Sonntag, 12. Februar 2006
Sechs Schönheiten amüsieren sich zu Beginn dieses kleinen, leicht schrägen, aber charmanten Films über die Bilder, die ein angesehener Maler von ihnen angefertigt hat. Der sucht in seiner Kränkung den Freitod. Ein Jahr später werden die sechs Hübschen eine nach der anderen um die Ecke gebracht; der Meisterdetektiv Dandy Sashichi, gespielt von dem jungen Tomisaburo Wakayama, der in den Kozure Okami-Filmen den Ogami Itto gab, wird auf den Fall angesetzt und kommt zu verblüffenden Ergebnissen. Der Film endet auf einem Piratenboot!

Kein Whodunnit, dieser Film; mitraten - keine Chance! Viel Geheimniskrämerei gibt es zu sehen, bis Sashichi die Lösung präsentiert, auf die zu kommen durch die vom Film gegebenen Informationen nicht möglich ist. Dafür beschließt die Überfühung des intriganten Schuldigen auch nicht den Film, sondern bildet erst den Autakt für ein kleine, letzte Schnitzel- und Verfolgungsjagd, bei deren charmant naiv inszenierten Scharmützel auch gerne mal gelacht werden darf.

Dandy Sashichi denkt sich ganz vom Bild her; sehr zu seinem Vorteil, denn die fadenscheinig konstruierte und vermittelte Story ergäbe lange keinen guten Film. Immer ist da diese kleine Finesse zu spüren, durch die auch die anderen Nakagawa-Filme - fünf, diesen hier miteinbezogen, habe ich bislang gesehen - bestechen. Sei es eine zwar unaufgeregte, aber doch einnehmend hübsche Bildkomposition, eine elegante Erweiterung des Raumes durch eine sachte Bewegung der Kamera oder aber die für Nakagawa wohl als beinahe auktoriales Stilmittel anzusehende Ansicht einer Szenerie von einer leichten Kranhöhe hinab: Diese isometrische Perspektive, die auch in anderen Filmen auftaucht, erzeugt eine eigentümliche Tiefe des Bildes, die gezielt genutzt wird, etwa um einen aus dem Bildhintergrund Herannahenden in der Tat eine Strecke im Bild zurücklegen zu lassen (was mithin auch die Zeit dehnt). Ferner sind auch hier wieder auffallend häufig ganze Personengruppen in voller Körpergröße im aus Distanz gefilmten Bild zu sehen.

Besonders schön sind die Morde gefilmt, bzw. gerade die eben nicht. Wie auch bei Lynch aus dem Jahr 1949 findet das eigentliche einer Aktionshandlung zwischen zwei Einstellungen statt und verschwindet in der Montage. Jede Mordsequenz aber ist eine kleine, hübsche, mit Bedacht gefilmte Eleganz. Das Großartige wird nicht gesucht, auch das Spektakuläre kommt nicht so richtig zu seinem Recht - eine Szene etwa, in der Sashichi im Alleingang rund 20 Ninjas in Schach hält, wird in einer einzigen, wenig dynamischen Einstellung gefilmt; als wäre es ohnehin zu heikel, in solch einem Kuddelmuddel noch bildoptische Eleganz zu erzielen. Dafür sind die ruhigen Sequenz oft genug von einem Liebreiz des Flüchtigen, der einen jegliche Story-Stolperei vergessen lässt.

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Auf einem mit Leichen übersäten Schlachtfeld wäscht ein Mädchen die Toten. Sie wird von einem älteren Jungen gefangen genommen, der sie für ein paar Brocken Essen zu seiner Sklavin machen möchte. Das Mädchen tut so, als ob sie damit einverstanden ist, rennt jedoch bei der nächsten Gelegenheit weg. Auf ihrer Flucht begegnet sie einer wunderschönen Zauberin. „Möchtest du eine Prinzessin werden, der die Männer einmal zu Füßen liegen werden?“, fragt sie. „Doch der Preis ist hoch, du wirst niemals eine glückliche Liebe erfahren.“ Trotzdem willigt das Mädchen in den Handel ein.

Jahre vergehen. Auf einem Schlachtfeld bereitet sich ein General auf die Entscheidungsschlacht vor und zieht seinen prächtigen Brustpanzer an. Der Gegner ist übermächtig. Erst die Geschicklichkeit eines jungen Sklaven sichert den verloren geglaubten Sieg. Noch in derselben Nacht wird der General zurück zu seinem König befohlen, dessen Palast von Feinden belagert ist. Der treue Sklave ist der einzige, der ihn auf dem Rückweg beglei-ten soll. Doch schon bald werden die Männer getrennt. In der Nacht erscheint dem General die schöne Zauberin. Sie warnt ihn davor, in die Stadt zurückzukehren, und weissagt, dass ein Mann in der Rüstung des Generals seinen König töten wird. Kurz darauf wird der Feldherr angefallen und schwer verletzt. Der Sklave findet ihn und verspricht, sich in der Rüstung seines Herrn in die belagerte Stadt durchzuschlagen. Dort hat der König gerade dem Anführer der Belagerer die Prinzessin als Preis für die Freiheit angeboten...
(Quelle: Berlinale)

Es ist mir zu dumm, die ohnehin unnötig wirre Handlung des Films in eigener Leistung zu paraphrasieren, man verzeihe mir also die Zitation; wie überhaupt viele Worte über diesen Film zu verlieren eigentlich schon zuviel der Mühe ist. Chen Kaige, sonst eher in der Filmkunst zuhause, treibt es, der nächste Zhang Yimou zu werden; nur will dieser selbst zur Zeit von bunten Flatterfilmen mit viel Liebestragik vor archaisch-pittoresker Kulisse nichts wissen und kehrt gerade gerade wieder zu seinen Wurzeln, den kleinen Programmkinofilmen, zurück. Was sollte auch nach dem den Bogen oftmals schon überspannt habenden House of Flying Daggers noch kommen? Chen Kaige, unberechtigt unerschrocken, präsentiert Wu Ji als Antwort.

