, das im Grunde eine Hölle darstellt.

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Arbeitskampf unter Frankreichs heißer Sonne: Eine Obstplantage wird zum Schauplatz rhetorischer und praktischer Auseinandersetzungen darüber, was es heißt, nichts als seinen Körper zu besitzen und sich gegenüber jenen zu behaupten, die über mehr als das - Produktionsmittel und also Macht - verfügen.

Anders als der deutsche Verleihtitel vermuten lässt, handelt es sich dabei weniger um ein unzüchtiges Werk für Voyeure, die verschwitzten Obstpackerinnen in den Ausschnitt schauen wollen, sondern um ein genau beobachtetes, genau komponiertes, vielschichtig sortiertes Werk, das sich für seinen Ort, die Leute, die dort arbeiten, und deren Lebenslagen sehr aufmerksam interessiert. Da sind die LKW-Fahrer, die sich über defekte Bremsen beklagen, die der Unternehmer nicht reparieren lassen will. Da sind die Obstpackerinnen in ihrem Trott, von denen manche sich fügen, andere wiederum - darunter die ziemlich modern sich behauptende, attraktive Kissa (Scilla Gabel) - fügen sich weniger, wie sich nicht nur im Dialog, sondern auch in de Details am Rande zeigt, etwa wenn Josine fertig abgepacktes Obst kurz vor der Abfahrt mutwillig mit ihren Fingernägeln beschädigt, um die eigene Arbeitskraft nicht ganz so profitabel werden zu lassen. Da ist der Barbetreiber, der am Rande der Baracken vom Feierabend der Leute lebt. Der schwarze Junge, der sich zwischen den Baracken herumtreibt. Nicht zu vergessen: Der Unternehmersohn in feinster Kleidung und mit feschem Wagen, der sich mit der wonnevollen Arroganz der Bessergestellten über die Angestellten seines Vaters erhebt. Und natürlich gibt es die Bar, den Amüsementbetrieb in der fernen Stadt, zu dem die Leute am Wochenende fahren, um ihr bisschen Geld für etwas Sinnenfreude zu verprassen. Und schließlich gibt es den Schweiß, die Hitze, das alltägliche, entbehrungsreiche Geschäft.

Obwohl ein gewisses Maß an Lüsternheit dem Film ohne weiteres untergehoben ist (die Leute haben, wie gesagt, zunächst einmal nichts als ihre Körper), gibt sich Die Ernte der sündigen Mädchen dem Sleaze nie voll hin - ganz im Gegenteil ist der Film herausragend vernünftig konstruiert: Als gegen Ende eine der Frauen vergewaltigt aufgefunden wird, richtet sich der Zorn des sich schnell formierenden Mobs zunächst gegen den aus der Situation heraus auf den ersten Blick wahrscheinlichsten Täter - den schwarzen Jungen -, doch bevor es zum äußersten kommt, regen sich schon Stimmen der Vernunft, die durch beherztes Eingreifen Schlimmeres verhindern - zu Recht und zum Glück, wie sich wenig später herausstellt. Auch der finale Konflikt, der auf eine ganz handfeste Konfrontation hinausläuft, erfährt eine Auflösung, in der eben nicht das Gute sich die Hände, rechtlich gesehen, schmutzig machen und primäre Impulse schubhaft abreagiert werden - vielmehr entwickelt der Geiz des Unternehmertums ganz eigene tragische Züge.

Sprich: Ein mit wackerem kommunistischem, zumindest aber stramm sozialdemokratischem Gestus gedrehter Film - im allerdings jeweils besten Sinne. Gut dabei vor allem auch, dass sich der Film nicht in den Arbeitsethos kommunistischer und sozialdemokratischer Film-Manifeste rettet. Dass die Leute hier sich der Arbeit entziehen, wo sie nur können, dass sie Strategien entwickeln, um sich dem Leistungsregime zu entwinden, stößt seitens des Films auf viel Solidarität. Körper, so unterstreicht dieser Film ganz eindeutig, sind zu mehr und weit besserem geschaffen als zu bloßer Plackerei. So ist Die Ernte der sündigen Mädchen nicht zuletzt auch ein frühes Beispiel für ein Kino der Arbeitsverweigerung, einem Thema, dem man ohnehin einmal näher nachgehen sollte.

Dass dieser Film, der auf der einen Seite ohne weiteres als Spätausläufer des Neorealismus gesehen werden kann, auf der anderen Seite aber auch mit einem amerikanisch informierten Cine-Existenzialismus wie aus Lohn der Angst anbändelt, heute so profund in Vergessenheit geraten ist, ist nicht nur unverständlich, sondern auch unverzeihlich. Es mag auch an der Besetzung liegen: Scilla Gabel figuriert hier in einer Rolle, in der man sich auch Weltstars wie Sofia Loren oder Gina Lollobrigida vorstellen könnte, ohne dass ihr Name allerdings denselben Klang besäße.

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Mittwoch, 8. Januar 2014
Der "Videoknüppel" zählt zu den eigenen "Genres" des Hofbauer-Kongresses: Darunter fallen Filme aus dem Tiefstpreissegment der VHS-Zeiten, edler Filmsud also, der den offiziellen Sprung zur DVD oder anderen Heimmedien (abseits der Arbeit aufopferungsvoller Idealisten, die solche Filme unter furchtloser Missachtung gesetzlicher Bestimmungen digitalisieren und ihnen damit die Hoffnung auf ein Nachleben bescheren) wohl niemals schaffen wird (zumindest nicht in der präferieren deutschen Synchro-Version mit ihren ganzen eigenen Untiefen). Es versteht sich, dass der "Videoknüppel" eine ganz besondere Herausforderung darstellt: Die Produktionswerte sind äußerst niedrig, die Synchronisationen bis an die Sch(m)erzgrenze lachhaft und die fleckige Bildqualität räudiger VHS-Kassetten, die seinerzeit nun ganz gewiss nicht aus Liebe zum Produkt auf den Markt gebracht wurden, ohne weiteres eine Zumutung. Es versteht sich fernerhin, dass der "Videoknüppel" das Privileg der Morgenröte genießt, sodass neben der ästhetischen auch eine körperliche Belastungsprobe zu durchstehen ist.

