Donnerstag, 6. März 2014
Heute beim Perlentaucher erschienen: Meine Kritik zum 300-Sequel, das ich wider Erwarten sehr genossen habe.

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Zack Snyders "300", die Verfilmung der gleichnamigen Comicvorlage des um so politisch unkorrekte, wie nervige Kernigkeiten nie verlegenen Rechtsaußen Frank Miller, war eine groß angelegte Peinlichkeit des Kinojahres 2007: Markig im Ton, künstlich im Bild, virtuell das Geschlachte, Geschwafel und Gebrülle. Ein bleiernes Filmerlebnis, das sich zudem noch vom Vorwurf, gleichermaßen xeno- wie homophob zu sein, trotz allen mit übergroßen Strichen gepinselten Überzeichnungen und Verschiebungen ins Camp-hafte, nie so wirklich reinzuwaschen vermochte. Schlimmer noch: In der Zuspitzung seines Kriegspathos, seiner eisernen Reden, seiner digital verplompten Welt wirkte der Film so lustfeindlich, gehemmt in seinen Vektoren des Begehrens, dass der Rezeptionsvorschlag des Films selbst, seine ausgebreiteten Transgressionen wenigstens als Tabubruch lustvoll mitzugehen, abperlte. Ein Lust vergrätzendes Ärgernis, eine gülden-bronzene Albernheit.



Ob es nun also am neuen Regisseur liegt, dass "300: Rise of an Empire" seinen Vorgänger zwar nicht verleugnen kann, aber doch ein wuchtiger Blockbuster im besten Sinn geworden ist? Zack Snyder jedenfalls produzierte das nun vorliegende Sequel "300: Rise of an Empire" lediglich als einer von vielen mit, auch Frank Millers Vorlage "Xerxes" ist noch gar nicht abgeschlossen, geschweige denn veröffentlicht (und alles, was darüber zu lesen ist, klingt nicht so, als hätte es viel mit dem Film zu tun). Stattdessen sitzt mit Noam Murro ein ziemlich unbeschriebenes Blatt auf dem Regiestuhl. Lediglich eine Romantic Comedy, "Smart People", hat er vorzuweisen. Oder liegt es nur an der zwischenzeitlich nochmal deutlich avancierteren Technik, dass dem schon jetzt jämmerlich veralteten, texturarmen Vorläufer nun ein Sequel zur Seite steht, das den bei Snyder ins digital-unverbindliche geschobenen Körper wieder in seiner ganzen Kraft, Agilität und vor allem Verletztlichkeit ins Bild setzt?

Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass "300: Rise of an Empire" mit einer im Blockbusterkino selten geahnten, enthemmten Lust seinen Erregungs- und Affektpotenzialen freien Lauf lässt. Zum Vorteil gereicht es, dass die golden schimmernde Patina aus Teil 1 einer profunden, weihevollen Schwärze weicht, dass der Film über weite Strecken auf einem toll stürmischen Meer spielt und der alberne Monstertand aus Snyders "300" beinahe konsequent ignoriert wird: "300: Rise of an Empire" ist ein Fetischfilm reinsten - oder besser: schwärzesten - Wassers, der eine Lust an allem entwickelt, was körperlich ist und was auf den Körper einwirkt, was ihn fesselt, freisetzt, verstümmelt, zum Bluten und zum Beben bringt; nicht zuletzt den Körper des Zuschauers, der sich - eine entsprechende Soundanlage im Saal vorausgesetzt - inmitten einer stählern dröhnenden Höllenwelt hoch zu Wasser wiederfindet.

War "300" noch der Versuch, eine Geschichte von Soldatenmut zu erzählen, erzählt "300: Rise of an Empire" nur noch nebenbei. Seiner ästhetischen Programmatik ordnet er alles unter: Alles ist Exzess, alles Spielmaterial - Raum, Zeit, Körper, Ding und Wucht, Bewegung. Was in "300" an erotischem Begehren noch albern übergepfropft wirkte, erfährt Konkretion: In jedes Bild schießt ein ekstatischer Überschuss, geradezu gefräßig ist dieser Film, wie er alles einer sehr dunklen Form des Begehrens unterordnet. "Die Ekstase von Stahl und Fleisch" benennt ein Dialog es einmal konkret. Dem folgt eine schön ruppige Sexszene, die zugleich den Nukleus des Films bildet, seinen Mittelpunkt und seine Achse, in der das erotische Spiel nur eine Waffe innerhalb einer militärischen Auseinandersetzung mit schwerstem Gerät darstellt. Und Eva Green, die selten so schön war wie in diesem Film, führt das Regiment in dieser Auseinandersetzung noch dort, wo sie sich dem Schein nach unterwirft. Aus Königen macht sie Götter und Könige bringt sie zu Fall. Den Phallus hält am Ende dieser Sexszene eindeutig sie in der Hand.

"300: Rise of an Empire" ist im Grunde kein Kinofilm, keine Sache der Öffentlichkeit. Eigentlich ist er der Halböffentlichkeit ästhetischer Produktionen zuzurechnen, die konkret und ungefiltert dem körperlichen Begehren entspringen: Eine intimistische Fetisch-Séance in aller Öffentlichkeit, die überwältigen, einen mit ihrer eigenen Logik des Genusses infizieren will. Entsprechend gelten eigene Regeln, die mit denen des Kinos nicht wirklich übereinstimmen. Wie sollte etwa einem Sado-Maso-Porno, in dem erwachsene Beteiligte und Zuschauer die Sache unter sich ausmachen, mit allegemeinen Kategorien und Auflagen moralischen Handelns zu begegnen sein, ohne der Gesamtanordnung im höchsten Maße Gewalt anzutun? Ähnlich verhält es sich mit "300: Rise of an Empire", der durch und durch Fantasie und Wonne am Fetisch ist: Politisch ist dieser Film rundheraus abzulehnen. Aber als überwältigender Fetischfilm macht er verdammt viel Spaß.



Das Uninteressanteste zum Schluss: Gewiss gibt es auch eine Geschichte. "300: Rise of an Empire" wird teils als Prequel, teils als Parallelhandlung des Vorgängers, teils als dessen Fortsetzung erzählt. Quasi: Die nachgelieferte Parallelmontage mit Überhang. Waren es im ersten Teil Computerspiele-Spartaner, die ihr Pixelblut ließen, geht es nun um Protein-Athener, die sich auf hoher See mit der Flotte des Xerxes aus dem fernen Persien herumschlagen müssen. Der Armada voran steht - kalblütig, sardonisch, breitbeinig, ein lüsternes Amalgam aus Eros und Thanatos - Artemisia, die den Griechen und ihren eigenen Männern ordentlich was mit auf den Weg gibt. Gespielt, wie gesagt, von Eva Green, einem dem Cine-Olymp entsprungenen Geschenk der Götter.

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300: Rise of an Empire - USA 2014 - Regie: Noam Murro - Darsteller: Lena Headey, Eva Green, Rodrigo Santoro, Sullivan Stapleton, Jack O'Connell, David Wenham - Laufzeit: 102 Minuten.



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Thema: festivals
Für drei Tage und drei Nächte im April liegt Italien in Nürnberg. Dann gibt es "Terza Visione", das erste Festival zum italienischen Genrefilm. Auf 35mm, kuratiert von echten Freunden des Italokinos. Eine Empfehlung von Herzen. Details zu Programm und Ablauf hier.



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Freitag, 7. Februar 2014
Zweiter Tag der Berlinale. Ständige Updates gibt es im Kritikerspiegel von critic.de, wo ich mit einigen Freunden und Kollegen Filme bewerte. Hinweis auch hier und hier auf die Berichterstattung bei der taz. Im Berlinale-Blog vom Perlentaucher gibt es ebenfalls ständig Updates - bei beiden, taz und Perlentaucher, auch von mir. Beim letzterem erschien gestern auch mein Text über die Filme von Noboru Nakamura, die in der traditionell japanischen Meisterregisseuren des klassischen japanischen Studiokinos vorbehaltenen Hommage zu sehen sind. Im folgenden dokumentiert, beim Perlentaucher schöner mit Bildern.

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800 Yen zahlt man für einen kostbaren Kunstband im Japan des Jahres 1951. Mit 3000 Yen schlagen 1964 die Dienste einer Prostituierten zu Buche. In seiner traditionellen Hommage an japanische Meisterregisseure des Shochiku-Studios zeigt das Forum in diesem Jahr drei Filme von Noboru Nakamura - von 1951, 1957, 1964. Es sind bei weitem nicht alle Filme des Regisseurs - wie man erfährt: ein Schüler des 2010 gewürdigten Yasujiro Shimazu - in diesem Zeitraum, aber sie wirken wie drei Schlaglichter auf das Japan dieser Zeit: Man erfährt viel über den Wandel und - im guten, wie im schlechten - die Modernisierung Japans. Und über die Sorgen und Nöte seiner Bevölkerung.