Und der ist vor allem eine bodenlose Lächerlichkeit. Doch keine jener Sorte, bei der man sich als insgeheim verbündet mit dem Film ansehen darf. In einer der ersten Sequenzen - die eine ziemlich hirnrissige Actionszene quer durch ein Canyon-System zeigt - mag man noch auf Qualitäten einer Persiflage spekulieren können, auf einen wilden Nonsens, bei dem jeder Umschnitt die Verheißung von vollkommen Unerwartetem, im besten Sinne Verrücktem mit sich bringt. Doch solche Hoffnung wird zu keinem Zeitpunkt erfüllt, Wu Ji nimmt sich toternst und landet damit, sehr zum Nachteil des Publikums, nach Strich und Faden auf der Schnauze.

Kein Schnickschnack wird ausgelassen, kein Schmarren ist ihm zu peinlich. Zwischen dümmlicher Hauruck-Burleske und überspanntem Kitschbild, das sich selbst nie als solches zu begreifen und sich dazu zu verhalten gedenkt, zerfällt dieser Streifen in seine Einzelteile, ohne dass man als Zuschauer auch nur irgendwas davon hätte. Hinzu kommt, dass der Film in CGI badet, die einfach nicht ausgereift sind und deshalb mit den für sich belassenen Sequenzen in keinem Moment die Illusion eines nahtlosen Filmraums ergeben, in dessen Koordinaten Schwerkraft und Physik außer Kraft gesetzt werden könnten. Das Staunen über die Artistik, dass man als Effekt solchen over the top-Filmen aus Fernost ansonsten gern zugute hält, findet hier beim Übergang von Filmkamera zu Computerpixel seine strikte Grenze. Jene Physis, für die man das Kampfkunst-Kino aus Asien einst zu schätzten gelernt hat, findet nicht statt.

Alles in diesem Film ist Kalkül, nichts an den zuckerbunten Bildern stimmt. Jeder Aufwand, jedes Kunststückchen mit der Kamera - und von denen gibt es viele, hopplahopp, über den Baum gehüpft und nun Rolle rückwärts wieder zurück -, alles also, mit dem man regelrecht zugeschissen wird, geschieht nicht aus Lust am Schönen, sondern aus dem Bedürfnis heraus, eine zweifelhafte Erwartungspflicht zu erfüllen. Der Film ist so aufgeregt in dem was er tut, so übereifrig, dass er sich förmlich überschlägt und es dabei doch genausogut sein lassen könnte, so groß ist die vollendete Wurschtigkeit, die diesen Entwurf vom Kino durchzieht.

imdb


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Samstag, 11. Februar 2006
Mit Eternal Sunshine of the Spotless Mind drehte Gondry vor gar nicht langer Zeit nach einem Drehbuch von Charlie Kaufman den vielleicht schönsten Liebesfilm des US-Indiekinos der letzten Jahre (neben, versteht sich, Punch-Drunk Love und Lost in Translation). Sein einer neuer Film - parallel läuft im Panorama der Berlinale sein anderer neuer Film, eine Dokumentation - ist ebenfalls eine Liebesgeschichte, diesmal allerdings selbst geskriptet und sie spielt ganz in Frankreich, wo der Film auch produziert wurde. Beides mag von Vorteil gewesen sein, denn Gondry - der schon in den 80er Jahren für seine eigene Band kleine Musikvideos bastelte - ist vor allem am abwegigen Einfall, an der absurden Idee, am kreativen Umgang mit dem Material und einer generellen Unfertigkeit interessiert - Elemente, die einem das französische Kino vielleicht noch eher verzeiht als das, bei aller gern gesehenen Verspultheit der Ausfertigung, doch auf Transparenz und innere Schlüssigkeit pochende us-amerikanische Indiekino.

Entsprechend herrlich fällt The Science of Sleep auch auseinander, von Anfang an. Es geht um eine Liebesgeschichte auf einem Stockwerk eines Wohnhauses, Gael Garcia Bernal gibt den in Mexico aufgewachsenen Halbfranzosen Stéphane mit Künstlerseele, der Realität, Traum und Wunschdenken nicht recht auseinanderhalten kann, in die Wohnung nebenan zieht die von Charlotte Gainsbourg gespielte Stéphanie, die eine ähnliche Vorliebe für hübsche, obskure Gegenstände, Basteleien am groben Material und wattiger Kleinkunst wie ihr Nachbar hat. Makel allein: Sie ist nicht recht an einer Partnerschaft interessiert, "why me?", wird sie ihn später vorwurfsvoll anblaffen, nachdem er es in seinem naiv-euphorischen Kleinkunst-Überschwang so ziemlich verbockt hat, "because all others are boring and you are different", wird er antworten - wer könnte es ihm verdenken (und wem ginge es beim schwärmerischen Sich-Verlieben jemals anders?)?

Wobei nicht wirklich ganz klar wird, was alles zwischen den beiden läuft und lief. In die Konstruktion einer objektiven Erzählwelt, glaubhaft versichert durch die schwenkende Handkamera, bricht immer wieder das Abstruse, der verspielte Wahnsinn Gondrys ein, der hier, nach dem digital gestützten Sunshine-Film, wieder ganz an die Do-it-yourself- Tradition seiner Musikvideos anschließt und hemmungslos Filz, Watte, Pappe, Zellophan und Tonpapier zu einer herrlichen Stop-Motion-Collage verarbeitet.

Anfangs wirkt das zunächst beliebig und unkonzentriert; aber schon bald hat das Konzept das Herz gewonnen und man wartet sehnsüchtig auf den nächsten Einfall, auf den nächsten von allen Digitalismen befreienden Trick aus der Schatzkiste der Filmgeschichte. Das Menschliche vergisst Gondry dabei nun nicht: Es wird zwar viel gelacht in diesem Film, doch eine kleine Träne vergisst man insgeheim dann gerne für diese beiden, die sich gefunden haben und doch nicht finden.

