Freitag, 18. Februar 2005
Der Film läuft in der Retrospektive.

Gezeigt wird die jüngst restaurierte Fassung des Films. Der Supervisor der Restauration erklärt vor der Vorführung ein wenig den Hintergrund der Produktion und warum der Film nicht originalgetreu restauriert wurde (und im Nachhinein redete er darüber noch mehr, da musste ich aber schon weg). Karim Asif wirkte in dieser Geschichte ein wenig wie ein indischer Howard Hughes, der jahrelang mit diesem "größten indischen Film aller Zeiten" schwanger ging und ihn schließlich, nach vielen Jahren, umsetzte. Zu einem Preis, der das übliche Budget damaliger Tage um ein zehnfaches sprengte und schon allein deshalb keinen Rupee Gewinn in Aussicht stellte. Während der Dreharbeiten kam der Farbfilm nach Indien, da war ein Großteil aber schon in Schwarzweiß geschossen. Karim Asif nutzte die neue Technologie und schoß die jeweils abschließenden Filmrollen des Films (vor der Pause, am Ende) in einem atemberaubend buntem Set, durch das er wahre Wirbeltänze ziehen ließ. Am liebsten aber hätte er den ganzen Film neu in Farbe gedreht, was die Produzenten ihm aber untersagten; sie sahen ihr Geld eh schon dahingeflossen.



Die Restauration dieses Bollywoodklassikers holt diesen Traum des Regisseurs nun nach. Es wurde ein digitales Verfahren erarbeitet, das es ermöglichte, die schwarzweißen Sequenzen - also den Großteil des Films - nachträglich zu colorieren. Wo man schon dabei war, hat man auch gleich die musikalische Untermalung einer Schönheitskur unterzogen und weite Teile des Scores neu, aber auf den originalen Kompositionen basierend, eingespielt. Zahlreiche neue diegetische Geräusche kamen dabei offensichtlich auch dazu.

Eine deutlich ambivalente Sache. Das sah auch die Dame von der Retrospektive so, die in ihren einleitenden Worten darauf hinwies, dass auch die Sektion selbst diese Arbeitsweise als "politically not correct" ansieht, aber dennoch nicht umhin kam, den Film in dieser Fassung zu zeigen. Zum einen ist es natürlich toll und eine Fügung des Schicksals, wenn ein langgehegter Traum eines sichtlich ambitionierten Künstlers endlich, wenn auch nach seinem Ableben, in Erfüllung geht. Andererseits aber fällt es schwer, das fertige Ergebnis als Entsprechung dieses Traums anzuerkennen.

Dies fängt bei der Farbgebung selbst an, die offenbar technisch bedingt eher an Postkarten aus dem 19. Jahrhundert erinnert und zudem einen äußerst flächigen Bildeindruck ergibt. Dieser wird noch durch den Umstand bestärkt, dass vor allem für Großaufnahmen der Protagonisten der Bildhintergrund nicht selten als statisches Bild angelegt wurde. Die charakteristischen Alterserscheinungen alten Filmmaterials spielen sich dann zwar auf den Personen im Vordergrund ab, der Hintergrund aber ist davon nicht betroffen. Ferner umgibt die Figuren dann meist auch eine Art "digitale Aura", eine Zone am Rande ihrer Konturen, wo durch die Kompression ein leichtes Rauschen mit dem Bildhintergrund stattfindet. Solche Momente gibt es ärgerlich häufig und man hat, durch die seltsam fremden Farben zusätzlich bedingt, nicht selten das Gefühl, in einem der ersten CD-Rom-Spiele der 90er Jahre gelandet sein, wo ähnlich vorgegangen wurde. Ferner irritiert ein teilweise nervös zuckendes Bildrauschen in größeren Farbflächen, wie man es etwa auch von eher mäßigen DVD-Umsetzungen kennt - Rückbestände der digitalen Bearbeitung. Der neue Soundtrack tut ein übriges, um den Film auf Distanz zu halten: Der authentisch und klangqualitativ seiner Entstehungszeit deutlich verhaftet gebliebene Gesang reibt sich am kristallklaren Sound der musikalischen Untermalung. Generell wirkt die Musik übergepropft, bleibt dem Film oft fremd.

Eine diegetische Versunkenheit will sich da kaum einstellen. In der Tat bleibt der Blick auffällig oft nur auf der Fläche des Bildes haften und fühlt sich von den digitalen Rückständen fast magisch angezogen. Gerade dies aber, dieses Verweilen in der Distanz, ist für einen Bollywoodfilm schlicht tödlich. Er braucht es, dass man sich in ihn fallen lässt, das Spiel lustvoll mitspielt und für eine meist nicht geringe Weile ganz in seiner Welt aufgeht. Dem steht die Restaurierung, in dieser Form, deutlich im Wege.

Auch eine andere Qualität des Films wird nivelliert: Die authentischen Farbsequenzen sind ganz und gar Rausch. Emotional wie ästhetisch. Sie sind klirrend bunt - kilo-, ja zentnerweise Mosaiksteine und bunte Scherben wurden angeschafft, um ein bonbonfarben delirierendes Set zu gestalten, das zudem atemberaubend in Szene gesetzt wurde. Mit zahlreichen Spiegelinszenierungen und -verfremdungen entsteht in beiden Farbsequenzen ein direkter Sog in eine reine Kinematografie, deren euphorisierender Charakter durch den Sprung vom Schwarzweiß ins grell Bunte seinerzeit kaum vergleichbare Elekrisierungen nach sich gezogen haben musste. Zwar lassen sich die beiden "Sphären" des Films deutlich voneinander differenzieren, doch wird dieser dramaturgischen Wirkung deutlich der Schub genommen.

Der Film selbst? Nun. Die Geschichte eines Königs und seines Sohnes, der sich gegen den König schon in Jungenjahren auflehnt und mit Front bestraft wird. Erwachsen geworden und an den Hof zurückgekehrt, verliebt er sich in eine junge Magd. Dies darf nicht sein und im Konflikt zwischen Vater und Sohn lässt man ganze Heere gegeneinander antreten. Wahrlich ausladend vollgestopft mit Dekors und Tand und Schmuck, mit melodramatischen Dialogen und großen Gefühlen, sieht man ihm seine hohen Produktionskosten in jeder Einstellung deutlich an. Es mag zum einen wirklich an der unvorteilhaften Projektion liegen, dass dieses "Mehr" an Aufwand sich nicht im Gefühl niederschlägt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Film in der Tat sehr skizzenhaft strukturiert ist - zugegeben, das ist in anderen Bollywoodfilmen, meines Wissens, nicht viel anders - und dass das viele Fleisch, das der Struktur aufgelegt wird, über das eben doch sehr gemächliche Tempo, mit der die Anordnung durchschritten wird, nur wenig hinwegtäuschen kann. Sicher keineswegs ein schlechter oder langweiliger Film. Aber insgesamt eben doch eher aus musealischen Gründen interessant.

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Der Film läuft in der Reihe "Carte Blanche" des Internationalen Forums des jungen Films.

Carte Blanche für Erika Gregor. Und die hat uns etwas mitgebracht. Aus Fernost, wo sie im letzten Jahr mit ihrem Gatten Ulrich, ebenfalls kein Unbekannter, auf dem Tokioter "FilmEx"-Filmfestival (ein offenbar erfrischend unabhängiges, das mit keinerlei öffentlichen Mitteln gestemmt wird und zum nunmehr 5. Male stattfand) gewesen ist und dort auf der Retrospektive Uchida Tomu für den Westen entdeckt hat. In der aktuellen Ausgabe von epdFilm lässt sich nachlesen, wie dort, seitens ihres Gatten, nur in höchsten Tönen von diesem japanischen Regisseur gesprochen wird. Und Erika Gregor war von Uchidas The Mad Fox so begeistert, dass sie sich gleich um eine Kopie für das Arsenal bemühte und das Forum den Film als Wunschfilm aufführen lässt (weitere langjährige Mitarbeiter des Forums haben ebenfalls einen Programmplatz zur freien Auswahl erhalten).



The Mad Fox ist sicherlich eine der großen filmhistorischen Entdeckungen, die man dieses Jahr auf dem Festival machen konnte. Formal zunächst sehr streng, dann aber zunehmend experimentell erzählt er die verwinkelte Wege beschreitende Geschichte von Yasuna, dem Lehrling des Astronoms Tomonori. Angesiedelt ist sie vor etwa 1000 Jahren. Nach einer Mondfinsternis, die als böses Omen gedeutet wird, herrscht Unruhe im Land. Tomonori soll im Auftrag des Kaisers eine chinesische Schriftrolle deuten, um darüber Erkenntnisse über das Omen zu gewinnen. Doch die Verhältnisse im Hause Tomonori liegen quer: Doman, der zweite Schüler des Gelehrten, intrigiert mit der Geliebten des Meister gegen diesen und bringt ihn um. Yasuna und Sakaki, Tomonoris Adoptivtochter, die mit Yasuna angebändelt hat, werden ebenfalls Opfer der Intrige: Sakaki stirbt unter Folter, Yasuna verfällt dem Wahnsinn, stiehlt dann aber die Rolle und tötet Tomonoris Geliebte.
Yasuna macht sich nun im Wahn auf der Suche nach Sakaki zu deren Geburtsort auf. Doch stößt er nur auf Kuzunoha, deren Zwillingsschwester, zu der er sich aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Sasaki umgehend hingezogen fühlt. Auf der Jagd nach einer weißen Füchsin kommt Aku no Uemnon, der Doman unterstützt hatte, in die Gegend. Er entführt Kazunoha, nachdem Yasuna der weißen Füchsin (in Menschengestalt) das Leben gerettet hat. Zum Dank verwandelt sich die Füchsin in ein Ebenbild von Kazunoha, lebt fortan mit Yasuna zusammen und zeugt mit ihm einen Jungen. Eines Tages steht Kazunoha samt Familie vor der Tür ...

The Mad Fox ist eine Studie in Erzählformen. In Japan, wo man traditionell wenig Scheu davor hatte, Erzähl- und Kunstformen miteinander zu kreuzen, zu kombinieren oder sich gegenseitig zu bereichern, ist das, wie man auch auf dieser Berlinale nachvollziehen konnte (Retrospektive: Yukinojos Rache; Forum: Into the Picture Scroll – The Tale of Yamanaka Tokiwa), nichts ungewöhnliches. Der Film beginnt sogar ähnlich wie Into the Picture Scroll, mit einer Aufnahme einer Bildrolle, die langsam entrollt wird. Die Kamera folgt dem sich entfaltenden Bild (das jedoch ein "mehrzeitiges" und kein zeitlich in sich einheitliches) in einer langen Kamerafahrt. Verdeutlicht wird die Vorgeschichte - wie Sasaki an Tomonoris Haus kam - und das Initialmoment des Films: Als der Fuji-San ins Bild rückt, verfärbt es sich dunkelrot, so dass der ehrwürdige japanische Berg für einen Moment lang einem Vulkan gleicht. Die Kamera zieht weiter und zeigt den blutroten Mond und ohne wirklichen Bruch springen wir von der Bildrolle in die diegetische Wirklichkeit des Films.

Diese nun ist eine Sphäre, die lange nicht verlassen wird und aufgrund der immer neuen Wege, die die Handlung einschlägt, zum Teil auch etwas Geduld für sich beansprucht. Eine Übung im karg inszenierten Historiendrama; lange, leicht distanzierte Einstellungen. Doch dann, als Yasuna dem Wahnsinn verfällt (der hier nun eben nicht reißerisch vermittelt wird, sondern einfach einen anderen, etwas entrückten Zustand meint, der sich an die Membrane der eigentlichen Wirklichkeit nurmehr von außen anschmiegt), wechselt der Tonfall und ähnlich wie seine Handlung klappt nun auch die inszenatorische Gestaltung des Films von einem Modus zum nächsten über. Wir bewegen uns durch ein örtlich nicht gebundenes Blumenmeer - ein inneres Bild. Die weißen Füchse - shapeshifter - werden oft durch Zeichentrickanimationen dargestellt, die schnell durch das Bild huschen. Oder sie sind kleine Flämmchen, die sich durch die Physik des Bildes schmeicheln. Und irgendwann wird ein Vorhang zurückgezogen und wir schauen auf eine Bühne, reine Holzkulisse ringsum.



Das Schöne daran ist, dass auch hier nicht geheischt, sondern einer beinahe schon wieder asketischen Ökonomie des Wechsels gefolgt wird. Bemerkenswerterweise schnippt die Instanz des Films immer passgenau in jenem Moment mit dem Zauberfinger, wenn man sich in der "neuen" Welt eingerichtet hat (oder sich vielleicht auch ob des gemächlichen Tempos zu langweilen beginnt - am Tag 9 eines Festivalmarathons sei dies verziehen). Und da jede Idee die vorangegangene um Nuancen toppt, ist man dann wieder plötzlich hellauf begeistert und ganz mittendrin. Die Konsequenz dieses Umklappens bringt das Theaterbild schließlich zum Höhepunkt, wenn das ganze Set in sich ein- und umstürzt, kontrolliert natürlich und an den richtigen Fäden gezogen, so dass ein Neues entsteht.

Dann hat der Film sein Ende gefunden und man ist froh, die von Erika Gregor im Begleittext angeratene Geduld mitgebracht zu haben. Ein schöner, entdeckenswerter Film; dass er nun auch in der "Magical History Tour" des Arsenals regelmäßig zu sehen sein wird, ist für die ambitionierte filmhistorische Reihe des Hauskinos der Deutschen Kinemathek ein großer Gewinn.

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Zwei Filme gestern nur, beide von Im Kwon-Taek, dem Altmeister aus Korea, der derzeit an seinem 100. Film arbeitet und im Rahmen der Berlinale mit einer sektionsübergreifenden Werkschau (und einer Goldenen Kamera) gewürdigt wird. Sie waren meine ersten Kwon-Taek-Filme und ich bin froh, dass ich sie im einigermaßen entspannten Umfeld von nur zwei Sichtungen am Tag sehen konnte.

Chukje, der erste der beiden, 1996 gedreht, nimmt den Tod einer Großmutter zum Anlass, die traditionellen Beerdigungsrituale Koreas genau vorzustellen. Daran knüpft er zahlreiche kleine Familiengeschichten und -charaktere an. Formal beinahe schon klassisch, wenn nicht fast schon "unsichtbar" inszeniert, ist der Film dennoch alles andere als altbackenes Kino. In der Darstellung der einzelnen, über mehrere Tage hinweg vollzogenen Rituale - die einzigen Szenen, die mit nicht-diegetischer Musik unterlegt sind - entwickelt der Film bisweilen dokumentarischen Charakter. Das geht soweit, dass dem westlichen Publikum in erklärenden Untertiteln die einzelnen Rituale, die im Bild nur präsentiert, aber nicht erläutert werden, nahegebracht werden. Dann aber wiederum ist der Film alles andere als ein Dokumentarfilm, auch wenn - was zuweilen irritiert, aber sehr positiv - man nie das Gefühl hat, Erzählkino beizuwohnen. Viele Menschen finden sich zur Beerdigung ein, Familiengeschichten breiten sich aus (ohne, dass es nostalgisch zugänge, eher ist alles einer gewissen Tradition des Realismus unterworfen), in denen die Großmutter immer auch dazuzählt, aber oft auch nur zum Detail am Rande gerät. Es ergibt sich ein "Patchwork", das mit unserem Begriff dessen nichts gemein hat. Eher scheint es um Zusammensetzungen zu gehen: Wie die einzelnen Rituale der Zeremonie, was die Untertitel erläutern, aus verschiedenen Traditionen zusammengesetzt sind (zum Teil sogar widersprüchlich), erscheint auch die Großmutter, ja die Familie aus widersprüchlichen Elementen zusammengesetzt. Gestützt wird der Eindruck auch durch die verschiedenen Erzähler, die der Film aufweist, am spannendsten darunter vielleicht die kleine Tochter des ältesten Sohnes, für deren Überlegungen über die Großmutter der Film eine eigens gestaltete Sphäre - eine kulissenhafte Kinderbuchwelt (was passt: ihr Vater ist Schriftsteller, am Ende wird er ein Kinderbuch geschrieben haben) - reserviert. Ein faszinierender Film, der vielleicht mein Favorit dieses Festivals werden könnte.