Die Sorge um das Geld, die Arbeitswelt, die Zirkulation der Waren spielen in allen drei Filmen eine zentrale Rolle. Dem japanischen Genre des "Shomingeki", des "Alltagsfilms", sind dabei im engeren Sinne nur die ersten beiden, noch im Academy-Format gedrehten Schwarzweiß-Filme - "Home, Sweet Home" (1951) und "When It Rains, it Pours" (1957) - zuzurechnen, während der dritte Film, "The Shape of Night" (1964), als - atemberaubend schöner - Farbfilm in CinemaScope bereits Anflüge von Exploitation und Kolportage zeigt (was im japanischen Film noch keineswegs Richtung Schundfilm weist, ganz im Gegenteil). Mit seiner Geschichte um Yakuza und Zwangsprostitution siedelt er auch gestalterisch in nicht allzu großer Ferne zu den Filmen von Kenji Fukasaku.

Von "Home, Sweet Home" kann in "The Shape of Night" keine Rede mehr sein - knapp 13 Jahre sollen zwischen beiden Filmen liegen? Es sind Welten! Die Beschwörung der Häuslichkeit, die Wahrung der Familie und ihrer Rituale, vor allem auch innerhalb des gesellschaftlichen - und also: stark hierarchisch gegliederten - Gefüges, mögen 1951, wenige Jahre nach dem desaströs verlorenen Krieg, auch einer rein ökonomischen Not geschuldet sein. Den Schauplatz dieser kleinen, mit souveränem Geschick erzählten Geschichte kennt man aus vielen anderen japanischen Filmen dieser Themenlage: Eine überschaubare Nachbarschaft, schlichte Häuser aus Holz, unweit fährt ein Zug. Fokussiert wird eine Familie, für die das Geld eben so - und oft eben so auch nicht - ausreicht. Am Sake für den Mann (Ryū Chishū - man kennt ihn als das Gesicht des einfachen Mannes bei Ozu), erfahren wir in einer Szene, soll indessen nicht gespart werden - Verfügung der Frau (Isuzu Yamada, die später bei Akira Kurosawa einen zweiten Karriere-Frühling erleben würde), nicht des Mannes! Eine Berufsprämie sorgt für kurzzeitigen Freudentaumel: Für die Kinder werden wertvolle Geschenke gekauft, Mann und Frau gönnen sich einen Abend in der Stadt. Doch auf dem Rückweg wird der verbliebene Rest der Prämie gestohlen. Um die Familie zu unterstützen, gibt die älteste Tochter ihren Traum auf, als Künstlerin zu reüssieren, der grantelnde Vermieter des Hauses - er wohnt nebenan in einem Haus, in dessen Garten die zerstörte Mauer, ein Hinweis auf den wenige Jahre zurückliegenden Krieg, der Tochter und ihrer Staffelei besten Einblick bietet - droht mit Rauswurf. Doch das letzte Wort in all diesen Dingen ist noch nicht gesprochen.

Spannender als die Geschichte mit ihrem künstlich und dadurch fast schon entlarvend parodistisch wirkendem Happy-End ist allerdings die Erzählwelt als solche. Immer wieder - auch in den beiden späteren Filmen - lässt Noboru Nakamura die Kamera auf den Dingen verweilen, geht in die Großaufnahme - ansonsten herrschen, wie üblich für Studioproduktionen, halbtotale und halbnahe Einstellungen vor - und zeigt dabei die Kärglichkeit der Dingwelt im Japan des Jahres 1951: Man hat wenig und das Wenige nutzt man mit Bedacht.

Betrachtet man die drei Nakamura-Filme als Triptychon erzählen die Filme schon alleine anhand ihrer Ausstattung sehr viel über ihre Zeit. Zu beobachten ist geradezu eine Explosion der Warenwelt: Schon sechs Jahre später, in dem 1957 entstandenen "When it Rains, it Pours", sehen wir vollausgestattete Wohnungen, "The Shape of Night" zeigt 1964 schließlich eine Welt, in der die Existenz schon lange nicht mehr vom Nötigsten in seiner basalen Form abhängt: Wenn hier die 19jährige Yoshie (die zu diesem Zeitpunkt bereits für Nagisa Oshima und Akira Kurosawa drehte) sich zunächst in einer Fabrik, später dann - von einem Yakuza niederen Rangs mit viel passiv-aggressivem Sweettalk, schließlich mit machistischer Vorwurfsrhetorik dazu gezwungen - als Prostituierte verdingt, befinden wir uns bereits in einer Welt, in der bunte Neonröhren als Insignien des zum Greifen nahen Luxus die Auslagen der Schaufenster bestimmen und die urbane Welt an allen Winkeln glitzert, blinkt, nach Business ruft. Zeigt "Home Sweet Home" - gedacht wohl auch durchaus als "pädagogischer" Film - noch eine Welt, in der Identität und Arbeit als eins gedacht werden, leistet sich Yoshie bereits den Luxus, Erwerbsarbeit als Ärgernis zu empfinden.

Das Thema der Prostitution findet sich in allen drei Filmen und wenn man so will: in Form einer Annäherung. In "Home Sweet Home" wenn die Tochter ihre Zeichnungen - Trägerinnen übrigens einer recht kunstlosen Kunst, wie auch der angesehene Künstler, der sie am Ende bei sich aufnehmen wird, keiner ist, dessen Werke sich durch ästhetische Avanciertheit, sondern eher durch einen demütigen Impressionismus auszeichnen, was man auch, natürlich nur im guten, als Metapher für die Filme von Noboru Nakamura verstehen kann - wenn also in "Home Sweet Home" die Tochter ihre Zeichnungen auf den Straßen ausstellt, drängt sich ihr ein betrunkener Kerl mit eindeutigen Geldangeboten auf, die sie aufs Energischste von sich weist. In "When it Rains, it Pours", dessen finsterer Titel - wenn es schon regnet, dann schüttet es auch - in diesem zu Herzen gehenden Melodram nicht nur eine bildlich konkrete, sondern auch eine sinnlich allegorische Entsprechung findet, ist die Geschichte von vornherein in einem Bordell oder zumindest einem Stundenhotel angesiedelt, das eine im Grunde rechtschaffene Familie betreibt. Deren Tochter wiederum verleugnet diesen Background gegenüber ihrem Freund, was schließlich auffliegt. Auf Druck seiner Eltern wird die Liaison gelöst, das Mädchen landet in den Nachtbars Tokios, wo die beiden einander zwei Jahre später wiederbegegnen.

Selbst noch in "When it Rains, it Pours" blinken die sündigen Verheißungen und Abgründe des Amüsementbetriebs noch verschüchtert durchs Fenster rein, in Form einer einzigen Leuchtreklame, die das Geschehen im Zimmer gelegentlich in ein magisch pulsierendes Licht taucht. In "The Shape of Night" hat die Leuchtreklame schließlich die Welt erobert, ja sie strukturiert und rhythmisiert diesen Film sogar - in abstrakten, farbsatten Inserts. Insignien einer Welt, die in "Home Sweet Home" - und hier verweist der Titel noch auf so etwas wie ein Schutzrefugium - höchstens durch die Bilder schimmert, sich in "When it Rains..." konkretisiert und in "The Shape of Night" schließlich völlig aufbricht. Aus dieser Welt, die den Körper zur geldwerten Ware erklärt, über die andere verfügen, gibt es schließlich kein Entkommen.

Im Verbund erzählen die drei Filme schließlich auch von der Auflösung der Familie. Ob bewusst oder unbewusst: Noboru Nakamura findet dafür in "The Shape of Night" ein großartiges Bild: Das 4:3-Format der ersten beiden Filme betont noch deren Häuslichkeit, zeigt noch eine gleichmäßig im Schärfebereich gehaltene, wenn man denn so will: in sich intakte Welt, in der die Identitäten zwar noch klar verteilt sind, sich aber bereits Richtung individueller Lebensgestaltung zu öffnen beginnen. Wenn "The Shape of Night" - wenn ich mich richtig erinnere: tatsächlich nur einmal - die Umgebung einer Familie in ihrer Wohnung aufsucht, dann zergliedert das Bild in Scope, subjektivierender Einstellung und vor allem qua knappstem Schärfebereich schon räumlich jeden Zusammenhalt: Der Vater der Familie arbeitet im scharfen Vordergrund stumpfsinnig vor sich hin, Frau samt Tochter sind nur Schemen im Hintergrund - einander zu sagen hat man, ja kann man hier schon nicht mehr viel. Schutz vor den Zumutungen einer industriellen Welt, die auch dem Körper - ob in der Fabrik oder auf der Straße - einen eindeutigen Wert zuteilt, bietet dieser zerschnittene Raum schon lange nicht mehr.

