Sonntag, 14. September 2008
Gerade erst habe ich jene Passage zu Beginn von Musils Mann... gelesen, wie man plangemäß durch eine Tür zu schreiten habe, da stößt nur kurz darauf in Godards Bande à part einer der beiden Ganoven beim Bruch ins Haus der alten Dame so beiläufig wie auffällig an den Türrahmen, als würde er Musils Darlegung ad absurdum führen wollen.


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Dienstag, 2. September 2008
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Er kommt fast jeden Tag. Immer jedenfalls, wenn ich in der Videothek arbeite und an anderen Tagen sehe ich ihn auch oft vor "unserem" Laden sitzen. Manchmal sitzt er auch vor anderen Cafés. Das sei ihm auch gegönnt, variatio delectat. Aber meistens ist er hier.

Meist kommt er schon um die Mittagszeit. Bleibt oft bis abends oder gar bis in die laue Nacht hinein. Dann sitzt er auf einem der Stühle vor dem Laden, dreht sich Kippen, oder holt sich von nebenan eine Mahlzeit. Etwa stündlich kommt er rein und sagt mit unendlicher Demut "Can I have a cup of Grüner Tea mit Sugar, please?". Mit einer fast pergamentenen Stimme. Den kriegt er dann auch und trinkt ihn, wenn sie scheint, in der Sonne. Einen Film hat er, glaube ich, noch nie geliehen.

Gerne lädt er mit derselben Stimme Passanten, wildfremde, ein, sich doch zu ihm gesellen. Zum relaxen. Meist lädt er sie auch zum Grünen Tee ein. Letztens saß ein merkwürdiger Clown fast eine Stunde lang neben ihm. Kaum einer geht weiter, fast alle bleiben einen Moment, manche eine Weile. Ein gegenseitiges Kommen und Gehen im jeweiligen Leben.

Ein angenehm rätselhafter Mensch, vielleicht der erste, von dem ich sagen würde, er ist so entspannend wie eine behäbig durch die Wohnung flanierende Katze.


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Sonntag, 16. September 2007
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Nun ist es ja nicht gerade so, dass mir die Grünen und ihr Geschick allzu sehr am Herzen lägen. Doch ist's bei all dem Buhei, das nun allüberall betrieben wird, eine doch recht hübsche Koinzidenz der Geschichte, dass ausgerechnet jener, der das ganze Skandälchen entscheidend mitangetrieben hat, "Robert Zion aus Gelsenkirchen" also, wie Spiegel heute schreibt, dass dieser also auch ein ausgewiesener Kenner des klassischen Horrorfilms ist und, gemeinsam mit dem Filmgelehrten Christian Keßler, einen der tollsten Audiokommentare für eine der tollsten DVD-Editionen eines von mir sehr geliebten Films von Mario Bava, Blutige Seide nämlich, eingesprochen hat. Ach, Kinder, wie klein die Welt doch ist, und wie schön solche sich ergebenden kleinen Dinge.


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Freitag, 13. Juli 2007
Ich kann ja gar nicht sagen, wie glücklich mich derzeit ein einzelner Song macht. Und wie meine Augen übergingen, als ich erfuhr, dass der schon satte 9 Jahre alt ist. Was für ein unverschämtes Glück reinster Zufälligkeit einem eine solche Perle in die Hände spült, wie fleingliedrig die Scharniere ineinander gespinnt waren, die mich dahin führten (nennen wir's: Internet-Klick-Lotterie). Und dann noch der wundervolle Text dazu, Pop auf eine Weise, die ich ganz großartig finde, weil sie ein Stück konkreter Lebensrealität zu fassen kriegt. Nochmal die Ahnung von "Soundtrack of my Life", aber auch die Ahnung nicht so sehr vom schönen Leben, sondern eher vom schönen "Ja, und was jetzt?" und "everything is just way too much".

Ich finde das so toll, dass ich sogar dieses und nicht mein still und heimlich eingerichtetes, anonymes Musikblog dafür hernehme.

Die Rede ist, natürlich, von "Flagpole Sitta" von Harvey Danger. Den Text gibt es hier, anhören kann man sich das Stück auf deren myspace-Profil.