Wangshibri, der älteste Film des Regisseurs, der auf dem Festival zu sehen ist, fühlt sich da ganz anders an, auch wenn an einer Stelle, wenn in einer Erinnerung an den Rand einer Beerdigung geblickt wird, sich eine Art "Wurmloch" im Werk des Regisseurs auftut, über das beide Filme für wenige Augenblicke miteinander, über die Zeit hinweg, verbunden scheinen. Wangshibri, von 1976, steht noch deutlich den Genrefilmen des Regisseurs nahe (wie man hört, hat Im Kwon-Taek seine Arbeit mit zahlreichen Actionfilmen begonnen, von denen er sich heute - leider - distanziert), was sich vor allem in der formalen Gestaltung niederschlägt: Wäre das kein wehmütiges Melodram, das - große Kunst - am Ende in ein etwas peinliches weepy movie umzuschlagen droht, dann aber, irritierend, in großes Gelächter auf der Leinwand mündet, könnte man, rein von der Inszenierung her gesehen, auch auf einen typischen Action/Gangsterfilm der 70er schließen. Es wird viel mit Zooms gearbeitet, die Dynamik des Scopebildes wird für spannungsreiche Kompositionen genutzt, alles ist angefüllt mit einem 70s chic, der mein Herz - ich bin Videokind der frühen 80er - schnell hoch schlagen lässt. Gelegentlich gibt es sogar einen recht funky score, mit typischen 70er-Instrumenten eingespielt, Rückblenden werden mit speziellen Farbfiltern, die nur in dieser Dekade wirklich gut aussahen, bewerkstelligt und in manchen Hotelzimmerszenen bestimmt ein dezent von der Seite hereinstrahlendes Rot die Konturen der Gesichter (diegetisch bedingt durch die Neonröhrenschrift vor dem Fenster - "Hotel" -, die in der ersten Szene in diesem Zimmer dezent am Rande glaubhaft eingeführt wird). Und in der Tat scheint die melancholische Hauptfigur, die nach 14 Jahren Exil in ihre Heimatstadt zurückkehrt, in der Zwischenzeit als Gangster zu einigem Wohlstand gekommen. Es geht im wesentlichen um seine unglücklich geendete Liebe zu einem jungen Mädchen: Er musste seinerzeit die Stadt verlassen, um einem innerfamiliären Rechtsstreit um eine große Erbschaft aus dem Weg zu gehen. Bald trifft er die - nun verheiratete - Frau wieder, doch als bekannt wird, dass sein Geldbeutel prall gefüllt ist, beginnt sie ihn in betrügerischer Absicht zu umschmeicheln. Parallel erzählt sich die Geschichte einer Prostituierten mit dem goldenen Herzen, die dem Zurückgekehrten liebevoll verfällt.
Wangshibri (d.i. der Name der Stadt, in die zurückgekehrt wird) ist eine elegant inszenierte Literaturverfilmung, wie sie dem Vernehmen nach für das koreanische Kino der 70er typisch ist. Es spricht eine hohe Meisterschaft aus diesen Bildern, was Inszenierung, Optik und Effizienz betrifft. Schon allein deshalb eine wahre Freude, diesem sich entspannt entfaltendem Film zuzusehen, den eine tiefe Wehmut durchzieht, die sich aber nie grüblerische Schwerfälligkeit übersetzt. Eher umschmeichelt ihn die Tristesse eines schneeüberdeckten Morgens und in der Tat spielen die schönsten Szenen des Films im Schnee. Ich war festivalbedingt zwar nicht für jedes Detail aufnahmefähig, aber ganz generell kann ich festhalten, einen ungemein schönen Film gesehen zu haben. Vor allem das Gespür für das kameratechnisch verfremdete "Genrebild" (wie ich es mal salopp nennen will) hat mich hier gepackt und es wäre wohl wirklich mal interessant, die früheren Arbeiten des Regisseurs zu Gesicht zu bekommen: Hier sind, da bin ich mir nun sicher, unter Garantie Schätze des kommerziellen Kinos zu heben.


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Donnerstag, 17. Februar 2005
Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Natürlich sehr populär gehaltene Dokumentation über einen der großen gemeinhin übergangenen Klassiker der Filmgeschichte. Deep Throat war in den frühen 70er Jahren der erste Pornofilm, der es zum Boxoffice Hit gebracht hat und darüber hinaus aufgrund seiner Machart - die Sexzenen sind in ein Narrativ eingebettet, der übliche wissenschaftliche Kommentar der "Aufklärungsfilme" fehlt - zum langjährigen Gegenstand zahlloser Zensur- und Moraldebatten geriet, die das Leben der Beteiligten zum Teil nachhaltig, bis heute, bestimmten: Hauptdarstellerin Linda Lovelace, in den 70ern noch reinem Pornorebellentum verfallen, wurde in den 80er Jahren von den Feministinnen vereinnahmt, distanzierte sich aber in den 90ern wiederum von denen. Hauptdarsteller Harry Reems drohte zu Blütezeiten der Moraldebatte eine 5jährige Haftstrafe, die nach dem Wahlsieg der Demokraten (und einer breiten Solidaritätsbewegung in Hollywood) jedoch ausgesetzt wurde.

Fälle, die typisch sind für gesellschaftlichen Umgang mit Pornografie, die Dinge antastet, die die Diskurse zum Rumoren, wenn nicht zum Schwitzen bringt. Die Pornografie wird dabei in den Raum bloßer Referenz verdrängt, wo man über sie nur über Umwege sprechen kann. Dies schlägt sich auch in Inside Deep Throat nieder, der, mit einer kurzen Ausnahme, ebenfalls nur über seinen Gegenstand spricht, indem er das Brisante an ihm letzten Endes ausblendet und durch den Talk, der zwar meint und beschreibt, letzten Endes nur verdeckt. Inside Deep Throat wird letztens auch Kronzeuge dafür, wie Sprache und Wörter (und natürlich auch Bilder) ihren Gegenstand verschlucken und verstecken, obwohl sie ihn eigentlich offenbaren wollen. Auch dies ein Indiz dafür, wie komplex die Pornografie und ihr Diskurs sich gestaltet. Man könnte Lacan und sein Modell vom Objekt klein a anführen. Und wenn in Deep Throat die narrative Prämisse die ist, dass die Klitoris der Hauptdarstellerin im Rachen gelandet ist, schaut Deleuze mit seinen neuen Organen um die Ecke.



Überhaupt ist es dann aber eine Leistung von Inside Deep Throat zu betonen, dass die, zugegeben vorgeschobene, narrative Grundlage seines Originalfilms das Lustbestreben der Frau und vor allem den klitoralen Orgasmus zum Thema hat. Beides war damals, wie die Doku ausführt, keineswegs selbstverständlich: Der erste Richter, der den Film noch verbieten wollte, argumentierte, dass der Film deshalb auch gefährlich sei, weil er Frauen in die Irre führe, was das Zentrum ihrer Lust betreffe: Der klitorale Orgasmus sei gefährlich und falsch, der Film deshalb gesellschaftszersetzend: Argumentation eines heillos gestrandeten Patriarchen. Ein verschütt gegangenes Wissen, ohne dass die (aus heutiger, ideologisch etwas entspannterer Sicht) subversive Wirkung des Films nicht zu rekonstruieren ist.

Isngesamt ist der Film vielleicht etwas überambitioniert, was das Erzählen all dieser Geschichten (und noch einiger mehr) betrifft. An jeder Ecke taucht ein neues Info bit auf, das oft nur angetastet, aber selten in Gänze ausformuliert wird. Ferner liegt über allem der ausgestellte liberale Gestus, der oft an bloße Schlaumeierei erinnert. Zwar werden auch Gegenpositionen im Film als solche benannt, doch beeilt sich Inside Deep Throat stets, diese schnell zu entkräften und als falsch hinzustellen. Das mag zum Teil sehr richtig sein - besonders widerwärtig: der Vertreter der christlichen Rechten -, doch hinterlässt die Methode als solche auch einen leicht faden Nachgeschmack.



Andererseits aber ist dies ein Kapitel Filmgeschichte, auf das der Zugriff heutzutage schwer fällt, weil Filmpublizistik und -wissenschaft die Pornografie bis heute allenfalls unter "ferner liefen" abhandeln. So gesehen muss man dem Film - trotz dem, was man ihm vorwerfen kann - zunächst einmal dankbar sein, dass er eine Ära der Filmgeschichte, die Bedingungen ihrer Möglichkeit, ihre Protagonisten und vor allem ihre lang nachklingenden Echos als Materialsammlung überhaupt ompiliert und als Feld für weitere Forschungen vorschlägt. Selbst Harry Reems, der heutzutage - nach einer traurigen Alkohol- und Drogenkarriere - bekennender Christ und Immobilienmakler ist (aber sich, was ihm hochanzurechnen ist, keineswegs seiner Vergangenheit schämt), bekennt noch im Interview für Adult Video News, dass Inside Deep Throat Aspekte vermittle, die ihm bislang unbekannt gewesen seien.

Natürlich ist bei Inside Deep Throat auch viel Geheische zu sehen. Funky Porno Chic allenthalben. Aber: Diese Methode ist vielleicht auch notwendig, um, über das bloße Wissensvermitteln hinaus, auch auf ästhetischer Ebene spürbar zu machen, was genau damals am Times Square vor sich ging, als sich blockweise für diesen Film angestellt wurde und ein Pornofilm erstmals zumindest in referenzierender 2. Ordnung den Sprung in Mainstream Media gelang.

Wie sein Gegenstand: Ein ambivalenter Film.

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Donnerstag, 17. Februar 2005
Der Film läuft im Wettbewerb.

Das Auto fährt hinein nach Berlin. Dazu leicht schwülstige klassische Musik. Gefilmt aus Kabinenperspektive, keine Personen. Nur die langen Kurven der Schnellstraße. Etwas Bedrohliches liegt in diesen Bildern. Es mag daran liegen, dass man weiß, dass das Automobil bei Petzold nie der Ort von familiärer Harmonie ist. Das ist das Eigentümlichste an diesen ersten Bildern: Dass man meint, den Regisseur an diesen auch ganz ohne Hintergrundwissen um den Film ablesen zu können.

Zwei unterschiedliche Welten faltet der Film parallel auf, die sich kreuzen, überlappen werden. Ganz zusammen finden sie nie, auch nicht in Momenten, wo dies als Aussicht über allen Bildern steht. Hier Nina, gespielt von Julia Hummer, die man aus Die innere Sicherheit kennt, sie lebt in einem betreuten Heim für Jugendliche (und einen Moment lang stellt man sich die Frage, ob hier vielleicht eine mögliche biografische Fortsetzung ihrer Figur aus Die innere Sicherheit angedeutet wird) und arbeitet in einem zugewiesenen Job als Müllaufsammlerin in einem Park. Dort, im Park, freilich nicht unter ihren stumpf proletigen Kollegen, lernt sie die launische Toni (Sabine Timoteo) kennen, nachdem diese von zwei Typen im Gebüsch verprügelt wurde. Toni klaut sich durchs Leben und zeichnet sich auch sonst durch Unverlässlichkeit aus. Dennoch scheint Nina von ihr fasziniert und lässt sich in ihre Welt hineinziehen. Francoise (Aurélien Recoing) hingegen ist eine Beschädigte: Ihre Tochter Marie wurde vor 15 Jahren als Baby entführt und ist seitdem verschollen. Die Suche nach dem Kind treibt die Französin immer wieder nach Berlin. Beim H&M am Potsdamer Platz trifft sie auf Nina.

Man könnte, so man will, zu dem kritischen Schluss kommen, dass Petzold seine Form gefunden hat und diese nun allenfalls noch nach innen hin ausdifferenziert. In der Tat ergibt sich sehr schnell ein "Petzold-Feeling", wie ich es von Die innere Sicherheit und Wolfsburg - beide großartig - her gut kenne (sein Tv-Film, Toter Mann, ist mir bislang noch unbekannt). Die Figuren sind sozusagen Verwandte im Geiste, die Inszenierung konzentriert und nuancierend, die Dialoge, überhaupt die darstellerischen Leistungen, sorgfältig austariert. Und das Gefüge, mit dem Petzold die kargen Welten seiner Figuren dramaturgisch, nicht unbedingt ästhetisch, erfahrbar werden lässt, ist zu einer Präzision gelangt, die beinahe schon mechanisch scheint. Plätze von Wärme waren Petzolds Filme gewiss nie, aber diese Mechanik ergibt eine Kälte von zusätzlicher Qualität. Dabei will der Film aber Emotion, etwas leicht Märchenhaftes haftet ihm an (Nina findet einen verlorenen Schuh, zum Beispiel) und das letzte Bild lädt zur Melancholie ein. Die Frage ist, ob dieser Konflikt einen Gewinn darstellt, oder ob die Routine - vielleicht aber auch der unbedingte Wille, die Instanz des Films zu sein - hier der Intention nicht vielleicht sogar im Wege stand. Wenn man will, kann man darin auch Stringenz sehen. Stringenz in Werk und Film.

Es geht um Sphären, die sich annähern, eigentlich die Nähe auch immer suchen, sie oft auch erreichen, aber sich immer wieder abstoßen. Schon das Setting des Films verdeutlicht dies: Das Geschehen findet im Gebiet auf und um den Potsdamer Platz statt, wo der Tiergarten und seine ausgelatschten Nebenpfade nur wenige Schritte von den Hochhäusern entfernt liegen. Trotz dieser geografischen Nähe der einzelnen Hintergründe - Park, Trampelweg, luxuriöses Hotel, urbane Kulisse - entwickeln sich örtliche Zellen, die nichts miteinander gemein zu haben scheinen, aber dennoch - auch für den Nicht-Berliner erkennbar - sich offenbar in Laufnähe zueinander befinden.

Oder eine andere Szene: Nina und Toni wurden von einem etwas schmierigen Regisseur (Benno Fürmann) nach einem Casting zu was auch immer (sie sollen erzählen, wie ihre Freundschaft begann, die ist da kaum einen Tag alt, sofern das Freundschaft überhaupt ist; eine fadenscheinige Veranstaltung) auf eine Party der Berliner Schickeria eingeladen. Ganz rot ist das Bild, das Nina zeigt, in einer Großaufnahme ihres Gesichts, Gegenschnitt auf Toni, die Nina ein wenig neckt, genauso groß, genauso rot. Eine Umwelt, geschweige andere Menschen, scheint es nicht zu geben. Man könnte sich in einem kleinen Separé befinden, einer Zelle. Dieser Moment ist ganz Privatheit, Zurückgezogenheit. Toni lockt Nina, sie umarmen sich, tanzen aneinandergeschmiegt. Es braucht nicht viele Schnitte, um die Illusion zu zertrümmen, um analytisch festzustellen: Dies ist keine Nische, sondern eine rot ausgeleuchtete Ecke der Party, die ringsum im vollen Gange ist. Der Regisseur ruft Toni zu sich, ein Schnitt in die Distanz und wir sehen Nina verlassen in der Ecke stehen, aus einem anderen Raum heraus gefilmt. Die rot anheimelnde Intimität war keine, allenfalls Wunschdenken. Dass das Bild, wie der Film, nicht in das große Melodram umkippt, dass es weder ästhetisiert ist, noch Wehmut auslöst, mag dabei vielleicht sogar die Stärke des Films sein, der auf Distanz hält und den Blick analytisch bleiben lässt. Andere mögen dies als unangenehme Kälte ansehen.