Wobei man sagen muss, dass Nakamura sicher kein Traditionalist ist. Wenn seine Filme eine solche Entwicklung protokollieren, dann ist das nicht unbedingt als Wehleidklage zu verstehen. Eher beobachten sie und machen - insbesondere in "Home Sweet Home" - kenntlich, dass ein verteidigenswerter Wert darin liegt, sich einer gemeinen Welt nicht vorbehaltlos unterzuordnen. Nakamura ist ein Chronist der Würde des Menschen - ob sie nun gedeiht oder mit Füßen getreten wird.

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Also gut, weil es so schön ist: Doch ein Bild. Aus The Shape of Night:



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Donnerstag, 6. Februar 2014
Heute beginnt die Berlinale. In der heutigen taz gibt es erste Texte von Cristina Nord, Lukas Foerster und mir - hier im Überblick. Ich bespreche, im folgenden dokumentiert, den Panorama-Eröffnungsfilm Nuoc von Nguyen-Vo Nghiem-Minh, hier die Festivalermine.

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Am Horizont, im Dunst nur schemenhaft erkennbar, liegt die Stadt, eine Megalopolis, wie man sie gut aus teuren US-Blockbustern kennt. Ein sanfter Indikator dafür, dass man es hier mit Science-Fiction zu tun hat, einem Genre, dessen visuelles Alphabet im Übrigen nahezu unausgesprochen bleibt: "Nuoc" ("Wasser") von Nguyen-Vo Nghiem-Minh spielt zum Großteil auf dem Meer vor der Küste, auf Hausbooten und Stelzenhäusern in einem ärmlichen Holz-Ambiente, das sich mit dem Technologiefetisch und dem optischen Bombast, für den das Genre weithin steht, schwerlich in Einklang bringen lässt.

"Nuoc" ist ein Film der zurückhaltenden visuellen Codes, der brüchigen Erzählweise. Die Welt, die er zeigt, löst sich auf: Längere Strecken müssen per Boot zurück gelegt werden, die Megalopolis am Horizont wird kaum einmal Schauplatz.

Die Prämisse: Im Jahr 2030 ist der Meeresspiegel bedrohlich gestiegen. Weite Teile Vietnams sind überflutet. Die ländlichen Besitzansprüche der Bauern sind obsolet. Notgedrungen zu Fischern geworden, sitzen sie einander auf, um der durchschwimmenden Beute habhaft zu werden. Unter diesen Umständen versuchen die junge Frau Sao und ihr Mann Thi oberhalb ihres Landes unter entbehrungsreichen Bedingungen ihre Existenz zu sichern. Als Sao Thi ermordet auffindet, heuert sie bei der Firma an, die am Rande des Meeres unter dubiosen Bedingungen Gen-Gemüse produziert.

In jedem Fall spannend zu beobachten, wie sich ein Land, das von der Klimaerwärmung mit am schlimmsten betroffen sein wird, der manifesten Bedrohung filmisch nähert: Mit leisen, zurückhaltenden Tönen - in einigen Momenten sogar retro-nostalgisch im Bezug auf die heutige Zeit, wenn etwa einmal Bücher in ihrer Haptik gegenüber der Flüchtigkeit digitaler Formate in Stellung gebracht werden. Nghiem-Minh erzählt seine Geschichte im Rückschaumodus, fragil und komplex zugleich, seine Welt konturiert er in wenigen, vielleicht etwas zu abstrakten Strichen. Etwas schade bleibt, dass der Film in seinen letzten Bildern eine sentimentale Ergebenheit gegenüber der Katastrophe entwickelt, die sich in die Poesie des buchstäblichen Untergangs flüchtet.



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Montag, 3. Februar 2014
Inspiriert von Lukas.

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die Filme von Noboru Nakamura (Forum-Hommage)

+
Der Samurai (Perspektive)
Parasite (Forum)

+/-
Risse im Beton (Panorama)
Concerning Violence (Panorama Doks)
Kumiko - The Treasure Hunter (Forum)
Nước - 2030 (Panorama)
The Midnight After (Panorama)

-
DMD KIU LIDT (Forum)
Another World (Panorama Doks)
The Darkside (Forum)

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Tape_13 (Perspektive)


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Montag, 27. Januar 2014
Thema: Hoerspiele
Heute Abend um 23:05 läuft auf WDR3 "Das Märchen vom unglaublichen Super-Kim aus Pyöngyang", das neue Hörspiel von Jörg Buttgereit (im Anschluss auch als Download). In der taz steht heute meine Besprechung. Nachtrag: Hier jetzt als MP3 vom WDR.

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Eine Lesart der japanischen Riesenmonsterfilme, der "Kaiju Eiga", besagt, dass es sich bei Godzilla und Co. um Allegorien der Nuklearschläge gegen Japan handelt, um die Konkretion einer nicht eindämmbaren Macht, die das Land in Schutt und Asche zu legen droht. Das Militär schaut dem meist hilflos zu, oft sind es blanke Zufälle, die Schlimmstes verhindern.

Für Propagandazwecke, zur agitatorischen Einschwörung auf neue, große Taten, bietet sich diese recht offene Artikulation eines Traumas und einer verheerenden historischen Niederlage weder ersten, noch zweiten Blickes an. Und doch ließ es sich der 2011 verstorbene, nordkoreanische Diktator Kim Jong Il - im Nebenberuf, stets hervorgehobenes Kuriosum, passionierter Filmliebhaber und Autor filmtheoretischer Werke, wenngleich mindersten Rangs - nicht nehmen, in den Achtzigern eine nordkoreanische Kaiju-Variante anfertigen zu lassen: "Pulgasari", ein insbesondere im Pre-YouTube-Zeitalter unter Trash-Fans alleine schon wegen seines historischen Status legendärer Film, dessen Hintergrundgeschichte ihn nur noch kurioser macht: Regisseur Shin Sang-ok wurde 1978 von Kim Jong Il nach Nordkorea entführt, um dort die Filmindustrie aufs Niveau zu bringen. Erst 1986 gelang ihm beim Filmfestival in Wien die Flucht in die US-amerikanische Botschaft.



Eine Geschichte, wie gemacht für den Undergroundfilm-Regisseur und Godzilla-Experten Jörg Buttgereit, der sich bereits in vielen Dokumentarfilmen, Büchern und Radiohörspielen mit den japanischen Riesenmonster befasste, zuletzt in der WDR-Produktion "Die Bestie von Fukushima" (WDR-Download), einer Aktualisierung des Kaiju-Mythos unter den Eindrücken des Reaktorunglücks von 2011. [Nachtrag: Oder zuvor in "Green Frankenstein", hier noch immer im WDR-Download]

Der Titel seines neuen Doku-Fiction-Hörspiels "Das Märchen vom unglaublichen Super-Kim aus Pjöngjang" ist ernst zu nehmen: "Es war einmal" sind die ersten Worte, es folgt die Geschichte eines infantilen Narziss', dem sein kommunistisches Königreich zugleich Paradies und Sandkasten ist, der seiner Bevölkerung die von ihm geliebten "James Bond"- und "Rambo"-Filme niemals zeigen würde und der sich für den Kampf gegen den Imperialismus nichts mehr herbeisehnt als eine stählerne Filmindustrie, die den Feind in Grund und Boden stampft. Angesichts von Plastikpuppen-Trash wie "Pulgasari" klafft die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ganz besonders weit auf.

Die Form des Märchens ist klug gewählt: Ganz buchstäblich gibt es da eine Erzählerin und zwei naseweise, wikipedia-affine Kinder, alle drei von der bewundernswert wandlungsfähigen Cathlen Gawlich gesprochen. Über Wesen und Zweck des Propagandafilms in einem Märchen zu reflektieren und den ernsten Untertönen in einem kindlichen Bettkanten-Setting nachzuspüren, ist erstaunlich effektiv. Nicht zuletzt infantilisieren auch Propagandafilme als böse Märchen ihr Publikum. Buttgereits Hörspiel versteht sich da auch selbst gewissermaßen als ein Stück Meta-Propaganda.

Die Geschichte vom König, der sich die Welt mittels des Kinos Untertan machen will, erzählt Buttgereit als eine Art Umkehrung des Godzilla-Stoffs: Steht das Monster darin noch für die Abstraktionsleistung des Kinos, das den realen Nuklearschlag im ästhetischen Reich aufhebt, steht am Ende von "Super-Kim" der sehr konkrete Griff nach der Atombombe. Wenn am Ende ein Weltenbrand tost, dem ganz neue Monster entspringen könnten, merkt man, wie akut das Hörspiel unter den Eindrücken der fast schon wieder vergessenen Nordkorea-Krise vor etwa einem Jahr entstand. War auch diese nur Propaganda? Und wer erzählte hier wem etwas? Godzilla jedenfalls ist realer als man denkt.



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Freitag, 24. Januar 2014
Thema: videodrome
Ein neues Album von Bohren & der Club of Gore. Hier im Vorabstream. Und ein neues Video (Vollbild & HD ratsam):



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Wegen akuten Zeitmangels ist der letzte Hofbauer-Kongress hier noch nicht so weit aufgearbeitet wie ich mir das wünschen würde. Doch immerhin habe ich mich mit Lukas Foerster, ebenfalls begeisterter Kongressbesucher, darüber unterhalten, was ein Hofbauerkongress ist und zu welchem Ende man diese Veranstaltung besucht.

