Donnerstag, 4. März 2004
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Mittwoch, 3. März 2004
Thema: TV-Tipps


3sat, 03.03., 22:25

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Thema: Kinokultur
Bei Beschwerden bitten wir Sie, sich direkt an die Presseabteilung von Constantin Film zu wenden.

Aus der Pressemitteilung von Columbia zum heute hastig vorgezogenen Starttermin von Gothika (filmz.de), der nun nicht mehr am 18. März, sondern schon eine Woche früher ins Rennen steigt.

Das spannendste im bislang recht behäbigen Kinojahr 2004 sind eindeutig die derzeitigen Starttermin-Gehässigkeiten untereinander nach den bisherigen, recht miesen Umsatzzahlen des ersten Quartals. Siehe auch dieser Offene Brief an den Timebandits Filmverleih (und auch diese um Schlichtung bemühte Antwort).


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Die große Überraschung gleich zu Beginn: Nachdem man aufgrund der Berichterstattung in den letzten Monaten eigentlich ein naturalistisches Werk mit Schmutz, Physis und der altbekannten Liebe später Genrefilme zur organischen Textur erwartet hatte, erweist sich Mel Gibsons im Vorfeld heiß diskutierte Adaption von Jesu Leidensgeschichte bereits in den ersten Bildern als überstilisierte Angelegenheit. Der Garten Gethsemane, wo der Film seinen Anfang nimmt, erscheint, von einem malerischen Mond und bedrohlichen Wolken seltsam illuminiert, als ein filmischer Ort jenseits authentischer Dokumentationsweisen. Nicht viel Wunder nimmt es da, dass auch schon wenige Momente später Luzifer, der in dieser Inkarnation auch einem Fantasyfilm entnommen sein könnte, den um sein Leben betenden Jesus in Versuchung führen will. Ein wirklicher Bruch entstünde wohl nicht, denkt man sich insgeheim, liefen jetzt ein paar Hobbits durchs Bild. Jesus sieht Aragorn ja auch wirklich zu ähnlich und der Unterschied zwischen Elbisch und Aramäisch ist für den weder der einen noch der anderen Sprache Mächtigen zunächst auch nicht auszumachen.

Diese Stilisierung zieht sich weiter durch den Film, der somit als offenbar höchst unschlüssig erscheint, was er denn nun eigentlich ist. Die linguistische Recherche, um den Schauspielern den Sprachklang längst vergangener Jahrhunderte in den Mund zu legen, sowie die akribische Detailversessenheit in der Schilderung der Folterungen und physischen Qualen brechen sich zum Teil höchst unelegant mit der steten filmischen Glorifizierung einzelner Mosaiksteinchen und Episödchen der hinlänglich bekannten Passionsgeschichte mittels visuell und auditiv eigentlich nur naheliegenden, eben kaum reflektiert ausgewählten Stilmitteln: Peitschen schwingen in Zeitlupe nieder, stürzt Jesus auf dem Weg nach Golgatha scheinen entsprechende Momente in den Kampfsequenzen der Rocky-Filme Pate gestanden zu haben, erinnert sich Jesus an das letzte Abendmahl, so scheint dies, zumindest was die Ausleuchtung betrifft, in einer Malerei von Rembrandt stattgefunden zu haben, während Streicher uninspirierte Ethnorhythmen umschmeicheln. Kurzum: Dieser Film ist durch und durch Hollywood der schlimmsten Sorte, trotz allen Blutes und der zahlreichen physischen Härten, denen er, der Vorlage bald schon schmerzhaft nibelungentreu ergeben, seinen Protagonisten aussetzt.

In all seinen Posen und Beschwörungen bleibt der Film dabei oft schon erschreckend leer. Er will überwältigen, er will atemberaubend sein, "Ecce homo" schreit er den Zuschauer an, wenn er seine Kamera immer und immer wieder auf die Versehrungen Christi lenkt, das Blut dickflüssig und literweise von seinem Körper tropfen lässt, kommt dabei aber selten über die Faszinationskraft läppischer Touristenpostkarten aus Rom hinaus. Im Gegenteil könnte man - gelinde gesagt amüsiert - auch feststellen, dass Gibson in seiner naiven Ergebenheit der heiligen Mission einen Bärendienst erwiesen hat. Da es dem Film an epischer Tiefe ähnlich mangelt wie dem gekreuzigten Heiland an Wasser, wirken, zumal für den skeptischen Geist, nicht wenige große Gesten in ihrer inszenatorischen naiven Unbeholfenheit auf theatralische Art und Weise unfreiwillig komisch: Kommt Jesus auf seinem Marsch dorthin Golgatha ins Blickfeld, erinnert er sich unweigerlich an die Bergpredigt. Wäscht sich der bemerkenswert nobel gezeichnete Pilatus die Hände in Unschuld, denkt der schon sichtlich Geschundene ans Händewaschen während des Abendmahls. Wird er quasi von der hysterisierten Masse zum Tode verurteilt, flattert eine Taube über den Platz - in Zeitlupe versteht sich. Das alles wirkt rein dramaturgisch, aber auch in seiner stets bloß behaupteten Bildkraft mitunter so plump zusammengeschustert wie in einem TV-Film eines wenig engagierten Filmschulstudenten aus dem zweiten Semester und lässt bisweilen Zweifel an Gibsons Fähigkeiten aufkommen.

Wobei der Film rein handwerklich gewiss gelungen ist: Maske, Kulisse und Ausstattung sind sichtlich bemüht, das Beste aus einem Film zu holen, den der Mann auf dem Regiestuhl in seinem missionarischen, entsprechend unreflektiertem Eifer gerade gezielt in den Sand zu setzen droht. Doch das Aufbäumen bleibt vergeblich: Die Passion Christi entpuppt sich allenfalls als leeres Pathoskino, das um die geistige Verfassung allzu glühender Christen bangen lässt. Warum dieser Film nötig war - von Selbstverwirklichungstendenzen seines Autoren abgesehen - kann bestenfalls nur Gegenstand von Spekulationen sein: Der Kniff, Schauspieler in toten Sprachen reden zu lassen, nutzt sich schneller ab als Blut auf sonnerhitzten Pflastersteinen in Jerusalem vertrocknet ist und baut obendrein, wie auch die naturalistischen, im Laufe recht redundanten Folterdarstellungen, einen künstlerischen Widerspruch auf, der dem Film langfristig das Genick bricht. Blieben allein die Qualitäten als sozusagen fiktive Dokumentation antiker Folter- und Hinrichtungsmethoden, dann aber unter dem Gesichtspunkt vor allem visuell-reißerischer Spekulationen (womit sich Gibson in bester 70er Jahre Bahnhofskinotradition wiederfände, in der Hexen in gleichnamigen Filmen bis aufs Blut gequält wurden). Wie auch immer: Dieses Medienecho ist dieser über weite Strecken schlicht unerhebliche Film nicht wert.

Ab 18. März im Constantin Verleih in den Kinos.

Die Passion Christi (The Passion of the Christ, USA 2004)
Regie: Mel Gibson; Drehbuch: Benedict Fitzgerald, Mel Gibson; Kamera: Caleb Deschane; Schnitt:John Wright ; Darsteller: James Caviezel, Claudia Gerini, Maia Morgenstern, Sergio Rubini, Toni Bertorelli,Roberto Bestazzoni, Francesco Cabras, Rosalinda Celentano, u.a.
Verleih: Constantin

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Montag, 1. März 2004
29.02.2004, Heimkino

Sicherlich nett gemacht und nicht das schlechteste aller Remakes. Die Modifikationen in der Story waren sogar recht ansprechend. Trotzdem bleibt das schale Gefühl, dass der Film der Wirkmächtigkeit seines Themas nicht so recht getraut hat und schon deshalb allerlei Gruselspezifika auf bloßer ästhetischer Ebene runterrattert: Fast jedes Bild ist sumpfig-grün, die Leichen schauen nicht nur fratzenartig entstellt drein, sondern müssen auch noch jeder Sumpfleiche Konkurrenz machen, steigt das Mädchen aus dem Fernsehbildschirm sieht es nicht nur spooky aus, sondern scheint auch diesseits des Bildschirms ein Fernsehbild zu sein. Klar - hier soll man sich gruseln und zwar auch dann, wenn man den subtilen Mediengrusel nicht ganz so durchdringt. Das mag zwar während der Sichtung, zumal im abgedunkelten Raum, recht effektiv sein, verblasst aber im Nachhinein, bei Tageslicht betrachtet, umso schneller zum leeren Stilmittel, das, wie gesagt, lediglich davon kündet, dass dem eigenen Stoff nicht getraut wurde.