Es ist in letzter Konsequenz schwierig, sich zu positionieren. Manches wirkt wie eine noch ausgefeiltere Wiederholung des bereits Geleisteten. Andererseits hat die Methode nicht wenig Effizienz, von Einzelnen auf ihrer Suche zu erzählen ohne in pathetisches oder gar beschauliches Fabulieren abzusinken.

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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Es ist eine der berühmten letzten großen Nächte im (Film-)Hongkonger Triadenmilieu. Der Boss (Andy Lau) feiert die Geburt seines Sohnes, er will sich aus dem Geschäft etwas zurückziehen. Seine rechte Hand (Jackie Cheung), ihm seit Jahren treuer Freund, will ihn davon überzeugen, dass er drei küngelnde ältere Gangster in der internen Hierarchie ausschalten solle und hat selbst entsprechendes schon in die Wege geleitet. Doch der Boss will nicht so recht, er ist eher Typ Schachspieler als Bluthund. Beim Diner entfaltet sich das Gespräch über die Maßnahmen, während durch die Nacht von Hongkong die Gangster ziehen, und Leute, die es auf sie abgesehen haben. Gleichzeitig macht das Wort die Runde, dass der Boss noch in dieser Nacht Opfer eines Attentats werden solle ...

Parallel dazu entfaltet sich die Geschichte zweier gut befreundeter Jungspunde, die bei den Triaden Fuß fassen wollen. Der Auftrag, heute Nacht einen noch namenlos Bleibenden, umzubringen, böte sich dafür an. Auf der Suche nach der adäquaten Waffe, wirft man sich ins Hongkonger Nachtleben ...



Jiang Hu ist gut gemeintes Hongkongkino mit vielen üblichen Zutaten, die eigentlich ohne weiteres munden könnten, und mit inszenatorisch einigen lichten Momenten, die allerdings den meist nur behaupteten Pathos der Gefühle - Freundschaft, Brüderlichkeit - stets dem portfoliogerechten Bild unterordnen. Gut polierte Oberfläche also, die aber entsprechend wenig packt. Dabei wird sich auch deutlich an die leicht vertrackte Erzählung des internationalen Megahits Infernal Affairs angelehnt, der vor zwei Jahren im Forum zu sehen war und bald darauf weltweit Verzückung unter Genrefreunden enstehen ließ. Personelle Übernahmen bei der Besetzung unterstreichen dies. Und das Duett Andy Lau-Jackie Cheung - erstmals seit 16 Jahren wieder vor der Kamera - war für das traditionell sehr starorientierte Hongkongkino natürlich auch ein kleines Fest.

Problematisch ist dabei jedoch zunächst, dass der Einstieg in den Film und dessen figurellen Konstellation aufgrund seiner Unübersichtlichkeit zunächst schwer fällt. Infernal Affairs, der sich geradewegs mustergültig auffaltet, machte es einem da wesentlich leichter. Ein schwerwiegenderes Problem ist aber ein anderes: Die vom Film als vorrangiges dramaturgisches Element vorgeschlagene Frage ist, ob die beiden Jungs wirklich auf den Boss angesetzt sind und wie sich beider Nachtverläufe am Ende wohl kreuzen werden. Da aber sowohl das Casting - wer die Gesichter noch aus Infernal Affairs kennt, hat den Film eigentlich schon durchschaut ... - als auch die direkte Umsetzung des Stoffes sich keinerlei Mühe macht, zu verbergen, dass alles nur auf ein simples Drehbuchgimmick in den letzten Filmminuten hinauslaufen wird und dieser Twist also auch von langer Hand in Gänze schon erahnbar ist, verflacht diese eigentlich als filmtragend installierte Chance zum Suspense schon, bevor sie richtig zünden konnte. Zugegeben: Weniger Hongkong-affine Zuschauer mögen hier im Vorteil sein.

Es bleibt eine in Ansätzen ambitionierte, aber an keiner Stelle richtig gelungene Realisation aus Hongkong, mit vielen berühmten Gesichtern der Metropole, die diesmal allesamt groteske Frisuren spazieren tragen. Der diesjährige Genre-Forumsbeitrag aus Hongkong fällt recht mäßig aus. Das ist, aus Gründen der Tradition, sehr schade.

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PS: Wegen der Namensähnlichkeit wird auf den kleinen, aber sehr feinen Hongkongfilm Jiang Hu - The Triad Zone von Dante Lam aus dem Jahre 2000 hingewiesen (imdb). Eine ungemein charmante Gangster-Action-Komöde mit inszenatorisch viel Pfiff und erfrischendem Hang zum Chaos. Eine kleine Perle, die gemeinhin leider etwas untergegangen ist. Die DVD des Films ist als RC3 sehr günstig bei http://www.dddhouse.com erhältlich. Mitlesende aus Berlin werden im Videodrom fündig.


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Bei Life Aquatic habe ich mich extra in die Nähe der Jury-Sessel gesetzt. Ich wollte einen Blick auf Bai Ling werfen. Erfüllt hat sich das leider nicht. Dann am Nachmittag, The Wayward Cloud, Pressevorführung im CinemaxX. Ich sitze nicht ganz so günstig, aber dennoch: Plötzlich kommt sie. Und sie sieht verflucht gut aus, etwa 10 Meter von mir entfernt. Ein Minirock, knalleng, knallkurz, aus rotem Leder. Eine dicke Felljacke oben rum, auf dem Kopf so ein orangenes Mützchen. Und ein Lachen, das einen um den Verstand bringen könnte, wenn man sich nur drauf einließe. Eine der schönsten Frauen der Welt (und das will was heißen, wo ich doch sonst eigentlich ja gar nicht auf solche Dürrheiten stehe).


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Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Eigentlich wollte ich in diesem Saal die für diese Uhrzeit terminierte Pressevorführung von Violent Days aus dem Forum anschauen. Normalerweise haben die einzelnen Sektionen auch ihre eigenen Pressesäle, so dass man da eigentlich blind zum Termin reinlaufen kann. Blöderweise - und angeblich war es ausgeschildert - hatte man nun aber gerade diesen Programmslot an diesem Tag mit dem Panorama getauscht. Und ich staunte nicht schlecht, als ich zum Beginn eines semi-dokumentarischen Spielfilms über französische Rockabillies einen sehr zeitgenössischen Elton John erblicke, der mich mit rethorischem Geschick von den Qualitäten dieses "Guy" überzeugen will. Wenige Sekunden später besteht kein Zweifel mehr: Ich sitze in George Michael - A Different Story, wo ich eigentlich nie hinwollte. Geschichten, die die Festivalübermüdung schrieb.

Zu meinem Glück sitze ich auch noch auf so einem "Cineastenplatz", der schnelle Flucht nahezu verunmöglicht. Vielleicht hatte ich mich aber auch nicht im Saal, sondern im Tag geirrt? Verzweifelt ging ich mein vom vielen Filmekucken schon leicht angematsches Hirn durch - kein Ergebnis, Verwirrung komplett. Ich fügte mich schließlich meinem Schicksal und sah es als Überraschungsei. Vielleicht ist die Doku ja doch super?

Ist sie natürlich nicht. Verkürzt gesagt könnte man sagen: George Michael bekam ein mediales Präsent auf den Bauch gepinselt. Immer ist er der Checker. Das Genie. Der Saloppe, Schlagkräftige, der selbst noch Peinlichkeiten mit leichtem Wisch vom Tisch streicht. Und wenn er mal, wie in der ersten Hälfte der 90er geschehen, ein schicksalschlägebedingtes Tief durchmacht, dann steht zumindest am Ende ein den aufrechten Gang wieder erlernt habender George Michael auf dem Parkett, der dem Schicksal noch mal ein Schnippchen geschlagen hat.

Zu Beginn macht das Spaß. Denn da geht es um Wham! und um die 80er. Und die (beide) waren ein Archiv von Geschmacklosigkeiten und peinlichen Frisuren, die hier, immerhin mit süffisant selbstironischem Gestus, der Reihe nach präsentiert werden. Und es macht ja auch Spaß, Erfolgsstories zuzuhören. Aber das reibt sich schnell ab, dann geht's nur noch beinhart nach selbstbeweihräuchernder Manier zu. Das mag gerade bei Michael, der im letzten Jahrzehnt auch immer eine Reibefläche für die yellow press war, vielleicht sogar Not tun, um bestimmte Bilder zurechtzurücken. Für denjenigen aber, der, wie man so schön sagt, couldn't care less, wird's bald zur Qual, zumal, wenn sie unfreiwillig aufgebürdet wird.

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Der Film läuft im Wettbewerb.

Wes Andersons Filme sind meist Ansammlungen von Skurrilitäten und Verschrobenheiten. Kleine Wundertüten, deren Inhalt breit ausgestreut wird und in denen es für jeden was zu finden gibt, das er sich rauspicken kann. Filme von Wes Anderson gehören zu jener Sorte, nach denen man sich austauschen kann: "Am besten gefiel mir ..." - und jeder sagt was anderes. Vielleicht ist das Bild von der Wundertüte aber auch falsch: Dieses suggeriert Beliebigkeit. Ein Andersonfilm aber wirkt zumindest immer so, als sei alles mit gutem Grund an seinem Platz.

In Royal Tenenbaums war das nicht ohne Charme. In der Tat fügten sich die vielen einzelnen Elemente - vom Ensemble, über die Ausstattung, die Farben, der Soundtrack, die alles durchziehende Wehmut - zu einem großen Bild zusammen, zu einer großen Sonntagnachmittagwelt, in der ewiger Herbst herrscht und der nächste, weiträumige Park gleich um die Ecke liegt. Rushmore, den ich erst danach gesehen habe, war von ähnlicher Mixtur, ihm fehlte aber das letzte Stück Esprit. Eher langweilte er ein wenig mit seinem ausgestellten sophisticated Gestus.

The Life Aquatic With Steve Zissou, vom deutschen Verleih offenbar im Zustand geistiger Umnachtung weit weniger spektakulär Die Tiefseetaucher benannt, ist nun, auch wenn sich das unpassend anhört, ein Pendler zwischen beiden Filmen. Es gibt Momente in ihm, für die ist er nur zu küssen: Eine Geiselbefreiungsaktion etwa, auf einer karibischen Insel, die Kulisse bietet ein verlassenes Hotel. Das Team Zissou, angeführt von Steve Zissou (Bill Murray), der an Cousteau angelehnt ist, holt einen der Ihren aus den Klauen der Piraten, welche Ihnen zuvor, auf offener See, Hab und Gut entwendet hatten. Hier sprüht der inszenatorische Witz über, alles ist billig und schlecht gemacht, aber mir einer derartigen Liebe, die das öde "so bad they're good"-Spielchen locker überwindet. Es spielt hinein der Charme alter Serien aus den 70er Jahren und deren Unbeholfenheit. Südseeabenteuerräuberpistolen! Die Lust am billig Sensationellen, an abgeschmacktem Kinorabaukentum. Das alles aber nicht im schwitzigen Nerd-Gestus zusammengesteckt, sondern liebevoll in den eigenen Kosmos eingepflegt. Andere Szenen, Bilder ließen sich anführen.

Denen stehen Szenen gegenüber, die nie so recht zünden wollen. Sie verlassen sich darauf, in einem Film von Wes Anderson aufzutauchen, als wäre allein dadurch schon eine Klammer gegeben, die ihrem Dazwischen Charisma verleiht. Aber nicht selten sind das, sprechen wir's ruhig aus, öde Zwischenmomente, in denen man regelrecht hippelig wird, weil man auf das nächste Bonbon wartet. Da hilft auch Bill Murrays, wie in letzter Zeit üblich, Understatement-Spiel mit dem eigenen Verfall nicht viel. Auch Willem Dafoes Akzent - er spielt einen Deutschen, Klaus - ist zwar bezaubernd, schwirrt als Detail aber nur vor sich hin.

Dies wäre vielleicht noch zu verkraften, gäbe es in dem Film nicht Momente, in denen man am liebsten verweilen würde, die einen anderen, ungemein besseren, aufregenderen Film in Aussicht stellen. Zum Beispiel der Beginn: Auf einem Filmfestival (deutlich als Persiflage angelegt) wird Zissous neuester Titel in einer langen Reihe von spekulativ gehaltenen, Populärwissenschaft und Südseeabenteuerkolportage kreuzenden Dokumentarfilmen präsentiert. Das Ergebnis, in zerschlissenem, von der materialbedingten Farbgebung her äußerst anheimelnden Bildern dargeboten (und natürlich: im klassischen 4:3, die Ränder des Scopebildes werden für diese Weile von roten Vorhängen verdeckt), überzeugt nur wenig: Der Filmemacher hat seinen Zenit deutlich überschritten, es wirkt hektisch, zerfahren, kurzum: katastrophal. Für einen kurzen Moment lang bietet der Film die Aussicht, in genau diesem Film-im-Film zu spielen. Das wäre nicht nur wegen den roten Vorhängen Klasse, auch der Mut, sich voll und ganz dieser "alten Farbe" und diesem Inszenierungsstil auszuliefern wäre nur zu würdigen gewesen. Ein schöner Traum, der bald aber endet: Der Film katapultiert sich schnell zurück auf sichereres Gebiet. Oder aber eine bezaubernde Studioaufnahme vom Innern des Schiffskörpers, in dem wir die meiste Zeit des restlichen Films verbringen werden, wenn Zissou sich auf die Jagd nach dem Jaguarhai macht, den er in den Tiefen des Ozeans wähnt. In einer einzigen großen Kamerafahrt sehen wir die einzelnen Stockwerke und Zellen eines eher an eine Theaterkulisse erinnernden, pittoresk gestalteten Schiffsbauchs. Der Gedanke, dass der restliche Film vielleicht sogar wirklich in genau dieser künstlichen Kulisse, in diesem Traum eines Abenteuerromane verschlingenden Jungen, spielen würde, ist für einen Moment lang atemberaubend. Allein der Schnitt auf's Deck könnte einen vielleicht auf ein echtes Boot tragen (in der Tat folgt ein solcher Schnitt auch sogleich), um das allgegenwärtige Meer in die Erinnerung zu holen (und es wäre auch dies in der Tat eine Hommage an alte TV-Kultur, als das Innen und Außen eines Gebäudes deutlich unterschiedlichen Inszenierungsorten angehörten). Doch auch hier wird das Potential zugunsten eines kleinen Zungenschlags verschenkt: Dieses aufwändig gestaltete Gerüst dient nur an einer einzigen weiteren Stelle für eine, zugegeben, sehr schöne Kamerafahrt in der "unsichtbaren Wand", die einen Dialog zwischen Zissou und Ned, wahrscheinlich seinem Sohn, verfolgt.

All dies ist sehr schade, denn eigentlich will man diesen Film ja wirklich lieben. Er macht es einem nur sehr, sehr schwer. Und an vielen Stellen ist es gar unmöglich.


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Der Film läuft im Wettbewerb.

Endlich! Endlich gibt es im Wettbewerb einen Film zu sehen, der knistert und begeistert, der Wagnisse eingeht und gewinnt. Sperrig, einfallsreich, von erstaunlicher Frische. Höchst unterhaltsam, tragikomisch, oft bis zum absoluten Stillstand gehend, nahezu kein Dialog, dann wird er immer wieder zum Musical, urbane Tristesse, groteske Pornografie, cinephiles Kino. The Wayward Cloud von Tsai Ming-Liang ist all das und darin ungemein aufregend.