Aber was stört dies alles den neugierigen Cinephilen bei seinen Safaris durchs Unterholz der Filmgeschichte, wenn es dabei so ein herzig grobes Sportfilm-Märchen wie diesen Frauenwrestling-Film zu entdecken gibt? Vorderhand orientiert sich American Angels: Baptism of Blood am üblichen Narrativ des Underdogs, der (bzw. die) nach diversen Momenten der Ertüchtigung und (vorläufigen) Niederlagen nicht nur die Liebe findet, sondern auch triumphal in die heiligen Hallen des Profisports vordringt. Doch wo das Qualitätskino diese Geschichte selbst noch in den immer hyperbolischer werdenden Rocky-Filmen unter Wahrung des guten und dezenten Geschmacks erzählt, bestellt American Angels: Baptism of Blood von vornherein jene ästhetischen Felder, die ein cinephiles juste milieu eines Blickes gar nicht erst würdigen würde. Schon die ersten Bilder des Vorspanns feiern alles, was abgeschmackt, kitschig, auf jeden Fall nicht ernsthaft vorweisbar ist und erheben es in den Rang einer ganz eigenen Kino-Pathosformel:



Im Grunde genommen zeigt der Film eine kümmerliche Welt: Der Frauenwrestler-Impresario ist mit seiner billigen Glitzerjacke und seiner übertriebenen Showmanship-Attitüde das Pendant zum Marktschreier der schäbigsten Bude auf dem Kirmesplatz. Bei dem zum großen Ereignis aufgebauten Duell am Ende sind auf den schmalen Publikumsrängen mehr Plätze frei als besetzt. Wenn in dunklen Seitengassen erklärt wird, dass eine der Wrestlerinnen Probleme mit dem kriminellen Milieu hat, dann sieht das Set so aus, als käme gleich Oskar aus der Sesamstraße aus einer Mülltonne hervorgesprungen.

Und der Film lässt nichts unversucht, seine existenzialistisch verbrämten Konflikte durch allerlei Schabernack zu unterwandern: Wenn bereits genannter Impresario eine auf Schmiercatchen in zwielichtigen Etablissements spezialisierte Wrestlerin - die "Lästige Lisa" (Jan MacKenzie, der heimliche Schwarm des ganzen Kongress) - in ihrer Garderobe dazu bewegen will, sich doch bei ihm zwecks Professionalisierung ihrer Karriere zu melden, dann schaut er ihr - die sich gerade unter der Dusche zum Boden beugt - als erstes in den entgegengestreckten Arsch samt Möse, während sie beim Blick durch ihre Beine einen Schreikrampf kriegt. Selbstverständlich werden beide im späteren Verlauf dann auch von solchen Erlebnissen ganz abgesehen miteinander intim - natürlich auf dem Boden des Wrestling-Rings, unter dem, wie sich Lisa erst am nächsten Tag offenbart, ein (verschmitzt grinsender) Kleinwüchsiger lebt, der so etwas wie die gute Seele des Films darstellt.

Und dennoch: Wie in diesen Film das große Pathos, die ekstatische Wirklichkeit des B-Movies schießt, das ist ganz große Kino-, respektive Videopoesie. Alles an diesem Film so entgrenz grotesk in Szene gesetzt wie der Körper von Lisas erster Gegnerin beim Probe-Wrestlen:



Sicher hat das auch mit der eh immer schon B-Movie-affinen Ästhetik des Wrestlings zu tun, wie Lukas schon richtig schreibt. Dennoch entwickelt das für mich in einem konkret filmischen Zusammenhang, losgelöst von der aufgestachelten Live-Atmosphäre der TV-Übertragungen, die mich im Kabelfernsehen der 90er erstmals auf Wrestling aufmerksam machten, nochmal einen ganz eigenen Reiz - vielleicht auch deshalb, weil die große Geste, die exzessive Fetischisierung des Unsubtilen nochmal dadurch gebrochen wird, dass die Form der Billigproduktion dem Tonfall kaum standhält.

Vor allem aber gefiel mir auch der Anschluss an neuartigere Retrophänomene wie Hypnagogic Pop, Vaporwave etc. (für einen Einstieg: Adam Harper arbeitet sich in seinem Blog und seinen Essays sehr ausführlich daran ab), die obsolete und im Grunde längst verschwundene Ästhetiken von auf persönlichen Ausdruck gerade nicht setzenden, sondern ganz im Gegenteil herausragend "billig" und unpersönlich gestaltete Unterhaltungsformen insbesondere auch im Hinblick auf eine Materialästhetik aufgreifen und zu neuen Werken amalgamisieren und sich dabei in die Glücksversprechungen einer im Grunde genommen betrügerischen, zumindest aber hochgradig illegitimen Ästhetik hineinträumen. Als die obligatorische Trainingsmontage in American Angels: Baptism of Blood einsetzte und dazu ein triumphal quiekender Schrott-Synthsound loslegte, wünschte ich mir jedenfalls spontan eine Coverversion von Oneohtrix Point Never.

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Dienstag, 7. Januar 2014
Zu den schönsten Phänomenen des Hofbauer-Kongresses (und dem sich darum bildenden Diskurs-Universum) zählt neben der Herausbildung eines sehr eigenen Jargons auch die Identifizierung gewisser, typischer Bildmotive, die sich in der HK-Welt häufen und gruppieren. Eines davon ist die nächtliche Fahrt durch eine mit verlockenden Neon-Schriften illuminierte Innenstadt, gefilmt aus einem Auto heraus. Womöglich handelt es sich auch um das treffendste Bild für den Kongress: Urban, ein bisschen retro, ein Dschungel voller glitzernder Versprechen, Sünde, Lust und Gier an jeder Ecke - und immer auch die Ahnung des Betrugs, während das Auto wie eine Kapsel des Verzichts figuriert. Dass der einzige in Deutschland entstandene Film von José Bénazéraf mit so einem Bild beginnt, ist also nur als Versprechen zu verstehen, dass St. Pauli zwischen Nacht und Morgen aufs Vergnüglichste einlöst.

Ekkehard Knörer hat in der taz bereits vieles Richtige über diesen Film geschrieben: Tatsächlich ist es eine wahre Freude, wie dieses Film gewordene, nokturnale Cool-Jazz-Album durch seine Geschichte, sein Milieu mäandert, dabei vom melancholischen Stimmungsbild am Hafen zum Dokumentarismus wechselt, mal hochgradig künstlich wirkt, die Vorbilder des großen Kinos sucht und eben doch immer wieder den Blick auf diese Gegend hier, rund um die Reeperbahn, wirft. Dabei entsteht eine eigene Welt ganz für sich, eine Filmwelt neben der unseren, eine Dämmerwelt, die schon der eigentlich etwas merkwürdige Titel St. Pauli zwischen Nacht und Morgen ankündigt.