Mithin erkennt man im Verlauf auch das utopische Projekt Gondrys, der in dem verspielt-verträumten Stéphane ganz offensichtlich ein Uhustift-schwingendes Alter Ego in Szene setzt: Seine Kunst lädt zum Mitmachen ein, zum Selbermachen, zum eigenen Animationsfilm, zur eigenen Mini-Musik auf schrottigen Keyboards. Die Unfertigkeit des Materials, so Stéphane an einer Stelle, strahlt Freundlichkeit aus; dies gilt im gleichen Maße für den ästhetischen Entwurf Gondrys, dem es nicht so sehr um künstlerischen Ausdruck, um die Monade des kunstschaffenden Subjekts geht, sondern vor allem um eine Aufsprengung von Möglichkeiten, sich Material anzueignen und Miniversen zu entwickeln. Er will, so scheint es, das Publikum retten, das vor jeglichem Nachahmungspotenzial entrückter CGI zum bloß passiven Bestaunen reduziert wird; Merian C. Coopers King Kong mag zu Harryhausen und unzähligen Super-8-Monster-Homemovies geführt haben, Peter Jacksons King Kong hingegen führt lediglich zum Trailer-Download. Dem setzt Gondry, darin Wenzel Storch nicht vollkommen unähnlich, die Physis des Materials entgegen: Eine Klorolle kann, so recht für sich besehen, auch eine Fernsehkamera abgeben, auf Flohmärkten und in verlassenen Hobbykellern tun sich ganze Ausstattungsfilme auf, das Filmband selbst bleibt bei ihm haptisch und wird, bedingt durch eine erfundene Zeitmaschine, die allerdings nur Sekundensprünge nach vorne und zurück ermöglicht, gerne mal in hektische Loopsprünge zerhäkselt. Konservativ ist das nun gerade nicht, was Gondry vorschwebt, im Gegenteil um Pluralismus und nicht zuletzt um die Schönheit einer ideenreichen Kunst bemüht, die noch danach trachtet den Zuschauer zum ehrlichen Staunen zu bringen.

The Science of Sleep ist darin ein warmer, schöner Film.

imdb ~ Jump Cut-Kritik




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In Between Days ist eine Entdeckung, wie man sie auf der Berlinale nur im Forum machen kann; ein kleiner, langsamer Film, eine Momentaufnahme aus dem Leben eines heranwachsenden Mädchens, unspektakulär in der Wahl seiner Mittel, die dann aber doch mit Bedacht eingesetzt, behutsam im Tonfall, aber nie beschaulich, und doch jede Sekunde spannend.

Die Person des Films ist die kleine Aimie, die gerade zu pubertieren beginnt. Die stammt aus Korea, lebt aber seit neuestem mit ihrer Mutter in einer amerikanischen Stadt. Mit dem ebenfalls aus Korea stammenden Tran pflegt sie eine seltsam-innige Freundschaft; immer geht es um Banalitäten, Teenie-Tand und -Blödsinn (wie sich gegenseitig mit der Nadel tätowieren), sie will ihm die Hausaufgaben machen, weil sie in einem Film gesehen hat, dass man das so macht. Er will nicht recht, später will er allerdings, dass sie's ihm macht, mit der Hand, ohne viel Aufregung. Sie macht es, neugierig, ein wenig erstaunt auch. Natürlich ist sie verliebt, auch wenn sie nicht weiß, was das eigentlich heißt; Sex aber gibt es keinen, da bleibt sie ganz Kind, das sie Gesicht und Kleidung nach noch immer ist (kaum zu glauben, dass die Darstellerin 21 sein soll). Er ist eher Slacker, interessiert sich, zu ihrem Missfallen, auch für andere Mädchen, solche Probleme eben. Parties folgen, auf denen Gespräche mit anderen immer schon im Verdacht des Verrats stehen. Aimie geht auf Distanz.

In Between Days ist immer dicht dran an den Figuren; kaum ein Dialog, der nicht beide Gesichter im Close-Up vereint, überhaupt verschwindet die Umwelt, scheint's, nahezu völlig aus dieser kleinen Welt, die erste Schritte in eine größere tätigt. Dass der Film in den USA spielt, merkt man so gut wie nie, selten genug, dass man von der Stadtkulisse mehr sähe als ein paar Farbschlieren im Hintergrund, die sich im Bildoberflächen-Rauschen der digitalen Artefakte verlieren (eigentümlich referenziell sind dann doch jene Szenen in den überzäunten Straßenübergängen, die in der Tat so aussehen wie eben jener in Michael Manns Collateral, in jener Schlüsselszene über der Autobahn). Kapitelartig oder in Handlungseinheiten strukturiert wird das Geschehen dann doch durch digital besonders verrauschte Stadtansichten, die die Skyline suchen, unbewegt, immer etwa eine Minute lang; dazu aus dem Off Aimie, die offenbar einen Brief an ihren Vater aufsetzt, eigentümlich leblos eingesprochen. Sie spricht von "so vielen Dingen", die sie ihm "hier zeigen" wolle; welche dies sein könnten, bleibt alleine ihr Geheimnis. Der Film lässt keine Schlüsse darauf zu, man vermutet darin schnell eine bloße Floskel, vielleicht auch etwas Selbst-Belügen.

Denn Aimies Lieben wie Leben ist alles andere als leidenschaftlich oder gar von Schönheit getragen. Aber auch nicht neo-trist. Es ist leer, und mit Tand angefüllt, eine Welt zwischen billigen Plüschanhängern und grellen Handytönen, Ablenkungsstaffagen, die das große Nichts verbergen sollen, durch das die Figuren sich manövrieren. Dabei formuliert der Film weder Kritik noch Mitleid, sondern allenfalls Zustand. Er bleibt dicht bei diesem Mädchen, das wir nicht kennen werden.

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Pocahontas, der Name fällt an keiner Stelle. Einmal - fast, im letzten Moment dann doch nicht. "Sie trägt diesen Namen nicht mehr!", meint der eine, später wird sie Rebecca heißen und ist dann schon ganz in die syntagmatische Signifikantenkette der anderen eingegangen. Ein Verlauf, der mit sacht nachgeplapperten Wörtern einsetzt und den The New World, geradewegs in einer Umkehrung der mit diesem Diktum verbundenen Assoziation (denn in der für Rebecca neuen Welt, die dem Zuschauer bis dahin fremdgeworden zu sein nahegelegt wird, wird der Film enden), en detail schildert. Ein Prozess der kulturlellen Einverleibung, Adaption und Verschiebung, den Malick als "Verlust der Unschuld" zu charakterisieren sich beeilt und damit doch nur im eigenen Garten gräbt.