[ach, und wie rundherum enttäuschend, weil satt und unmotiviert, doch die neue Platte von The Mooney Suzuki geworden ist, wo sie vor drei jahren doch noch so begnadete Anthems geschrieben haben, von ihren allerersten EPs mal ganz zu schweigen]


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Mittwoch, 27. Juni 2007
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Call an ambulance, Min's got cancer.
But my heart is busted now I'll die faster.
Her music's been done, her songs have been sung.

- The Van Pelt: His Saxophone is my Guitar.

Die SMS meiner Freundin erreichte mich vorhin auf Arbeit. So ich denn morgen früh Zeit hätte, solle ich vorbei kommen, schrieb sie, "unserm Mäuschen" - das ist unsere Ratte, genannt Radieschen - war es heute nicht so gut gegangen. Vielleicht nur falscher Alarm. Vielleicht ein Abschied.

Angefangen hatte es vor rund drei Wochen. Da entdeckten wir die erste Murmel an ihrem Hinterbeinchen. Innenseite. Tumor. Rattenschicksal, ab einem gewissen Alter. Unser Mäuschen ist nicht ganz zweieinhalb und bestätigt so die Statistik für solche Fälle. Natürlich war sie zuletzt auch älter geworden. Ein grauer Bart am Kinn. Es hüpft nicht mehr. Gemächlich geworden, ruht viel. Aber die Barthaare und Augen, beide witzig geblieben, neugierig auf alles. Und der Hunger erst, den unser kleiner Flatsch - wohlgenährt ist sie ja schon - immer und andauernd hat, wenn irgendwo geräuschvoll was zu essen ausgepackt wird.

Zunächst dachten wir: Das ist so klein, das kriegt man noch weg, operativ. Am nächsten Tag gab es keinen Tierarzt in Friedrichshain und Umgebung, der keinen Anruf von uns erhalten hätte. Allüberall dasselbe: In dem Alter, auch wenn sie rüstig ist, die Ratte, zwecklos. Entweder Quälerei oder das Tier wacht gar nicht mehr auf. Dann war da noch ein zweiter Tumor: Keine Murmel, eher ein Schwamm, am anderen Hinterbeinchen. Den kriegt man gar nicht weg, meinten die Experten. "Machen Sie dem Tier ein paar schöne letzte Wochen. Manche leben noch einige Monate mit einem Tumor. Und wenn es sich zu quälen beginnt, verabschieden Sie sich, ersparen Sie dem Tier das Schlimmste."

Nie hat ein Tier mein Herz derart erobert wie das Radieschen. Vom ersten Tag an, als es ganz frisch angekommen auf dem Küchentisch saß und scheu nach links und rechts schaute, hatte ich einen Narren daran gefressen. In meinem Bekannten- und Freundeskreis kam kaum einer drumrum, sich meine gesammelten Handyfotos anzukucken. Mein ganzer Stolz, das kleine Tier. Man macht sich ja gar keinen Begriff davon, was für ein Glück es ist, am Morgen davon geweckt zu werden, dass ein kleiner Fluff von einem Fellball hektisch an einem entlang wuselt (das Tier lebt frei in der Wohnung meiner Freundin, deshalb). Oder aber, wenn man Sonntag morgens bis mittags weder Drang noch Dringlichkeit verspürt, das Bett zu verlassen, weil man von der Sonne angestrahlt wird und die Augen noch gar nicht offen hat, und wenn dann, zu dieser Ruhe, sich plötzlich das emsige Trappsen kleiner Nagetierpfötchen auf Teppichboden hinzugesellt, weil der kleine Fratz gerade sein Nest verlassen hat und auf Nahrungssuche gegangen ist. Drippdrippdrippeldidripp-drippdripp drippldrippldrippld-dripp. Gefolgt vom Knusperknabbern, wenn der Futtertrog schließlich erreicht ist. Oder aber ein Kratzen und Ziehen, weil sich das Tier an der Matratze hochzieht und mit unter die warme Decke möchte. Guten Morgen, Maus, ja, ich bin auch schon wach, lass mich noch die Augen öffnen, dann bin ich da.

Sein verspieltestes Thema hat Ennio Morricone im Titellied von Mein Name ist Nobody untergebracht. Da steckt viel Witz und Neugier drin, wenn das Lied erst zu drippeln beginnt und schließlich die Flöten einsetzen. Ich kann nicht anders, als in diesem Lied nur noch das kleine Mäuschen zu sehen, wie es noch ganz jung war: Hallo, Welt, da bin ich, was hast Du für mich zu bieten, in Deinen Ecken und Winkeln? Dapp-dadapp-da-dapp-dada-dappdapp.