Es steckt viel Freiheit, viel Spielfreude in diesem Film - und der Zierrat wird zur eigentlichen Attraktion: Rolf Eden etwa - ein Spelunken-Schmierhahn, dessen Etablissement als Drogenumschlagplatz ins Visier der international ermittelnden Behörden gerät - wird bei seiner Einführung bemerkenswert lange nur von hinten gezeigt, als gelte es, den Preis für maximale filmische Coolness zu gewinnen. Oder die drei jungen Frauen zum Beispiel, die in dieser Bar immer wieder aufspringen und zu dritt einen eckig-gelenkigen Tanz hinlegen - beides zählt zum Schönsten, was sich hier finden lässt. Oder der vielgeliebte Moment am Rande des Hamburger Fischmarkts, als eine Omma zum Oppa im Vorbeigehen kurz vor Schnitt noch fragt, was sie ihm denn heute Abend kochen soll. Das Schmier-Sakrale und Trunst-Profane liegen in diesem Sittenreißer-Poem dicht beisammen.



Eine DVD ist bei Pidax erschienen. Der Erwerb wird empfohlen.

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Ganz am Ende, wenn jene jungen Mönche, die anfangs noch viril und munter durch Italiens Landschaft spurten, sich ausgelaugt durch die Gegend schleppen, steckt in einer Kutte auch Aristide Massacesi (im ungeschnittenen Original sieht man ihn bereits in einem Insert), den man besser unter seinem Künstlernamen Joe D'Amato kennt, laut Vorspann wenigstens Kameramann dieser im Zuge des Erfolgs von Pasolinis Decameron entstandenen Burleske, laut der allgemeinen Folklore aber wohl auch tatsächlich ihr Regisseur. Als solcher genießt D'Amato einen höchst kontroversen Ruf: Viele seiner späteren Schocker zählen zu den Lieblingsfilmen hiesiger Zensoren, noch später beackerte er alles, was erst wenig Geld kostete und im Anschluss Geld möglichst garantiert wieder einspielte, also Direct-to-Video-Geschichten genauso wie am Ende dann Pornos im Dauerlauf.

In jedem Fall steht D'Amato für eine gewisse filmische Feinschmier-Tristesse von einiger Erhabenheit, die einem allerdings auch einiges an Ausdauer abverlangt. Umso beglückter war ich im Kino, als sich dieser sanfte Spott wider Frömmelei und Lustfeindlichkeit als temooreiche, verspielte, bezaubernd flüchtige Burleske All'Italiana entpuppte, die der Ausgelassenheit seines Titelstücks vollauf zu entsprechen wusste. Von Gier und Schmier des deutschen Verleihtitels ist der Film in seiner kindlichen Albernheit (die an nur wenigen Stellen sadistisch spitz wird) genauso weit entfernt wie vom (auf ganz eigene Weise charmanten) Kunstwollen Pasolinis. Vielleicht verortet dies die hier versammelten, recht zwanglos ineinander kippenden Geschichten (es dauerte einen Moment bis ich wirklich begriffen hatte, dass ich es mit einer neuen Episode und nicht einfach nur einem Szenenwechsel zu tun hatte) tatsächlich noch einmal deutlich näher an Geist und Wesen von Boccaccios deftigen Mittelaltenovellen, die für Pasolini und D'Amato Pate standen.

Gewiss, mit dem Brachialhumor muss man sich erstmal anfreunden können. Verstopfungen, Kastrationen und Drag-Gags sind nicht ohne weiteres konsensfähig. Auch dass die Männer durchweg die größten Trottel und Frauen allesamt wissende Luder sind, muss man von heutiger Perspektive aus erstmal in die gendersensible Matritze transferiert bekommen. Auch bildet D'Amato hier schon eines seiner motivischen Trademarks aus: Menschen, die sich von A nach B bewegen und dabei der Filmlaufzeit zugute kommen. Trotzdem kann ich einem Film, in dem sich ein junger Mönch beim Plündern des Opferstocks (motivische Querverbindung zum Kongressfilm ... soviel nackte Zärtlichkeit!) zwischem einem Jesus in arg derangiertem Zustand (motivische Querverbindung zum Kongressfilm Die Klosterschülerinnen!) und der Finanzierung einer schnellen Nummer für letzteres entscheidet, nicht ernsthaft böse sein, selbst wenn die Nummer reichlich rabiat mit einem Schnitt endet, nach dem sich der Mönch von der Liebesstelle, ein "Finalmente" - auf Deutsch etwas vergleichbar rohes - auf den Lippen, von dannen macht.



"Ein klägliches Sexprodukt", urteilte seinerzeit auf bekannte, wenig verständnisvolle Art der katholische film-dienst, was immerhin die Frage aufwirft, was der Sexualakt in Augen des erzürnten Filmkritikers alles hervorzubringen imstande ist. Und nicht zuletzt ist der deutsche Verleihtitel natürlich auch eine ganz großartige Überschrift für die Veranstaltung des Hofbauer-Kongresses an sich.

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Erster Film im Programm des 12. außerordentlichen Filmkongresses des Hofbauer-Kommandos: Ein bayerisch-winterliches Wohnstuben-Drama rund um ein Verbrechen, dessen Dimensionen sich erst nach und nach entblättern, mit kerniger Altmänner-Brunft und einem Schulterschluss zwischen Klerus und Exekutive, der nochmal ungute Erinnerungen weckt.

Bemerkenswert, wie sehr dieser Film noch 1968 in der Männerwelt des Kinos der 40er und 50er verhaftet ist, bemerkenswert auch, wie sehr der Film den Generationenkonflikt der späten 60er vom Alpenrand aus allegorisch perspektiviert und sich dabei sehr auf Seite des Althergebrachten stellt, nicht ohne dabei aber - tolle schizophrene Position - den Möglichkeiten der sich abzeichnenden Liberalisierung im Kino hinterher zu lüstern (gleich am Anfang werden eingeseifte Autoscheiben mit eingepackten Frauenbrüsten gewischt...).