Aufgegriffen werden die Fäden, die in What Time is it there? gesponnen wurden. Das Paar aus diesem Film trifft sich hier wieder, sehr zufällig, in einem Park. Er schläft dort auf einer Windschaukel, neben ihm steht eine Flasche Wasser. Sie hat gerade eine Melone aus dem Wasser gefischt, die ihr von nun an heilig ist. Das ist wichtig, denn im Lande herrscht eine groteske Situation: Es herrscht Dürre und infolge Wassernot (es wird gebunkert, in Flaschen in Badewannen), dafür aber gibt's der Wassermelonen so grotesk überviele, dass die Leute schon nicht mehr wissen, wohin. Zu Beginn etwa, eines der ersten Bilder (und "Bilder" sind das bei Tsai Ming-Liang meist in der Tat: die Kamera fast immer statisch, lange, distanzierte Einstellung) zeigt ein junges Mädchen auf dem Rücken liegend, Unterleib nackt, Beine gespreizt; ihre Scham verdeckt eine riesige halbe Wassermelone, die im folgenden geleckt und gefingert bis zum Exzess wird; wir befinden uns auf einem Pornodreh. Er ist nicht mehr Uhrenverkäufer (der erste Satz von, vermutlich, nicht mehr als fünfen, die zwischen den beiden über die volle Länge hinweg gewechselt werden: "Verkaufst Du noch Uhren?" - er schüttelt stumm den Kopf), sondern Pornodarsteller. Ihr kann er das nicht sagen, offenbar. Er vögelt wie ein tollwütiger Hengst, zwischen ihren Beinen, zwischen beiden die Überreste der Melone. Duschen danach geht aber nicht, da Wassernot. Dafür gibt es andauernd und zu jeder Zeit Melonensaft zu trinken. Sie reicht ihm aus der Küche das Glas, er schüttet es aus dem Fenster, mit Unschuldsmiene gibt er es geleert zurück. Sie schüttet ihm neu ein. Melonen, die im Wasser schwimmen, einfach so. Irgendwer hatte die Schnauze offenbar voll von dem Zeug.

Lakonisch und beinahe schon jedwede Erzählung negierend entblättert sich der Film. Es sind kleine Ansichten, wie gesagt, deren oft implizit grotesker Inhalt zu dieser Inszenierung geradewegs quer steht. Der Effekt ist herausragend, da Tsai Ming-Liang gleichzeitig auch ein Meister der Ökonomie ist und keine Einstellung ohne Hintersinn oder Zweck entsteht. Die Folge ist ein Etappenfilm, so ein bisschen wie ein Countdown. Und noch ein Bild - was geschieht nun hier? - nächstes Bild - was geschieht nun jetzt? Unmöglichkeiten, Unwahrscheinlichkeiten werden eingebaut - doch es funktioniert, tadellos. Hat man sich an dieses Konzept gewöhnt, ist man süchtig nach dem nächsten Bild, nach dem nächsten Einfall. Vaudeville ist das aber dennoch nicht: Sensationalistisch ist Tsai Ming-Liang, auch in den Sexszenen, die im Vorfeld als härter apostrophiert wurden, als sie eigentlich sind, nicht.

Und dann immer wieder, so dass man förmlich aus den Wolken fällt: Musicalsquenzen. Alte chinesische Schlager werden eingespielt, die Protagonisten tanzen durch mal mehr, mal weniger albern gestaltete Insertwelten und hechten dabei der, entsprechend kaum gegebenen, Lippensynchronität hinterher. Dies wiederum steht nun wiederum den "eigentlichen" Bildern konträr gegenüber, auch wenn die Songsequenzen die Narration deutlich stützen. Der Kontrast ist hart: Großstadttristesse, bis ans Äußerste ausgereizte Lakonie und Einsilbigkeit auf der einen Seite, bunte Sing- und Tanzwelt auf der anderen. Doch in der Logik dieses Films macht das, auf einzigartige Weise, Sinn. Man lächelt und staunt und ist begeistert, über alles und jedes. Über seinen Witz, seinen Wagemut, seine Groteske. Ein Film, so sympathisch zwischen allen Stühlen, das er im diesjährigen Wettbewerb schon fast schmerzlich deplatziert wirkt. Allein wegen des Umfelds, versteht sich.


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Der Film läuft in der Sektion Perspektive deutsches Kino

Ich muss vorausschicken, dass ich in die Vorführung geplatzt bin, als bereits der Vorspann lief. Ich weiss also nicht ob es einen Prolog gab, der den Figuren, der Geschichte einen anderen Dreh verpasst hat. Ich befürchte, selbst wenn, es hätte nichts verändert. Die erste Szene zeigt Karl, gespielt von Christoph Bach, der schon in „Detroit“ eine schwierige Rolle zu verkörpern hatte. Er läßt sich per Anhalter von einem Mann mitnehmen, der ihn kurz darauf in einem Waldstück zum Oralsex überreden will, natürlich für Geld. Karl willigt zögernd auf das Angebot ein, um den Mann schließlich zusammenzuschlagen und ihm sein unmoralisches Verhalten vorzuwerfen. Später wird man erfahren, dass der Mann seine Frau schlägt. Das beschreibt bereits die Haltung des Films zu käuflichem Sex, eigentlich Sex im allgemeinen.

Karl lernt im Zug eine Frau kennen, Doris, gespielt von Jule Böwe, die vielleicht manch einer aus der Schaubühne kennt. Karl klaut ihr Tagebuch, sie klaut im Gegenzug den Inhalt einer Schatulle aus seiner Tasche. Beide verhalten sich unmoralisch. Es geht also um Moral. In Leipzig steigt sie aus, er folgt ihr. Sie treffen sich in einer Karaoke Bar, in der Doris als Kellnerin jobbt. Bereits vorher wurde erzählt, das sie mit einem älteren Herren, einem gewissen Brockmann, der Überwachungskameras, unter anderem in einem Puff, installiert, eine Freundschaft pflegt. Brockmann ist Voyeur und geilt sich an Doris privaten Videobotschaften auf, später masturbiert sie vor ihm. Karl wird in der Bar als smarter Charmeur vorgeführt, tatsächlich ist er das Gegenteil. Auch das erzählt viel über den Film.

Die Form der Annäherung zwischen Karl und Doris passt ins Bild. Sie geschieht über eine Wette. Karl muss ein Mädchen verführen. Genau das tut er, landet mit ihr im Bett. Sie spielt ihm einen Orgasmus vor, das erzählt ihm die kleine Schwester des Mädchens als er sich davonstehlen will. Er weiß das natürlich genauso wie der Zuschauer, etwas anderes ist in diesem Film nicht vorstellbar. Brockmann wird sterben, Doris sich von einem erbärmlichen Möchtegernaufreißer in der vielleicht gelungensten Szene ficken lassen und Karl am Ende wieder neben Doris im Zug sitzen, als wäre nichts passiert.

Der Film ist nicht uninteressant. Regisseur Florian Schwarz (sein Spielfilmdebüt) hat ein Gespür für Atmosphäre. Die lange Nacht in Leipzig, in der sich die Protagonisten verirren, aus der sie tot oder lebendig hervorgehen, neugeboren kann man nun wirklich nicht sagen, ist das passende strukturelle Mittel, um die Geschichten dramaturgisch aufzuladen. Aber, und das wiegt schwerer als alles andere, die Haltung, die der Film zu seiner Thematik entwickelt, bedient eine irrige, ja irgendwie sogar romantisierende Vorstellung von Erwachsenwerden, die mir ganz persönlich unangenehm ist.

Wenn es wirklich um Leben, Liebe und den Tod geht, wie Florian Schwarz im Festivalkatalog beteuert, sind die bemühten Bilder zu kurz gegriffen. Sie dienen sich regelrecht dem gewünschten Zielpublikum an, und der Film läßt schon allein durch die Auswahl der Musik keinen Zweifel um wen es sich dabei handelt. Ich muss es leider auch so deutlich sagen: keine der Figuren hat in meinen Augen die geringste Sympathie erfahren, Karl, der Held wenn man so will, am allerwenigsten.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Im Kern erzählt der Film eine Verunsicherung. Andreas Dresen beschreibt in einem Interview, wie er bei einem Urlaub in Griechenland nachts wach wurde und plötzlich ein fremder Mann im Raum stand, wie er aufgesprungen ist, ihm nackt und schreiend begegnet ist. Diese Erfahrung findet sehr direkt und kaum verfälscht Eingang in den Film. Das ist jetzt kein Witz, aber mir ist tatsächlich vor etlichen Jahren etwas ganz ähnliches passiert. Auch in Griechenland, in Patras um genau zu sein. Da stand mein Zimmernachbar plötzlich im Raum, ein dubioser, vierschrötiger Sizilianer, wer weiß wie lange schon. Es war letztlich alles ganz harmlos, ich hab ihn verscheucht, aber der Interrailtrip sollte seine Unbeschwertheit verloren haben.

In „Willenbrock“ nun ist dieser Moment Auslöser für eine Entwicklung, die vom ersten Bild an antizipierbar ist. Für mich steht der Verlust von Unschuld im Mittelpunkt. Egal wie man sich der Figur Willenbrock nähert, in ihrem Universum ist das Leben in Ordnung. Zunächst, es ist einer der wenigen Filme auf dem Festival bislang, die mich bewegt haben. Es gibt auch und gerade auf der visuellen Ebene bemerkenswerte Momente. ich weiß gar nicht ob ich das sagen soll, aber das ich hatte ich Andreas Dresen, dessen vorherige Filme ich zwar auch immer gerne sah, nicht zugetraut.

Ganz zu Beginn, wenn Willenbrocks Wagen, aus der Vogelperspektive, sich schnurgerade zwischen den Fahrbahnstreifen vorwärtsbewegt. Später, wenn er aus dem Fenster seines Hauses blickt, auf die verschneite Wohnlandschaft, in der sich die Nachbarn wie in einem Stilleben schneeschippenderweise aus dem Bild schaufeln, das alles ist ganz großartig. Dass Dresen sich gut darauf versteht Beziehungskrisen zu inszenieren war eh bekannt. Allerdings gibt es in diesem Film Dialogszenen, die merkwürdig gestelzt wirken. Immer dann, wenn die Geschichte überdeutlich in Bezug gesetzt wird zu einem gesellschaftlichen Zustand, mit einem Wort: auf die nicht wegzudiskutierende Schieflage zwischen Ost und West, immer dann verliert der Film an Intensität.

Ich bin mir nicht sicher, ob das notwendig gewesen wäre. Die Randlage Ostdeutschlands ist in den Figuren ja bereits ausreichend beschrieben. Insofern finde ich schon dass es eine Ostgeschichte ist auch wenn das Axel Prahl vehement bestreitet. Man hätte dem Betrachter vielleicht mehr Vertrauen entgegenbringen können, das aufzuschlüsseln. Die Russenmafia, der hilflose Polizeibeamte, das verkommt ein wenig zu Drehbuchakrobatik.


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Der Film läuft im Wettbewerb

Man kommt den Filmen des Texaners Wes Anderson mit einer Plotbeschreibung nicht bei. Eher schon macht es Sinn exemplarisch eine Szene herauszugreifen und daran die Wirkungsweise des Films zu beschreiben. Ein Wes Anderson Film ist bereits nach einer Einstellung als solcher zu erkennen, unzweifelhaft, und wenn man so will ist das auch ein Verdienst. Das Problem, dass ich mit seinen Filmen bislang hatte, tritt in „Die Tiefseetaucher“ überdeutlich zu Tage. Es sind Fingerübungen, die ins Nichts laufen und schlimmer: die eine Leere in sich tragen, dir mir die Lust am Sehen nehmen. Ich fühle mich hinterher wie ausgekotzt.

Also eine Szene: Bill Murray als alberner Cousteau-Verschnitt Steve Zissou zeigt dem Zuschauer sein Boot. Die Kamera bewegt sich von Kabine zu Kabine, wie durch ein überdimensionales Puppenhaus. Der Detailreichtum, den viele in „The Royal Tenebaums“ enthusiastisch gefeiert haben ist auch hier in geradezu verschwenderischer Weise präsent. Man sieht die Crewmitglieder bei der Arbeit. Nach einer Minute ist alles vorbei. Die Sets werden nie wieder gebraucht. Das ist in seiner Verspieltheit nicht ohne Reiz aber es führt zu nichts. Es ist, als würde jemand in handwerklicher Perfektion aus Millionen von Zahnstochern ein Segelschiff zusammenbasteln, es hinterher bei einer Zahnstocherschiffausstellung stolz ausstellen um es vor den Bewunderern grinsend zu zertrümmern.

Da wären wir beim zweiten Problem. Andersons Filme sind nicht frei von Eitelkeit, um es vorsichtig zu beschreiben. Eine Eitelkeit, die die Filme so weit in den Orbit schießt, dass man als Zuschauer das Gefühl hat immer kleiner zu werden. Dem liegt, wie ich vermute, eine Arrroganz zugrunde die sich auch in der Inszenierung der Schauspieler offenbart. Wenn ich Owen Wilson zusehe wird mir das am schmerzlichsten bewußt. Was soll ich von einem Film halten, der seinen Widerwillen gegen die elementarste Form von Storytelling nicht etwa verbirgt, sich ihrer dennoch bedient, nur um sich unentwegt darüber lustig zu machen? Raus nach 70 Minuten, schon aus reinem Selbstschutz.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Man beginnt sich wieder für Punk zu interessieren. Punk dabei nicht als musikalisches Vehikel gestylter schöner Jungs aus den Staaten, die vor Hallenpublikum auftreten, und auch nicht als Synonym für vor allem das öffentliche Stadtbild prägende Hundebesitzer mit Hang zum penetranten Habitus verstanden. Vielmehr ist jene kurze Phase des elektrisierenden Kitzels gemeint - so grob ab '77, in Deutschland eher zwischen '79 und '82 -, in der an allen Ecken kleine Garagenbands gegründet wurden, wo es weniger um die Musik selbst - die durfte gerne frei in den dilletantischen Raum hineindelirieren -, sondern vor allem um die richtige Attitüde, um spontane Kreativität und Ausbruch ging, um ein Spiel mit den Zeichen und einen eher inszenierten, denn wirklich praktizierten Nihilismus. Vor wenigen Jahren veröffentlichte Jürgen Teipel seinen Interview-Roman "Verschwende Deine Jugend", in dem Protagonisten jener Phase zu Wort kommen und zurückblicken. Vor kurzem folgte dann Rocko Schamonis höchst unterhaltsamer, autobiografischer Roman "Dorfpunks", dessen Titel Programm ist. Die Garde der ersten Punks in Deutschland blickt auf sich zurück, scheint sich historisieren zu wollen.

Verschwende Deine Jugend.doc ist nun vom Konzept her gesehen schlicht, aber auch schlicht genial: An sich ist das eine Diashow - nichts als Fotografien und ein paar alte Flyer, die auf die Leinwand projiziert werden. Auf der Tonspur hören wir die Statements aus den Interviews, die Teipel für sein Buch geführt hat. Zu hören sind dabei, neben allenfalls noch Szenefreunden bekannten Namen, längst im öffentlichen Leben arrivierte Personen wie Blixa Bargeld, Inga Humpe, Diedrich Diederichsen und andere. Dass diese nicht zu talking heads verkommen, ist dabei das große Plus. Denn sie sind, als ganz gegenwärtige Manifestation, nahezu abwesend, selbst noch die Tonbänder, die man hört, sind oft von abenteuerlicher Qualität (oft ist die Atmo im Hintergrund - miteinander gesprochen wurde offensichtlich auf Bürgersteigen, im Café und anderen öffentlichen Orten - lauter als der Interviewte) und unterstreichen dadurch das rohe, das ungeschlachte und wilde der zahllosen Bilder, die aus Privatarchiven zusammengesucht wurden.

Unfilmisch bis zum Ende also eigentlich. Und genau deshalb Punk in bester Tradition. Wie man am Ende im Abspann sieht, wurde der Film mit Macromedia, der Flashsoftware gemacht. Das passt zu dem, was die Leute im Film erzählen: Dass es darum ging, Dinge selbst zu machen, dass jeder Musik (und also auch: Film) machen kann, wenn man die Produktionsmittel sich erstmal angeeignet hatte.