Radieschen hat mir eine kindliche Qualität von Freude zurückgegeben. Dafür bin ich ihm dankbar. Ich werde mich morgen verabschieden müssen, wahrscheinlich.

Es tut weh. Auf meinen Lippen der Geschmack von Salz. Mach's gut, kleine Maus.

Nachtrag: Heute nachmittag, so gegen halb vier, tat das Herz unseres Mäuschens seinen letzten Schlag. Es entschlummerte, dank einer Spritze, sanft in den Händen und unter den Liebkosungen meiner Freundin. Dem waren Stunden des Abschieds mit vielen Tränen und Zärtlichkeiten vorausgegangen. Ich hatte dem Mäuschen nochmals Sahne vom Vanillepudding mitgebracht, die es immer so gern mochte. Näschert wie eh und je hatte es mir diese von der Fingerkuppe geschleckt, da glomm nochmals der alte Eifer in seinen Augen auf.



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Montag, 25. Juni 2007
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Erst vor kurzem musste ich innerlich wieder schwer die Augen nach oben verdrehen, als ein Kommilitone im filmwissenschaftlichen Referat es sich nicht nehmen ließ, anhand einer Sequenz aus einer us-amerikanischen TV-Serie auf "die prüden Amis" hinzuweisen. Schon deshalb muss man der flickr-Kontroverse der letzten Tage - und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir in naher Zukunft noch viele weitere Spektakel solcher Art erleben werden - eigentlich im höchsten Maße dankbar sein, weil sie deutlich aufzeigt, in /welchem/ Land der westlichen Industrienationen der Jugendschutz, nimmt man ihn beim juristischen Wort, ins völlig Groteske und Bizarre entglitten ist. Ob und wie der deutsche Jugendschutz solche Manöver wie die von flickr zur deutschen Premiere eingeleiteten wirklich nötig machen oder nicht, ist dabei völlig unerheblich - es reicht alleine schon der Umstand, dass man, um auch wirklich sicher gehen zu können, angesichts einer paranoischen Gesetzeslage solche Restriktionen am besten schon im Vorfeld quasi-paranoisch in Erwägung ziehen muss.

Es ist erstaunlich, wie wenig Bewusstsein dessen herrscht, was in dieser Hinsicht in Deutschland abgeht. Da ich in einer Videothek jobbe, liegen mir Feld-Erkenntnisse sozusagen "aus erster Hand" vor. Groß ist oft das Erstaunen, wenn die Leute erfahren, dass es so etwas wie Indizierungen gibt und welche hirnrissigen Manöver diese nötig machen, will man nicht strafrechtlich belangt werden (dass die Bundesrepublik die einzige Nation des Abendlandes ist, in dem Herstellung und Vertrieb so genannter,allerdings fiktiver "Gewaltfilme" mitunter auch strafrechtlich belangt werden können, spricht dabei Bände), von Beschlagnahmungen und Verboten ganz zu schweigen.

Und schließlich sollte noch auf eines hingewiesen werden. Als in den USA "Deep Throat" an den us-amerikanischen Kinokassen in die Top5 der Jahresabschlussbilanz der Filmindustrie quasi "gewählt" wurde, drehte man in Deutschland noch strunzdumme Schulmädchenreport- und Lederhosenfilme, die an Misogynie, Verklemmtheit, Lustfeindlichkeit und Spießbürgerlichkeit kaum zu übetreffen sind. An subversive Meisterwerke wie The Opening of Misty Beethoven oder Thundercrack! ist unter deutschen Bedingungen, egal an welchem exakten historischen Ort, schon gleich nie überhaupt nur zu denken gewesen. Die Nachwirkungen dieser schwer neurotisierten Kultur sind heute noch zu spüren, wenn sie nicht noch immer alltäglich ist, betrachtet man sich etwa nur die Diskrepanz zwischen empörten Headlines, Kleinanzeigenteil und dem Altherrenwitz in Fotoform, welche die erfolgreichste Zeitung Deutschlands, im übrigen noch immer die beste Widerspiegelung der Kultur-Kloake, die dieses Land nun einmal ist, ohne mit der WImper zu zucken in sich vereint.