Mehr als alle anderen Malick-Filme ist dieser Bilderbogen; die Kamera schaut aus dem Wasser in den Himmel, sie schaut vom Erdboden in den Himmel, an Bäumen und Gräsern entlang, wirft Blicke vom Himmel auf den Boden, lässt Noch-Pocahontas als überhöhtes Nymphchen durch Steppen tanzen - Paradies- und Erinnerungsbilder allenthalben, die kein Narrativ formulieren; dies erledigen die multiperspektivischen Voice-Overs, die neben Handlungserläuterung leider auch manchen Spruch aus dem Poesiealbum, die Tiefe der Liebe und die eigene Aufrichtigkeit betreffend, besorgen. Zumindest ersteres ist nicht das Schlechteste: Zwar wird Voice-Over gerne als unfilmisch gescholten (was natürlich an sich Unfug ist, beweist doch gerade die Tradition der benshi im japanischen Stummfilmkino, dass ein solches bildäußeres struktives Element dem Bild und seinem Status für das Funktionieren des Films auch sehr zugute kommen kann), doch bietet er hier Malick die Möglichkeit, sich von der Verpflichtung zur narrativen Sequenzialisierung zu emanzipieren ohne im bloß Abstrakten zu landen.

Und man merkt, dass er genau dies im Sinne hatte; alles lädt ein zur meditativen Kontemplation. Die Naturansichten, die Ansichten der Ureinwohner, die leicht bekleidete Pocahontas, das stete Zirpen und Gurren auf der Tonspur, nicht zuletzt die Musik, die sich in Schwermut und Romantik übt. Das Problem alleine ist, dass man immer nur diese Absicht sieht, nie aber deren Ergebnis. Malick ist sichtlich bemüht, am eigenen Werk anzuschließen, und steckt dabei doch nur seine eigenen Charakteristika baukastenartig zusammen. Der Film atmet Bedeutungstiefe wie kein zweiter auf diesem Festival; und doch bedeutet jedes Bild nur "Dies ist ein Malickfilm". Das einstige Wunderkind von New Hollywood, der Legenden umwobene Einsiedler der us-amerikanischen Filmindustrie ist mit seinem vierten Film in rund 35 Jahren leider Gottes bei der routinierten Selbstzitation gelandet. Ästhetische Erfahrung um jeden Preis will dieser Film sein, Reflexion kulturphilosophischer Konstanten auf hohem Niveau ; geworden ist's Postkartenkino mit etwas Meditationskolorit - wohl gerade ausreichnend für die Produktionsgesellschaft New Line Cinema, um, wenn schon vermutlich nicht als großer wirschaftlicher Erfolg, so eben doch als Kunst-Prestigefilm für's eigene Renommé verbucht zu werden.

Dabei ist der Film stellenweise gar nicht mal schlecht; zuweilen recht gelungen rückt er den Status von Symbolen und Ritualen (diese nicht so sehr als festives Element verstanden, sondern generell als performatives, im Miteinander sinnstiftendes Verhalten) für Kulturen in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Die kulturellen shiftings, die alleine Pocahontas vorbehalten sind - Captain Smith, ihr tragischer Liebhaber, wird nie beim Einüben von Worten gezeigt, lediglich beim Einüben von rituellen Handlungen, doch mögen diese zu rein äußerlicher Mimesis gerinnen, wie auch sein im Voice-Over dargestelltes Verständnis der Ureinwohner manches Missverständnis verrät -, protokollieren dabei vielleicht überhaupt die Entdeckung von Kultur als solcher (im Gegensatz zu einem als naturalisiert wahrgenommenen Zustand verstanden), die, um sich ihrer Kulturalität bewusst zu werden, das Fremde und Andere überhaupt erst benötigt. Für diese Prozesse nimmt sich The New World viel Zeit, und hier kann er bestehen.

Allein, er gibt sich nicht damit zufrieden. Er schwingt sich auf zur steten Mythifizierung und schreibt sich fortlaufend als Kommentar voller Elegie über den Verlust menschenhistorischer Unschuld in die Begegnung der Kulturen ein. Da er ästhetisch nicht einlösen kann, was er einem in Permanenz nahelegt, bleibt The New World als seltsam delirant gescheiterter Versuch in Erinnerung, der sehr zu seinem Schaden den guten Film, der er ohne weiteres hätte sein können, immer als Ahnung mit sich herumträgt.

imdb ~ Jump Cut -Kritik




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Samstag, 11. Februar 2006
So richtig angefangen hat das Festival für mich noch nicht. Gestern morgen gemütlich zwei Filme aus dem Forum, deren Pressevorführungen immer die entspanntesten und irgendwie nettesten sind. Das ist schon sehr nah dran am eigentlichen Kinobesuch, im Gegensatz etwa zu den Verhältnissen, die frühmorgens vor der ersten Wettbewerbs-PV im Berlinale Palast herrschen (der ohnehin, dies nur am Rande, das beschissenste "Kino" überhaupt ist). Danach noch zur Uni, auch heute morgen wieder, dann noch nach Hause, Unikram erledigen, dann wieder zur Berlinale und heute nur einen Film geschaut, den wenig erfreulichen Bollywood-Beitrag (siehe unten). So richtig Berlinale ist das noch nicht, aber morgen geht es richtig los, das fürchte ich, mit Terrence Malicks Pocahontas-Blockbuster New World, für den es in den frühesten Morgenstunden sich aus dem Bett zu schälen gilt.

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Schrecklich die beiden Frauen zwei Plätze neben mir vor Parineeta. Es wird aufgerückt, um einer kleinen Gruppe weiter rechts die Möglichkeit zum Zusammensitzen zu geben; da klagt die eine plötzlich darüber - und dies eben nicht unauffällig -, dass sie nun auf einer "ungeraden Nummer" sitze. Damit hat sie in Problem, das geht nicht, nein, das geht wirklich nicht, mit ungeraden Nummern, so sie, mit denen habe sie ein Problem. Also tauscht sie den Platz mit ihrer Freundin und sie ist ihr sehr dankbar dafür, auf sehr affektierte Weise. Die andere will nun aber auch endlich ihre fünf Minuten Gratis-Rumspinnen aufbrauchen und erzählt in eine fort von ihrer seltsamen Diät, die sie gerade fährt - und ich fürchte, weil diätbedürftig sah sie ja nun gerade eben nicht aus, dieses Ernährungsdiktat, das im wesentlichen auf Totalverzicht auf allem basiert (außer Sesamöl, Sesamöl geht, meint sie, fein, denke ich mir, Sesamöl, das ist ja schon fast eine vollwertige Mahlzeit), begründet sich streng spirituell. Warum tauchen solche Freaks grundsätzlich bei Filmfestivals auf? Wo sind die sonst anzutreffen?