Am sinnfälligsten zeigt sich diese Schizophrenie nicht nur in der Hauptfigur Peter Kremer (Erich Fritze), der "nach 20 Jahren" in Kanada, wo er offenbar Hemingway-artig dem Männertum nachging und nebenbei noch ein Großunternehmen aufbaute (in noch älteren Filmen würde man wohl sagen: "ein doller Typ"), nach Deutschland - genauer: nach Bayern - zurückkehrt, also eine Figur aus einer 1968 eigentlich schon längst vergangenen Zeit darstellt, sondern auch in der Figur des Dorfpfarrers, den Günter Hendel (als Regiedebütant, der sich sehr eindeutig nicht der Aufbruchstimmung des "Jungen Deutschen Films" verpflichtet sieht) kurzerhand selbst spielt: In der ersten und ziemlich neben dem Film stehenden Sequenz rettet er eine junge Eva (Doris Arden) aus dem Sündenpfuhl einer Münchner Bar und zeigt sich dort schon für einen Mann seines Berufsstands erstaunlich hemdsärmelig, um nicht zu sagen: schlagkräftig. Auch ist er einem guten Tropfen stets zugeneigt, raucht, trainiert die ihm anvertrauten Kinderchen im Boxunterricht, klüngelt mit dem Dorfpolizist, den er beim Glücksspiel regelmäßig ausnimmt. Wirkliche Herzlichkeit gibt es bei diesem Pfarrer nur zum Preis zuvor durchlittener Kaltherzigkeit, wie sich in einer Szene zeigt, in der er einen offenbar aus ärmlichsten Verhältnissen kommenden Jungen, der sich am kirchlichen Opferstock bedient hat, erst einmal gehörig auflaufen lässt, bevor er herablassend Gnade vor Strafe walten lässt.



Kremer holt sich eine junge Frau, Kitty (Erika Remberg), samt deren kränkelndem, den Künsten (und dem erotischen Super8-Film...) zugeneigten Jochen (Lutz Hochstraate) auf sein Landhaus. Zuvor stand Kitty nur in ein Handtuch gehüllt vor seinem Hotelzimmer (ein Wüstling habe ihr die Kleidung zerrissen und mitgenommen), da nahm er sie kurzerhand bei sich auf - natürlich im Wissen darum, wie man sich vor einem Spiegel positionieren muss, um als Galant der alten Schule dennoch voll auf seine Kosten zu kommen, wenn man sich schon umdreht, damit eine Dame sich bekleiden kann.

In einer Szene - der Pfarrer spielt mit den Kindern Fußball (natürlich gehen sie ihm nicht hart genug an den Ball), während Jochen sich in Schussnähe seinen Weg durch den Schnee bahnt - greift der Pfarrer unter den Augen des Dorfpolizisten zum Ball, bringt sich in Position und donnert dem verweichlichten Jüngling das Geschoss mit derartig viel Karacho ins Gesicht, dass dieser sich - quittiert vom Lachen der Polizei - im Schnee stöhnend lang legt. Der Kerl ist ihm nicht ganz geheuer, lacht sich der Pfarrer mit der Polizei eins. Für einen Film, der im Titel von Zärtlichkeiten in Hülle und Fülle schwärmt, ist dieses Stück Film gewordene Trivialliteratur aus beeindruckend viel Härte geschmiedet.

Auch deshalb erinnerte mich der Film zuweilen an die Welt aus Fix & Foxi und wie darin Lupo, als Repräsentant einer nachwachsenden Generation, die männlicher Härte und preußischem Arbeitsethos den Müßiggang vorzieht, immer wieder unter allerlei Häme gemaßregelt wird. In einer Episode interessiert sich Lupo sogar für moderne Kunst, was dazu führt, dass seine "Klecksereien" am Ende unter allgemeinem Gelächter den Flammen eines Lagerfeuers überantwortet werden.

Wobei ... soviel nackte Zärtlichkeit sich natürlich insofern absichert, dass der jungen Generation nur die bösesten Absichten unterstellt werden. In Kremers nach alter Manier eingerichteter Wohnstuben-Welt - die mit einer Küche bestückt ist, die Kitty "nie wieder verlassen wird", wie sie beim Betritt des Hauses jubelt - gibt sich alsbald ein perfide eingefädelter Plan zu erkennen, dem sich Kremer, als auserkorenes Opfer der jungen Bande, nicht nur durch alter Männer Instinkt, sondern auch durch seine in Kanada erworbene Gabe, nunmehr "auch Reißzwecken verdauen" zu können, entwindet.

Unzweifelhaft ist Hendel ein geschickter Regisseur, der für das, was er im Sinn hat, schlicht Jahre zu spät kam. Im Grunde ist er Klassizist mit einer Liebe für das amerikanische, in Wohnungen angesiedelte Drama mit cleverer Konstruktion. Tatsächlich ist ... soviel nackte Zärtlichkeit insbesondere auch als Krimi hervorragend erzählt und schafft es, sein Publikum an der Nase lange an der Nase herumzuführen. Psychotronisch von einigen Weihen ist eine Szene, in der der kränkelnde, aber stets lüsterne Jochen die junge Eva mittels Super8-Schmierfilme (deren Gehalt der Fantasie des Publikums überlassen bleibt, wie hier überhaupt alles, was im Sinne des Titels aufreizend sein könnte, durch Eigenleistung des Publikums an den Film herangetragen werden muss) in den Bann der körperlichen Lüste schlägt. Als Zeugnis eines eisernen Beharren-Wollens hat mir ... soviel nackte Zärtlichkeit herausragend gut gefallen.

Siehe auch: Lukas - Oliver



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Nachgeholte Sichtung eines bereits auf einem früheren Hofbauerkongress gezeigten Films für alle, die ihn damals verpasst haben. Und einmal mehr zeigt sich: Die Titel der Filme, für die man sich im Zusammenhang mit dem Kongress interessiert, korrespondieren selten mit dem, was sie bezeichnen, von wenigen nüchternen Zustandsbeschreibungen - Der Perser und die Schwedin, Anatomie des Liebesakts (dazu später mehr) - abgesehen. Vulkanös, höllisch und triebhaft ist an diesem Film jedenfalls nichts, aber er ist schnuffig verpennt, als Hobbygangster-Film vor Kulisse eines bayerischen Kuhkaffs sympathisch behäbig.

Man fragt sich natürlich, wer so einen Film warum dreht. Ein bisschen fühlt sich der Film so an, als seien die Bengel, die erst eine leichte Dame arrangieren, um einen Unternehmer mit Fotos in Bedrängnis zu bringen, um ihn dann auch noch auszurauben, im Grunde vier bayerische Kumpel, die mal zusammen einen Film nach Art des amerikanischen Gangsterfilms drehen wollten - nur eben im bayerischen Hinterland, wo es keine zwielichtigen Kneipen, sondern nur Hobbykeller für die jungen Leute gibt. Wo keine Straßenschluchten mit Sünde locken, sondern die Alpen Ruhe und stoische Gelassenheit ausstrahlen. Wo man einander nicht am Hafenpier ums Leben bringt, sondern am Dorfbach.

Immerhin: Einen Jaguar haben sie und damit den Ausweis weltmännischen Savoir-Vivres. Damit fahren sie dann über Trampelpfade, einer springt immer lässig auf den Kofferraum. Als sie einmal mit dem Wagen losfahren, tuckert im Hintergrund der Traktor eines Bauern durchs Bild und macht jeden Traum vom Film Noir rasant zunichte.