Und es funktioniert: Ein ungemeiner Sog macht sich bemerkbar, man reist direkt hinein in diese wilde Zeit. Kleine Geschichten entfalten sich, Rivalitäten werden geschildert, aber auch Erfolgsstories (etwa: DAF) werden nachvollzogen. Das soziale Dispositiv der BRD wird, wenn auch durch die eigene Brille (aber gerade die ist in dem Zusammenhang wichtig), skizziert und oft genug (vor allem wenn man selbst als Jugendlicher eine Affinität zu Punk hatte - oder sie bestenfalls noch immer hat) innerlich nachfühlbar gestaltet. Es geht um grüne Sozialpädagogen, um linke Spießer, dann der Kalte Krieg und natürlich und ganz vor allem: die RAF. Deutlich wird die inspirierende Kraft des Dillentantismus, die Punk schon immer ausgezeichnet und vor allem in die Nähe von Traditionen aus der bildenden Kunst - Dadaismus, Surrealismus - gestellt hat. Nachvollziehen kann man das an den Flyern und Plattencovern, die auf die Leinwand gescreent werden, die, in dieser Größe betrachtet, nochmal an Effizienz und Schlagkraft zunehmen und das eigentlich durch sie hindurch arbeitende künstlerische Konzept ungemein deutlich erkennen lassen. Dass Punk ausgerechnet zu Beginn jenes Jahrzehntes, das allgemein als das der Postmoderne und der Künstlichkeit, aber auch als das des finalen Durchbruchs der omnipräsenten Massenmedien, apostrophiert wird, als populäres Phänomen auftrat, ist, wie man anhand dieser Collagen auch als nicht Szeneaffiner ohne weiteres erkennen wird, kein Zufall. Und wenn dann, gelegentlich, alte Klassiker der Undergroundszene, die sich eben nicht nur auf Garagengitarrengeschrammel reduzieren ließ, durch die Kinolautsprecher röhren, wünscht man sich eine solche Kraft in der derzeitigen Musiklandschaft zurück. Nicht zuletzt dies ist deshalb auch gut an der Dokumentation: Dass hier eben nicht alte Männer (und Frauen) in einer father-to-son-Perspektive auf Jugendsünden zurückblicken. Es ergibt sich ein wildes, ungestümes, deshalb mitreißendes Dokument, dem nostalgisches Ohrensesselsentiment vollkommen fehlt.

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Dienstag, 15. Februar 2005
Der Film läuft in der Sektion Panorama

“Deep Throat“ ist ein Mythos, tatsächlich in seiner filmhistorischen Bedeutung vergleichbar mit dem ebenfalls auf dem Festival gezeigten „Heavens Gate“. Wenn man „Inside Deep Throat“ mit der Heavens Gate-Doku „Final Cut“ vergleicht, begreift man, was dem letztgenannten fehlt. Der Film schafft es die ganz persönlichen Tragödien der Beteiligten in Bezug zu setzen, zur soziokulturellen Dimension des Films.

Es würde jetzt zu weit führen jede Spur aufzugreifen, die der Film legt. Die beängstigende Entwicklung der radikalen religiösen Rechten in den Staaten jedoch hat absurderweise spätestens zur Zeit der Aufführung von „Deep Throat“ (1972) ihren Anfang genommen. Es ist spannend zu sehen, wie sich komplexe gesellschaftliche Entwicklungen auf einzelne Ereignisse zurückführen lassen. „Inside Deep Throat“ ist dehalb ein politischer Film, durch und durch, im positiven Sinne. Für mich entscheidend ist dabei der Freiraum für sich selbst vervollständigende Gedanken und Schlussfolgerungen, den mir die Filmemacher zugestehen. Und ich hoffe immer, genau diese Frage steht bei jeder Arbeit auch für die Autoren im Mittelpunkt.

Es gibt Momente, in denen für meinen Geschmack der Rahmen zu eng gesteckt ist, wenn der manipulative Charakter zu deutlich durchschlägt. Wenn man einen Gesprächspartner auch außerhalb der verabredeten Einfassung zeigt, wenn man also konkret beispielsweise das Bild stehen lässt nachdem alles gesagt ist, dann provoziert man die Entgleisung. Unterhaltsam ist das allemal, fair jedoch wohl nicht, man braucht sich nur in den Pamphleten Michael Moores umzuschauen.

Der Kontext ist es wohl, der die Regeln vorgibt. „Inside Deep Throat“ ist für HBO produziert worden, ein Sender, der in den USA mittlerweile praktisch überall ins Premium Cable eingespeist wird, also ein verhältnismäßig großes Publikum erreicht. Unter dem Strich mochte ich „Inside Deep Throat“ aber vor allem wegen der liebevollen Weise, mit der er den Beteiligten begegnet, einer handvoll naiv-skurrilen bis merkwürdigen Protagonisten die vom Lauf der Zeit überrollt wurden. Dabei wollten sie doch nur ein bißchen Spaß haben.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Zur Abwechslung mal ein Film der etwas zu sagen hat. Zunächst größte Vorbehalte meinerseits. Es geht um Utopien, um Aussteigertum, Hippiekram und begrabene Träume. Der Film wählt die Form des klassischen Erzählkinos und muss dabei jede Menge Balast mit sich herumschleppen. Zu Beginn verspricht das Ganze furchtbar zu werden. Daniel Day Lewis und seine Filmtochter leben praktisch allein auf einer vorgelagerten Insel auf dem Gelände einer ehemaligen Kommune im Osten der USA. Zwei Dylan Songs etablieren mit dem Holzhammer die gewünschte Atmosphäre. Lewis, seine Figur natürlich, lebt nicht im Hier und Jetzt. Er belügt sich selbst und hat, nach einer überstandenen Herzattacke, nicht gerade das was man eine gute Zeit nennt.

Die Kamera ist ganz nah dran an ihren Figuren und spätestens nachdem Lewis´ neue Flamme und deren zwei Söhne mit dem U-Haul Anhänger auftauchen beginnt es spannend zu werden. Rebecca Miller, im übrigen Tochter von Arthur Miller und Ehefrau von Daniel Day Lewis, hat einen Schauspielerfilm gedreht und es ist kein Wunder warum sie auf einen hervorragenden Cast zurückgreifen kann. Es gibt wunderbar geskriptete Dialogszenen im Dutzend, eine erstaunlich intelligent austarierte Betrachtung des Themas und ein sensationelles Debüt von Camille Belle in der Rolle der Tochter zu bestaunen. Das Buch begeht nicht den Fehler die soziologische Dimension des Stoffs in den Mittelpunkt zu rücken, sondern erzählt über die latent inzestuös angelegte Beziehung zwischen Vater und Tochter.

Das geschieht immer mit der gebotenen Widersprüchlichkeit, bezieht immer auch die Nebenfiguren organisch in das Geschehen mit ein. Am Ende, wenn Lewis röchelnd auf dem Totenbett liegt, rückt die Kamera beiläufig Melvilles Moby Dick auf dem Nachttisch ins Bild. Der Größenwahn, die Lebenslüge, das Erbärmliche, schlicht alles was Menschlichkeit ausmacht spricht aus jeder Pore dieses Films, der dennoch zwiespältig bleibt. Seine Schwäche ist die deutlich spürbare Haltung der Regisseurin zu ihrem Sujet. Aus ihrer Sicht ist die letzte Szene vermutlich nur konsequent, wenn Rose, die Tochter, in einem Flash Forward das Vermächtnis ihres Vaters zumindest ideell weiterführt und dabei wie die junge Joan Baez aussieht.


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Das Tempo hat sich noch einmal verschärft. Jetzt gilt es ausschließlich zu sehen, zu schreiben und zu schlafen. Erste Auflösungserscheinungen, deshalb von meiner Seite zwei kurze Texte.

German Cinema: Kebab Connection (Anno Saul; Hamburg 2004)

Ein frühes Drehbuch von Fatih Akin, verfilmt von Anno Saul (Grüne Wüste) unter der Flagge von Wüste Film. Ich wollte sehen wie sich Nora Tschirner schlägt, der ich sehr gerne bei der Arbeit zusehe. Krude Komödie, mit viel Drive und etlichen Lachern. Nervig die Verdichtungen, wenns emotional werden soll. Das passiert mit der Regelmäßigkeit eines Schweizer Uhrwerks und bremst den Film gewaltig ein. Am besten wenn die humorige Seite des Culture-Clash Aspekts ausgespielt wird, Griechen und Türken und Deutsche, ihr wisst Bescheid. Alles in allem Junk Food für zwischendurch, souverän inszeniert, den man sich durchaus reinziehen kann. Von Nora Tschirner hätte ich gerne mehr gesehen, wirkt in dieser Geschichte unterfordert. Raus nach 45 Minuten.


Forum: Jiang Hu (Wong Ching Po; Hong Kong 2004)

Werde vermutlich auf das Unverständnis der Hongkong-Kenner stoßen. Für mich ein unerträglicher Pseudocooler Gangsterstreifen. Man braucht viel Zeit um ungelenk die Prämisse zu erzählen. Triadenboss Hung (Andy Lau) will sich aus dem Geschäft zurückziehen. Alle bekannten Zutaten sind da. Die Männerfreundschaft, die Rachegeschichte, eine Prostituierte. Permantes nervtötendes Cantopop-Gedudel auf der Tonspur, in Posen erstarrte Schauspieler. Raus nach 20 Minuten.


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Herrlich! Ausgeschlafen und voller Vorfreude, durch heftiges Schneetreiben stapfend, Schritt für Schritt die Füße in die knirschende, rutschige, weiße Unterlage treibend, das Gesicht vereist, die Augen zugekniffen, die Zunge hechelnd wie ein zu kurzer Schal aus dem Munde hängend, geriet mir der täglich wiederkehrende 15-minütige Spaziergang zur S-Bahn heute zum Genuß.

Im Kino angekommen kann ich froh sein noch einen Platz zu ergattern. Links und rechts von mir angenehme Menschen, keine Selbstverständlichkeit dieser Tage. Echte Cineasten – genau wie ich. Da gibt es keinen Mucks, kein Geraschel und Geräusper. Später, bei der nächsten Vorführung, werd ich einen Trampler hinter mir zu sitzen haben. Das sind jene Zeitgenossen, die unentwegt mit den Füßen gegen die Lehne des Vordersitzes trampeln und dann ganz verwundert gucken, wenn man sie zurechtweist.

Zurechtweisen ist übrigens in den letzten Tagen zu meiner Lieblingsbeschäftigung geworden. Ich warte regelrecht auf eine Verfehlung, die ich dann umgehend ahnde. Das bleibt nicht unbemerkt. Selbst die Klofrau sieht sich nervös um wenn ich zwischen zwei Vorführungen dahergeprescht komme. Am Abend torkle ich dann ausgehungert in die Potsdamer Arkaden um kurz darauf in der Bahn gen Heimat zu dösen. Da fällt mir eine zerlesene Morgenpost ins Auge. Die Überschrift: „Vorsicht, Cineasten! Beobachtungen am Potsdamer Platz“. Dann: „Sein Kontakt zur Realität ist knapp bemessen. Man muss um ihn Angst haben“. Zustandsbeschreibung, die zweite ist hiermit beendet.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Eine Frau und ein junger Mann lieben sich. Sie haben Sex, immer wieder. Der Mann ist minderjährig, stellt sich heraus, nicht nur in Korea ein Fall für den Richter. Die Medien stürzen sich auf die Geschichte, ein besonders aufdringlicher Journalist hängt sich an ihre Versen und schießt Fotos. Die Frau wird zu 100 Tagen Sozialdienst verdonnert, den sie in der Psychiatrie ableistet. Dennoch können die zwei nicht voneinander lassen. Man taucht in der Folge bei der Schwester der Frau unter, sucht Bumshotels auf, bei denen die Kennzeichen der geparkten Autos dezent verdeckt werden und hat vor allen Dingen ausgedehnten Sex – warum auch nicht.

Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit. In Korea, muss man dazu wissen und weiss ich von einem koreanischen Freund, hat das noch erheblich mehr Zündstoff als im „Liberté toujours“-Europa. Die Rollenverteilung wird nach wie vor strikter gehandhabt auch wenns da natürlich große Unterschiede gibt, je nach Herkunft, kulturellem Background usw. Dennoch gibt die Geschichte nicht allzuviel her. Park Chul-soo konzentriert sich auf den privaten Bereich, interessiert sich für die Anziehungskraft zwischen den Liebenden und tut dabei ganz locker. Soll heißen, es gibt jede Menge Bettszenen, oftmals erfasst die Kamera in der Totalen das Geschehen, bewegungslos, einmal sogar mehrere Minuten lang.

Der grippegeschwächte Park Chul-soo beschwört das Publikum vor der Aufführung, den Film so zu sehen als hätte man Sex mit seiner Freundin, ganz normal, zu Hause. Vielleicht meinte er damit, es sei ihm beim Drehen um eine Form von Authentizität gegangen, ich weiß es nicht. Der Übersetzer war bei den völlig unverfänglichen, für koreanische Ohren jedoch möglicherweise schlüpfrigen Bemerkungen des Erkrankten irritiert und fiel eher durch nervöses Gekicher als verständliche Übersetzung auf.

Mal abgesehen davon wie spannend es sein kann zwei engagierten Schauspielern beim schweißtreibenden Liebesspiel zuzusehen, es wäre ja nun durchaus denkbar, dass der Film auf dem eingeschlagenen Weg poetische Bilder erfindet, zu überraschenden Erkenntnissen kommt oder sonstwas von Belang passiert. Das Gegenteil ist der Fall. Höhepunkt eine „Party“, bei der alle bislang aufgetretenen Figuren noch einmal zusammenfinden und dann wie im Boulevardtheater die unterschiedlichen Aspekte der Thematik durchkauen, mit vorhersehbarem Ausgang. Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass die beiden Hauptdarsteller perfekt modellierte Körper zur Schau tragen?


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Im Mittelpunkt dieses Dokumentarfilms steht die Bilderrolle "Yamanaka Tokiwa", die dem japanischen Künstler Iwasa Matabei (1578-1650) zugeschrieben wird. Sie erzählt die zu Beginn des 17. Jahrhunderts berühmte Marionettentheater-Geschichte von Ushiwaka-maru und seiner Mutter, Lady Tokiwa. Beide sind Mitglieder einer Samurai-Familie. Ushiwaka-maru ist der Kindername von Minomoto Yoshitsune, einer der beliebtesten historischen Persönlichkeiten Japans im 12. Jahrhundert. Lady Tokiwa macht sich auf den Weg, um ihren Sohn zu besuchen, der im Norden Japans lebt, weit weg von ihrer Heimstadt Kyoto. Auf der Reise wird sie in Yamanaka von Banditen überfallen und umgebracht. Lady Tokiwas Geist erscheint dem Sohn, der so von dem tragischen Schicksal seiner Mutter erfährt. Um sie zu rächen, bringt er alle Mitglieder der Bande um. (Quelle: Forum)



Die Damen, die sich um die Pressearbeit des Films kümmern, sind vor dem Press Screening sichtlich aufgeregt zu Werke: Sie beeilen sich, jedem Journalisten, an seinem umhängenden Badge zu erkennen, ob er nun will oder nicht, ein zweiblättriges Info Sheet zu den historischen und kulturellen Hintergründen des Films in die Hand zu drücken, behalten dabei aber maximale Freundlichkeit. Natürlich will man, dass der Film verstanden wird und Aufklärung tut da Not, denn er wirft einen tiefen Blick in die traditionelle japanische Kultur.

Vor allem an der musikalischen Untermalung, den vom klassischen shamisen unterlegten joruri, macht sich das bemerkbar. Westlichen und ungeübten Ohren muss das wie arhytmisches Geklimper anmuten, wie Katzengejaule. Und in der Tat ist die Musik dann auch das erste Hemmnis des Films, auch für den an sich aufgeschlossenen Zuschauer, der festivalbedingt ohnedies zum Kopfschmerz neigt. Bald erste Gedanken, den Saal zu verlassen. Doch dann eben doch Sich-Fügen, Sich-Entspannen. Die Rezeptoren öffnen sich, der Film, samt seiner Musik, kann eintreten. Ist dieser Punkt überwunden, beginnt auch die Musik ihre eigene Rhythmus, ihre eigenen Jamben, eigene Poesie zu entwickeln. Sie passt. Sie passt gut.