Alles in allem also nett und routiniert gemacht. Gleichzeitig aber auch arg visionslos (und das jetzt nicht etwa wegen "Remake", solcherlei Befindlichkeiten halte ich ja für äußerst borniert) und irgendwie stört mich das zur Zeit, wenn ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl haben darf, dass da jemand mit Leib und Seele zu Werke gegangen ist.

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Sonntag, 29. Februar 2004
28.02.2004, Heimkino

Auch so eine Lücke meiner Jugend in einem wohlbehüteten Gymnasium in der fränkischen Provinz, die hiermit geschlossen wird. Damals hatte den jeder gesehen, nur ich habe das irgendwie verpasst reinzugehen, wollte aber eigentlich dringend, hatte sich halt nicht ergeben. Nun, endlich, kann ich sagen: Allzu viel verpasst hatte ich damals nicht (gesetzt den Fall, "ich" wäre damals kein Anderer gewesen).



So wirklich schnuckelig ist ja eigentlich nur Christina Ricci als kleine morbide Tochter des Hauses. Der Rest ist zwar irgendwie quirlig und verschroben, aber alles scheint auf einer Ebene des bloßen Scheins, des äußeren Witzes zu verharren. Vielleicht hat man in der Zwischenzeit auch nur weit schwärzeren Humor gesehen? Oder aber Tim Burtons regelmäßige Neuauflagen von nostalgischem Genre-Pulp haben die Meßlatte einfach auf eine Höhe gesteckt, die ein sichtlich auf ein Massenpublikum hinkonzipierte Komödie mit schwazhumorigem Kolorit schlicht nicht erreichen kann.

Außerdem bin ich eh mit den Munsters im Nachmittagsprogramm aufgewachsen (immerhin netter Sidekick in diese Richtung in Sonnenfelds Film), die würde ich ja auch gerne mal wieder sehen.

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Thema: Kinokultur
Vom 25.02. bis 05.05 zeigt das Filmmuseum München eine an die Berlinale-Retrospektive angelehnte Filmreihe New Hollywood 1967 - 1971. Das vollständige Programm findet sich hier (pdf-Download). Kritiken zur Berlinale-Retro aus dem Filmtagebuch sind hier zusammengestellt.



Desweiteren findet dort im März eine Retrospektive zu Romuald Karmakar statt (Programm, pdf), dessen wunderbarer Die Nacht singt ihre Lieder (Kritik) derzeit in den Kinos läuft.


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Thema: TV-Tipps
Um 20:15 zeigt 3sat mit Solaris (Andrej Tarkowskij, UdSSR 1972) die erste Adaption von Stanislaw Lems gleichnamigem Roman. In elegischen Bildern untersucht Tarkowskij den Verlust der Beziehung des modernen Menschen zur Natur und dessen Solipsismus. Dabei entfernt er sich narrativ wie inhaltlich sehr stark von der Vorlage und entwickelt daraus, ähnlich wie Steven Soderbergh in seiner erneuten Adaption aus dem Jahr 2002, einen ganz eigenständigen Stoff.(bis 22:55)

Im Rahmen des Boxer-Themenabends zeigt arte um 20:45 Martin Scorseses aufwühlendes Biopic des Boxers Jake La Motta Wie ein wilder Stier (USA 1980). Die hitzige Inszenierung von Privatleben und den Boxkämpfen dieses typischen Scorsese-(Anti)Helden und nicht zuletzt Robert de Niros atemberaubende Präsenz machen diesen Film zu wohl einem der intensivsten der letzten 30 Jahre. (bis 22:45)

Im Anschluss an Tarkowskijs mythologischer Anti-Science-Fiction gibt es auf 3sat einen weiteren, ungewöhnlichen Vertreter dieser Gattung zu sehen: In Dune - Der Wüstenplanet (USA 1984) entwickelt David Lynch eine Sci-Fi-Semantik jenseits von Technikbegeisterung und Weltraumoper, sondern setzt ganz auf eine bewusst überhöhte Messiasgeschichte vor barocker Kulisse. In vielen Dingen ein zwar recht typischer 80er Jahre Genrefilm, doch mit genug Profil uind Eigenheiten, die ihn auch heute noch interessant und outstanding machen. Filmtagebucheintrag hier. (von 22:55 bis 01:00)

Für die Nachteulen läuft dann um 01:15 auf ZDF Hal Ashbys ganz und gar bezaubernder Harold und Maude (USA 1971), in dem kein Stein der bürgerlichen Gesellschaft auf dem anderen bleibt, dabei aber nicht verkrampft ideologisch vorgeht, sondern mit Witz, Fantasie und Charme vorgeht. Erzählt wird die Geschichte des todessehnsüchtigen Bürgersohns Harold, der auf einer Beerdigung die quirlige, fantasievolle, bald 80jährige Maude und damit ein Stück Lebensqualität kennenlernt. Man verliebt sich ineinander und bringt gemeinsam die Verhältnisse zum Tanzen - wunderbar! (bis 02:45)


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Samstag, 28. Februar 2004
Thema: Kinokultur
Nach dem Erfolg der Teaser-Veranstaltung für das Fantasy Filmfest im letzten Jahr, darf dieses Jahr sogar in zwei aufeinander folgenden Nächten geschrieen werden. Im März/April wird es in sechs verschiedenen Städten insgesamt sechs Filme aus dem Horror/Thriller/Mystery-Bereich zu sehen geben - bei den meisten Titeln eine einmalige Gelegenheit, da die wenigsten auch regulär in die hiesigen Kinos kommen, bzw. auch nicht auf dem eigentlichen Festival im Juli/August zu sehen sein werden. Und es ist eine ganz exquisite Zusammenstellung geworden:
  • Dawn of the Dead (USA 2004)
  • Blueberry (Frankreich 2004)
  • Natural City (Südkorea 2003)
  • A Tale of Two Sisters (Südkorea 2003) (kritiken: 1 | 2)
  • The Toolbox Murders (USA 2003) Ein neuer Film von Altmeister Tobe Hooper!
  • The Card Player (Italien 2004) Der neue Film von Dario Argento - Bilder hier.

    Die genauen Spielpläne finden sich hier.


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    Seeßlen über jüngste Westernphänomene in der Berliner Zeitung. Wie immer halt.


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    Freitag, 27. Februar 2004
    27.02.2004, Heimkino

    Coming out of age in Wuppertal. Etwas mit Kumpels Party, dann so erstes Mal Ficken und wie man da hin kommt, Zivildienstromantik im Altenheim, zwischen Windeln und Pisspötten. Bisweilen nett, bisweilen unerheblich, unterm Strich recht langweilig und kein Kandidat für eine zweite Sichtung. Irgendwie mal wieder ein typischer Film mit Daniel Brühl also.

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    hier. Und Frogger macht noch immer süchtig.



    [via ronsens]


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    Ein Interview mit Michael Lam, einem der Restauratoren der Hongkong-Klassiker der breit angelegten Shaw Brothers Reissue Reihe (unverbindlicher schedule).



    [via hkentreview.com]


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    Olaf Möller, wie stets lesenswert, über die nigerianische Videoproduktion, die jährlich über 1000 Spielfilme zustande bringt, in der taz.


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    Donnerstag, 26. Februar 2004
    25.02.2004, Heimkino

    Bis heute ein kaum greifbarer Film. Viele halten ihn für gescheitert, für Lynch schwächsten, vielleicht auch, weil er auf den ersten Blick nur aussieht wie ein mit Lynch-ismen etwas angereicherter Mainstreamfilm.