Geboten werden Standardsituationen des Gangsterfilms, auf hübsch naive Weise ausbuchstabiert und durcherklärt, dann aber doch immer wieder sonderbar schief ins Bild gesetzt. Natürlich entsteht Streit um die fette Beute, einer der Jungs fühlt sich übergangen und nimmt den ganzen Batzen an sich. Man verfolgt, beschießt und prügelt einander. Als der Abtrünnige überwältigt ist, ruft er nur aus, er wolle nur seinen Anteil. Lapidare Antwort über einen Schnitt gelegt: "Ja, ist in Ordnung." Gut, dass wir darüber gesprochen haben, Vertrauen wieder hergestellt.

In einer anderen Szene muss ein Auto entsorgt werden. Das geht natürlich am besten im Dorfsee. Wie die Kerle den Wagen aus dem LKW manövrieren, ist äußerst waghalsig anzuschauen. Dann kippen sie die Karre ins Wasser, worauf es ihnen schlagartig dämmert, dass sich das Geld ja noch in dem Wagen befindet. Glücklicherweise haben sie - wie offenbar jeder vernünftige Mensch auf dieser Welt - in ihrem Jaguar eine volle Tauchermontur, sodass der eine ins (nun weißgott nicht tiefe) Wasser steigen und das Geld retten kann. Gegen Ende landet das Geld schließlich zur Zwischenlagerung in einem Jauchetank. Dieser allerdings wird schon wenig später das Feld besprenkeln - und mit einem Mal, wenn die vier Jungs wie angegossene Pudel auf dem Acker stehen, weil sich ihre Kohle nun in Kuhpisse aufgelöst hat, macht auch das Cinemascope des Film unbedingt Sinn.

Von Ferne mag man da an das Ende von Kubricks Die Rechnung ging nicht auf denken. Endet dieser noch auf einem Flughafen, an der Pforte zur großen Welt also, landet man beim Vulkan der höllischen Triebe in Schlamm und Piss des bayerischen Ackerbaus. Immerhin etwas Gnade: So niederschmetternd das Ende für die Gangsterbuben auch ist, so konsequenzlos ist es, zumindest für sie, dann schließlich auch.


Mehr bei: Oliver - Udo


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Mittwoch, 1. Januar 2014

  upcoming attractions:
  • 90 - das merkwürdige kätzchen
  • 86 - 12 years a slave
  • 84 - the wolf of wall street
  • 82 - drug war
  • 09 - elle s'en va

  •   beyond distribution


  • 79 - camille claudel,1915
  • 68 - nach wriezen
  • 65 - i used to be darker
  • 60 - a single shot
  • 49 - lovelace
  • 41 - global home
  • 34 - jeiseul
  • 30 - vic + flo ont vu un ours
  • 29 - upstream color
  • 11 - dracula 3d


  •   straight to disc
  • 69 - lawless
  • 65 - john dies at the end
  • 58 - painless
  • 58 - lords of salem
  • 51 - compliance
  • 45 - escape
  • 42 - god bless america
  • 34 - byzantium
  • 20 - odd thomas

  •   in theatres
  • 93 - zero dark thirty
  • 92 - leviathan
  • 89 - gravity
  • 85 - peak
  • 85 - the act of killing
  • 84 - captain phillips
  • 84 - prince avalanche
  • 82 - tatort: aus der tiefe der zeit (tv)
  • 80 - pain & gain
  • 80 - 00 schneider: im wendekreis der eidechse
  • 78 - evil dead
  • 75 - oblivion
  • 76 - jack reacher
  • 75 - berberian sound studios
  • 75 - polizeiruf 110: der tod macht engel aus uns allen (tv)
  • 75 - olympus has fallen
  • 74 - frankenweenie
  • 74 - lone ranger
  • 74 - genug gesagt
  • 73 - the last stand (im kino leider cut!)
  • 73 - paradies: hoffnung
  • 72 - frances ha
  • 72 - roland klick: the heart is a hungry hunter (vod)
  • 71 - gangster squad
  • 71 - inside llewyn davis
  • 71 - the legend of kaspar hauser
  • 71 - der tag wird kommen
  • 70 - die monster-uni
  • 70 - insidious 2
  • 70 - alois nebel
  • 70 - prisoners
  • 70 - finsterworld
  • 70 - gold
  • 70 - silver linings
  • 70 - passion
  • 70 - oldboy
  • 69 - celeste & jesse
  • 69 - computer chess
  • 68 - star trek 2: into darkness
  • 68 - the conjuring
  • 67 - kid thing
  • 65 - the master
  • 62 - before midnight
  • 62 - dr. ketel
  • 61 - it's all so quiet
  • 60 - the croods
  • 60 - the end of time
  • 55 - man of steel
  • 55 - white house down
  • 55 - we steal secrets
  • 53 - pacific rim
  • 51 - django unchained
  • 51 - tatort: allmächtig (tv)
  • 51 - promised land
  • 50 - flight
  • 50 - don jon's addiction
  • 50 - look of love
  • 49 - die nacht der giraffe
  • 49 - sightseers
  • 47 - elysium
  • 46 - chasing ice
  • 45 - bullet to the head
  • 45 - vive la france
  • 45 - world war z
  • 45 - side effects
  • 42 - fuck for forest
  • 42 - room 237
  • 42 - der medicus
  • 41 - the east
  • 40 - dead man down
  • 40 - freakonomics
  • 40 - broken city
  • 39 - die tribute von panem 2: catching fire
  • 38 - fliegende liebende
  • 38 - machete kills
  • 35 - after earth
  • 31 - take this waltz
  • 31 - chroniken der unterwelt
  • 30 - das kleine gespenst
  • 28 - seelen
  • 28 - only god forgives
  • 28 - the grandmaster
  • 25 - house at the end of the street
  • 25 - planes
  • 25 - the crime
  • 22 - last vegas
  • 22 - carrie
  • 21 - the great gatsby
  • 21 - ich: einfach unverbesserlich 2
  • 21 - der hobbit 2: smaugs einöde
  • 20 - oz the great and powerful
  • 18 - g.i. joe 2: die abrechnung
  • 15 - bastard
  • 10 - zimmer 205
  • 03 - unsere mütter, unsere väter


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    Mittwoch, 18. Dezember 2013
    Neu in der Blogroll:

  • das Magazin des Glücks
  • die Stubenhockerei
  • die grüne Heide, sowie vom selben Autor
  • die Liebe in der Stadt