Das Gespräch ist diese Woche im Freitag dokumentiert. Und ein Hinweis: Den beim Kongress gezeigten Cover Girls von José Bénazéraf (hier Lukas' euphorischer Text) zeigen wir in der "Nachtschicht" am 01. Februar im Kino Babylon/Berlin-Mitte - auf 35mm und in Cinemascope. Wer das verpasst, ist des Hofbauers nicht wert.



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Donnerstag, 16. Januar 2014
Dieser Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein geachteter Gentleman in den feineren Kreisen im New York des Jahres 1841. Seine Künste als Geigenspieler sind geschätzt, man grüßt ihn auf den Straßen und in den Läden mit zuvorkommendsten Floskeln und hält gerne Konversation mit ihm. Es ist der Traum des gelingenden Lebens, dessen Verwirklichung Solomon Northup und der enge Kreis seiner Liebsten beträchtlich nahe kommen.

Bis er auf die Herren trifft, die Gentlemen zu sein nur vorgeben, ihn dann unter Drogen setzen, demütigen, auspeitschen und in den Süden nach New Orleans verkaufen. Denn Solomon Northups Hautfarbe ist dunkler als ihre. Das Scheusal, das ihn als erstes in einer ganzen Reihe von Scheusalen mit der Peitsche malträtiert, prügelt es ihm gehörig ein: "Ich bin ein Sklave", soll Northup sagen. Zum Sklaven ist man nicht geboren, zum Sklaven wird man gemacht. [weiterlesen beim perlentaucher]



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Mittwoch, 15. Januar 2014
Aufstieg und Fall eines Mannes, der seinen Ambitionen manisch nachgeht und sich und seine Welt dabei in den Abgrund reißt: Ein wiederkehrendes Thema in den Filmen des amerikanischen Meisterregisseurs Martin Scorsese, etwa in seinen epischen Mafiafilmen "Goodfellas" (1990) und "Casino" (1995). Wenn er dieses Sujet nun neuerlich aufgreift und mit der wahren Geschichte des schillernden Aktienhändlers Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) verknüpft, der sich in der New Yorker Finanzbranche in den 1980er- und 1990er-Jahren ein Vermögen – unter anderem mit dem Verkauf von wertlosen "Penny Stocks" – ergaunerte, lässt sich dies vor dem heutigen Stand der Dinge auch als Statement lesen: Jenen Berufsstand, dessen unverantwortlich habgieriges Handeln 2008 die globale Finanzkrise verursachte und zahllose Menschen weltweit in die Armut stürzte, verortet Scorsese damit von vornherein in der Nähe des organisierten Verbrechens. [weiterlesen bei fluter]



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Samstag, 11. Januar 2014
Angekündigt als "trister Überraschungsfilm" entpuppt sich Alexander Maxwells Mysterien der Pornographie als hypnotisch-relaxte Voyeurmeditation in grobkörnigem Schwarzweiß: Ein "Wissenschaftler" namens Albert Jenkins, der aussieht wie eine Mischung aus Martin Scorsese im Vollbartmodus und Charles Manson, führt sein neugieriges Publikum in die Schattenwelt der "Untergrundzeitungen" ein, in denen so verheißungsvolle wie anspielungsreiche Kleinanzeigen laszive Sensationen und geheimnisvollen Nervenkitzel versprechen - und all diese erotischen Abenteuer liegen zum Greifen nahe, sofern man über die dafür nötigen Finanzmittel verfügt, wie Jenkins immer wieder mit wissendem Grinsen Richtung Kamera versichert. Verspricht der deutsche, raunende Verleihtitel noch ein romantisch verbrämtes Zauberland, spricht der amerikanische Originaltitel auf hemdsärmelig geschäftige Weise Tacheles: It's All For Sale - als befände man sich im Paradies für Gebrauchtwageninteressenten.

Von pädagogischen Projekten wie den etwa im selben Zeitraum entstandenen Kolle-Filmen, die auf zwar anrührend naive, aber doch aufrichtige Weise von der Sorge um ein emanzipiertes Sexleben ihres Publikums getragen sind, ist Mysterien der Pornographie beträchtlich entfernt: Der Film bedient auf allen Ebenen die Haltung eines Voyeurs. Primärer historischer Adressat dürfte wohl wirklich eher der in seinem erotischen Begehren tendenziell sanft verklemmte Mitbürger gewesen sein, der zwar niemals auf eine dieser Kleinanzeigen reagieren würde, aber eigentlich schon mal gerne einen sicheren Blick in die Welt der sexuellen Libertinage werfen möchte. In Albert Jenkins hat er für dieses Anliegen einen verständnisvollen Bündnispartner: Neben der reißerischen Präsentation des publizistischen Quellmaterials fokussiert er vor allem auf die schön säuberliche Präsentation des eigenen "Medienapparats", wie es also ihm, Jenkins, gelingen kann, die im folgenden, vorgeblich im Selbstversuch erstellten Aufnahmen zu erstellen: Man erfährt, wo das Tonbandgerät versteckt war, und ahnt, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind, eine beträchtliche Kamera in einer Aktentasche so zu drappieren, dass sie von außen nicht auffällt, aber dennoch maximale Einsicht in das muntere Treiben besteht. Was einerseits die folgenden Aufnahmen - Jenkins beim Gruppensex, Jenkins beim Nacktfoto-Termin, Jenkins im Nudistencamp, Jenkins bei der Privatmassage, Jenkins beim Dildo-Einkauf, Jenkins bei der Voodoo-Audienz, etc. - authentifiziert, schafft dem unsicheren Voyeur zugleich eine rückversicherte Basis der Anschauung: Keine Sorge, wir werden alles sehen - auch wenn Jenkins, väterlicher Freund, der er ist, darauf hinweist, dass er beim Gruppensex "natürlich einige Szenen herausschneiden" musste - und uns wird nichts passieren. Puh.



Die eigentlichen Attraktionen dann: Meditation im Stillstand. Tatsächlich großartig von melancholischer Gitarrenmusik unterlegt, die man heute als American Primitivism auch einem an Singer/Songwritertum geschultem Indie-Expertenpublikum vorlegen könnte. Gerade diese Tiefenentspanntheit - okay, manchmal gibt es auch blöde Witzeleien, wenn Jenkins etwa an einen schwulen Masseur gerät - verleiht dem Film einen fast sehnsüchtigen Resonanzraum nach jener Form von Freiheit, der sich verzwicktes Spießbürgertum kaum aussetzen würde.



Bizarr geraten sind jene Momente, in denen uns Jenkins - eigener Auskunft nach "Verhaltensforscher" - via Kleinanzeige erworbene Nudistenfilmchen zeigt. Er bedient den Projektor, setzt den Film in Gang und der Film-im-Film übernimmt rahmenlos die eigentliche Form. Zwischendrin immer wieder: Inserts von Jenkins' Gesicht in Großaufnahme - düster dräuend, lüstern dreinblickend. Eine Erinnerung an den eigentlichen Ort des Films einerseits, andererseits wächst Jenkins in diesen kurzen Inserts aber selbst zu so etwas wie einem dunklen Hohepriester einer düsteren erotischen Fantasie heran. Spooky.

Mehr bei Oliver





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Ein Film, der im Vorfeld eigentlich wie für mich gemacht schien (und in der Tat freute ich mich auf dieses Erlebnis mit am meisten): Scandelaris Das Paradies - international bekannter unter dem Titel Beyond Love and Evil - widmet sich lose den Klassikern der sexuell subversiven Literatur im Spannungsfeld zwischen De Sade und Sacher-Masoch, legt dabei auf narrative Kohärenz wenig wert und feiert den Schangel mit Kostümen, bizarren Ritualen und allgemein entgrenzter Entrücktheit. Und obwohl der Film über weite Strecken ein bisschen so wirkt, als hätte hier ein Jean Rollin mit deutlich mehr Budget (und deutlich umfangreicherem Theaterfundus zum Plündern) seiner sexuellen Libertinage und seiner Lust am freakigen Verkleiden gefrönt, nervte mich Das Paradies zu meiner eigenen Verblüffung ziemlich schnell.