    Und ich weiß selbst nicht, was es ist, aber bis heute mich fasziniert mich dieser Film auch. Seine seltsame Grundstimmung, dieses offene Spiel mit Versatzstücken, das dennoch nicht zum bloßen Pastiche gerinnt, diese stete Ahnung, dass da hinter allem - die gestelzten Gedankengänge aus dem Off legen dies ja nahe - noch weit mehr am brodeln ist, mehr als der Film zu zeigen vermag, zeigen will. Auch wie das alles als Märchen funktioniert, ja noch nicht mal als Märchen, sondern als imaginiertes Märchen, etwa eines kleinen Jungen, der über Comics und Videospielen eingeschlafen ist, ist nicht ohne Reiz.

    Größer als sein Ruf, gewiss.

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    Mittwoch, 25. Februar 2004
    24.02.2004, Heimkino

    Ich bin mir sehr sicher, gestern den seltsamsten Film meines bisherigen Lebens gesehen zu haben. Selbst der vollkommen in die Binsen gegangene Plan 9 From Outer Space (USA 1959) aus dem Hause Ed Wood scheint gegen den berühmt-berüchtigten Turkish Star Wars geradezu nach Lehrbuch inszeniert. Was nicht heißen soll, dass diesem Film das Herzblut, das drin steckt, nicht anzusehen wäre, oder das Amüsement nur daher rührt, dass eben Türken die Abenteuer bestehen, die normalerweise blonden Collegejungs vorbehalten sind. Es ist diese ganze seltsame Mischung aus unbekümmerter "Das können wir auch"-Attitüde, die sich zwar durch die Gegebenheiten nicht gerade legitimiert, finanziellem Notstand, der es eigentlich nicht erlaubt, Filme zu drehen, und der Liebe zum "Hau ruck"-Kino, in dem irgendwie alles möglich scheint, zumindest aber alles erlaubt ist, die hier für kindlich naive Freude sorgt - manchmal mit dem Film, manchmal aber auch, natürlich, über ihn.



    Ein ganz seltsames Patchwork ist das. Es besteht aus munter herausgeschnippelten Actionsequenzen aus dem US-Star Wars, dreistem Soundtrack-Klau, der zudem unbeholfen und nach Steckkastensystem über die Bilder gelegt wird, derbem Sound-Effect-Sampling und einigen selbstgedrehten Szenen vor Plastik- und Plüschkulisse - zusammengehalten wird das alles durch eine Holzhammer-Montage, die Bild und Ton, Zeit und Raum voneinander trennt wie seltsam absurd auch verbindet. Nach anfänglichem Staunen entsteht ein Gespür für diese ganz eigene Filmsemantik, in der eigentlich nichts mehr wirklich erzählt wird, sondern nach Schlüsselreiz-Muster eher schon Brocken vorgeworfen werden, die nicht etwa "großes Kino" sind, sondern dem Publikum zeigen: "So soll großes Kino aussehen". Wie in diesem Schnippselfest aus geklautem und gedrehtem footage die Filmkonventionen selbst, die Vereinbarungen zwischen Publikum und Film offengelegt werden, ja gleichsam, trotz offensichtlicher Konstruktion, dekonstruiert werden, das ist beinahe schon fabelhaft.

    Neben all der bierseligen Glückseligkeit, die dieser Film versprüht, diesem Aroma von Salzstangen, Dosenbier und lautem Gepolter diesseits des Bildschirms, besteht der Film deshalb auch als Kommentar zum Genrekino selbst. Und ein in all seiner Unbeholfenheit gar nicht mal so unkluger, will ich meinen. Ich finde ihn jedenfalls großartig, in all seiner zweifelhaften Pracht.

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    Samstag, 21. Februar 2004
    Der Film zielt vor allem in die Tiefe des Raumes. Schon das erste Bild zeigt eine Feldflasche, einen Stoffbeutel mit Äpfeln auf einem Acker im Vordergrund, weit hinten im Bild einen Bauern, der das Feld pflügt. Nur wenig später ein schnell hin und her geworfenes "Hallo" mit einer Frau, die am anderen Ende des Tales am Waldrand steht, ein paar Punkte im Bild nur - im Gegenschuß der Bauer auch -, dank der gestochen scharfen DVD aber werden noch Bewegungen ersichtlich. Dieses Projekt der Durchmessung des Raumes auf der Tiefenachse findet immer wieder im Verlauf eine Fortsetzung: Verdächtig oft entwickeln sich Spannungsverhältnisse zwischen einem verzerrt großem Vordergrund und dem Hintergrund. Stiefel werden mitunter fast so groß wie ganze Personen, die nur wenige Meter hinter den Stiefeln stehen. Mit oft verblüffendem Effekt suggeriert das: Dieser Welt kann man nicht mehr trauen. Bekanntes scheint verzerrt, Verhältnisse auf den Kopf gestellt.

    Dies stützt die Narration: Kinder, Jugendliche, Heranwachsende eines britischen Provinznestes im 17. Jahrhundert scheinen vom Teufel besessen, werden vermisst oder kehren mit seltsamen Gewohnheiten aus den nahen Wäldern zurück. Dort hat sich eine Art Hippiekommune eingerichtet, die sich in Orgien ergeht und der Wiederkehr ihres Meisters - der Leibhaftige in personam - entgegen fiebert. Gezeichnete, derer sich der Satan angenommen hat, weisen seltsam behaarte Stellen auf, fast schon deplazierte Schamhaare. In einer besonders grotesken Sequenz erleben wir einen operativen Eingriff zur Entfernung solcherlei befremdlichen Gewächses am Körper junger Mädchen. Überhaupt Groteske: Auch hier schreibt der Film sein Projekt der Verfremdung fort, indem er sich immer wieder in bisweilen psychedelisch inszenierte Höhepunkte verliert, porös wird und, gewissermaßen, die contenance verliert. Das Ergebnis ist wild, spekulativ, reißerisch. Aber eben auch: Auf hypnotische Art faszinierend.

    Das Genrekino vergangener Dekaden, vor allem das dubiose, nicht selten geschmacklose Segment dieses Produktionszusammenhangs, stellt nicht selten einen aufregenden Fundus der Filmgeschichte dar, den zu entdecken nicht nur Freude bereitet, sondern auch den Blick weitet. Auf die Filmgeschichte, auf die Art, wie Filme auch erzählt werden können. Das Diktat der schnellen Kasse, aber auch die Freiheit, nicht an den Konsens der internationalen Märkte anschließen zu müssen, machen's möglich. In den Krallen des Hexenjägers (den es natürlich nicht wirklich gibt im Film) dient hierfür als eindrucksvolles Beispiel.

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    In den Krallen des Hexenjägers (Blood on Satan's Claw/Satan's Skin; UK 1970)
    Regisseur: Piers Haggard; Drehbuch: Piers Haggard, Robert Wynne-Simmon; Kamera: Dick Bush; Schnitt: Richard Best; Darsteller: Patrick Wymark, Linda Hayden, Barry Andrews, Avice Landone, Simon Williams, Tamara Ustinov , u.a.



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    Freitag, 20. Februar 2004
    Retrospektiv betrachtet - und die Veröffentlichung dieses Films in diesen Tagen lädt ja dazu ein - kommt Rob Schmidts Neuauflage des 70er Jahre Terror-Movies eine etwas tragische Rolle zu: Gut und gerne darf man ihn als Startschuss einer Welle an auf die Klassiker der 70er referierenden Horrorfilme bezeichnen, wie wir sie zuletzt gehäuft im Kino zu Gesicht bekamen. Tragisch wird's mitunter, weil diese Titel dann doch von einer expliziten Zeigefreudigkeit und eines ästhetisch kreativen Overkills Gebrauch machen, von denen Wrong Turn eigentlich nur träumen kann, die ihm beinahe sogar - und nicht nur die Hauptdarstellerin, die eben auch dort agiert, legt das nahe - zu soetwas wie einem "Buffy für Erwachsene" machen. Bis auf ein paar gelungene somatische Schocks, die ihre Wirkkraft vor allem aus dem Spiel der Montage mit der auditiven Ebene beziehen, hat Wrong Turn eigentlich schon nicht mehr zu bieten. Ein schneller Verfall: Der Film lief gerade Mal letzten Sommer in den deutschen Kinos an und wirkte damals noch wesentlich frischer.