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    Mittwoch, 11. Dezember 2013
    Unterm Goldschatz schlummert der Drache. Noch bevor man das CineStar im Berliner SonyCenter betritt, wo die Pressevorführung von Peter Jacksons zweitem Hobbitfilm stattfinden soll, ist man in Mittelerde, genauer: im Einsamen Berg, in dem ein Drache vor Jahr und Tag eine Zwergenstadt erst ausgeräuchert und dann deren prächtigen Goldschatz in Besitz genommen hat, weshalb nun eine Horde von 13 Zwergen samt Hobbit Bilbo Baggins (Martin Freeman) unter gelegentlicher Begleitung von Gandalf (Ian McKellen) quer durch Mittelerde stapft, um, nunmehr schon im zweiten von insgesamt drei Teilen, zurückzuholen was einst fest in Zwergenhand war. Zur Premiere am Vortag hat die Marketingabteilung was springen lassen: Ein prächtiger Plastikdrache lugt aus einem noch prächtigeren Plastik-Goldschatz, der Schriftzug des Franchise prangt funkelnd über allem. Während einen Steinwurf weiter die Buden vom Weihnachtsmarkt im herbstlich-nassen statt winterlich-romantischen Berliner Dezember ein eher kärgliches Bild bieten, klotzt man im SonyCenter richtig ran mit dem Weihnachtsprunk. Ein Event, ein Film, der sich über die Grenzen des Kinosaals hinaus auf die Stadt legt, der darin aber auch unmissverständlich klar macht: Man kann gegen ihn eh nicht anschreiben. Und man kann es wirklich nicht. [weiterlesen beim perlentaucher]



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    Samstag, 7. Dezember 2013


    Llewyn Davis (Oscar Isaac) ist ein Mensch, für den es keinen Ort gibt. Wohnungslos, mit Hundeblick und allenfalls dürftigen Klamotten angesichts der Witterung im winterlichen New York des Jahres 1961 zieht der Folkmusiker tagsüber durch die Stadt und in der Nacht über die Sofas arrivierter Gönner (in deren Wohnungen er so deplatziert wie schusselig wirkt) und prekärer Musikerfreunde (die davon wenig begeistert sind). Und schlimmer noch, nicht einmal die Zeit ist auf seiner Seite: Seine Lieder, verinnerlicht im legendären Gaslight Café vorgetragen, nehmen zwar bereits die Wende innerhalb der populären Musik von zuvor industriell normierten Standards hin zu einer Ästhetik des authentischen Ausdrucks einer Künstlerpersona vorweg, doch historisch betrachtet genau jene eine entscheidende Millisekunde zu früh, um als Pionier in die Geschichte einzugehen. Schon wenig später wird diese Art der Musik, genau von dieser Spielstätte aus, auf Jahrzehnte weithin Wellen schlagen - bis hin zum heute wieder sehr optionalen Modell des Singer-Songwriters. Den zentralen Impulsgeber, Bob Dylan, sieht man ganz am Ende dieses Films auf derselben Bühne spielen wie zuvor Llewyn Davis, der in diesem Moment hinter dem Schuppen liegt wie ein geprügelter Hund in der Gosse. Schon im März 1962 kommt Dylans Debütalbum auf den Markt, Llewyn Davis ist da längst vergessen. [weiter beim perlentaucher]

    Sowie nur kurz, da der Text knapp und der Film übergehenswert ist: Meine Besprechung zum Carrie-Remake in der taz.


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    Mittwoch, 4. Dezember 2013
    Der deutsche Film ist - seit neuestem, mal wieder, immer noch, dauernd - in der Krise. Lesenswert dazu etwa gerade Martin Hagemann (den auf Facebook zu abonnieren sich im übrigen lohnt) in der Frankfurter Rundschau: hier. Und überhaupt verdampfen gerade weite Teile der historischen Produktion, dazu Kothenschulte in der Welt hier (siehe auch diese Petition).

    Da sich vieles an der deutschen Filmproduktion nur halb wenn überhaupt verstehen lässt, wenn man nichts von den 60ern weiß, und weil Martin Hagemann genau diesen Umstand anspricht, habe ich hier einige Artikel aus dem (dankbarerweise online leicht recherchierbarem) Zeit-Archiv zusammengestellt. Es handelt sich um eine, auch im Hinblick auf Hagemanns Wortmeldung, sehr interessante Artikelreihe von Will Tremper aus dem Jahr 1966 darüber, wie sich Produzenten seinerzeit gute Profite trotz leerer Säle sicherten. Wenn man sich Hagemanns Artikel anschaut: Die Lage hat sich offenbar ins glatte Gegenteil verkehrt.

    Die Lektüre wird dringend empfohlen. Hier spricht ein Insider aus dem Nähkästchen einer Branche, die es so nicht mehr gibt und auf deren Ruinen die heutige Filmproduktion stattfindet. Die Texte sind lang, aber äußerst spannend zu lesen - wie stets bei Tremper, eh klar.

    Erfahrungen in einer verrotteten Industrie

    → Teil 1: Zelluloidverkäufer (22.07.1966)

    → Teil 2: Die Zelluloid-Belichter (19.08.1966)

    → Teil 3: Die Atlas-Krise (16.09.1966)

    → Teil 4: Deutschland, Deine Sternchen sind schnuppe (30.09.1966)

    → Teil 5: Eklärungen an Eides Statt (21.10.1966)

    In derselben Ausgabe findet sich eine Erklärung von Uwe Nettelbeck zu den einstweiligen Verfügungen, die die Zeit wegen dieser Reihe aus der Branche kassiert hat: Erfahrungen in einer gewissen Industrie (21.10.1966)

    → sowie, wieder Tremper, abschließend Teil 6: Ein deutsches Trauerspiel, letzter Akt (11.11.1966)


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    Donnerstag, 28. November 2013
    Fernsehaufnahme - [8/71] - weitere Stills



    Erst ist da ein wahnwitziger Einbruch, irgendwo in luftiger Höhe auf den Stalinbauten der Karl-Marx-Allee. Und dann plötzlich: Vierziger, vielleicht auch Fünfziger. Sperling beim Barbier, jecker Big-Band-Swing spielt - eh schon die ganze Zeit - in der Luft, alles Vintage - der Barbier, der Rasierschaum, die Plakate an der Wand, der beknackte Überfall plötzlich zwischendrin, die ganze Erzählwelt: Friedrichshain, Ost-Berlin, eine Welt, die im Grunde noch so aussieht, wie sich das deutsche Erzählkino gerne die 40er imaginiert, oder die 50er. Aber die Kulisse ist authentisch: Gedreht wurde 1996, ausgestrahlt 1997. 1997 kam ich selbst nach Friedrichshain, viele Locations liegen keine fünf Minuten Fußweg von meiner Wohnung weg. Und ja, verdammt, so sah Friedrichshain aus, damals, jetzt bei weitem nicht mehr: Kaputt, rusig, mit beigem Ostblock-Boiler im ungekachelten Badezimmer. Eine Welt, die immer noch ein bisschen so wirkte, als hätten die alten DEFA-Filme einfach ihre Kulissen in der Stadt stehen gelassen. Und überall, wirklich überall: Baustellen, Bausand, Bauschutt. Eine Stadt wird aufgerissen, umgegraben, später dann auch: neu gebaut. Die Zierfische am Frankfurter Tor gibt es nicht mehr, der Schriftzug ist musealisiert.