Es mag daran liegen, dass der Film für mich keinerlei poetischen Wert entwickelt hat, das Gezeigte also ästhetisch nur selten über das hinauswuchs, was es eben zeigte: Menschen in obskuren Kostümen, die Obskures sagen und obskure Schminke tragen. Selbst noch eine Szene, in der sich eine junge Frau lustvoll in allerlei Fischen und einem Oktopus wälzte, wirkte lediglich wie die platte Nachstellung einer, in diesem Fall dem japanischen Kulturkreis entlehnten, Ikonografie transgressiver Sexualität ohne je eigenen archaischen oder wenigstens subversiven Reiz zu entwickeln. Die Veranstaltung wirkte wie Kindergeburtstag mit Verkleiden auf mich: Nie schoss das ins Delirium, sondern stellte immer nur dessen Behauptung auf. Nie entwickelte das Lust und Pathos, sondern blieb als infantile Provokation ohne shock value zurück (zugegeben: heute sagt sich das leicht, 1971 mag das anders gewesen sein). Hinzu kommt, dass ich den Eindruck nicht los wurde, dass der Filme seine ausgestellten Libertinagen und die profunde Widersprüchlichkeit seiner Figuren - es geht um eine Gruppe von Aussteigern, die die "Gemeinheiten" der Menschen hinter sich lassen, um das Reich totaler sexueller Freiheit zu erkunden, dabei aber eine im höchsten Maße phallokratische Despotie entwickeln - im Grunde genommen als Schachfiguren zur Denunziation und Diffamierung sexueller Freiheitsbewegungen auf dem Spielbrett bewegt.


Dazu passt, dass das einzige mir als wirklich poetisch in Erinnerung bleibende Bild ausgerechnet eine heteronormative Rekonstruktion vornimmt: Der junge Mann, der hier seine junge Frau dem Kreis der sexuellen Libertinage zu entreißen versucht, stürzt mit dieser nackt in einen Wildbach, wo er sie tatsächlich vergewaltigt - was innerhalb des Konstrukt des Films, der fortlaufend von Grenzübertritten und Überwältigungen handelt, allerdings nicht allzu viel heißt. Kamera, Musik, Schnitt, Rhythmus und Körperbewegungen gehen an dieser Stelle erstmals eine wirkliche Symbiose ein, sie poetisieren das bloß faktisch Vorfilmische, erstmals bewegen sich Körper mit- und auf Bezug zueinander, es entsteht eine eigene, sehr faszinierende Ästhetik des Körpers im sexuellen Rausch, der hier keinen Theatertand mehr braucht, um Ekstase zu erreichen oder wenigstens abzubilden. Dass nun ausgerechnet dieses Bild als einziges die Qualität eines cine-ästhetischen Faszinosums entwickelte, während die viel interessanteren, da unkonventionelleren Sexualitäten, die der Film noch zeigte, zur Klamottenparade verkamen, nehme ich ihm sehr übel.

(und ja, gewiss gibt es Momente, in denen für einen Moment lang ein anarchischer Funke aufblitzte. Die Szene als eine Art engmaschige Polonäse vor den Augen des masochistischen Verzichtergreises aus einer Tür herausmarschiert kommt, um in die nächste wieder einzumarschieren, war natürlich super)

Florian meinte sehr passend nach der Sichtung: "Intellektuell armselig." Und Lukas schrieb gar bloß ein "Nehmt den Hippies die Kameras weg". Beobachtung am Rande: Der Titel Vulkane der höllischen Triebe, der auf den so bezeichneten Film so gar nicht passen wollte, wäre hier jedenfalls deutlich passender gewesen als Das Paradies, das im Grunde eine Hölle darstellt.

Mehr: Lukas - Michael - Alex - Programmtext



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Arbeitskampf unter Frankreichs heißer Sonne: Eine Obstplantage wird zum Schauplatz rhetorischer und praktischer Auseinandersetzungen darüber, was es heißt, nichts als seinen Körper zu besitzen und sich gegenüber jenen zu behaupten, die über mehr als das - Produktionsmittel und also Macht - verfügen.

Anders als der deutsche Verleihtitel vermuten lässt, handelt es sich dabei weniger um ein unzüchtiges Werk für Voyeure, die verschwitzten Obstpackerinnen in den Ausschnitt schauen wollen, sondern um ein genau beobachtetes, genau komponiertes, vielschichtig sortiertes Werk, das sich für seinen Ort, die Leute, die dort arbeiten, und deren Lebenslagen sehr aufmerksam interessiert. Da sind die LKW-Fahrer, die sich über defekte Bremsen beklagen, die der Unternehmer nicht reparieren lassen will. Da sind die Obstpackerinnen in ihrem Trott, von denen manche sich fügen, andere wiederum - darunter die ziemlich modern sich behauptende, attraktive Kissa (Scilla Gabel) - fügen sich weniger, wie sich nicht nur im Dialog, sondern auch in de Details am Rande zeigt, etwa wenn Josine fertig abgepacktes Obst kurz vor der Abfahrt mutwillig mit ihren Fingernägeln beschädigt, um die eigene Arbeitskraft nicht ganz so profitabel werden zu lassen. Da ist der Barbetreiber, der am Rande der Baracken vom Feierabend der Leute lebt. Der schwarze Junge, der sich zwischen den Baracken herumtreibt. Nicht zu vergessen: Der Unternehmersohn in feinster Kleidung und mit feschem Wagen, der sich mit der wonnevollen Arroganz der Bessergestellten über die Angestellten seines Vaters erhebt. Und natürlich gibt es die Bar, den Amüsementbetrieb in der fernen Stadt, zu dem die Leute am Wochenende fahren, um ihr bisschen Geld für etwas Sinnenfreude zu verprassen. Und schließlich gibt es den Schweiß, die Hitze, das alltägliche, entbehrungsreiche Geschäft.

Obwohl ein gewisses Maß an Lüsternheit dem Film ohne weiteres untergehoben ist (die Leute haben, wie gesagt, zunächst einmal nichts als ihre Körper), gibt sich Die Ernte der sündigen Mädchen dem Sleaze nie voll hin - ganz im Gegenteil ist der Film herausragend vernünftig konstruiert: Als gegen Ende eine der Frauen vergewaltigt aufgefunden wird, richtet sich der Zorn des sich schnell formierenden Mobs zunächst gegen den aus der Situation heraus auf den ersten Blick wahrscheinlichsten Täter - den schwarzen Jungen -, doch bevor es zum äußersten kommt, regen sich schon Stimmen der Vernunft, die durch beherztes Eingreifen Schlimmeres verhindern - zu Recht und zum Glück, wie sich wenig später herausstellt. Auch der finale Konflikt, der auf eine ganz handfeste Konfrontation hinausläuft, erfährt eine Auflösung, in der eben nicht das Gute sich die Hände, rechtlich gesehen, schmutzig machen und primäre Impulse schubhaft abreagiert werden - vielmehr entwickelt der Geiz des Unternehmertums ganz eigene tragische Züge.

Sprich: Ein mit wackerem kommunistischem, zumindest aber stramm sozialdemokratischem Gestus gedrehter Film - im allerdings jeweils besten Sinne. Gut dabei vor allem auch, dass sich der Film nicht in den Arbeitsethos kommunistischer und sozialdemokratischer Film-Manifeste rettet. Dass die Leute hier sich der Arbeit entziehen, wo sie nur können, dass sie Strategien entwickeln, um sich dem Leistungsregime zu entwinden, stößt seitens des Films auf viel Solidarität. Körper, so unterstreicht dieser Film ganz eindeutig, sind zu mehr und weit besserem geschaffen als zu bloßer Plackerei. So ist Die Ernte der sündigen Mädchen nicht zuletzt auch ein frühes Beispiel für ein Kino der Arbeitsverweigerung, einem Thema, dem man ohnehin einmal näher nachgehen sollte.

Dass dieser Film, der auf der einen Seite ohne weiteres als Spätausläufer des Neorealismus gesehen werden kann, auf der anderen Seite aber auch mit einem amerikanisch informierten Cine-Existenzialismus wie aus Lohn der Angst anbändelt, heute so profund in Vergessenheit geraten ist, ist nicht nur unverständlich, sondern auch unverzeihlich. Es mag auch an der Besetzung liegen: Scilla Gabel figuriert hier in einer Rolle, in der man sich auch Weltstars wie Sofia Loren oder Gina Lollobrigida vorstellen könnte, ohne dass ihr Name allerdings denselben Klang besäße.

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Mittwoch, 8. Januar 2014
Der "Videoknüppel" zählt zu den eigenen "Genres" des Hofbauer-Kongresses: Darunter fallen Filme aus dem Tiefstpreissegment der VHS-Zeiten, edler Filmsud also, der den offiziellen Sprung zur DVD oder anderen Heimmedien (abseits der Arbeit aufopferungsvoller Idealisten, die solche Filme unter furchtloser Missachtung gesetzlicher Bestimmungen digitalisieren und ihnen damit die Hoffnung auf ein Nachleben bescheren) wohl niemals schaffen wird (zumindest nicht in der präferieren deutschen Synchro-Version mit ihren ganzen eigenen Untiefen). Es versteht sich, dass der "Videoknüppel" eine ganz besondere Herausforderung darstellt: Die Produktionswerte sind äußerst niedrig, die Synchronisationen bis an die Sch(m)erzgrenze lachhaft und die fleckige Bildqualität räudiger VHS-Kassetten, die seinerzeit nun ganz gewiss nicht aus Liebe zum Produkt auf den Markt gebracht wurden, ohne weiteres eine Zumutung. Es versteht sich fernerhin, dass der "Videoknüppel" das Privileg der Morgenröte genießt, sodass neben der ästhetischen auch eine körperliche Belastungsprobe zu durchstehen ist.