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Ich hasste sehr lange Zeit Pistazien, was damit zusammenhängt, dass ich mal so mit 11 eine gegessen habe, die mir nicht geschmeckt hat. Seit kurzem liebe ich Pistazien, was damit zusammenhängt, dass ich mal wieder welche probiert habe. Jedenfalls, das Pistazieneis oben bei der Eisdiele in den Potsdamer Arkaden ist ganz okay, aber nicht super. Die Kugel drunter ist Cookies, so schmeckt einfach die Berlinale für mich, jedes Jahr immer wieder.

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Ich laufe blöd rum, mit Eis in der Hand, und bin plötzlich wieder im Cinemax, von wo ich eigentlich gerade geflohen bin. Bei der Pressevorführung zum neuen Film von Lukas Moodysson, den anzuschauen ich mich scheue, ist kein Einlass mehr möglich, Kino schon voll mit Presse, kurzfristig zweite PV anberaumt. Auch wieder so ein Ding, das ich nicht verstehe. Warum nun ausgerechnet bei dem alle reinrennen? Allerdings war sein letzter Film ja ein Porno und so ist das ja eigentlich immer: Irgendwas mit Porno, Titten oder Schmuddel machen und Du hast auf der Berlinale vollstes Haus. Keine Ahnung, um was aber nun in diesem Film geht.

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Ich warte noch auf den ersten Dummbrot-Journalisten, der mir negativ in einer Pressevorführung auffällt; erfahrungsgemäß gibt's solche berufsmäßigen Luschen jedes Jahr zu bestaunen. Ekkehard hat schon welche in ihrem ureigenen Terrain, den Wettbewerbspressevorführungen, angetroffen. File under: Hassliebe. Na gut, mehr Hass als Liebe.

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Vor dem Berlinale-Palast versucht so ein Praktikantinnen-Opfer die "Cine-Ausgabe" von Gala zu verschenken. Keiner will das, ich auch nicht, nein, auch beim zweiten Mal nicht, wirklich nicht.

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Im Hotel Hyatt, wo es die Pressekarten und -konferenzen gibt, sind dieses Jahr in der Lobby irgendwie alle viel wichtiger als in den Jahren zuvor. Zumindest was Gesichtsausdruck und Körperhaltung betrifft.

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Schade: Gibt es dieses Jahr kein ScreenDaily? Noch keine Ausgabe gesehen, nirgends. Dafür nur die Variety, aber die hat irgendwie nicht diesen Live-Charme. ScreenDaily hingegen hat immer diesen Talk at "Platz"-Charme. Kommt hoffentlich noch, da würde was ernsthaft fehlen.

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Wenig Plakate diesmal am Platz.

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Der Goldene Ehren-Arschtritt gebührt im übrigen mal wieder der BVG, der es nun schon zum zweiten Mal in Folge gelungen ist, pünktlich zum Festival den S-Bahnbetrieb hin und ab dem Potsdamer Platz ab abends auf Pendelverkehr mit vielen Pausen zwischen den Zügen umzustellen. So ist es recht - während droben noch Tausende Leute aus aller Welt in den Kinos hocken, die alle noch nach Hause wollen, und alle Würdenträger dieser Stadt antanzen, um die Metropole Berlin zu beschwören, zeigt sich die Stadt drunten im Keller von ihrer finstersten, provinziellen Seite. Von selbst versteht sich, dass die Info-Ansagen zum ohnehin zur Desorientierung einladenden Pendelsystem natürlich auf Deutsch rumgepöbelt werden. Aber nun gut, dafür kann die BVG seit neuestem kontrollieren als gäb's kein Morgen mehr: Geschlagene achtmal wurde ich in den letzten drei Tagen zum Vorzeigen des Fahrausweises aufgefordert.

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So richtig angefangen hat es irgendwie wirklich noch nicht.


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Pin-Up-Ikone Bettie Page ist vielleicht das beste Exempel dafür, wie unsere Bilderkultur simulakrische "Wesen" mit hoher Eigendynamik hervorbringt, die mit der historisch abgebildeten Person nicht mehr zu verwechseln sind. Denn wer ist Bettie Page? In erster Linie ein Archiv von Fotos und kleinen, naiv mit sexuellen Devianzen spielenden dirty movies. Wer aber war die historische Bettie Page, die Person hinter dem Kunstwesen gleichen Namens? Wer sollte das schon wissen können! Mehr als bei allen anderen ikonisch überhöhten Stars und Traumfrauen - denen die Berlinale dieses Jahr immerhin die Retrospektive widmet - liegt hinter der kinky Oberfläche eine fast phantomartige Leere.

The Notorious Bettie Page ist nun das unvermeidliche Biopic über die Pin-Up Queen und immerhin zugute halten kann man ihm, dass er - im Gegensatz etwa zum recht betulichen Cash-Biopic Walk the Line, das jüngst ins Kino kam und von solchen Problemstellungen nichts wissen will - erst gar nicht versucht, eine Zugriffsmöglichkeit auf die historische Person zu suggerieren. So ist der Film reichlich stilisiert, bald fleckiges, bald kristallklares Schwarzweiß versucht die materialästhetisch doch recht dynamische Qualität der überlieferten Aufnahmen von Page zu simulieren, um sich auf diese Weise von vorneherein als Appendix zum Bildarchiv "Bettie Page" zu erkennen zu geben; abwechselnd dazu gibt es unfassbar cremigfarbene Sequenzen - passend zum Page-Output, der exakt zwischen diesen beiden Fotomaterial-Polen verortet ist. Unklar bleibt hingegen, warum The Notorious Bettie Page sich regelmäßig an die Bildästhetik des Film Noir anschmiegt; mit dem hatte die Page nun weiß Gott nie etwas zu tun, auch filmhistorisch ist das mehr als unscharf. Es dämmert einem bei solchen Widersprüchen, dass die Wahl der gestalterischen Mittel vielleicht doch nicht so reflektiert vonstatten ging, wie sich das hier vielleicht liest.