Der Film zeigt, nach kurzer Einführung in die Geschichte dieser Rollen und des historischen Hintergrunds, alle 12 Rollen der Geschichte. Die filmt er jedoch nicht nur stur ab, das wäre stupide. Vielmehr simuliert er den Blick des leidenschaftlichen, lustvollen Lesers, wie er sich vor der Rolle einfindet. Oft erst der simulierte Blick auf das Ausrollen eines Panoramabildes. Dann eine Betrachtung im Gesamten. Schließlich die Suche nach Details im Bild, bis hin manchmal zu eine Ebene, wo das Strichhafte fast ein abstraktes Kinobild ergibt. Manchmal, wenn es um Ortsangaben geht, schneidet der Film um auf aktuell gefilmte Bilder des Landes. Dann und wann gibt es auch eine kleine Nachstellung einer Szene. Dabei wird der Film nie sonderlich deutlich. Wenn die zwei Frauen der Spielhandlung durch den Wald gehen, zeigt er zwei Frauen in historischer Tracht, die durch den Wald gehen. Manchmal stört das ein wenig, da man sich lieber die Rolle ansehen möchte. Aber man merkt bald: Das sind noch anfängliche Zugeständnisse an die Sehgewohnheiten des Zuschauers, der behutsam in diese andere Erzählwelt eingeführt werden soll. Im Verlauf werden solche Real-Inserts spürbar weniger, die Handlung wird dramatischer, bleibt nun ganz im Gezeichneten verhaftet.

Es ist erstaunlich, diese Rollen, gewiss wertvollste Artefakte im japanischen Kulturbesitz, im kinematografischen Studium vermittelt zu bekommen. Die Kamera erlaubt eine Nähe, die dem Zuschauer, etwa im Museum, notwendig verwehrt bleiben muss. Das Interessante ist dabei, natürlich, wieder die Ebene der abstrahierenden Reduktion, die im Detail geleistet wird. Ein kleiner Strich, minimal, entscheidet über den emotionalen Ausdruck einer Figur. Muskelstränge sind sanfte Tuschestriche. Wenige Tupfer ergeben einen schönen Strauch. Natürlich, im Comiczeitalter ist das nichts Unbekanntes. Und wir alle haben Comics verstehen gelesen. Wie aber hier, vor 400 Jahren, bereits ein derartiges intuitives Wissen um die psychische Wahrnehmung von Strichen eingearbeitet wurde, wie überhaupt eine Zeichenkultur schon derart weit war, dass sie den Comic, die vielleicht noch immer unterbewertetste komplexe Ausdrucksforum, bereits komplett antizipierte, das also nachzufühlen, in diesem gewiss zunächst schwierigen, dann aber lohnenswerten Film, das ist schon großartig.

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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Die Regisseurin berichtet von den Traumatisierungen Nicaraguas, wie sie nicht erst mit dem Bürgerkrieg begannen und wie sie auch nicht mit dessen Beschluss ein Ende fanden. Als Beispiel dient ihr eine Familie, die das Schicksal besonders gebeutelt hatte: Die Kinder kämpften auf verschiedenen Seiten. Durch die Szenerie fährt immer wieder ein bisweilen mystisch anmutender LKW, dessen Ladung und Ziel unbekannt bleiben. Auf der Heckscheibe steht zu lesen: "El Inmortal". Wie der Sensenmann scheint er durch's Land zu fahren. Unergründlich, schwerfällig, als wäre er kein Teil seiner Umgebung. Er zieht die Neugier auf sich, doch will man eigentlich nicht wissen, was es mit ihm auf sich hat.

Mercedes Moncada Rodriguez versucht nicht, ein sinnbildendes, narrativähnliches Gefüge mit historischer Aussagekraft zu etablieren. Im Gegenteil korrespondiert ihre Inszenierungsart mit den biografischen Zerrissenheiten (und den eigenen, wie sie im Presseinfo anmerkt: Wie sie selbst keinen Sinn in der ganzen Tragödie Nicaraguas sieht). Immer wieder verfremdet sie das Geschehen mit der Kamera, die Soundkulisse wirkt bedrohlich, wie aus einem düsteren Horrorfilm. Und in der Tat irrealisiert sich der ganze Film durch solche Einschübe ungemein. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ein spannender Dokumentarfilm, der sich zudem eindeutigen politischen Lagern auf diese Weise auch versperrt.

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Der Film läuft in der Reihe 14Plus des Kinderfilmfestes.

Zwei Schulmädchen, Hana und Alice, vor morgentrister Kulisse eines japanischen Vorortes. Sie springen umher, bald hierhin, bald dorthin. Es geht zum Zug, erfahren wir. Wohin der fährt? Weiß die eine nicht. Sie fragt nach, hinein, nicht hinein? Erst hinein, drin rumpesen, dann wieder raus. Bei einer Haltestelle aussteigen, zum nächsten Zug hin. Ziellos in den Tag hinein. Am Ende geht’s dann doch zur Schule, aber erst nach vielen Umwegen. Und im Zug sehen sie einen jungen Mann, den beide neckisch finden. Vor ihm steht ein anderer, ein echter Bücherwurm, nicht unattraktiv, sicherlich, aber zunächst nicht im Fokus. Um ihn wird es später dann gehen, in diesem Film von Shunji Iwai, auf den man drei Jahre lang hat warten müssen. Endlich ist er da.

Wie die beiden Mädchen zu Beginn, so ist auch der Film. Stets sprunghaft, ohne rechtes Ziel, mal geht es hierhin, mal dorthin. Wo es was zu entdecken gibt, wird länger hingeschaut, verweilt. Bald rückt anderes ins Blickfeld und dann ist das zuvor Geschehene schon wieder vergessen. Die narrative Linie, der sporadisch, oft nur am Rande, gefolgt wird, ist folgende: Die etwas plumpere Hana verliebt sich insgeheim in den Bücherwurm, Miyamoto. In einem seltsam verschrobenen „Drama Club“ – eine Lokalität, ein Sammelbecken für seltsame Figuren, wie es bei Iwai so häufig anzutreffen ist – versucht sie ihm nahe zu kommen. Als er sich beim büchervergrabenen Nachhauseweg den Kopf stößt und zu Boden geht, sieht sie ihre Chance gekommen: Sie redet ihm eine Amnesie ein und macht ihm zum leisen Vorwurf, dass er sich nicht mehr an seine Liebesschwüre erinnern könne. Aber sie ist natürlich dazu bereit, gemeinsam mit ihm Erinnerungsarbeit zu leisten. Als er bei ihr auf Monate alte Handyfotos seiner Selbst stößt und die Geschichte aufzufliegen droht, lässt sie sich zu einem abenteuerlichen Schwindel hinreißen: Die habe Alice geschossen, damals, als diese noch mit ihm zusammen war. Alice habe sie ihr geschickt, aber dann kam es zum Krach zwischen Alice und Miyamoto und dann war Schluss und jetzt aber ist sie mit ihm zusammen. Alice erhält Anweisungen, sich entsprechend zu verhalten. Sie lässt sich darauf ein, denn auch sie findet insgeheim den schüchternen Jungen ganz süß. Keine gute Basis für weitere Ereignisse ...

Doch dies, wie gesagt, nur ein Faden, der immer mal wieder aufgegriffen wird und eigentlich kaum recht ins Zentrum des Filmes rückt. Wichtiger sind die Einschübe, die den Alltag der beiden Mädchen - mal gemeinsam, mal jede für sich – zeigen. Die Ballettschule, in die beide gehen, wird beleuchtet. Wir lernen Figuren daraus kennen, jede für sich ein Unikat (wie bei Iwai ja immer alle Menschen alles andere als gewöhnlich sind, selbst noch in ihrer Gewöhnlichkeit). Beider Elternhäuser werden vorgestellt, oft nur durch bildhafte Eindrücke, kleine Gesten zwischen Eltern und Tochter. Alles wird angeschnitten, nichts voll ausformuliert, aber, und darin liegt die Kunst, jeder Detail bleibt als Reminiszenz doch detailreich und erdet den mäanderförmigen Verlauf des roten Fadens in ein großes Gefüge, in dem, und das ist das Schöne, alles für sich betrachtet und in seiner leisen Poesie genossen oder alles als Teil eines großen Ganzen betrachtet werden kann. Dem ähnlich sympathischen Forumsbeitrag Sekai no Owari nicht wesensfremd, liegt die Stärke von Hana & Alice im großen Angebot, sich in einem Film zu verlieren, ohne dass jedes Detail einen gleich mit Sinn und Bedeutung für das Ganze erschlage. Der Verlauf, das Beiläufige ist das Schöne, an diesem wie jenem Film. Und wenn man sich daran gewöhnt hat, wenn man beide Mädchen, so unterschiedlich sie auch sind, irgendwann als gute Bekannte, an deren Leben man auszugsweise teilhat, angenommen hat, dann entwickelt Hana & Alice eine ganz eigene Faszinationskraft eines gemächlichen Zuschauens, wie sich Menschen da in emotional fordernden Situationen verhalten, ohne dass gleich die Gesetze der Dramaturgie oder der Parabel in den Raum gestellt würden.



Maßgeblich trägt dazu natürlich Shunji Iwais Gespür fürs Bild bei. Und das Beiläufige, das sich ins Detail verlierende der Handlung, findet hier Wiederklang. Gewiss ist da eine eigene, kleine Poesie im Kader versteckt. Aber nichts schwingt sich zu einer überwältigenden Poetik auf. Jede Verschrobenheit – in einer emotional besonders packenden Szene in einem Klassenzimmer etwa, am Rande eines Schulkulturfestes situiert, schaut, wie zur Konterkarierung des Gesprächs, ein aufgeblasener Astroboy durchs Fenster rein; von ganz eigenem Reiz, ohne bloß Schrulligkeit beizupfeffern, ist ein seltsames Zwillingspärchen mit blonden Haaren am Rande eines Castings, an dem die bezaubernde Alice teilnimmt -, jedes kleinste Element der Gestaltung – ein Aufblitzen eines Lichtstrahls etwa, bedingt durch einen kurz zur Seite geneigten Kopf – könnte zufällig hier platziert oder Teil eines ästhetischen Konzepts sein. Man darf sich entscheiden und ganz nach Lust und Laune Gefallen daran finden. Ästhetisch unverkennbar Shunji Iwai sind dabei die Bilder und ihr Licht selbst: Immer kommt da ein Schimmer von oben, der die ansonsten eher natürlich gehaltenen Bilder nur eine Nuance irrealisiert, sie ein wenig traumhaft erscheinen lässt, dabei aber nie in sämige Traumsoße kippt. Eine Sachtheit, die sich in jedem Aspekt des Films widerspiegelt.



Das Ende ist natürlich ganz anders als Beginn und Verlauf des Films in Erwartung stellten. Aber es ist auch anders, als man es von einem „anderen Ende“ erwarten würde. Eine Nebensächlichkeit rückt ins Zentrum, Jubel, der Film ist aus. Den roten Faden von der Liebesgeschichte hat man schon lange verloren, wenn man ihn denn überhaupt an irgendeiner Stelle motiviert aufgegriffen hätte. Darum ging es schlicht nicht, sondern allenfalls unter anderem. Wichtig ist Shunji Iwai das Gefühl für einen schönen Kippmoment in der Adoleszenz: Schon sehr erwachsen, aber noch immer jugendlich genug, um sich für eine kleine Weile noch zurückziehen zu können. Das Gespür, mit der Shunji Iwai dies ins Bild setzt, ist, wie stets, fast unbeschreiblich. Am Ende ist alles so, als wäre das nur einer von vielen, scheinbar endlos verfügbaren Sommern gewesen, in denen viel passiert ist, manche Träne auch geflossen, aber am Ende war alles nur Episode reinster Gegenwärtigkeit und gewiss nicht Teil einer biografischen Historizität. Die kommt erst später und ist Shunji Iwais Sache nicht. Zum Glück.

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Schöne Screenshots in den Kommentaren.


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- EMS haben sich die Rechte des für morgen angesetzten Wettbewerbsbeitrags The Hidden Blade gesichert. Damit ist eine Kinoauswertung durch den firmeneigenen Verleih 3L (u.a. Oldboy) wohl so gut wie sicher.

- Ein wahres Knallbonbon haben Kinowelt sich geleistet: Noch in letzter Sekunde hat man den bereits seit langem angekündigten Oscarkandidaten The Million Dollar Baby von und mit Clint Eastwood unter den Nagel gerissen. Wie sich herausstellte, hatte Warner, der "bisherige" Verleih, die deutschen Rechte eigentlich gar nicht sicher. Irgendwas mit Vertragsklausel und nicht unterschrieben. Warner reagiert heute prompt mit einer lakonischen Pressemail: "Die angesetzten Pressevorführungen finden nicht statt." Der Starttermin, Anfang März, soll aber gewahrt bleiben. Ironie des Schicksals: Als Kinowelt seinerzeit Pleite ging und sein Herr-der-Ringe-Paket nicht zahlen konnte, schnappte Warner für den deutschen Markt zu.


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Dienstag, 15. Februar 2005
Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Die Prämisse des Films: Der angehende Dokumentarfilmer Tobias Hansen (Florian Lukas) lebt seit einem Jahr mit seiner Freundin Evelyn (Heike Makatsch) gemeinsam in einer Berliner Wohnung. Kurz vor dem Herzug hatte man noch Tobias’ Bruder Markus (Jürgen Vogel), Sänger der Indiepopband Hansen, in Hamburg besucht. Seitdem schwelt in Tobias der Verdacht, dass zwischen Bruder und Freundin mehr als bloß unverbindliche Freundlichkeiten ausgetauscht worden waren. Als er von einer anstehenden Deutschlandtour seines Bruders Band Wind bekommt, entschließt er sich spontan dazu, einen Dokumentarfilm über die Band im Allgemeinen, den Bruder im Besonderen zu drehen. Evelyn packt er gleich mit in den Tourbus, erhofft er sich derart doch, seine Ungewissheiten zu zerstreuen. Das Ergebnis, der vorliegende (gefakete) Dokumentarfilm, ist dann, wie Tobias seinen Prolog aus dem Off beschließt, „ein Film über uns drei“. Spricht’s also monoton, aber auch schon ein bisschen nervend, und man ahnt schon, dass hier fürchterliches deutsches Kino für hippe Twens, die sich gerade in der gemeinsamen Butze eingenestet haben, inszeniert werden soll. Mit etwas Gimmick (Mockumentary), etwas Wiedererkennungswert (Beziehungsproblemchen wälzen) und etwas abgeschmackte Popkultur (Deutschpopband mit Schlagertext, gemeinsam durch die kleinen Clubs dieser Republik, die das anvisierte Publikum vielleicht sogar aus eigenem Erleben kennt).



Man wird recht behalten dürfen. Keine Lieder über Liebe ist, vor allem auch angesichts der Möglichkeiten, erschreckend orientierungslos und entscheidet sich unter Garantie an jeder Weichenstelle für die falsche Richtung. Die Form beispielsweise, die Mockumentary, ansonsten Labor für allerlei filmische Experimente, Überlegungen über Film und seine ästhetischen Strategien, verkommt hier zur bloßen Behauptung von Konzept und Kunst, ohne dass sie an einer Stelle gewinnbringend eingesetzt würde. Sie dient, ganz salopp, allenfalls als künstlerische Legitimation, um brackiges Beziehungsgeschwurbel, über dessen infantilen Verlauf man sich als moderner Mensch nur wundern kann (wenn man nicht einfach nur aggressiv ob soviel dummsinnigen, nicht enden wollenden und vor allem redundanten Geplappers wird), einmal mehr ins Bild zu setzen. Dabei ist die Form noch nicht einmal konsequent: Mehr als nur einmal fragt man sich, wie es denn sein könne, dass vor laufender Kamera intime Gespräche geführt werden, für die sich sogar von anderen abgesetzt wird. Dann immer mal wieder im Gespräch der Beteiligten die Referenz auf Ereignisse jenseits und zwischen der Sequenzen. Natürlich, denn wir sehen ja nur ein kleines Stück des Tourlebens. Doch was mit Inspiration ein Spiel mit den Wahrscheinlichkeiten ergeben hätte, verläuft hier zur bloßen Macke: Es gibt, rein narrativ gesehen, kein Ungefilmtes zwischen den Sequenzen. Der Film folgt noch bis in die Inserts von sinnbegründenden Großaufnahmen üblicher Dramaturgie und üblichen Geboten narrativer Kontingenz.