Aber was stört dies alles den neugierigen Cinephilen bei seinen Safaris durchs Unterholz der Filmgeschichte, wenn es dabei so ein herzig grobes Sportfilm-Märchen wie diesen Frauenwrestling-Film zu entdecken gibt? Vorderhand orientiert sich American Angels: Baptism of Blood am üblichen Narrativ des Underdogs, der (bzw. die) nach diversen Momenten der Ertüchtigung und (vorläufigen) Niederlagen nicht nur die Liebe findet, sondern auch triumphal in die heiligen Hallen des Profisports vordringt. Doch wo das Qualitätskino diese Geschichte selbst noch in den immer hyperbolischer werdenden Rocky-Filmen unter Wahrung des guten und dezenten Geschmacks erzählt, bestellt American Angels: Baptism of Blood von vornherein jene ästhetischen Felder, die ein cinephiles juste milieu eines Blickes gar nicht erst würdigen würde. Schon die ersten Bilder des Vorspanns feiern alles, was abgeschmackt, kitschig, auf jeden Fall nicht ernsthaft vorweisbar ist und erheben es in den Rang einer ganz eigenen Kino-Pathosformel:



Im Grunde genommen zeigt der Film eine kümmerliche Welt: Der Frauenwrestler-Impresario ist mit seiner billigen Glitzerjacke und seiner übertriebenen Showmanship-Attitüde das Pendant zum Marktschreier der schäbigsten Bude auf dem Kirmesplatz. Bei dem zum großen Ereignis aufgebauten Duell am Ende sind auf den schmalen Publikumsrängen mehr Plätze frei als besetzt. Wenn in dunklen Seitengassen erklärt wird, dass eine der Wrestlerinnen Probleme mit dem kriminellen Milieu hat, dann sieht das Set so aus, als käme gleich Oskar aus der Sesamstraße aus einer Mülltonne hervorgesprungen.

Und der Film lässt nichts unversucht, seine existenzialistisch verbrämten Konflikte durch allerlei Schabernack zu unterwandern: Wenn bereits genannter Impresario eine auf Schmiercatchen in zwielichtigen Etablissements spezialisierte Wrestlerin - die "Lästige Lisa" (Jan MacKenzie, der heimliche Schwarm des ganzen Kongress) - in ihrer Garderobe dazu bewegen will, sich doch bei ihm zwecks Professionalisierung ihrer Karriere zu melden, dann schaut er ihr - die sich gerade unter der Dusche zum Boden beugt - als erstes in den entgegengestreckten Arsch samt Möse, während sie beim Blick durch ihre Beine einen Schreikrampf kriegt. Selbstverständlich werden beide im späteren Verlauf dann auch von solchen Erlebnissen ganz abgesehen miteinander intim - natürlich auf dem Boden des Wrestling-Rings, unter dem, wie sich Lisa erst am nächsten Tag offenbart, ein (verschmitzt grinsender) Kleinwüchsiger lebt, der so etwas wie die gute Seele des Films darstellt.

Und dennoch: Wie in diesen Film das große Pathos, die ekstatische Wirklichkeit des B-Movies schießt, das ist ganz große Kino-, respektive Videopoesie. Alles an diesem Film so entgrenz grotesk in Szene gesetzt wie der Körper von Lisas erster Gegnerin beim Probe-Wrestlen:



Sicher hat das auch mit der eh immer schon B-Movie-affinen Ästhetik des Wrestlings zu tun, wie Lukas schon richtig schreibt. Dennoch entwickelt das für mich in einem konkret filmischen Zusammenhang, losgelöst von der aufgestachelten Live-Atmosphäre der TV-Übertragungen, die mich im Kabelfernsehen der 90er erstmals auf Wrestling aufmerksam machten, nochmal einen ganz eigenen Reiz - vielleicht auch deshalb, weil die große Geste, die exzessive Fetischisierung des Unsubtilen nochmal dadurch gebrochen wird, dass die Form der Billigproduktion dem Tonfall kaum standhält.

Vor allem aber gefiel mir auch der Anschluss an neuartigere Retrophänomene wie Hypnagogic Pop, Vaporwave etc. (für einen Einstieg: Adam Harper arbeitet sich in seinem Blog und seinen Essays sehr ausführlich daran ab), die obsolete und im Grunde längst verschwundene Ästhetiken von auf persönlichen Ausdruck gerade nicht setzenden, sondern ganz im Gegenteil herausragend "billig" und unpersönlich gestaltete Unterhaltungsformen insbesondere auch im Hinblick auf eine Materialästhetik aufgreifen und zu neuen Werken amalgamisieren und sich dabei in die Glücksversprechungen einer im Grunde genommen betrügerischen, zumindest aber hochgradig illegitimen Ästhetik hineinträumen. Als die obligatorische Trainingsmontage in American Angels: Baptism of Blood einsetzte und dazu ein triumphal quiekender Schrott-Synthsound loslegte, wünschte ich mir jedenfalls spontan eine Coverversion von Oneohtrix Point Never.

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Dienstag, 7. Januar 2014
Zu den schönsten Phänomenen des Hofbauer-Kongresses (und dem sich darum bildenden Diskurs-Universum) zählt neben der Herausbildung eines sehr eigenen Jargons auch die Identifizierung gewisser, typischer Bildmotive, die sich in der HK-Welt häufen und gruppieren. Eines davon ist die nächtliche Fahrt durch eine mit verlockenden Neon-Schriften illuminierte Innenstadt, gefilmt aus einem Auto heraus. Womöglich handelt es sich auch um das treffendste Bild für den Kongress: Urban, ein bisschen retro, ein Dschungel voller glitzernder Versprechen, Sünde, Lust und Gier an jeder Ecke - und immer auch die Ahnung des Betrugs, während das Auto wie eine Kapsel des Verzichts figuriert. Dass der einzige in Deutschland entstandene Film von José Bénazéraf mit so einem Bild beginnt, ist also nur als Versprechen zu verstehen, dass St. Pauli zwischen Nacht und Morgen aufs Vergnüglichste einlöst.

Ekkehard Knörer hat in der taz bereits vieles Richtige über diesen Film geschrieben: Tatsächlich ist es eine wahre Freude, wie dieses Film gewordene, nokturnale Cool-Jazz-Album durch seine Geschichte, sein Milieu mäandert, dabei vom melancholischen Stimmungsbild am Hafen zum Dokumentarismus wechselt, mal hochgradig künstlich wirkt, die Vorbilder des großen Kinos sucht und eben doch immer wieder den Blick auf diese Gegend hier, rund um die Reeperbahn, wirft. Dabei entsteht eine eigene Welt ganz für sich, eine Filmwelt neben der unseren, eine Dämmerwelt, die schon der eigentlich etwas merkwürdige Titel St. Pauli zwischen Nacht und Morgen ankündigt.

Es steckt viel Freiheit, viel Spielfreude in diesem Film - und der Zierrat wird zur eigentlichen Attraktion: Rolf Eden etwa - ein Spelunken-Schmierhahn, dessen Etablissement als Drogenumschlagplatz ins Visier der international ermittelnden Behörden gerät - wird bei seiner Einführung bemerkenswert lange nur von hinten gezeigt, als gelte es, den Preis für maximale filmische Coolness zu gewinnen. Oder die drei jungen Frauen zum Beispiel, die in dieser Bar immer wieder aufspringen und zu dritt einen eckig-gelenkigen Tanz hinlegen - beides zählt zum Schönsten, was sich hier finden lässt. Oder der vielgeliebte Moment am Rande des Hamburger Fischmarkts, als eine Omma zum Oppa im Vorbeigehen kurz vor Schnitt noch fragt, was sie ihm denn heute Abend kochen soll. Das Schmier-Sakrale und Trunst-Profane liegen in diesem Sittenreißer-Poem dicht beisammen.



Eine DVD ist bei Pidax erschienen. Der Erwerb wird empfohlen.

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Ganz am Ende, wenn jene jungen Mönche, die anfangs noch viril und munter durch Italiens Landschaft spurten, sich ausgelaugt durch die Gegend schleppen, steckt in einer Kutte auch Aristide Massacesi (im ungeschnittenen Original sieht man ihn bereits in einem Insert), den man besser unter seinem Künstlernamen Joe D'Amato kennt, laut Vorspann wenigstens Kameramann dieser im Zuge des Erfolgs von Pasolinis Decameron entstandenen Burleske, laut der allgemeinen Folklore aber wohl auch tatsächlich ihr Regisseur. Als solcher genießt D'Amato einen höchst kontroversen Ruf: Viele seiner späteren Schocker zählen zu den Lieblingsfilmen hiesiger Zensoren, noch später beackerte er alles, was erst wenig Geld kostete und im Anschluss Geld möglichst garantiert wieder einspielte, also Direct-to-Video-Geschichten genauso wie am Ende dann Pornos im Dauerlauf.