Wir erfahren manches aus Bettie Pages Leben; einen Sinnzusammenhang konstruiert der Film hingegen nie. Strebsam in der Schule gewesen, im Debattierclub engagiert, vom Vater missbraucht, später dann von einer Gang vergewaltigt, trotzdem irgendwie im Oben- und bald auch Unten-Ohne-Biz gelandet, schließlich Sittenprozesse und irgendwann Born Again Christian geworden. Die Elemente stehen disparat nebeneinander, episodisch aneinandergereiht, nie entsteht der Eindruck psychischer Kontinuität. Naheliegend für einen typischen Genre-Vertreter wäre es gewesen, Missbrauch und Vergewaltigung irgendwie mit ihren späteren Arbeiten zu kontextualisieren - nichts dergleichen, Page erscheint, wie das später mal gesagt wird, ganz als "the born exhibitionist". Die reale Person Bettie Page verschwindet auch hier hinter dem Film.

Man mag davon halten, was man will; als Drama funktioniert der Film deshalb nicht richtig, man könnte diese Haltung aber auch als reflektierte Begegnung der grundsätzlichen Problematik des Biopic-Genres, das seinen Gegenstand immer auch nach dramaturgischen Konventionen verformt, einordnen. Könnte man, nur ergibt sich das nicht recht zwingend aus dem Film selber; immer bleibt dabei die Ahnung, es zu gut zu meinen mit einem Film, der, so glaubt man schließlich doch, letzten Endes nur am ästhetischen Liebreiz und einer immerhin gelegentlich recht unterhaltsamen Hommage interessiert ist.

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Bollywood ist Kino des Exzesses, im Sinne eines allgemeinen "Zuviels" und vor allem der Freude daran in einem abgekarteten Spiel. Alles ist way too much, und deshalb auch so großartig: Die Choreografien feiern schon ein überbordendes Fest, wo doch eigentlich nur ein kleines Mosaiksteinchen der Handlung hinzugefügt wurde; die Farben bringen den Bildkader regelrecht zum Bersten, der Schmuck ist nurmehr hilarious, die Gefühle so täuschend unecht, dass es eine wahre Pracht ist, wider besseren Wissens in sie hineinzutauchen, mit einem Köpfer vom Zehnmeterbrett. Die Stories sind bigger than life, die Tragik sowieso. Bollywood ist dabei kein Trash, auch wenn in westlichen Kinos dazu gerne an den falschen Stellen gelacht oder, schlimmer noch, abwehrend Köpfe geschüttelt werden. Bollywood meint Exzess, Kino-Exzess.

Was nun also ist - so darf man nach der Sichtung von Parineeta, mit dem das Internationale Forum dieses Jahr eröffnet wird, mit Recht fragen - ein Bollywood-Film eigentlich wert, der dem Exzess geradewegs zu misstrauen scheint und ihn mit aller Konsequenz aus seinen Bildern, seiner Story treibt? Nicht viel, wird man sich eingestehen müssen.

Die Geschichte entspricht einer gängigen Blaupause, was nicht viel Wunder nimmt, basiert sie doch auf einem Roman, der, wie man von den Produzenten im anschließenden Q&A erfährt, in Indien nicht nur ungemein populär, sondern auch die Vorlage unzähliger Bollywood-Filme ist. Es geht also um Liebe zwischen, zunächst, Nachbarskindern, später: Erwachsenen, über die Gartengrenze und die Klassen hinweg. Natürlich will sein Vater, ein eiskalter Businessman, den ihrigen, ein geradewegs kuschlig-liebenswürdiger Patriarch, übertrumpfen: Dieser leiht jenem einen enormen Batzen Geld, wohlwissend, dass er es nicht zurückzahlen wird können, und spekuliert damit auf dessen Grund und Boden, wo ein Hotel entstehen soll. Nicht berücksichtigt im Plan wird ein Freund der auszubootenden Familie, der in Großbritannien dick im Geschäft und gerade zu Besuch ist; leichter Hand sind die Schulden getilt, was nicht ohne Folgen für die Liebesgeschichte seit Kindestagen der beiden Hauptfiguren bleibt: Er wittert ihren Aufkauf, wähnt Prostiution, was folgt entspricht den Gesetzen des Melodrams: Zuviel Stolz im Spiel, aneinander vorbei geredet wird obendrein, Missverständnisse allenthalben, das Glück zerbricht. Am Tage seiner Hochzeit - zu heiraten ist eine unerträglich nervige upper-class bitch - hebt sich der Schleier vom intriganten Spiel des Vaters ...

Parineeta beginnt mit einem Bild im Bild: Nostalgisch vergoldeter Blick auf einen Fluss, auf Calcutta, es ist das Jahr 1962 und ein Dampfer schiebt sich voran, drumherum ein Bilderrahmen, der im Zuge einer Zoomfahrt der Kamera verschwindet und deshalb als merkwürdig sinnlos in Erinnerung bleibt; er verweist allerdings bereits auf das Problem des Films, der die Statik und nostalgische Wehmut eines gerahmten Bildes sucht, von der Bewegung aber nicht lassen will. Das Ergebnis ist ein merkwürdiger Kompromiss, der wie das schlechteste aus zwei Welten wirkt: Ein Gutteil der Musical-Sequenzen ist am Klavier situiert (er ist Komponist) und zeichnet sich gerade dort durch einen Mangel an Bewegung aus, wo andere Bollywood-Filme förmlich übersprühen; statt bonbonartiger Farbenpracht wird alles in jenen entrückt wirkenden goldenen Schimmer eingetaucht, der im Kino üblicherweise Nostalgie markieren sol, was selten genug funktioniert, jeder Lichtstrahl der Ausleuchtung sitzt perfekt und taucht alles ins matt Schimmernde, ordnet dabei jede Bewegung, jede Regung rigoros unter sein Regiment, wo doch eigentlich gerade das Berstende aus dem Bildrahmen heraus eine Tugend aus Bollywood ist; statt funky Rhythms setzt man auf eine merkwürdig verwestliche Musik, keine der Figuren ist grell und überzeichnet, sondern geradewegs auf psychologische Stimmigkeit reduziert; das natürlich arg konstruierte Melodrama verweist nur auf sich selbst, um zu Tränen zu rühren, und gibt sich, auf diese Weise entblößt, eben doch nur als die Schwachstelle, mit nichts weiter sonst, zu erkennen, die man Bollywood-Erzählungen, aus westlicher Perspektive, immer schon ankreiden hätte können.