Wenn der Film aus seinen ohne Zweifel an sich reizvollen formalen Prämissen schon kein Kapital schlagen kann, versäumt er gleiches erst recht noch auf inhaltlicher Ebene. Natürlich hat Markus seinerzeit mit Evelyn geschlafen. Natürlich hat Tobias zu Beginn der Tour, als Evelyn noch nicht dabei war, mit einem Mädchen vom Konzert geschlafen. Grund für zwei, drei Abende Trübsal vielleicht, mittel- und langfristig gesehen Lappalien, die im Leben - wie man, bestreitet man dasselbe nun nicht vollkommen naiv, durchaus wissen kann - nun mal vorkommen können. Keine Lieder über Liebe aber dient’s zum Anlass, sich in endlose Dialoge zu verlieren, in denen mit Digitalkamera endlos auf schweigende Gesichter gehalten wird, als sei dies schon Kunst oder gar Aussage, dabei bleibt es, letzten Endes, banal. Über das Schweigen vor allem Tobias’ – ein typisches, verlustängstliches Schweigen infantiler Männer – wird indes nichts ausgesagt. Nichts jedenfalls, was man nicht schon wüsste: Dass es so was nämlich gibt, wenn Beziehungen zu Ende gehen, unter ungünstigsten Bedingungen. Die Binsenweisheit, für die dann soviel Aufsehens gemacht wurde – die Band Hansen wurde, aus Mitgliedern der Bands Kettcar und Tomte, in echt konstruiert, auch die Tour wurde durchgeführt, der Film entstand weitgehend durch Improvisationen und spontane Entwicklungsideen seiner Darsteller zusammen mit dem Regisseur -, lautet schließlich (und sie wird in Prolog und Epilog holzhammerartig in den Raum gestellt): Wer kennt schon welche, die sich wirklich kennen? Küchenphilosophie für gestrandete Callcenteragents, die gerne mal deutschen Pop mit sinnschwangeren Texten hören.

Überhaupt der deutsche Pop und sein Text. Im Film kehrt ein Song immer wieder, sein zunächst sehr abstrakter Text – eine n-te Kopie dessen, was die Hamburger Schule in der Vergangenheit, vor 10 Jahren, ja wirklich vielleicht mal hörenswert gemacht hatte, heute ist das die Domäne für Virginia Jetzt! und andere Affen, die’s nicht besser wissen – wird auffällig in den Vordergrund gerückt. So ein bisschen handelt er von Sehnsucht und Abschied und wehmütigem Blick zurück. An einer Stelle liest Tobias zwei Mädchen von einem Konzert eine Stelle des Textes vor und fragt die, was die so davon halten. Exegese ins Blaue hinein, nach anfänglichem Amüsement. Der Text ist ja auch, zugegeben, ziemlich beknackt. Keine Lieder über Liebe gefällt sich nun, diesen Text mit Sinn zu füllen, sich selbst zu diesem Lied in Bezug zu setzen. Wenn das Lied am Ende dann wieder von der Bühne geträllert wird, machen alle Betroffenen ein betroffenes Gesicht. Viel ist verloren gegangen, man ist älter geworden, zwischen Berlin und Hamburg, im Spätsommer 2004. Älter ist man während der Vorführung des Films auch geworden. Weiser kein Stück.

festival info


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Wer auch immer mal meinte, der Mensch sei ein zoon politikon, ein Gemeinschaftswesen, irrte. Als Beweis ließe sich die ungeheure Menschenansammlung, die sich zur Berlinale einfindet, anführen. Keine Niedertracht, keine menschliche Verfehlung, die hier nicht primären Ausdruck fände. Sei es der Journalist, der einen, "sorry sorry sorry" schreiend, fast seitwärts von der Treppe stößt (vorgestern) oder der spackige BWL-Student (so rein vom Typ her), der gestern abend bei der Eisdiele (ja, ich habe schon wieder gesündigt...) auf die Frage des Eisverkäufers "Welche Sorte?" blöde feixend mit "Was gibt's denn?" antwortete, um sich danach heischend zu seiner Uschi umzudrehen, die sich ob des "Witzes" nicht mehr einzukriegen schien. Herr, schmeiß Humor vom Himmel!

Dazu muss man wissen, dass die Eisdiele zu dieser Jahreszeit naturgemäß katastrophal überlaufen ist, dass die Mitarbeiter gestresst wie die Fließbandarbeiter sind und dass das Angebot jedem zur Ansicht mehr als deutlich "ausliegt" und man die Zeit vor dem Gang zum Counter ohne weiteres damit verbringen kann, sich zu informieren, welches Eis die Gelüste gerade am perfektesten befriedigen könnte. Natürlich hat dieser ganz besondere Depp das auch gemacht, klar. Aber weil man lieber billige schwarze Lederschuhe trägt, die verzweifelt "Geschmack" suggerieren sollen, und also über einen zweifelhaften Humor verfügt, vor allem aber in bester Herrenmenschentradition kein Stück Einfühlungsvermögen aufweist, kommt man mit so einem dämlichen Spruch aus der untersten Schublade dahergespaßt.

Der italienische Eisverkäufer verdreht genervt die Augen, sagt aber nichts. Das ist bemerkens- und bewundernswert. Ich an seiner Stelle hätte mich wohl strafbar gemacht.

(man sieht vielleicht: nach ein paar Tagen liegen die Nerven schon etwas blanker als sonst. Alles weitere siehe Thomas Reuthebuchs Zustandsbeschreibung ein paar Einträge weiter unten)


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Geschwaderführer Veer Pratap Singh ist Rettungsflieger bei der indischen Luftwaffe. Eines Tages begegnet er der in Not geratenen Zaara, einer unbekümmerten, jungen Frau aus Pakistan, die nach Indien gekommen ist, um den letzten Wunsch ihrer verstorbenen Leihmutter zu erfüllen. Nach einem Busunfall ist sie jedoch völlig hilflos in dem fremden Land. Veer rettet ihr das Leben und verändert dadurch das seine. 22 Jahre später begegnet die pakistanische Rechtsanwältin Saamiya Siddiqui dem gealterten Veer Pratap Singh, der die letzten beiden Jahrzehnte in einem pakistanischen Gefängnis verbracht hat. Saamiyas sieht ihre Aufgabe darin, die Wahrheit über Veer herauszufinden. (Quelle: Forum)

Noch bis ins Detail, in die sachteste Kamerabewegung hinein perfekt inszeniertes Bollywoodkino. Ob es die Lachfalten der bezaubernden Hauptdarstellerin beim Tanz sind, ihr Augenzwinkern, die ausholende Geste beim romantischen Gesang, die bonbonfarbenen Sets (manche, nicht alle) und natürlich nicht zuletzt ob es das verschachtelte Melodram mit seinen Wendungen und Charakterentwicklung ist: Alles sitzt perfekt aneinandergeschmiegt, keine Brüche, nichts, was auch nur ansatzweise ungelenk wäre.



Dennoch ist dieses Bollywood-Menü von all jenen, die ich bislang gesehen habe (zugegeben: mehr als eine kleine Auswahl ist es nicht!), jenes, welches mich am wenigsten gepackt hat. Wobei ich noch nicht einmal genau sagen könnte, woran es liegt (es mag auch, das will ich gar nicht verschweigen, an der Festivalumgebung liegen, die einem die Rezeptoren auch gerne mal ein wenig verkleistert). Sicher sind da immer wieder herzergreifende Momente voller Charme und zuckerklebriger Emotion (was, in diesem Zusammenhang, keineswegs zum Nachteil gereicht) und immer wieder ist da die Lust am Zuschauen von Bewegung und mit offenkundig Herzblut inszenierter Vignetten. Dennoch: Die Tränen, die mir allein der prologhafte Song gleich zu Beginn in die Augen schießen ließ, blieben die einzigen während der Sichtung.

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Montag, 14. Februar 2005
Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films

Nach „13 Lakes“ am nächsten Morgen „Ten Skies“. Von der Nacht gezeichnet bin ich einen Moment unsicher, ob ich nicht doch lieber eine andere Vorführung wählen soll. Die Befürchtung ist klar. Was soll nach dem gestrigen Erlebnis noch Neues hinzukommen. Ich hätte mich kaum gründlicher täuschen können.

Die Anordnung ist die selbe. Die Kamera blickt jeweils 10 Minuten in den Himmel, diesmal - unterbrochen von Schwarzblenden, die gerade lang genug sind um die Augen neu zu kallibrieren, ein bißchen, wie wenn man sich bei einer Weinprobe zwischendurch den Mund mit Wasser ausspült. Allerdings, diesmal kommt der Kadrierung keine Bedeutung zu, diesmal ist das Bild in ständiger Bewegung und diesmal bleibt der Raum ein zweidimensionaler.

Was bei „13 Lakes“ eine beinahe bewußtsseinserweiternde Erfahrung war, wird hier zur philosophischen Betrachtung. Jedes Bild ist gleichzeitig Auflösung und Neubeginn, jeder Moment einzigartig und unwiderbringlich verloren. Wolkenformationen oder durchziehende Nebelschwaden werden mit zunehmender Zeit in der subjektiven Betrachtung zu einem abstrakten Gemälde, dass sich ständig neu erschafft und jegliche Deutungsversuche obsolet macht.

Die Bilder sind was sie sind, nicht mehr und nicht weniger. Es stellt sich erstaunlicherweise eine direkte Verbindung zu ganz unterschiedlichen emotionalen Erfahrungen ein. So erlebt man euphorische Momente um kurz darauf eine tiefe innere Ruhe zu empfinden. „Ten Skies“ ist der aufregendste Film, den ich seit langem gesehen habe.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films

Der Titel könnte den Inhalt des Films nicht treffender bezeichnen. James Benning, dessen Filme in der derzeitigen Kinolandschaft einzigartig sind, hat sich dieses Mal 13 Seelandschaften vorgenommen. Wie bereits in seinen früheren Filmen sind die statischen, jeweils um die 10 Minuten langen Einstellungen, von einer mehrere Sekunden andauernden Schwarzblende unterteilt. So kommt der gut 130 minütige Film zustande.

Formal strenger kann man ein Filmprojekt kaum angehen. Bei „13 Lakes“ kommt der Kadrierung entscheidende Bedeutung zu. Nur einmal sieht man am unteren Bildrand das Ufer, ansonsten blickt die Kamera über das Wasser in den Raum, der sich am Horizont noch einmal aufteilt. Im Hintergrund sind dann je nachdem Gebirgszüge, Gesteinsformationen, eine Autobrücke, eine Hafenanlage oder schlicht der Himmel zu sehen. Alles beschreiben hilft jedoch wenig, wenn es darum geht die Faszination der Bilder in Worte zu fassen.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich die übliche Unruhe gelegt hat. Während ein Teil des Publikums sich offensichtlich in die Projektion verlaufen hat und konsequenterweise das Kino wieder verläßt, gibt es direkt hinter mir ein paar Arschlöcher, die mir durch nervöses Gekicher, permanentes Geflüster oder nervtötendes Rascheln die notwendige Konzentration unmöglich machen.

Dann ist es endlich still. Nur das Brummen der Nagra und das plätschern des Wassers dringt zu uns. An die hundert Menschen sitzen in einem Raum und starren auf eine Wand, auf der eine zweidimensionale Projektion sichtbar ist. Irgendwann geschieht das Unfassbare. Der Raum öffnet sich, die Leinwand ist verschwunden und der Blick verliert sich in den Bildern. Magisch!


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Für jeden halbwegs an Musik interessierten Menschen gibt es Bands, die man zumindest einmal in seinem Leben gesehen haben will. Ich hatte ziemlich viel Glück was das anbelangt und dennoch werde ich es vermutlich nie verschmerzen, Hüsker Dü nie gesehen zu haben oder Anfang der 90er, als ich gerade nach Berlin kam, Velvet Underground verpennt zu haben. Daniel Johnston gehört nicht dazu, obwohl sich seine Songs bei mir tief eingegraben haben. Das hat nichts mit dem Musiker zu tun sondern mit dem unguten Gefühl, das mich beschleicht, wenn ich Aufnahmen von seinen Auftritten sehe.

Daniel Johnston ist manisch depressiv und vermutlich schizophren, was immer das heißen mag – keiner was das schließlich genau. Ausdruck seiner Krankheit ist sein obsessives Bedürfnis nach Anerkennung als Künstler. Wenn er Mitte der 80er Jahre zum ersten Mal bei MTV auftaucht, hat sich für ihn ein Lebensziel erfüllt. Der Film zeigt das ganz deutlich, wie überhaupt viel gezeigt wird. Johnston hat unentwegt mit der Filmkamera hantiert, seine Ängste und Wahnvorstellungen in den Taperekorder gesprochen.

Wenn Johnston nach einem Zusammenbruch von Sonic Youth Drummer Steve Shelley nach New York gelotst wird, ist eine Kamera dabei; wenn die Bandmitglieder den plötzlich verschwundenen, stark suizidgefährdeten Johnston auf der anderen Seite des Hudson Rivers, im schäbigen New Jerey aufgabeln – auch dann fuchtelt irgendwer mit einer Videokamera herum. Nicht nur dass es mir vollkommen schleierhaft ist, wie man in einer solchen Situation ans dokumentieren denken kann, werfe ich den Filmemachern vor, dass sie sich dieses Materials auf eine Art und Weise bedienen, die die Mechanismen des kommerziellen Musikbetriebs verlängern.

Insofern ist der Film auch eine Betrachtung über eben diese Mechanismen, die scheinbar vor nichts und niemandem Halt machen. Das Unangenehme und auch Verstörende daran ist die Tatsache, dass der Eindruck entsteht, genau das sei für Johnston Lebenselexir und Daseinsberechtigung – ein Nullsummenspiel wechselseitiger Ausbeutung. Nur konsequent dass alle beteuern wie positiv sich Johnstons Karriere entwickelt hat, sogar bis nach Europa, wo man ihn in Stockholm beim gemeinsamen Singsang mit dem Publikum zeigt.

Jeder der in seinem Bekanntenkreis mit dieser Krankheit konfrontiert wurde weiss aber ganz genau, dass das alles nichts bedeutet. Wenn Johnstons Galerist in Los Angeles stolz verkündet, dass praktisch alle Gemälde noch vor der Vernissage einen Abnehmer gefunden haben, ein alter Weggefährte pausenlos die frühen Tapes überspielt, beklebt und vertreibt um Johnstons Werk vor der Auslöschung zu bewahren – wenn man Curt Cobain sieht, mit Daniel Johnston T-shirt und immer wieder Talking Heads von Musikjournalisten, die das geniale Talent wie in einem Mantra beteuern, dann wird die direkte Verbindung des Films zu seinem Sujet überdeutlich. „The Devil and Daniel Johnston“ ist an dem Mythos interessiert, nicht an dem Menschen.


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Der Film läuft in der Sektion German Cinema

Zunächst, im Vorspann, Lichtpunkte, die sich verdichten zu einem Tableau, dann einem Negativprint, nachkoloriert und schließlich das wahre Leben. So beginnt „Sommer Hunde Söhne“ und man ist gespannt.