    Es geht, wie so oft, um eine Gruppe Twens, die für ein Wochenende ins Hinterland fahren, dabei aber mitten im Wald auf einer nicht befesteten Straße eine Autopanne erleiden. Außerdem fährt ihnen auch noch ein junger Mann in den Wagen, der für einen Moment lang abgelenkt war. Nach einer Verschnaufpause tut man sich zusammen und begibt sich auf die Suche nach einem Telefon oder ähnlichen Posten der Zivilisation. Natürlich landet man nicht dort, sondern in der genauen Antithese: Von der Welt nicht bemerkt, hat sich im Wald eine Familie von Kannibalen über Jahrhunderte währenden Inzest zu einer verrohten, mutierten Version des Homo Sapiens entwickelt. Es kommt, natürlich, zur Verfolgungsjagd durchs Gestrüpp, auf die Bäume, über die Berge, die nicht alle Twens des Grüppchens überleben. Vor allem natürlich jene nicht, die sich selbst allzu sorglos im Gebrauch von Drogen und des eigenen Körpers erwiesen.

    Kaum so blutig wie sein Ruf, konzentriert sich der Film nach einer etwas zähen Exposition und einer makabren Zwischeneinlage im Haus der Kannibalen vor allem auf das Actionelement seiner Handlung. Nicht das Zerlegen von Körpern steht im Mittelpunkt, sondern die Jagd auf dieselben. Das ist mitunter sehr spannend, hier und da auch recht schwarzhumorig geraten. Vor allem das handwerkliche Geschick der Filmemacher kommt dem Filme hier zugute, der sich technisch als state-of-the-art erweist. Nennenswerte Impulse werden dem Genre allerdings nicht verliehen, auch als Hommage oder postmodern ironisiertes Spiel mit den Erwartungshaltungen des genre-kompetenten Zuschauers will (und kann) der Film offenbar nicht funktionieren. So bleibt er, von seiner Vorreiterrolle in der gegenwärtigen Welle an Terror Movies mal abgesehen, als eher durchschnittlich in Erinnerung.

    Die DVD der MC One erweist sich, wie fast alle Veröffentlichungen aus diesem Hause, als absolut auf der Höhe der Zeit. Bild und Ton sind von qualitativ beeindruckender Qualität: Das lustige Treiben im Hain ist gestochen scharf, kontrastreich und in satten Farben auf Scheibe gepresst worden. Der Ton, dem eine gesteigerte Bedeutung für das Filmerlebnis zukommt, ist dynamisch und pumpt ordentlich - der Adrenalinspiegel weiß es zu schätzen. Das Zusatzmaterial hingegen stellt sich zumindest in der vorliegenden Verleihversion der DVD als etwas schmal geraten dar: Neben Biografien der wichtigsten Beteiligten und dem Trailer finden sich dort lediglich noch Programmhinweise zu anderen Scheiben aus eigenem Hause (sprich: Werbung). Nichts also, was man sich mehr als einmal zu Gemüte führen muss, ich räume aber ein, dass die Verkaufsversion sich dahingehend auch unterscheiden könnte.

    Alles in allem: Ein auf technischer Ebene weiterer Spitzenrelease aus dem Hause MC One. Mit dieser Firma scheint sich ein deutscher Programmanbieter für zumindest interessante Filme jenseits der großen Titel aufzubauen, der auch internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht und auf dessen Releases in der Regel Verlass ist. Der Film selbst ist gesundes Mittelmaß: Nicht weiter berauschend, für Genrefans aber wohl Pflicht.

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    Wrong Turn (USA 2003)
    Regie: Rob Schmidt; Drehbuch: Alan B. McElroy; Kamera: John S. Bartley; Darsteller: Desmond Harrington, Eliza Dushku, Immanuelle Chriqui, Jeremy Sisto, Kevin Zegers, Lindy Booth u.a.



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    Donnerstag, 19. Februar 2004
    Ein ganz und gar ehrgeiziges Projekt hat sich der Autor Rudolf Ramge vorgenommen: Nichts weniger als eine Chronik des Horrorfilms, so umfassend wie möglich, verschwenderisch in der Ausformulierung von Details. Mehrere tausend Seiten sind angepeilt. Ein Projekt also, das keinem Verlag anzubieten wäre. Ergo: Ein Internet-Projekt.

    Das Schöne: Man darf am work in progress teilhaben. Hier auf der Website des Autors kann man sich regelmäßig Updates und/oder den aktualisierten Stand der Dinge runterladen. Stolze 450 Seiten sind es schon geworden, als pdf auch schick gestaltet. Weit ist man dennoch nicht gekommen: Gerade mal das Jahr 1929 wurde angerissen, noch nicht mal James Whales Frankenstein war da gedreht. Allein dies sollte schon eine ungefähre Ahnung vermitteln, welche Ausmaße dieses Projekt eines Tages mal angenommen hat, sollte es, was der Autor nicht unbedingt verspricht, fertig gestellt werden.

    Ein schönes Projekt. Regelmäßiges Vorbeischauen wird dringend empfohlen. Weiterschreiben sowieso.


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    Thema: Hoerkino
    Bei ausgedehnten Streifzügen durchs Internet lasse ich mir meine Gehörgänge gerne von elektro-minimalistischem Geklicker und Geklacker umschmeicheln. Als wahre Fundgrube dahingehend hat sich http://www.subsource.de entpuppt, ein Web-Label mit Dutzenden von stream- und downloadbaren Releases und DJ-Sets. Zum Teil wunderschönste Klangwelten. Empfohlen wird Zen Sauvage.


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    Gerade überlegt, ob ich nicht auch ein paar kluge Worte zu einer unsäglichen Kampagne einer größeren deutschen Boulevardzeitung gegen eine Schauspielerin in den letzten Tagen schreiben soll. Dann aber doch zu dem Schluss gekommen, dass manche Dinge es so offensichtlich nicht wert sind, dass man sie auch noch großartig kommentiert, weil sie von so einer unfassbar bornierten Dummheit ihrer Urheber zeugen, dass man sie am besten lediglich mit Ignoranz bedenkt. Alles andere wertet diesen kindischen wie unerheblichen Sermon nur mit an sich nicht vorhandener Relevanz auf.


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    Thema: TV-Tipps
    Im Tokyo der späten 90er sorgt eine Kette von Beinahe-Morden für Aufsehen: Zahlreiche Personen werden von einem jungen Mann mit dicker Brille mit einer Waffe bedroht, es wird auch geschossen, doch die Kugel trifft nie ihr Ziel. Schnell ist ein Name für den glücklosen Killer gefunden: Four Eyes. Die Schwester des auf Four Eyes angewiesenen Polizisten begibt sich auf die Suche nach dem Phantom. Eine seltsame Form der Annäherung findet inmitten von Metropole und Artefakten der Popkultur statt - und es stellt sich heraus, dass die gescheiterten Anschlägee durchaus im Sinne des "Mörders" sind. In einer Nebenrolle zu sehen: Takeshi Kitano.

    Ganz dicke Empfehlung meinerseits! Zwar habe ich den Film vor knapp 4 Jahren das letzte Mal gesehen, aber ich habe ihn noch in bester Erinnerung: Ein wunderbar lakonischer Thriller, der sich vollkommen unangestrengt mit einer Liebesgeschichte und klassischem Arthouse-Stoff mengt. Heute abend, 18.02., um 23:30 auf dem WDR in der deutschen Synchro zu sehen. Soweit ich weiß, ist der Film auf Konserve nur aus Asien zu importieren - also Videorekorder programmieren!