In jedem Fall steht D'Amato für eine gewisse filmische Feinschmier-Tristesse von einiger Erhabenheit, die einem allerdings auch einiges an Ausdauer abverlangt. Umso beglückter war ich im Kino, als sich dieser sanfte Spott wider Frömmelei und Lustfeindlichkeit als temooreiche, verspielte, bezaubernd flüchtige Burleske All'Italiana entpuppte, die der Ausgelassenheit seines Titelstücks vollauf zu entsprechen wusste. Von Gier und Schmier des deutschen Verleihtitels ist der Film in seiner kindlichen Albernheit (die an nur wenigen Stellen sadistisch spitz wird) genauso weit entfernt wie vom (auf ganz eigene Weise charmanten) Kunstwollen Pasolinis. Vielleicht verortet dies die hier versammelten, recht zwanglos ineinander kippenden Geschichten (es dauerte einen Moment bis ich wirklich begriffen hatte, dass ich es mit einer neuen Episode und nicht einfach nur einem Szenenwechsel zu tun hatte) tatsächlich noch einmal deutlich näher an Geist und Wesen von Boccaccios deftigen Mittelaltenovellen, die für Pasolini und D'Amato Pate standen.

Gewiss, mit dem Brachialhumor muss man sich erstmal anfreunden können. Verstopfungen, Kastrationen und Drag-Gags sind nicht ohne weiteres konsensfähig. Auch dass die Männer durchweg die größten Trottel und Frauen allesamt wissende Luder sind, muss man von heutiger Perspektive aus erstmal in die gendersensible Matritze transferiert bekommen. Auch bildet D'Amato hier schon eines seiner motivischen Trademarks aus: Menschen, die sich von A nach B bewegen und dabei der Filmlaufzeit zugute kommen. Trotzdem kann ich einem Film, in dem sich ein junger Mönch beim Plündern des Opferstocks (motivische Querverbindung zum Kongressfilm ... soviel nackte Zärtlichkeit!) zwischem einem Jesus in arg derangiertem Zustand (motivische Querverbindung zum Kongressfilm Die Klosterschülerinnen!) und der Finanzierung einer schnellen Nummer für letzteres entscheidet, nicht ernsthaft böse sein, selbst wenn die Nummer reichlich rabiat mit einem Schnitt endet, nach dem sich der Mönch von der Liebesstelle, ein "Finalmente" - auf Deutsch etwas vergleichbar rohes - auf den Lippen, von dannen macht.



"Ein klägliches Sexprodukt", urteilte seinerzeit auf bekannte, wenig verständnisvolle Art der katholische film-dienst, was immerhin die Frage aufwirft, was der Sexualakt in Augen des erzürnten Filmkritikers alles hervorzubringen imstande ist. Und nicht zuletzt ist der deutsche Verleihtitel natürlich auch eine ganz großartige Überschrift für die Veranstaltung des Hofbauer-Kongresses an sich.

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Erster Film im Programm des 12. außerordentlichen Filmkongresses des Hofbauer-Kommandos: Ein bayerisch-winterliches Wohnstuben-Drama rund um ein Verbrechen, dessen Dimensionen sich erst nach und nach entblättern, mit kerniger Altmänner-Brunft und einem Schulterschluss zwischen Klerus und Exekutive, der nochmal ungute Erinnerungen weckt.

Bemerkenswert, wie sehr dieser Film noch 1968 in der Männerwelt des Kinos der 40er und 50er verhaftet ist, bemerkenswert auch, wie sehr der Film den Generationenkonflikt der späten 60er vom Alpenrand aus allegorisch perspektiviert und sich dabei sehr auf Seite des Althergebrachten stellt, nicht ohne dabei aber - tolle schizophrene Position - den Möglichkeiten der sich abzeichnenden Liberalisierung im Kino hinterher zu lüstern (gleich am Anfang werden eingeseifte Autoscheiben mit eingepackten Frauenbrüsten gewischt...).

Am sinnfälligsten zeigt sich diese Schizophrenie nicht nur in der Hauptfigur Peter Kremer (Erich Fritze), der "nach 20 Jahren" in Kanada, wo er offenbar Hemingway-artig dem Männertum nachging und nebenbei noch ein Großunternehmen aufbaute (in noch älteren Filmen würde man wohl sagen: "ein doller Typ"), nach Deutschland - genauer: nach Bayern - zurückkehrt, also eine Figur aus einer 1968 eigentlich schon längst vergangenen Zeit darstellt, sondern auch in der Figur des Dorfpfarrers, den Günter Hendel (als Regiedebütant, der sich sehr eindeutig nicht der Aufbruchstimmung des "Jungen Deutschen Films" verpflichtet sieht) kurzerhand selbst spielt: In der ersten und ziemlich neben dem Film stehenden Sequenz rettet er eine junge Eva (Doris Arden) aus dem Sündenpfuhl einer Münchner Bar und zeigt sich dort schon für einen Mann seines Berufsstands erstaunlich hemdsärmelig, um nicht zu sagen: schlagkräftig. Auch ist er einem guten Tropfen stets zugeneigt, raucht, trainiert die ihm anvertrauten Kinderchen im Boxunterricht, klüngelt mit dem Dorfpolizist, den er beim Glücksspiel regelmäßig ausnimmt. Wirkliche Herzlichkeit gibt es bei diesem Pfarrer nur zum Preis zuvor durchlittener Kaltherzigkeit, wie sich in einer Szene zeigt, in der er einen offenbar aus ärmlichsten Verhältnissen kommenden Jungen, der sich am kirchlichen Opferstock bedient hat, erst einmal gehörig auflaufen lässt, bevor er herablassend Gnade vor Strafe walten lässt.



Kremer holt sich eine junge Frau, Kitty (Erika Remberg), samt deren kränkelndem, den Künsten (und dem erotischen Super8-Film...) zugeneigten Jochen (Lutz Hochstraate) auf sein Landhaus. Zuvor stand Kitty nur in ein Handtuch gehüllt vor seinem Hotelzimmer (ein Wüstling habe ihr die Kleidung zerrissen und mitgenommen), da nahm er sie kurzerhand bei sich auf - natürlich im Wissen darum, wie man sich vor einem Spiegel positionieren muss, um als Galant der alten Schule dennoch voll auf seine Kosten zu kommen, wenn man sich schon umdreht, damit eine Dame sich bekleiden kann.

In einer Szene - der Pfarrer spielt mit den Kindern Fußball (natürlich gehen sie ihm nicht hart genug an den Ball), während Jochen sich in Schussnähe seinen Weg durch den Schnee bahnt - greift der Pfarrer unter den Augen des Dorfpolizisten zum Ball, bringt sich in Position und donnert dem verweichlichten Jüngling das Geschoss mit derartig viel Karacho ins Gesicht, dass dieser sich - quittiert vom Lachen der Polizei - im Schnee stöhnend lang legt. Der Kerl ist ihm nicht ganz geheuer, lacht sich der Pfarrer mit der Polizei eins. Für einen Film, der im Titel von Zärtlichkeiten in Hülle und Fülle schwärmt, ist dieses Stück Film gewordene Trivialliteratur aus beeindruckend viel Härte geschmiedet.

Auch deshalb erinnerte mich der Film zuweilen an die Welt aus Fix & Foxi und wie darin Lupo, als Repräsentant einer nachwachsenden Generation, die männlicher Härte und preußischem Arbeitsethos den Müßiggang vorzieht, immer wieder unter allerlei Häme gemaßregelt wird. In einer Episode interessiert sich Lupo sogar für moderne Kunst, was dazu führt, dass seine "Klecksereien" am Ende unter allgemeinem Gelächter den Flammen eines Lagerfeuers überantwortet werden.

Wobei ... soviel nackte Zärtlichkeit sich natürlich insofern absichert, dass der jungen Generation nur die bösesten Absichten unterstellt werden. In Kremers nach alter Manier eingerichteter Wohnstuben-Welt - die mit einer Küche bestückt ist, die Kitty "nie wieder verlassen wird", wie sie beim Betritt des Hauses jubelt - gibt sich alsbald ein perfide eingefädelter Plan zu erkennen, dem sich Kremer, als auserkorenes Opfer der jungen Bande, nicht nur durch alter Männer Instinkt, sondern auch durch seine in Kanada erworbene Gabe, nunmehr "auch Reißzwecken verdauen" zu können, entwindet.