Oder kurz: Parineeta wirkt wie ein handwerklich qualitativer Hollywoodfilm, dem man ein wenig Bollywood-Features aufgeklebt hat, wobei der Wahnsinn, der diesem Filmzusammenhang glücklicherweise oft anhaftet, geflissentlich vergessen wurde. Parineeta ist slick und glossy, aber schlicht und ergreifend nicht gut; ja, schlimmer noch: wenn es in dem Film tatsächlich in eine Lokalität namens Moulin Rouge geht, wo man eine, in wirklich absolut jeder Hinsicht, erschreckend biedere Choreografie zu sehen bekommt, wünscht man sich den von Bollywood durchaus inspirierten Größenwahn herbei, der Baz Luhrmanns gleichnamigen Film kennzeichnete. In der letzten Sequenz blitzt dieser für ein paar Sekunden auf, als würde es der Film einem noch extra mit auf den Weg geben wollen, dass er einen nach Strich und Faden um den Bolly-Genuss betrogen hat.

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Freitag, 10. Februar 2006
Keith Fullton und Louis Pepe sind eigentlich Dokumentarfilmer, und auf diesem Gebiet haben sie ein Händchen für Ausgefallenes: Lost in La Mancha etwa, mit dem sie sich bereits einen guten Namen machten, ist eine eigenwillige Doku über einen gescheiterten, da nicht vollendeten Film von Terry Gilliam, ansonsten machten sie anhand recht eigentümlicher Making-Ofs von sich reden.

Bei diesem Hintergrund wundert es nicht, dass das fiktionale Spielfilmdebüt der beiden nun ausgerechnet in Form einer Mockumentary daherkommt, jenes diffusen Genres also, das narrative und ästhetische Charakteristika der klassischen Dokumentation deckungsgleich bei allerdings voll geskriptetem und inszeniertem Gegenstand imitiert und dabei die kulturelle Konstruktion von vermeintlich für Wahrhaftigkeit bürgenden Merkmale der Doku in den Vordergrund rückt.

Wobei, letzteres gerade ist eigentlich nun nicht das Ziel von Brothers of Head, es wäre auch zu banal, da längst von anderen Beiträgen des Genres erledigt und als allgemeine Erkenntnis etabliert; in der Tat will der Film erzählen, dies nur eben anhand anderer Erzählformen als den üblichen. Es geht um die Herausbildung einer spannenden, durchaus dramatischen, zum Ende hin tragische Geschichte eines siamesischen Zwillingspaars, zwei am Rumpf miteinander verwachsene Brüder in den 70er Jahren in Großbritannien, die musikalisch zwar nicht sonderlich talentiert sind, an jener historischen Bruchstelle aber, wo Beat und Rock zum Punk umschlugen, ihre freakishness auf die Bühne holten und für wenige Monate Ruhm und stardom einfuhren, dabei vielleicht sogar Punk Rock den initialen Kickstart mit auf den Weg gaben. Natürlich kommen Drogen und Frauen ins Spiel, Konflikte überschatten den Ruhm, Rausch, Schweiß und Stromgitarren allenthalben.

Brothers of Head beginnt wie ein Spielfilm; karges, britisches Hinterland, knapp knadrierte, stilisierte Einstellungen, ein Rechtsanwalt tritt auf, nähert sich einem kleinen Farmhaus, man meint das spröde Klima förmlich auf der Haut zu spüren. Doch bald ist da ein Bruch, das Filmteam rückt ins Bild, man bekommt zu sehen, was man im Spielfilm allenthalben sehen könnte, würde es in der abschließenden Montage nicht auf dem Boden des Schneideraums landen. Es gab zu sehen, so stellt man schließlich fest, einen Ausschnitt aus einem seinerseits unvollendeten Film von keinem geringeren als Ken Russell über die beiden Zwillinge, er selbst tritt auf, in klassischer talking head-Fernsehinterview-Ästhetik, und berichtet von der Faszinationskraft des Stoffes der beiden Punkrock-Freaks, er spricht von "loss and exploitation of innocence" und gibt zu bedenken, dass der Stoff "overall pretty gothic" sei. Anderes footage taucht auf, in den 70ern soll auch eine Doku über die beiden gedreht worden sein, ebenfalls unvollendet. Zeitzeugen halten ihr Gesicht vor die Kamera, Materialästhetikwechsel allenthalben.

Gerade hierin zeigt Brothers of Head sein ungemeines Geschick: Es gelingt ihm, Flair wie Wehmut alter Materialästhetik noch bis in den einzelnen Farbklecks hinein zu simulieren, im Verbund mit gerade eben nicht auf postmoderne Nostalgie abzielender Ausstattungsästhetik ergibt sich ein seltsam flirrendes Gesamtbild, das mithin auch Bündnisse eingeht mit der Avantgardekonzeption eines Stan Brakhage und dem 70er queer cinema.

Das Ergebnis ist nichts weniger als mitreißend. Die Betonung des frühen Punk Rock des Abnormen und des Hässlichen, ja geradewegs dessen Affirmation, wie die der Selbstzerstörung und des Rauschs einer rigorosen Körperlichkeit jenseits von Hippie-Befindlichkeit und -Sanftmut, daraus folgernd nicht zuletzt die Affinität der zumindest frühen Punk-Bewegung zur künstlerischen Avantgarde in den Metropolen erfährt hier eine kongeniale Emblematisierung im Bild der beiden miteinander verwachsenen Zwillinge, die auf der Bühne ihr Ausgegrenztsein final durch Zurschaustellung überwinden. Ein verheißungsvoller Ruch von Utopie liegt über diesem Film, repräsentiert nicht zuletzt durch den wahrhaft mitreißenden, eigens geschriebenen Score von Clive Langer , der den frühen Punk in all seiner Rohheit und Unbändigkeit zu fassen kriegt, gemischt vielleicht mit der etwas melodramatischen Wehmut, das es für diese Utopie, aus heutiger Perspektive, immer schon zu spät war.