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    16.02.2004, Heimkino

    Ruhigen Gewissens kann man dieses Sequel zu Clint el solitario (Italien 1967) zu den Nebenwerken des italienischen Westerns zählen. Ein zwar handwerklich routiniert inszenierter und erzählter Film, dem aber für eine signifikante Rolle innerhalb des Subgenres doch die Impulse fehlen. Seiner späten Entstehungszeit - 1972 hatte der Italowestern seinen Zenit bereits überschritten, hierzulande kam der Film gar erst drei Jahre später in die Kinos - mag es zuzusprechen sein, dass der Film dafür eher schon als Zitatarchiv funktioniert. Wenn Clint, der Einsame aus dem Titel, nach fünf Jahren Flucht vor Kopfgeldjägern und ähnlichen Häschern nach Hause zurückkehrt, wo ihn Gattin und Sohn verstoßen haben und die kleine Tochter ihn nicht wiedererkennt, um dort dann als Arbeitskraft sukzessive in den Schoß der Familie zurückkehren, fühlt man sich unweigerlich an Peter Fondas The Hired Hand erinnert, der ein Jahr zuvor enstanden ist. Auch Klaus Kinski als wortkarger, zynischer Kopfgeldjäger erinnert bisweilen an seine Figur in Corbuccis Il Grande Silenzio, auch wenn ihm hier, zum Ende hin, der Luxus einer sogar recht menschlichen Note gewährt wird. Kein Wunder: Wenn der Italowestern ein Kino der allgegenwärtigen Auflösungserscheinungen ist, dann fungiert der späte Il Ritorno di Clint il solitario, nicht bloß narrativ, beinahe schon als Rückkehr zu Frau, Heim und Herd: Der Anti-Held des italienischen Westerns ist 1972 bereits alt geworden.

    Spannend aber ist, wie der Film seine Vorgeschichte zu Beginn kurz rekapituliert. Auch wer den ersten Teil nicht kennt, kann dieses Patchwork aus Erinnerungen und melancholischen Gesichtsausdrücken - ein klein wenig Kenntnis der typischen Stories des Subgenres vorausgesetzt - schnell deuten und erfassen. Gleich zu Beginn entsteht dadurch eine Dynamik in der Geschichte, die einem das Gefühl vermittelt, bereits einen ganzen Film vorneweg gesehen zu haben und schon tief in diesen Film involviert zu sein. Das sorgt für Spannung und Aufmerksamkeit. Gottlob verfällt der Film anschließend nicht in Apathie, sondern kann seine nur minimalistisch erzählte Geschichte, in der sich die Jagd eines Kopfgeldjägers auf Clint elegant mit dem typischen Genremotiv der zu erlösenden Stadt, die von einer mafiösen Clique terrorisiert wird, koppelt, spannend erzählen und schlüssig auflösen.

    Wie gesagt, der Film ist sicher im Genre nichts Besonderes. Aber er ist eben doch solide und vermag zu unterhalten. Nicht zuletzt auch Kinskis pointierte Mimik trägt dazu bei. Ein netter Film also. Schade bloß, dass der TV-Ausstrahlung offensichtlich eine gekürzte Fassung zugrunde lag.

    Ein Einsamer kehrt zurück (Il Ritorno di Clint il solitario; Italien 1972)
    Regie: Alfonso Balcázar; Drehbuch: Enzo Doria, Giovanni Simonell; Kamera: Jaime Deu Casas; Musik: Ennio Morricone; Darsteller: George Martin, Klaus Kinski, Marina Malfatti, Augusto Pescarini, Susanna Atkinson, Daniel Martín, Fernando Sancho u.a.
    Länge: ca. 85 Minuten (geschnittene Ausstrahlung auf Tele 5 im Dez.2003)

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    Montag, 16. Februar 2004
    Identity Kills von Sören Voigt erzählt nicht, wie man bei diesem Titel vielleicht denken könnte, eine Geschichte aus der Welt der "Gender Studies", die man nur mit Theoremen der Postmoderne im Rüstzeug verstehen könnte und auch Judith Butler muss man in einer Rezension nicht erwähnen, um auf der sicheren Seite zu sein. In nur grob vorskizzierten, auf Digitalvideo gedrehten Szenen wird Karen vorgestellt, die ihr Leben relativ sinnentleert im Irgendwo des Nirgendwo zwischen Plattenbau, Proll-Freund, Proll-Techno-Disco, Fabrikarbeit und Tagträumen verbringt. Ein zufällig mitgehörter Dialog der jungen Hotelfachfrau Fanny Volant mit ihrer Friseuse, dass sie schon bald einen attraktiven Beruf in einem Hotel auf der dominikanischen Republik ausüben werde, macht Karen neugierig und löst Fernweh aus. Einen Zufall später wird Karen im nahegelegenen Café vom extra angereisten Hotelmanager mit eben jener Fanny verwechselt, allerdings lässt sie das Mißverständnis sichtlich fasziniert von diesen neuen Lebenswelten zu und verbockt das Gespräch schlußendlich dann doch noch beim Spanischtest. Der Traum vom anderen Leben geht dennoch weiter: Karen nimmt, einige Wochen später, als vorgebliche Personalmanagerin des Hotels Kontakt mit der sich versetzt fühlenden Fanny auf.

    Nach anfänglicher Skepsis ob des offenen Konzepts des Filmes kann man sich dem Geschehen, nicht zuletzt aufgrund der großen Improvisationsleistungen der Hauptdarstellerin Brigitte Hobmeier, recht schnell öffnen. Die erste, noch anonyme Begegnung zwischen Fanny und Karen, sowie die unmittelbar darauf folgenden Implikationen sorgen für das erste Spannungshoch und fesseln dementsprechend. Leider verliert sich der Film daraufhin wieder etwas zu sehr in der Darstellung des tristen Lebens von Karen, um erst weit gegen Ende den vielversprechenden Plot mit Fanny wieder aufzunehmen. Dies sorgt für manche Länge, die Identity Kills allerdings am Ende mit seinen sowohl überraschenden, wie auch, im positiven Sinne, erstaunlich unspektakulär inszenierten Wendungen wieder wett machen kann. Zwar haftet dem Film noch etwas der Ruch der Filmhochschule an, wirkt somit der Tendenz nach etwas zu arg herbeikonstruiert, doch weiß er unterm Strich zu überzeugen und lässt auf weitere, narrativ vielleicht noch etwas routinierter vorgetragene Filme des Regisseurs hoffen.

    Ab 11. März im Exit Filmverleih in den Kinos.

    >> Identity Kills (Deutschland 2003)
    >> Regie/Drehbuch: Sören Voigt
    >> Kamera: Markus Stein
    >> Darsteller: Mareike Alscher, Sabine Beck, Julia Blankenburg
    Cay Helmich, Brigitte Hobmeier, Wicky Kalaitzi u.a.
    >> Länge: 81 Minuten

    imdb


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    Thema: Kinokultur
    » ...
    Wie der frischgegründete timebandits Filmverleih mitteilt, wurde nach dem Triumph von Fatih Akins neuem Film Gegen die Wand auf der Berlinale der Starttermin von April auf den 11. März vorverlegt.


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    Die Berlinale ist vorbei, die Bären erlegt, am Potsdamer Platz kehrt wieder Ruhe ein, auch wenn man mit vereinten medialen Anstrengungen dem Rest der Welt etwas anderes weißmachen will.

    Als Statistikfreak hab ich ein Faible für das gänzlich Nutzlose, als Lohnschreiber für das geschriebene Wort ohne literarischen Wert. Die Berlinale war also, zumindest für mich:

    42 Filme in 10 Tagen, mit eingerechnet sind allerdings 9 Filme im entspannten Vorfeld der Pressevorführungen, die alljährlich ab Mitte Januar stattfinden.

    7 Schachteln Zigaretten (erschreckend, und ein neuer persönlicher Rekord)

    ca. 15 Portionen Bier, meist Hefeweizen, manchmal aber auch Pils

    8 mal Chinapfanne beim Asiaten für 2,50 Euro (ja, ich habs gezählt)

    1 mal Currywurst am Imbißstand gegenüber dem Cinemaxx (der kulinarische Tiefpunkt)

    5 Stunden Schlaf, im Schnitt

    1 Alkoholexzess

    und daran anschließend:

    1 mal Auto vergessen und am nächsten Morgen vermisst (dazu muss man wissen: aus Zeitgründen reise ich zum Potsdamer Platz mit Auto und S-Bahn an – fragwürdig, vor allem wenn man weiß, dass die Zeitersparnis etwa 5 Minuten ausmacht, handgestoppt, im Vergleich zur direkten Verbindung mit der U2)

    2 mal im Kino eingeschlafen:
    - bei „Demain, on déménage“ (vielleicht war ja ich der Schnarcher, den Kollege Knoerer in seiner Rezension zum Film beneidet – eine der vielen Rätsel, die ein Filmfestival in der Rückbesinnung bereit hält)
    - und bei „Quattro Noza“, aber nur ganz kurz.