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Donnerstag, 21. Juni 2007
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In japanischen Filmen sitzen die Leute oft auf dem Boden ihrer Wohnstätten. In mir hat das immer einen ganz eigentümlichen Eindruck einer gewissen Freiheit, oder vielleicht besser Vetrautheit erweckt. Ein Wohnraum ist erst dann erschlossen, wenn man in ihm mit aller Selbstverständlichkeit sitzen kann und schließlich denn auch sitzt.

Gerade jetzt im Moment sitze auch ich hier auf dem Boden meines Wohnzimmers. Der Grund dafür ist einfach: Seit wenigen Tagen habe ich meinen ersten Laptop. Und obendrein ist's noch mein erstes Linux-System. Neue Welten.

Es fühlt sich schön und gut an. Auch das Netz fühlt sich jetzt anders an. Ich habe mir Kubuntu besorgt und fühle mich sogar schon recht sicher damit. Das System läuft, ist zu meiner Zufriedenheit schnell und ich kann alles damit machen, was ich vorhabe. Und das beim Erstkontakt und ganz auf eigene Faust (zugegeben: Zahlreiche Foren und Wikis haben mich durch bereitgestelltes Wissen unterstützt). Es ist beeindruckend, wie easy Linux mittlerweile zu handhaben ist (wenn man nicht gerade äußerst spezielle Wünsche an sein System richtet). Zweifler und Skeptiker, die sich zurück- und an ihrem WinXP halten, seien beruhigt und zugleich zum Wechsel ihrerseits angehalten.Traut Euch einfach! :-)

Jetzt gerade bin ich sehr glücklich über meine neue Arbeitsumgebung und deren Portabilität. Wundervolle Potenziale für die Zukunft tun sich auf. Ich sitze auf dem Wohnzimmerboden und bin im Internetz. Das hat's vorher bei mir nicht gegeben.


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Mittwoch, 28. März 2007
Das Frohlocken darüber, dass exakt jenes Buch, das man sich gerade in bester Erhaltung im Wissenschaftsantiquariat zum Preis von unter zwei Schokoladenriegel unter den Nagel gerissen hat, mitunter im dreistelligen Bereich gehandelt wird.

Noch viel mehr allerdings darüber frohlocken, dass man sich ein so dickes, so tolles Buch ins Regal stellen kann.

Ach, überhaupt: Das Bücherkaufen. Keine Woche ohne die Sorge, wo das nur alles wieder untergebracht werden soll.


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Donnerstag, 8. März 2007
"Habt Ihr hier auch so", hebt sie an und macht eine Kunstpause - "Mainstreamscheiß?" - und lacht verlegen.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Soweit ist es mit mir schon gekommen. Augenbrauenhochziehen ist ja sowas von Videothekaren-Style. "Was verstehst Du denn", ich so - "unter 'Mainstreamscheiß'?"

"Eyes Wide Shut", sagt sie und grinst. Nicht recht verlegen, eher gewiss, das Richtige gesagt zu haben.

Mir entgleist schier alles. Das Gesicht, die Haltung, eben alles. Sagen wir: Wand. Drangefahren, aufgeprallt. Mit allem hätte ich gerechnet. Mit allem, außer dem. "Eyes - Wide ...", fange ich nun an und komm' nicht weit - "Mainstreamscheiß?" und füge über eine höhere Tonart noch ein zweites ? hinzu.

"Wegen Nicole Kidman halt und Tom Cruise", antwortet sie und macht mich fertig. Ich verfalle ins Dozieren. Kubrick, Schnitzler, Autorenfilm, die Tour.

Schlussendlich habe ich sie überzeugt. Glaube ich. Don't judge a movie by its actors. Not even if they are lunatics.


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Samstag, 3. März 2007
So stand das letztens auf so einer Kiste mit, vermut' ich jetz' mal, Mangos (oder Mangen, ich liebe ja den Plural auf -en, wenn ein Wort im Singular auf einen Vokal endet, also Omen für Omas, Mangen für Mangas, oder Euren für Euros), die gerade in so einen asiatischen Lebensmittelladen geliefert wurden.

Alphonso Mango Pulp.

Klingt eigentlich super. Find' ich.


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lol