    Drehbuch: Rolf Basedow. Das heißt, man kennt die Themen, um die es am Ende gegangen sein wird, auch aus seinen Filmen für Dominik Graf: Drogen, Prostitution, Milieu. Hier noch ohne Russen. Mittendrin: Ein gehetzter Ex-Boxer, Ex-Knacki. Ein Film über Gezeichnete: In der Riege der Nebenfiguren tragen bald viele Grind im Gesicht. Und es gibt eine fragile, geradezu papierene verlorene Seele: Meret Becker, ungeheuer sexy und Ehefrau des Ex-Boxers, die ihrem Dealer gegenüber "freundlich" ist, um den nächsten Schuss zu sichern. Und ab und an gibt sie auch Tipps.



    Nicht alles will wirklich wie es soll. Aber schön ist diese Geschichte doch - und im Grunde könnte sie, was hier nur positiv gemeint sein soll, auch aus einem billigen Groschenheft, einer Pulp Novel aus den 40ern stammen. Nicht so sehr, weil der Ermittler, Sperling, sonderlich hard boiled wäre, ganz im Gegenteil ist er auf tapsig-schöne Art und Weise fast schon mütterlich im Umgang mit den Schwerenötern. Aber die Mischung aus billigen Buden - Meret Becker wohnt in der Butze direkt überm Kino Intimes, wo man heute wahrscheinlich totalsaniert, teuer und bio lebt - und billigem Leben, das Milieu zwischen Boxer, Kirmes-Wachhund, Bruch-Jungs und alten Kneipen atmet schwer das Pathos von Noir-Existenzialismus.



    Doch der wahre Hauptdarsteller - dieser Folge, aber (soweit ich sie kenne) vor allem auch dieser Krimireihe - ist ohnehin das Berlin der 90er, kurz vor der eigentlichen Wende in dieser Stadt, die sich verzweifelt auf Repräsentation zu trimmen versuchte, während sie im Grunde abrissreif war. Es ist wirklich der Wahnsinn, ja, man glaubt es kaum, wie in dieser Welt alles vor Vergangenheitsschutt stinkt. So fühlte sich das an, als ich, Landei aus dem fränkischen Dorf, wegen Punk und Hardcore durchaus an Siff gewohnt, aber eben doch sehr aufgeräumt aufgewachsen, '97 meine ersten Schritte durch dieses und die benachbarten Viertel tat. Was für ein Anblick für verwöhnte Wessi-Augen.

    Seit 2001 wohne ich nun in dieser Wohnung. Mein Badezimmer ist noch immer ungekachelt.

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    Sperling und der gefallene Engel - Deutschland 1997 - Regie: Kai Wessel - Mit: Dieter Pfaff, Benno Fürmann, Petra Kleinert, Meret Becker, Sylvester Groth, u.a. - ca. 89 Minuten


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    Mittwoch, 27. November 2013
    Thema: videodrome
    Ein Videoessay über einige Motive in den Filmen von Dario Argento, erstelltvon Hélène Cattet und Bruno Forzani, die den traumhaft schönen Amer gedreht haben. Präsentiert von arte:



    (mit Hinweis auch auf dieses Buch)


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    Dienstag, 26. November 2013
    Eine Info aus erster Hand: Tante Splatting Image löst demnächst ihr Lager auf. Das heißt: Wer jetzt nicht seine Sammlung vervollständigt, dem bleibt in absehbarer Zeit nur noch das mühsahme Zusammenpicken via Online-Flohmarkt. Und es winken deftig attraktive Rabatte: Bei Großbestellung ab 20 Ausgaben hagelt es saftige 50% Preisnachlass.

    Jetzt glücklich werden oder ewig bittere Tränen vergießen!


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    Sonntag, 24. November 2013
    Thema: radio
    Gestern wurde der große Filmanarchist Herbert Achternbusch 75. Beim Bayerischen Rundfunk gab es dazu ein Radiofeature (Edit: Wohl eher ein Gespräch), das ich allerdings noch nicht gehört habe. Hier deshalb nur durchgereicht:

    (direktlink)

    ... und natürlich: Szenen aus dem Bierkampf (wo bleibt die DVD?)



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    Sonntag, 3. November 2013
    Thema: videodrome
    Zufallsfund: Am 17. November zeigt 3sat James Bennings Essay-/Dokumentarfilm small roads als deutsche Erstausstrahlung. Interessanterweise steht er aber schon jetzt in der Mediathek des Senders (auch wenn die dürftige Codierung des Streams wohl wirklich nur Lust darauf machen dürfte, die Ausstrahlung in HD herbeizusehnen, wenn man sich im Vergleich dazu dieses Bild anschaut).



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    Freitag, 25. Oktober 2013
    (Hier in der Mediathek.)

    Für den Perlentaucher bespreche ich den tollen neuen Tatort von Dominik Graf, der am kommenden Sonntag, den 27.10., im Ersten ausgestrahlt wird. Hinweis vorneweg: Der Text war schon recht lang, deswegen habe ich mir den Hinweis auf den Drehbuchautor noch irgendwie verkniffen. Was bei Graf, dessen Werk sich sehr eindeutig nach Autorenkollaborationen einteilen lässt, im Grunde gar nicht geht. Dies umso mehr, da hier wieder eine Zusammenarbeit mit Bernd Schwamm vorliegt, bei dem Graf, wenn man denn so will, quasi in die Schule gegangen ist: Schwamm zeichnete für viele Fahnder-Episoden an der Schreibmaschine verantwortlich, darunter folgerichtig auch Grafs erste Arbeiten im Polizeifilm, sowie für Grafs Tatort-Einstand, den Schimanskifilm Schwarzes Wochenende. Fernerhin war Schwamm am Drehbuch von Grafs Deine besten Jahre beteiligt (eine meiner noch zu schließenden Lücken).