    1 Filmparty (hab vergessen zu welchem Film)

    Und abschließend noch ein nachgeschobenes Best-/Worst of:

    Best: Running on Karma (Johnny To)
    Worst: Quattro Noza und Country of my Skull

    Schönstes Filmerlebnis: Days of Heaven (Terrence Mallick)

    Furchtbarstes Filmerlebnis: Eine mit heftigen Blähungen halb durchgestandene Vorführung von The Candidate.

    Surrealstes Filmerlebnis: One missed Call (Takeshi Miike) – Geruchskino in bester 50ies Manier. Als die verrottete Leiche der Mutter entdeckt wird, steigt beißender Pissegeruch auf. Grund: ein Penner, der sich verlaufen hat und schließlich freundlich, aber bestimmt des Saales verwiesen wird.

    Das war´s von mir, es bleibt: vielen Dank fürs Lesen und bis zum nächsten Mal.

    Thomas Reuthebuch


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    Wettbewerb: Final Cut (USA 2003, Omar Naim)
    Ein Film mit einer spannenden Prämisse und einer enttäuschenden Umsetzung. Robin Williams spielt den introvertierten Cutter mit bemerkenswerter Eindimensionalität, Mira Sorvino wird im dramaturgisch günstigen Moment wie ein hübsch anzusehendes Artefakt aus dem Hut gezaubert. Der Score verkleistert in beispiellos unerträglicher Weise die wenigen gedanklichen Freiräume, die der Plot dem Zuschauer läßt und auch filmhandwerklich ist speziell das Finale überraschend ungelenk inszeniert. Zwei Stunden vertane Lebenszeit.

    Retrospektive: Sisters (USA 1972/73, Brian de Palma)
    De Palmas verstörendster Film, vielleicht. Fühlt sich spätestens in der Hypnosesequenz wie ein früher Cronenberg an. Die erste Hälfte des Films ist jedoch de Palma pur, steckt voller Querverweise auf diverse Hitchcock Klassiker und greift exzessiv auf drastische filmische Mittel wie etwa die Split-Screen Technik zurück. Mit offensichtlicher Freude spielt de Palma mit gängigen Thrillerkonventionen, werden zusehends allgemeingültige Genreregeln unterlaufen und der Blick des Zuschauers in beispielhafter Weise zersetzt. Am Ende steht die völlige Orientierungslosigkeit des Betrachters und eine geniale letzte Einstellung, die mit diebischer Freude die ins leere gelaufenen Erwartungshaltungen des Zuschauers kommentiert.

    Retrospektive: The Parallax View (USA 1973/74, Alan J. Pakula)
    Ein Film, nicht ohne dramaturgische Schwächen, zwischendurch, der jedoch durch sein konsequent umgesetztes visuelles Konzept als Meisterwerk zu bezeichnen ist. Die finale Plansequenz ist in ihrem Erfindungsreichtum atemberaubend. Gordon Willis reizt das verwendete Filmmaterial in faszinierender Low-Key Ästhetik aus, die Bilder legen sich wie Tableaus über ihre Figuren. Interessant auch Pakulas Inszenierungsstil in den dialoglastigen Szenen, speziell in den Zweier-Konstellationen. Es gibt kaum Coverage, die Kamera folgt selten dem Schuß-Gegenschuß-Prinzip. Dahinter steckt ein ungeheures Zutrauen in die Schaupieler und es wird einem schmerzhaft bewußt, wie berechenbar das gegenwärtige Hollywoodkino in seinem fehlenden Selbstvertrauen ist.

    Retrospektive: The Deer Hunter (USA ?, Michael Cimino)
    Bemerkenswert: der Grad an veränderter Wahrnehmung auf der großen Leinwand. Bereits in den ersten Totalen des kleinen Industriestädtchens in der Nähe von Pittsburgh werden mögliche Zweifel an dem Sinn einer erneuten Sichtung des Films im Rahmen der Retro gründlich zerstreut. Es folgen drei unvergessliche Stunden. Michael Ciminos von mir im Fernsehen immer als zu lang empfundener Film, entwickelt eine erstaunliche Sogkraft. Die latent homosexuelle Beziehung zwischen Michael und Nick bildet das dramaturgische Fundament, ihre Dreiecksbeziehung mit Meryl Streep hält den Film zusammen. Die Vietman Sequenzen sind kürzer als erinnert und die letzte Szene, wenn die alten Freunde gemeinsam „God bless America“ intonieren, sagt mehr über die amerikanische Seele aus als viele kluge Abhandlungen.

    Thomas Reuthebuch


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    Sonntag, 15. Februar 2004
    ... entgegnet man in der Berliner Zeitung von gestern dem Soziologen Joachim Kersten, als dieser darauf hinweist, dass "Gewalt an der Schule" nicht wirklich messbar zugenommen hat, sondern lediglich die mediale Transparenz. Das ist natürlich den meisten Menschen, die sich mal irgendwie mit eigentlich schon Allgemeinplätzen der Medien- oder Kulturwissenschaft befasst haben, bekannt, dieser Einwurf des Journalisten veranschaulicht aber doch mal wieder auf recht schöne Art und Weise die Bereitschaft in diesem Milieu, den eigenen Bedingungen von Wahrheitskonstruktion unreflektiert auf den Leim zu gehen.

    Auch ansonsten ein lesenswertes Interview.


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    Thema: TV-Tipps

    Wer die Berlinale, bzw. die Retrospektive New Hollywood 1967 - 1976. Trouble in Wonderland nur aus der Ferne beobachten konnte, hat dank einer Filmreihe auf 3sat nun die Möglichkeit, zumindest ein paar Titel nachzuholen, bzw. im Kontext zu sehen.

    Die Termine im Einzelnen:

    Dienstag, 17. Februar 2004, 20.15 Uhr
    Die Reifeprüfung TIPP!
    (Mike Nichols, USA 1967)

    Dienstag, 17. Februar 2004, 22.25 Uhr
    Easy Riders, Raging Bulls (Dokumentation)
    (Kenneth Bowser, USA 2002)

    Mittwoch, 18. Februar 2004, 22.25 Uhr
    Bonnie und Clyde TIPP!
    (Arthur Penn, USA 1967)
    traeumer@traumtagebuch

    Freitag, 20. Februar 2004, 22.30 Uhr
    Bill McKay - Der Kandidat
    (Michael Ritchie, USA 1972)

    Sonntag, 22. Februar 2004, 23.45 Uhr
    Asphalt-Cowboy TIPP!
    (John Schlesinger, USA 1968)

    Dienstag, 24. Februar 2004, 22.25 Uhr
    Ehemänner
    (John Cassavetes, USA 1970)

    Mittwoch, 25. Februar 2004, 22.25 Uhr
    Alice's Restaurant
    (Arthur Penn, USA 1969)

    Donnerstag, 26. Februar 2004, 22.25 Uhr
    Der Dialog TIPP!
    (Francis Ford Coppola, USA 1973)

    Freitag, 27. Februar 2004, 22.30 Uhr
    Der König von Marvin Gardens
    (Bob Rafelson, USA 1972)
    Thomas Reuthebuch:Short Cuts

    Montag, 1. März 2004, 23.10 Uhr
    Ich bin Wanda (Dokumentation)
    (Katja Raganelli und Konrad Wickler, Deutschland 1991)

    Dienstag, 2. März 2004, 22.25 Uhr
    Wanda
    (Barbara Loden, USA 1970)

    Mittwoch, 3. März 2004, 22.25 Uhr
    Paper Moon TIPP!
    (Peter Bogdanovich, USA 1972)

    Donnerstag, 4. März 2004, 22.25 Uhr
    Chinatown TIPP!
    (Roman Polansk, USA 1974)