Unzweifelhaft ist Hendel ein geschickter Regisseur, der für das, was er im Sinn hat, schlicht Jahre zu spät kam. Im Grunde ist er Klassizist mit einer Liebe für das amerikanische, in Wohnungen angesiedelte Drama mit cleverer Konstruktion. Tatsächlich ist ... soviel nackte Zärtlichkeit insbesondere auch als Krimi hervorragend erzählt und schafft es, sein Publikum an der Nase lange an der Nase herumzuführen. Psychotronisch von einigen Weihen ist eine Szene, in der der kränkelnde, aber stets lüsterne Jochen die junge Eva mittels Super8-Schmierfilme (deren Gehalt der Fantasie des Publikums überlassen bleibt, wie hier überhaupt alles, was im Sinne des Titels aufreizend sein könnte, durch Eigenleistung des Publikums an den Film herangetragen werden muss) in den Bann der körperlichen Lüste schlägt. Als Zeugnis eines eisernen Beharren-Wollens hat mir ... soviel nackte Zärtlichkeit herausragend gut gefallen.

Siehe auch: Lukas - Oliver



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Nachgeholte Sichtung eines bereits auf einem früheren Hofbauerkongress gezeigten Films für alle, die ihn damals verpasst haben. Und einmal mehr zeigt sich: Die Titel der Filme, für die man sich im Zusammenhang mit dem Kongress interessiert, korrespondieren selten mit dem, was sie bezeichnen, von wenigen nüchternen Zustandsbeschreibungen - Der Perser und die Schwedin, Anatomie des Liebesakts (dazu später mehr) - abgesehen. Vulkanös, höllisch und triebhaft ist an diesem Film jedenfalls nichts, aber er ist schnuffig verpennt, als Hobbygangster-Film vor Kulisse eines bayerischen Kuhkaffs sympathisch behäbig.

Man fragt sich natürlich, wer so einen Film warum dreht. Ein bisschen fühlt sich der Film so an, als seien die Bengel, die erst eine leichte Dame arrangieren, um einen Unternehmer mit Fotos in Bedrängnis zu bringen, um ihn dann auch noch auszurauben, im Grunde vier bayerische Kumpel, die mal zusammen einen Film nach Art des amerikanischen Gangsterfilms drehen wollten - nur eben im bayerischen Hinterland, wo es keine zwielichtigen Kneipen, sondern nur Hobbykeller für die jungen Leute gibt. Wo keine Straßenschluchten mit Sünde locken, sondern die Alpen Ruhe und stoische Gelassenheit ausstrahlen. Wo man einander nicht am Hafenpier ums Leben bringt, sondern am Dorfbach.

Immerhin: Einen Jaguar haben sie und damit den Ausweis weltmännischen Savoir-Vivres. Damit fahren sie dann über Trampelpfade, einer springt immer lässig auf den Kofferraum. Als sie einmal mit dem Wagen losfahren, tuckert im Hintergrund der Traktor eines Bauern durchs Bild und macht jeden Traum vom Film Noir rasant zunichte.

Geboten werden Standardsituationen des Gangsterfilms, auf hübsch naive Weise ausbuchstabiert und durcherklärt, dann aber doch immer wieder sonderbar schief ins Bild gesetzt. Natürlich entsteht Streit um die fette Beute, einer der Jungs fühlt sich übergangen und nimmt den ganzen Batzen an sich. Man verfolgt, beschießt und prügelt einander. Als der Abtrünnige überwältigt ist, ruft er nur aus, er wolle nur seinen Anteil. Lapidare Antwort über einen Schnitt gelegt: "Ja, ist in Ordnung." Gut, dass wir darüber gesprochen haben, Vertrauen wieder hergestellt.

In einer anderen Szene muss ein Auto entsorgt werden. Das geht natürlich am besten im Dorfsee. Wie die Kerle den Wagen aus dem LKW manövrieren, ist äußerst waghalsig anzuschauen. Dann kippen sie die Karre ins Wasser, worauf es ihnen schlagartig dämmert, dass sich das Geld ja noch in dem Wagen befindet. Glücklicherweise haben sie - wie offenbar jeder vernünftige Mensch auf dieser Welt - in ihrem Jaguar eine volle Tauchermontur, sodass der eine ins (nun weißgott nicht tiefe) Wasser steigen und das Geld retten kann. Gegen Ende landet das Geld schließlich zur Zwischenlagerung in einem Jauchetank. Dieser allerdings wird schon wenig später das Feld besprenkeln - und mit einem Mal, wenn die vier Jungs wie angegossene Pudel auf dem Acker stehen, weil sich ihre Kohle nun in Kuhpisse aufgelöst hat, macht auch das Cinemascope des Film unbedingt Sinn.

Von Ferne mag man da an das Ende von Kubricks Die Rechnung ging nicht auf denken. Endet dieser noch auf einem Flughafen, an der Pforte zur großen Welt also, landet man beim Vulkan der höllischen Triebe in Schlamm und Piss des bayerischen Ackerbaus. Immerhin etwas Gnade: So niederschmetternd das Ende für die Gangsterbuben auch ist, so konsequenzlos ist es, zumindest für sie, dann schließlich auch.


Mehr bei: Oliver - Udo


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Mittwoch, 1. Januar 2014

  upcoming attractions:
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  • 75 - polizeiruf 110: der tod macht engel aus uns allen (tv)
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  • 74 - lone ranger
  • 74 - genug gesagt
  • 73 - the last stand (im kino leider cut!)
  • 73 - paradies: hoffnung
  • 72 - frances ha
  • 72 - roland klick: the heart is a hungry hunter (vod)
  • 71 - gangster squad
  • 71 - inside llewyn davis
  • 71 - the legend of kaspar hauser
  • 71 - der tag wird kommen
  • 70 - die monster-uni
  • 70 - insidious 2
  • 70 - alois nebel
  • 70 - prisoners
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  • 70 - gold
  • 70 - silver linings
  • 70 - passion
  • 70 - oldboy
  • 69 - celeste & jesse
  • 69 - computer chess
  • 68 - star trek 2: into darkness
  • 68 - the conjuring
  • 67 - kid thing
  • 65 - the master
  • 62 - before midnight
  • 62 - dr. ketel
  • 61 - it's all so quiet
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  • 53 - pacific rim
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  • 51 - tatort: allmächtig (tv)
  • 51 - promised land
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  • 50 - don jon's addiction
  • 50 - look of love
  • 49 - die nacht der giraffe
  • 49 - sightseers
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  • 45 - vive la france
  • 45 - world war z
  • 45 - side effects
  • 42 - fuck for forest
  • 42 - room 237
  • 42 - der medicus
  • 41 - the east
  • 40 - dead man down
  • 40 - freakonomics
  • 40 - broken city
  • 39 - die tribute von panem 2: catching fire
  • 38 - fliegende liebende
  • 38 - machete kills
  • 35 - after earth
  • 31 - take this waltz
  • 31 - chroniken der unterwelt
  • 30 - das kleine gespenst
  • 28 - seelen
  • 28 - only god forgives
  • 28 - the grandmaster
  • 25 - house at the end of the street
  • 25 - planes
  • 25 - the crime
  • 22 - last vegas
  • 22 - carrie
  • 21 - the great gatsby
  • 21 - ich: einfach unverbesserlich 2
  • 21 - der hobbit 2: smaugs einöde
  • 20 - oz the great and powerful
  • 18 - g.i. joe 2: die abrechnung
  • 15 - bastard
  • 10 - zimmer 205
  • 03 - unsere mütter, unsere väter


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    Mittwoch, 18. Dezember 2013
    Neu in der Blogroll:

  • das Magazin des Glücks
  • die Stubenhockerei
  • die grüne Heide, sowie vom selben Autor
  • die Liebe in der Stadt


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    Mittwoch, 11. Dezember 2013
    Unterm Goldschatz schlummert der Drache. Noch bevor man das CineStar im Berliner SonyCenter betritt, wo die Pressevorführung von Peter Jacksons zweitem Hobbitfilm stattfinden soll, ist man in Mittelerde, genauer: im Einsamen Berg, in dem ein Drache vor Jahr und Tag eine Zwergenstadt erst ausgeräuchert und dann deren prächtigen Goldschatz in Besitz genommen hat, weshalb nun eine Horde von 13 Zwergen samt Hobbit Bilbo Baggins (Martin Freeman) unter gelegentlicher Begleitung von Gandalf (Ian McKellen) quer durch Mittelerde stapft, um, nunmehr schon im zweiten von insgesamt drei Teilen, zurückzuholen was einst fest in Zwergenhand war. Zur Premiere am Vortag hat die Marketingabteilung was springen lassen: Ein prächtiger Plastikdrache lugt aus einem noch prächtigeren Plastik-Goldschatz, der Schriftzug des Franchise prangt funkelnd über allem. Während einen Steinwurf weiter die Buden vom Weihnachtsmarkt im herbstlich-nassen statt winterlich-romantischen Berliner Dezember ein eher kärgliches Bild bieten, klotzt man im SonyCenter richtig ran mit dem Weihnachtsprunk. Ein Event, ein Film, der sich über die Grenzen des Kinosaals hinaus auf die Stadt legt, der darin aber auch unmissverständlich klar macht: Man kann gegen ihn eh nicht anschreiben. Und man kann es wirklich nicht. [weiterlesen beim perlentaucher]



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