Ein Film über die Schönheit ungeschliffenen Materials (etwa auch alter Tape-Aufnahmen, wie sie rauschen und klingen), der Ausbruchsverheißung, die einmal ein paar Bretter Holz und Stromgitarren bedeuteten, und die Lust an der Zelebrierung des eigenen Körpers und seines Verfalls. Schon alleine wegen des von manchen vielleicht als heikel empfundenen Themas kein Film für jedermann, umso besser. "Cult potential" schreibt Variety - durchaus, durchaus. (ich jedenfalls liebte ihn beim Sehen)

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Vater, Mutter, Tochter im Hessischen: Ein Eigenheim wird bezogen, es ist Winter, am Montag kommen die neuen Fenster, auch wenn man das eigentlich im Sommer macht. Es scheint harmonisch zuzugehen, etwas zu beschaulich vielleicht, ein wenig fad auch alles, ein Fassbinder'scher Eheknast aber ist das nicht und wird es nie. Dann will die Mutter abends das zuckersüße Töchterchen bei den Schwiegereltern abholen; sie steht vor deren Hause, schaut durchs Fenster, sieht ihr Kind, dreht wortlos um, zum Auto hin, fährt ab. Autobahn, nachts, rote Autolichter, außerhalb des Schärfebereichs, keine Flucht im eigentlichen Sinne, ein Abtauchen ins Unscharfe eher. "Ich komme nicht mehr zurück", sagt sie schließlich später in ihr Handy als sie Rast macht.

Sie fährt zum Wochenendhäuschen ihrer Eltern, wo ihr Bruder gerade, was sie jedoch nicht weiß, als sie dort hinfährt, ein bisschen Liebespaar mit seiner neuen Flamme spielt; er ist ein rechter Weiberheld, wie wir erfahren, immer Geschichten am Start. Bald kommt ihr Gatte hinterher (der Bruder hatte ihn eingeladen, nach einer kleinen, wechselseitigen Gemeinheit unter Geschwistern), sie entgeht der Begegnung gerade noch rechtzeitig in ein nahes Hotel, dort Möglichkeit zum Seitensprung. Dann stirbt der Nachbarssohn zuhause, und die Fenster sind noch immer nicht da und es wird zur Beerdigung geladen. Sie kommt zurück, nähert sich wieder an, während ihr Mann eine alte Liebschaft ausgebuddelt hat; wie man in der Krise eben tickt.

Montag kommen die Fenster zeigt einiges, spielt mit den Möglichkeiten des Stoffes und auch dem Wissen des Zuschauers, erklärt aber nichts und verfällt in keine Konvention. Es mag kein Zufall sein, dass der Film in jener Sequenz, in der die Frau orientierungslos durch das Hotel geistert, für einen kurzen Moment lang Gus van Sants Elephant zu zitieren scheint; hier wie dort geht es um eine Situation, die förmlich darauf zu drängen scheint, erklärt, durchleuchtet und einsortiert zu werden, wohingegen beide Filme es vorziehen, eine naheliegende Erklärung gerade eben nicht zu konstruieren. Im Hotelzimmer schaut sie schließlich einen französischen Film, als läge die Ahnung eines französischen Ehedramas in der Luft; auch diese Ausfahrt nimmt Köhler nicht. Der erste näher ins Bild geratende Gegenstand im Waldhäuschen ist eine eindrucksvolle Kettensäge; man fürchtet, sie wird noch wichtig, als Instrument zur, wie Metapher für Zerfleischung - weit gefehlt, die Kettensäge bleibt ihrem ursprünglichen Zweck vorbehalten. Der Seitensprung im Hotel mit einem dicklich-älteren Lebemann, dessen Charme Behauptung bleibt, bleibt selbst wiederum Episode, nichts weiter. Es geht nicht um das große Drama, es geht nicht um die conditio humanae, für die man den Stoff als Sinnbild vielleicht in Frankreich verwendet hätte, es geht auch nicht um eine neue Moral, auf die ein Haneke vielleicht abgezielt hätte; es geht zunächst nur um diese drei Figuren, nur um diese drei, um nichts weiter, und die nimmt Köhlers Film ohne Vorbehalte ernst, kein tiefschwingender Pathos, keine Überwältigung suchende Tristesse.

Mithin mag es dann doch, dies aber nur vielleicht (zumindest die letzte Sequenz legt es nahe), um den Verlust der Erotik im Alltag gehen, das Einschlafen der fleischlichen Reize, wenn man sich einzubuddeln droht im Ehe- und Heimglück. Nicht umsonst spielt der Film in Kassel, einer Art Nicht-Ort in der Mitte von Deutschland, wo das ländlich-bequeme, aber nicht rustikale des alten West-Deutschlands vielleicht noch in Spuren erahnbar ist; eine (Um-)Welt, die zur Formulierung einer Utopie nicht imstande ist, weshalb die Flucht der Frau, wie ihre Rückkehr, vielleicht so sinnlos wirken mag, wie sie schließlich auch im Norweger-Pullil und Schlabberjeans durch die Wälder streift. Kein Ausbruch möglich, da kein Ventil in diese Richtung, und wenn ist es längst absorbiert: Ihr Bruder baut einen Joint, hört Ton, Steine, Scherben oder Rio Reiser, ein bisschen Kiffen ohne auflehnende Geste, seine Freundin, die nicht minder kifft, macht ein Praktikum im Bundestag; über 200 Gesetze hätten "die" (gemeint ist Rot-Grün) verabschiedet, natürlich hat sich was verändert, meint sie, mit den anderen stünden "wir" jetzt im Irak. Kein Gegenkonzept, das nicht immer schon regierungsfähig wäre. Das simple Bonmot des kurzfristigen Liebhabers: Ein Land, das nicht recht zu essen, nicht recht zu trinken, nicht recht zu ficken weiß, und obendrein Tennis zu wichtig nimmt.

Die Umwelt ist deshalb wichtig für den Film: Immer ist da mehr als bloßer Bildraum; ein Film, in dem man, wie vielleicht vorher noch nie, immer wieder Stimmen aus Nebenräumen hört, sei es durch offenstehende Türen oder durch Wände hindurch. Im Hotel ein monotones Rauschen im Hintergrund; über dem Abspann die Laute der nahen Autobahn. Ein akustisch erschlossener Raum, der gerade in seiner Weite so trostlos wirkt, hier wie dort sein bleibt sich da gleich; ein intensiver Film ganz ohne den Pathos der Intensität, in seiner Klar- und Einfachheit nichts weniger als tief beeindruckend.

imdb ~ weitere Informationen ~ Interview mit U. Köhler



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lol