    Freitag, 5. März 2004, 22.30 Uhr
    California Split
    (Robert Altman, USA 1974)


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    Lepages La face cachée de la lune (Panorama; Kanada 2003) ist im wesentlichen eine recht aufgeblasene Kleinigkeit. Mit etwas Moderne-Tristesse a la Houellebecq angereichert (ohne aber freilich dessen kontroversen Biss auch nur ansatzweise zu erreichen) möchte man auch gerne sowas wie der Stadtneurotiker der 00er Jahre darstellen, ohne dabei freilich Allens Klasse oder Selbstironie zu erreichen. Aufgelockert wird das Ganze durch nett inszenierte Einschübe, in denen Goldfische durchs Weltall zu schwimmen scheinen und ähnlichen Anbiederungsversuchen an ein bildungsbürgerliches Publikum. Man möchte gefallen, koste es, was es wolle. Und man möchte etwas aussagen. Über den State of the Art des sinnlos dahintreibenden Lebens, den alles bestimmenden Narzismus. Man erschöpft sich in erschreckend schmalen Theoremen der Psychoanalyse, die so naheliegend wie egal sind. Alles in allem: Ärgerlich, auch hinsichtlich des teils euphorischen Medienechos, das dem Film hier wie jenseits des Atlantiks zuteil wurde. Allein das Titelthema bleibt Tage lang hängen und vereint in sich mehr Tristesse als der ganze Film. imdb

    Im Wettbewerb bekam man Eric Rohmers Triple Agent (Frankreich 2003) zu sehen. Auch ich halte den Film im Sinne der Kritik von jump-cut.de (Link folgt) für intelligent, das ändert aber nichts daran, dass ich mich bisweilen ganz fürchterlich gelangweilt habe. Vielleicht weil ich doch zu sehr Genre-Buff bin. Vielleicht weil mich das Thema über weite Strecken auch nicht sonderlich interessierte, bzw. mir, bei aller Intelligenz des Drehbuchs und der Regie, nicht so recht einleuchten wollte, warum dieser Film nun unbedingt noch gedreht werden musste. Vielleicht auch, weil ich mich mit Rohmer schlicht zu wenig auskenne. Wie auch immer: Froh war ich schon, als es vorbei war, will das aber eben nicht unbedingt dem Film anhängen. imdb


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    Unheimliches trägt sich unter (vornehmlich weiblichen) japanischen Jugendlichen zu: Eine nach der anderen erhält einen mysteriösen Anruf aufs Handy, der nicht nur auch vom eigenen Handy kommt, sondern auch noch aus der näheren Zukunft und nichts anderes als den eigenen Tod überträgt. Der tritt in Folge auch meist recht pünktlich ein. Nachdem Yumis Freundeskreis nicht nur rapide geschrumpft ist, sondern auch sie selbst einen solchen Anruf erhalten hat, versucht sie der Sache zusammen mit dem jungen Natsumi auf den Grund zu gehen. Bald schon zeichnet sich ab, dass ein in der Vergangenheit nicht nur wohlwollend behandeltes Mädchen als Ursache für das paranormale Treiben in Betracht gezogen werden darf.

    Sounds like Ringu, doesn't it? Und in der Tat ähnelt der neue Miike auf der bloßen Plot-Ebene dem japanischen Schlüssel-Horrorfilm von 1998 über weite Strecken frappant, wenn nicht gar fatal. Dafür unterscheidet man sich aber auf ästhetischer Ebene doch beträchtlich von Hideo Nakatas Film: Hier werden alle Register des technischen Könnens gezogen, um eine gruselige Atmosphäre zu erzielen. Seien es die oft zum Einsatz kommenden Farbfilter, ein ausgefeiltes Sounddesign oder eine zum Teil atemberaubende Kameraarbeit: Für ein paar somatische Schocks, die sich gewaschen haben, reicht das allemal. Auffällig ist auch, mit welcher rein inhaltlichen Reduktion Miike, dessen Name sonst gerne synonym für ein Kino der Transgression verwendet wird, seine Bilder entstehen lässt. Statt fröhlicher Eskapaden mit organischem Material setzt er in One Missed Call eher auf pointierten Einsatz von Grausamkeiten und sucht sein Heil diesmal eher in einer latent gothisch-makabren Atmosphäre und Ästhetik.

    Leider aber hat Miike seinen Film vor allem im letzten Drittel nicht mehr so recht im Griff. Wenngleich auf schwindelerregende Trips ins und durchs Körperinnere diesmal verzichtet wird, bricht sein Film doch noch immer, beinahe schon: wie nicht anders gewohnt, aus und verliert sich im Porösen. Will meinen: Zum Ende hin wirds bisweilen etwas beliebig und dramaturgisch eigentlich schon ungelenk. Das mag zwar gegen den Strich gängiger Inszenierungsmodi gebürstet sein, ist aber im Ergebnis dann doch mitunter nur schlicht langweilig, hat man sich erstmal ausgegruselt. Kurzum: Für das offenbar recht ambitioniert gemeinte Ende - auch und gerade in Hinsicht auf das filmische Vorbild -, ist der Film an sich schlicht nicht ambitioniert genug und bleibt, von einigen Spitzen mit Gänsehautgarantie mal abgesehen, eher durchschnittlich in der Welle jüngster Japan-Grusler. Eigentlich schade.

    Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Internationalen Forum des jungen Films.

    >> One Missed Call (Chakushin ari; Japan 2003)
    >> Regie: Takashi Miike
    >> Darsteller: Kazue Fukiishi, Kou Shibasaki, Shinichi Tsutsumi

    imdb | katalog (pdf)
    alle Berlinale-Kritiken


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    Samstag, 14. Februar 2004
    ... die Bären sind vergeben. Und was sich bereits in den begeisterten Kritiken in den Feuilletons oder im Web und auf der letzten Seite des täglichen Berlinale-Screens (wo namhafte, internationale Kritiker die bisherigen Wettbewerbsfilme mit Sternen bewerten) abzeichnete, ist eingetroffen: Mit Fatih Akins Gegen die Wand geht der diesjährige Goldene Bär der Jury an einen deutschen Film. Die Screen spricht bereits von einem Kickstart für denauf den Hofer Filmetagen im letzten Herbst gegründeten Filmverleih timebandits, dersich nach der Insolvenz der Ottfilm kurzentschlossen des Films annahm. Der Film kommt am 22.04. regulär ins Kino.

    Der große Preis der Jury geht an Daniel Burmans Lost Embrace. Kim Ki-Duks Regieleistung des eher kontrovers diskutierten Samaria (Besprechung)wird mit einem Silbernen Bären bedacht. Nicht einigen konnte sich die Jury auf den Silbernen Bären für die beste Schauspielerinnenleistung: Ex aequo geht der Preis deshalb an Catalina Sandino Moreno (Maria voll der Gnade) und Charlize Theron (Monster, Besprechung). Als bester Schauspieler wurde Daniel Hendler für seine Performance in Maria voll der Gnade ausgezeichnet. Einen Silbernen Bären für eine besonders herausragende künstlerische Leistung geht an das Schauspieler-Ensemble von Björn Runges Om Jag Vänder Mig Om. Die beste Filmmusik des diesjährigen Wettbewerbs geschrieben zu haben darf sich Banda Osiris rühmen, der den Soundtrack zu Primo Amore komponierte.

    Weitere Auszeichnungen, auch anderer Juries, sind hier auf der Website der Berlinale einzusehen.

    Insgesamt neigt sich eine (wenn auch nicht rundum) gelungene Berlinale ihrem Ende zu. Nach einem schleppenden Start, der von kaum zu beeindrucken wissenden Wettbewerbsbeiträgen und Absagen großer Stars gezeichnet war, entwickelte das Festival nach ein paar Tagen Anlaufschwierigkeiten doch noch Charakter und Kontur. Gerade die Absenz allzu großer Namen auf dem Roten Teppich und in den Pressekonferenzen (okayokay, da waren auch Nicholson und Keaton, also gut) lenkte die Aufmerksamkeit doch wieder vermehrt auf die Filme selbst. Und die sind, wie der vielgescholtene Moritz de Hadeln, unter dem auch nicht alles schlechter war, einmal zum Besten gab, noch immer die eigentlichen Stars eines Festivals.