    München im Fast-Forward-Modus: Die Wolken rasen, die Zeit rast, die Stadt rast, gräbt sich auf, weidet sich aus - und spuckt dabei eine ganz eigene, dunkle Geschichte in Form einer Leiche aus. Und rast die Stadt, im Panorama betrachtet, noch so sehr dahin, so erstickt sie doch in der Ameisenperspektive an sich selbst: Da ist Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), der mit dem Auto nicht ein, noch aus weiß: Einbahnstraßen, Baustellen, verwirrende Navi-Angaben - urbaner Entropietod. Parallel und als Kakophonie hektisch darüber gelegt: Verhandlungen über das Wie und Ob stadtbaulicher Maßnahmen - rhetorische Standardfloskeln, Empörungssignale, die der Absicherung der eigenen Position dienen, Vorwurfrituale, die nicht um die Klärung des Sachverhalts bemüht sich, mithin asiger Profi-Sprech, der die Schicksale der Menschen, die in den Ecken leben, um die es geht, noch im engagiertesten Parlare eiskalt zum Verschwinden bringt (wenn man genau hinhört, hört man mitten in dem verwirrenden Konzert der Stimmen Regisseur Dominik Graf selbst das Wort schwingen).

    Kurz: Ein Dominik-Graf-Furiosum, wie es im Buche steht, in dem sich Schichten um Schichten auftürmen und gleichzeitig dekuvrieren. Atemlos, ausufernd, mit einem fahrigen Zoom, von dem sich kaum sagen lässt, ob er nun gierig auf die Leute ist, die er aus der Welt schneidet, oder schlicht panisch gehetzt. Mittendrin: Immer wieder kleine Vignetten, Spielereien, Ablenkungsmanöver, Partikel, die aus dem blanken Leben in den Sonntagabendkrimi schießen: Einmal rennt ein Typ im Skelettkostüm johlend durch die Straßen, ständig stellen die Leute ihren Kaffee in den Kühlschrank (oder schauen nach, ob einer dort drinsteht), bei einem Verhör fallen einer Frau die drallen Brüste aus dem Morgenmantel. Die sozialdemokratische Behäbigkeit, die man dem "Tatort" gerne vorwirft, hat Graf seinem Film gründlich ausgetrieben.



    Die Leiche in der Münchner Baugrube führt tief hinein in die Geschichte Münchens - in die Geheimnisse einer Stadt. Da ist eine Villa, in der die alte Frau Magda Holzer (unfassbar großartig: Erni Mangold), einst als Zirkusprinzessin mit Gewehr zur Berühmtheit aufgestiegen, mit burschikoser Geste und notfalls mit dem Gewehr ihren Haufen von einer dysfunktionalen Familie gerade noch so zusammenhält - bei der Leiche, stellt sich bald heraus, handelt es sich um ihren seit geraumer Zeit verschwundenen Sohn Florian. Da ist ihr zweiter, fahrig-nervöser Sohn Peter (Martin Feifel), dem die alte Holzer schon mal mit "Depp" übers Maul fährt - und Liz (Meret Becker), die mit beiden Söhnen ein Verhältnis hat, Leitmayr an einer Stelle ziemlich großartig auf der Nase herumtanzt und beim Verhör Spagat macht, nachdem sie von Grafs Regie mit Blut überschüttet wurde. Aus diesem Sumpf zwischen Großbürgertum und Familienneurose führen die Spuren ins Milieu der kroatischen Faschisten, in die unmittelbare Nachkriegszeit und hin zu einer zweiten Leiche, während der Grund, auf dem die Villa steht, buchstäblich ins Wanken gerät und die Stadt angesichts steigender Mieten zusehends zu brodeln beginnt.

    So kann man einen "Tatort" also auch drehen: Wendig, schnell, die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz fordernd (am Ende springt der Film schon mal kurzatmig in den Rückblendenmodus), mit einer großen Lust an Pulp und Genre und einer erheblichen Freude an der Physiognomie der Darsteller, in die sich Alexander Fischerkoesens Kamera geradezu vernarrt. Einmal mehr huldigt Graf seinen großen Leidenschaften: Dem italienischen Genrekino, den abgefahrenen "Kommissar"-Episoden von Zbynek Brynych - kurz: Korrespondenzkino im Fernsehfilmformat, das hinter den Bildern filmhistorische Verbindungen und Verstrebungen freilegt.



    So hängt in einer Szene das italienische Kinoplakat von Wolfgang Beckers "Ich war ihm hörig" (1958), "Nude per il Diavolo" an der Wand - "nackt für den Teufel" lautet der verheißungsvolle italienische Verleihtitel, grell und spektakulär ist das Poster, das man ersten Blickes so gar nicht mit dem deutschen Kino der 50er Jahre in Verbindung bringen würde. Aber offenbar gab es hier Allianzen, die weiter führen, ins bundesrepublikanische Fernsehen der 60er bis 80er Jahre, in dessen Dienste sich Wolfgang Becker, auch so ein Verschütteter des deutschen Kinos, vom "Kommissar" über den frühen "Tatort" bis hin zum "Alten", "Derrick" und der zwar onkeligen, aber zuweilen auch schon verspielten Serie "Polizeiinspektion 1" stellte.

    Wenn man nur lange gräbt, kommen irgendwann die verscharrten Leichen, aber auch die verschütteten Geschichtsverläufe ans Tageslicht. Und für Deutschland, wo man sich der Leichen schon immer schnell entledigt hat und bis heute stets darum bemüht ist, alles, was aus der Vergangenheit ins Hier und Jetzt ragt, dem Stadtbild auszutreiben, damit am Ende alles, was es nicht verdient hat, geschmeidig aussieht, gilt das im besonderen Maße. Auch (aber nicht nur), weil er sich mit allem, was er aufbringen kann, gegen diese Tendenzen stellt, zählt Graf zu den besten und wertvollsten Filmemachern hier im Land. Und sein Tatort "Aus der Tiefe der Zeit" ist sein Geschenk an jenes Publikum, das sich vom Sonntagabend mehr erwartet, als verschnarcht betüttelt zu werden, und willens ist, seine dem Sonntagabendkrimi untergejubelte Flaschenpost zur Kenntnis zu nehmen.



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    Tatort: Aus der Tiefe der Zeit - Deutschland 2013 - Regie: Dominik Graf - Drehbuch: Bernd Schwamm - Darsteller: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Meret Becker, Erni Mangold, Martin Feifel, Misel Maticevic, Susanna Kraus - Laufzeit: 90 Minuten.


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