    Der etwas mau, bzw. allzu bemüht ernsthaft geratene Wettbewerb drückte einen schon bald in die Nebensektionen. Wie zu erwarten, entpuppte sich unter diesen vor allem die mit viel Sorgfalt und Liebe durchgeführte Retrospektive zu einem wahren Schmankerl für den Filmenthusiasten. 60 Filme des New Hollywood waren dort zu sehen, 15 davon sogar mit teils extra für die Berlinale neugezogenen Kopien. Der stiefmütterlich im Dachstuhl angesiedelte Saal 8 des Cinemaxx gerierte sich dergestalt für ein paar Tage zu einer aufregenden Zeitmaschine, in der nicht nur liebgewonnene Klassiker einmal auf der (dennoch noch immer recht) großen Leinwand gesichtet werden konnten, sondern die auch einige empfindliche Lücken zu schließen wusste. Für ein paar Momente lang wurde hier Filmgeschichte plötzlich wieder vollkommen gegenwärtig und das nicht nur, weil zahlreiche Filmvorführungen noch zusätzlich mit der Anwesenheit der Filmemacher geziert wurde. Sogar Terrence Malick huschte für zwei Vorführungen verschüchtert vor das Publikum, Monte Hellman stellte sich bereitwillig den Fragen des Publikums, Peter Fonda entpuppte sich, wie nicht anders zu erwarten, als Entertainer, der sich und seinen Film The Hired Hand auch 30 Jahre später noch gut verkaufen kann. Kein Zweifel: Die aufregendsten Momente konnte man in diesem Jahr in dem versteckten Kino oberhalb der ganz großen Säle erleben und so nimmt es nicht viel Wunder, dass die obligatorisch zwischen zwei Filmterminen oder aber bei einem zufälligen Meet-In vor dem Pommes-Stand gestellte und meist mit einem "Weiß noch nicht so recht" beantwortete Frage nach dem persönlichen Highlight in der Regel nur von eifrigen Retro-Besuchern eindeutig beantwortet werden konnte.

    Doch noch ist die Berlinale nicht zu Ende. Neben der Preisverleihung heute Abend, finden noch bis in die Nacht Vorführungen am Potsdamer Platz und in den über die Stadt verstreuten "Satellitenkinos" statt. Morgen gibt es dann wieder den Publikumstag, der im letzten Jahr erstmal eingeführt wurde: Alle Reihen präsentieren hier nochmals zu verbilligten Preisen ihre Highlights. Auch im Filmtagebuch wird es noch einige nachgereichte Short Cuts und Kritiken geben. Und dann beginnt ab Montag auch schon im Kino Arsenal die Wiederholung von ausgesuchten Titeln aus dem Internationalen Forum, während der Filmkunsthaus Babylon im März unter anderem auch einige Hongkong-Titel der Berlinale im Rahmen des zweiwöchigen Hongkong Film Panoramas wiederholen wird (genauere Infos bald hier oder unter cineasia.de).

    Auf Wiedersehen dann im nächsten Jahr im Februar. Am gleichen Ort, aber wohl nicht zur gleichen Zeit: Unter Umständen wird die Berlinale eine Woche später stattfinden, um sich im Vorfeld der vorgezogenen Oscarverleihungen etwas vorteilhafter zu positionieren. Mit angenehmeren Wetterbedingungen ist aber auch dann wohl nicht zu rechnen, was für eine verpasste Gelegenheit!


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    The Machinist will ein kluger Film sein, ein kluger Paranoia-Film, um genau zu sein. Zur Paranoia gehört der Weltverlust, der als Weltgewinn wahrgenommen wird: Was das Umfeld mit dem Kopf schütteln lässt, ist einzig einer als solche wahrgenommenen geschärften Deutung der Welt und ihrer Vorgänge zu verdanken. Klug ist ein solcher Film dann, wenn er dem Zuschauer allerlei mehr oder weniger offensichtliche Anspielungen präsentiert, wie die Welt in der Logik des Films wohl wirklich beschaffen sein könnte, ihn also die Perspektive des Paranoiden teilen lässt, ihn aber auch nicht förmlich mit der Nase auf die Lösung stößt. Weniger klug ist ein solcher Film, wenn er viel Aufwand betreibt, auch, was sich am Ende herausstellen wird, viele Anspielungen in den Raum stellt, davon aber keine verbindlich genug kontextualisiert, dass der Zuschauer noch eine Chance hätte, selber hinter irgendein Geheimnis zu kommen. Deswegen bleibt The Machinist am Ende dann schal, weil er Hokuspokus betreibt und sich selbst am Ende einfach nur serviert. Das ist unelegant und eitel.

    Dabei gäbe die Erzählung sicher einiges mehr her: Es geht um Trevor Reznick (Christian Bale, der sich hier, in bester Method-Acting-Tradition beeindruckend ausgezehrt hat), der, ein ausgehungerter Schatten seiner Selbst, in einer düsteren Fabrik schmierige Maschinen bedient. Er leidet nicht nur an Gewichtsverlust, sondern auch an Schlaflosigkeit: Ein Jahr will er nicht mehr geschlafen haben - ein körperliches, seelisches Wrack. In der Freizeit besucht er eine Prostituierte, nachts besucht er das Café im Flughafen, wo er sich in die Bedienung, nun, vielleicht nicht verliebt, aber doch Interesse an ihr findet. Nach einem Arbeitsunfall unter seiner Mitwirkung, der seinem Kollegen (Michael Ironside) den Unterarm kostet, scheint sich die Welt zu verschieben: Ein speckiger Kollege, den außer Trevor keiner zu kennen scheint, taucht auf (und erinnert, im ersten Moment, an Lawrence Fishburne in Matrix) und gibt allerlei kryptische Anweisungen und Hinweise. Seltsame Notizen an seinem Kühlschrank deuten auf Einbrecher mit zweifelhaftem Ansinnen hin. Seltsame Notizen an seinem Kühlschrank deuten auf Einbrecher mit zweifelhaftem Ansinnen hin. Ein in letzter Sekunde verhinderter Arbeitsunfall, der wiederum ihm beinahe den Arm gekostet hätte, lässt jedes Vertrauen in seine Umwelt schwinden: In seiner manischen Suche nach der Wahrheit, wer gegen ihn intrigiert und warum, richtet sich Trevor zunehmend selbst (oder was davon übrig ist) zugrunde.

    The Machinist will viel, vor allem auf ästhetischer Ebene. Der ganze Film ist mit einem grün-modrigem Filter bearbeitet worden, natürliche Farben wurden fast zur Gänze ausgebleicht. Auch die Kameraarbeit verfremdet und subjektiviert das Geschehen adäquat mit Sprüngen ins Detail, wo es nötig wird, und ungewöhnlichen Perspektiven. Sieht zwar alles nach B-Video-Ästhetik aus, aber auch das hat ohne Zweifel seinen Reiz. Ein zweiter Donnie Darko aber, der man wohl irgendwie, unter Beimengung von Elementen jüngster Paranoia-Schlüsselfilme wie Pi oder Fight Club, sein möchte, ist man hingegen nicht geworden. Dafür gibt man sich, ist des Rätsels Lösung erstmal auf dem Tisch, iim Kern, jenseits des äußerlichen Budenzaubers, dann doch als zu hausbacken und zu gewöhnlich zu erkennen. Eigentlich ist das alles Literatur des 19. Jahrhunderts, Stichwort Edgar Allan Poe, nur mit anderen Mitteln umgesetzt. Den Dostojewski lässt man dann ja auch mal überdeutlich ins Bild ragen, Trevor liest Der Idiot. Eine reichlich idiotische Anspielung, denkt man sich im übrigen nach dem Film, eine ganz bezeichnende für sein Vorgehen sowieso.

    Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Panorama.

    >> The Machinist (Spanien 2004)
    >> Regie: Brad Anderson
    >> Drehbuch: Scott Kassar
    >> Darsteller: Christian Bale, Jennifer Jason Leigh, Aitana Sánchez-Gijón, u.a.

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