Stipe Erceg, der sich, wies scheint, nicht über mangelnde Engagements zu grämen braucht, spielt einen windigen Typen mit Schnurrbärtchen und unausgeglichenem Naturell. Er blafft ins Telefon, glaubt jemanden getötet zu haben, schwingt sich aufs Motorrad und rast durch die Stadt, erstmal weg. Fabian Busch sitzt in Papas Wohnmobil, während Mama und Onkel in der Ikea einkaufen. Er ist Hypochonder, Süßigkeitsfetischist und Mausgrau. Typecasting in Reinkultur, das ist gar nicht böse gemeint. Ich seh die beiden eh ganz gerne. Kurz darauf rumpelts und das Motorrad des Windbeutels ist im Arsch, unsere beiden Helden haben sich getroffen.

Jetzt gehts los. Mit dem Hymermobil über die Autobahn nach Frankreich in eine Kneipe, zum Saufen – Identitätsstiftend. Windbeutel fickt im Wohnmobil während Maus im Regen fern der Heimat besoffen pennt. Derangierte Luxuxmietze gabelt Maus auf, später trifft Maus wieder auf Windbeutel. Dann gehts weiter, jetzt zu dritt.

Über die Autobahn nach Spanien, Benidorm. Man stolpert herum, irgendwann landet man neben der Abfalldeponie. Anklänge an Kusturica, eine Kapelle ohne Instrumente läuft durchs Bild, passende Mukke gibts dafür im Off. Der kuriose Pauli taucht auf, ein Abfallsammler. Jetzt ist man schon zu viert. Man erfährt: Papa von Maus ist tot, hatte Faible für Wüste. Windbeutel versteht das, findet Oasen aber geiler. Ein Traum ist geboren. 50 Minuten von 96 sind bislang verstrichen.

Regisseur/Autor Cyril Tuschi hat in seinem Spielfilmdebüt ein märchenhaftes, urkomisches, bisweilen groteskes Road Movie geschaffen, über eine seltsame Freundschaft und über kleine Veränderungen – der Temperatur und des Geistes, lese ich beim Rausgehen im Pressewaschzettel.


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Der Film läuft im Wettbewerb

Was waren das noch Zeiten, als Téchiné hintereinander „J´embrasse pas“, „Ma saison preferée“ und „Les roseaux sauvages“ inszenierte, seine Bilder vor Leidenschaft vibrierten, für seine Figuren, zumeist Außenseiter aus der Provinz oder Heranwachsende in Identitätskrisen. Nichts von alledem ist spürbar in seinem neuesten Film, „Les temps qui changent“.

Es ist geradezu erschreckend, wie wenig Téchiné mit seinen Schauspielern anzufangen weiß, wie blutleer selbst die Szenen zwischen Catherine Deneuve und Gérard Depardieu wirken, den beiden Hauptdarstellern, die ein Liebespaar zu spielen haben, das nach langer Zeit wieder zueinander findet. Zwischendrin eine halbherzig erzählte Liebesgeschichte zwischen Deneuves Sohn und einem Maghrebiner. Als wolle sich Téchiné zwanghaft an seine Wurzeln erinnern, waren doch eben diese Konstellationen immer die Stärke seiner Filme - die Unentschlosseneit seiner Figuren, das Erwachen von Leidenschaft. Eingebettet das Ganze in einen zaghaft angerissenen „Culture-Clash“. Es hätte nicht viel gefehlt, denkt man, und die Autoren hätten auch noch eine von Islamisten gezündete Bombe explodieren lassen.

Ich weiß nicht wovon ich mehr enttäuscht bin. Von dem Desinteresse an den Figuren oder von den inszenatorischen Einfällen, etwa wenn sich wiederholt ein tollwütiger Hund kläffend ins Bild drängt. Später, nachdem der Köter endlich zuschnappt, versichert man sich der Harmlosigkeit des Angriffs. Es ist ein Hin und Her, ein Vor und Zurück, in dessen Folge jegliche Konsequenz begraben wird, wie der arme Gérard Depardieu, der in seinem schönen Anzug durch den Matsch stapft und von einer Erosion verschüttet geht.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama

Sicher einer der spannendsten Filmemacher aus Hongkong ist Fruit Chan, der 1997 mit seinem selbstproduzierten Low-Budget Streifen „Made in Hong-Kong“ auf Anhieb den Zugang in die Welt der internationalen Filmfestivals geschafft hat und dem der Ruf des kompromisslosen Autorenfilmers vorauseilt; nebenbei bemerkt, denn so wichtig ist das nun auch nicht. Interessanter schon, dass man beim Betrachten von „Dumplings“, der übrigens weltweit als Horrorfilm vermarktet wird, überrascht ist, immer wieder und auf unterschiedliche Weise.

Die Geschichte ist geschmacklos. Eine schöne, zumindest nicht unansehnliche, reiche Frau (Box-Office Queen Miriam Yeung mit Spießerlady-Hairdo) kann sich mit dem Prozess des Alterns nicht abfinden. Sie sucht eine ehemalige Gynäkologin auf (Bai Ling), die sich mittlerweile aufs Schamanentum verlegt hat und die ewige Jugend verspricht. Ihr Geheimrezept: das Verspeisen abgetriebener Föten. Das ist, staubtrocken formuliert, der Plot von „Dumplings“ und ähnlich trocken ist Fruit Chans Humor, der in den Schnittbildern, scheinbar beilläufig, das zuvor gesehene kurz und knapp kommentiert. Da wird eine Hirschattrappe von einem Wasserstrahl umgenietet – man fragt sich ob Chan neben das Skript grinsend „Schluß mit Röhren“ gekritzelt hat – oder es wird ein andermal ein Gartenschlauch ins Bild gerückt, der sich, orgiastisch enthemmt, wild blubbernd aus einer Badewanne windet - oder wars ein Swimmingpool? Paßt das mit der angeschlagenen Thematik zusammen? Erstaunlich gut! Und warum auch nicht.

Wie lächerlich ist es wohl sich selbst beim Schauspielern zu beobachten, über einen 16:9 Plasmafernseher aus einer mit Blumenblüten übersähten Badewanne heraus, und dabei die verblichene Schönheit zu begrämen? Wenn man dazu ganz genau weiß, dass man vom Ehemann (ein blondierter Tony Leung Ka Fai) schon lange zur Edelhure degradiert wurde, nicht etwa für gewährte sexuelle Gefälligkeiten, sondern vielmehr um den Schein zu waren? Es geht natürlich nicht um Liebe, sondern um verletzte Eitelkeit; um raubtierhafte Gier, nicht um Nähe. Der Film macht diese wenig sympathische Figur zum Herzstück einer zuweilen erheiternden, im Kern aber deprimierenden Dreierkonstellation.

Deprimierend, weil man die Ausweglosigkeit der Figuren spürt: Menschen sind eben so. Da wird gefressen, betrogen und verzehrt und am Ende siegt der Stärkere. Hier verbirft sich denn auch der wahre Horror des Films. Hilflos muss man zusehen, wie die Kamera das Drehbuch wörtlich nimmt und eine Abtreibung im Schmuddelbad inszeniert während sich wenig später die Entbundene blutend über den Gehweg schleppt. Am Ende ist Fruit Chan bei der Groteske angelangt. Wenn alles nichts hilft, gesagt werden muss es doch.


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Der vierte Tag und die Stimmung ist gekippt. Gestern noch euphorisch bis in die späte Nacht im Kino gesessen und das Festivaltreiben genossen, geht mir heute alles auf die Nerven. Der Handyterror und die Hetzerei, die Aufgeregtheit und das Funkeln in den Augen der Mädchen, die eine Einladung zu einer Party oder einer Premiere ergattert haben. Ich möchte am liebsten mein Handy in die Mülltonne kloppen, schreite bewußt langsam die Wege zwischen den Kinosälen und den Futtertrögen ab, nur um einen Kontrapunkt zu setzen. Wenn im Pulk, der sich tröge über die Treppen im Cinemax schiebt jemand den permanenten Stress beklagt, blaffe ich zurück, dass man sich den selbigen ja nicht zu machen braucht; als ob ich nicht ganz genau wüsste, dass man sich das nicht immer aussuchen kann. Ich war auf meinem ersten Empfang, auf der ersten Filmparty, habe frühmorgens mit wenigen anderen Abwegiges gesehen und mich ins Gedränge des Berlinale Palastes begeben, wurde angehustet, angerotzt und diffamiert. Ich habe bis in die frühen Morgenstunden mit Gleichgesinnten gesoffen, mit jedem Bier vehementer den bedauerlichen Zustand des deutschen Films beklagend – ein alljährlich wiederkehrendes Ritual. Ab jetzt wird sich alles wiederholen, bis das Festival vorbei ist oder man entkräftet aufgibt. Es ist ein bisschen affig über all das zu schreiben. Zustandsbeschreibung, die erste ist hiermit beendet. Weitere werden angedroht.


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Thema: Kinokultur


A.O. Scott in New York Times zur Wiederaufführung des Godard-Klassikers in New York.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Entweder ist das vollends größenwahnsinnig, verrückt und gerade deshalb auch sehr großartig, vor allem aber von geradewegs erfrischender Inspiriertheit. Oder es ist einfach nur schräg hingezimmert. Ich bin der Meinung, ersteres hat Gültigkeit. Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber schon alleine das macht diesen Film wichtig und es ist gut, dass er auf dem Festival einen Platz gefunden hat. Von nicht wenigen Wettbewerbsfilmen wäre das genaue Gegenteil zu behaupten.



Es sind zwei Männer, die durch diesen Film fahren. Sie sind auf dem Weg zu einem dritten, zu Klopfi, dem Regisseur selbst. Der ist auch im Film Regisseur und vermutlich sogar er selbst, denn in seinem letzten Film, Das Schweigen der Männer, spielten die beiden Männer mit - dies- wie jenseits des Films. Und nun wollen sie wieder hin zu ihm, weil der eine, Max, einen Vorschlag zu machen hat: Er will ein Sequel hininszeniert bekommen, eine große Kolportage, mit Sex'n'Crime natürlich, ein Film ganz für das Publikum, das weltweite natürlich, weil den ganzen verschrobenen Kunstmist, finanziert aus öffentlichen Mitteln der Schweiz, den will doch keiner sehen. Ein Afrikafilm soll es werden, eine Jagd über den Kontinent, mit Al-Quaida und der CIA und jungen, schönen Frauen. Klopfi aber lebt in einer Ruine, ganz verschrobener Künstler, sinniert über sich, den Film, die Kunst, die Welt. Doch bis es dazu kommt, delirieren die beiden Männer durch einen Erotikfilm mit Splatterende, ein intellektuelles Klosterdrama, das sich als Klopfis letztgeplantes Filmprojekt zu erkennen gibt, und wenn sie dann endlich bei ihm sind, ist er nicht begeistert von der Idee und er dreht mit ihnen im Wald einen Franziskaner-Mönchsfilm, doch es ist eine Falle, er haut ab, die beiden allein, verirrt, Hunger, sie finden seine Kamera, Klopfi ist tot, der Wolf hat ihn gefressen - Blair Witch Project in Norditalien. Dann ist der Film aus, ein Standbild zeigt die beiden, in Mönchsgewand, in der Weite einer verlassenen Landschaft.

Das ist witzig und genial. Mal ist es hanebüchen und prätentiös. Dann eröffnet sich wieder manche Überlegung zum Verhältnis des öffentlich finanzierten Films, des billigen Genrekinos, ja überhaupt zum State-of-the-Art des Films und des Kunstfilms, der sich als Kunst im trivialsten Medium (wie es ihm Film an einer Stelle bezeichnet wird) bewegt und schnell somit auch verschütt geht (wo, etwa, kann man schon einen Klopfensteinfilm sehen, obwohl der Mann bislang nicht gerade unproduktiv war!). Ästhetisch handelt es sich dabei am ehesten noch um eine Art fiktiven Dokumentarfilm, was verwirrend ist, wenn die beiden Protagonisten ganz offensichtlich die Welt des Authentischen verlassen und durch Genrewelten laufen, dabei aber selten ein ästhetischer Bruch vonstatten gegangen wäre.

Dazu dann die Musik, die fast stets präsent ist, mal trashig, mal Camp, mal atmosphärisch dicht und passend. Sie erinnert an Videohorrorfilme aus den 80ern und ähnliches Gemurkse. Überhaupt wäre zu untersuchen, wie auf der Tonspur sich unter Umständen eine zweite Erzählung entfaltet.

Eine Reflektion also über Film, Kino, Kunst, Mainstream, Trivialitäten. Wie das alles immer mehr durcheinander wischt, ganz ohne schwerfälligen Gestus der Grüblerei entwickelt, vielmehr in seiner Leichtigkeit geradezu brillant und darüberhinaus aufs Frechste humorvoll und durchtrieben. An der Wand hängt ein Bild von Godard, im Hintergrund, nicht nach vorne gedrängt, die Musik dazu stammt aus einem Video Nasty. Doch, ich glaube dieser Film ist der Wahnsinn in bester Form. Schauen Sie ihn sich an!

offizielle Website | infosheet


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Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Es liest sich wie ein üblicher Direct-to-Video-Schocker aus der Category III (entspricht in Hongkong so in etwa unserem FSK 18, wobei "Cat III" in der Regel für noch derbere Kost steht): Eine nach außen hin junge, knackig attraktive Dame (in Wirklichkeit ist sie allerdings schon jenseits der 60) hat den Jungbrunnen entdeckt: Wer bei Ihr zum abendlichen Dinnieren eintrifft, erhofft sich von dem exklusiven Mahl weiche Haut und weniger Falten. Die Basis der Speise: Liebevoll zubereitete, knusprig frittierte Teigtaschen, gefüllt mit abgetriebenen Föten, aus China importiert. Eine ins Alter gekommene Schauspielerin wird schon bald ihr Stammkunde, da sie nicht nur dem eigenen Image hinterher trauert, sondern auch, weil ihr Gatte eher von jungen Dingern angetan ist. Ein Psychogeflecht entwickelt sich ...



Was sich schlüprig-schmierig liest und eine vor allem grafisch ausgereizte Belastungsprobe für den Magen in Aussicht stellt, gibt sich als bemerkenswerte Filmmeditation über das Verhältnis des Horror- und Ekelfilms zu seinem Bild zu erkennen. Dumplings haut nun eben nicht, wie man erwarten könnte, nach Manier eines drittklassigen sleazy movie auf die Pauke, sondern entzieht seinen Bildern vielmehr das direkt Grafische der eklen Begebenheiten (u.a. auch eine Abtreibung in progress) und überlässt dem Zuschauer einen großen Teil der Bildarbeit. Der Horror, respektive Ekel, entsteht im Kopf. Eine Binsenweisheit, sicher. Doch Dumplings schafft es, diese vermittels einer ausgetüftelten und ungeheuer intensiven Soundkulisse einem Update zu unterziehen: Es wird geknuspert und geflutscht, geschmatzt und gequirlt, gescheppert und geplongt - und all dies mit einem selten anzutreffenden Geschick in Gestaltung und Organisation des Tons. Was das Bild selbst an narrativ bedingtem Ekel aus sich selbst verbannt, holt den Ton auf diese Weise ins Bild zurück, erweitert so den diegetischen Raum und lässt Schauder über Schauder den Rücken hinuntergehen. Charakteristisch ist hierfür dann auch eine Kopulationsszene, die - an sich ja völlig einleuchtend, im Film aber eben nie gehört - von vaginalen Schmatzgeräuschen unterlegt ist.

Dies ist dabei nicht nur dem Blick auf den Effekt geschuldet, sondern versteht sich durchaus auch als Kommentar zum Horrorfilm und seiner Lust am Sehen (und aber eben auch Nicht-Sehen, wie es sich charakteristisch im Blinzeln durch die vor die Augen geschlagenen Hände niederschlägt.), der im Film selbst auch motivisch umgesetzt auftaucht: Die Wohnung dieser jungen "Hexe" unterteilt sich in zwei Zimmer. In einem warten die Gäste auf die Speise, im anderen wird sie mit allerlei kulinarischem Instrument zubereitet. Die Gäste hören dabei vor allem die schaudrigen Geräusche und besagte Schauspielerin horcht auch schon mal an der Wand. Die Sichtbarkeit rückt indes ins Zentrum, wenn sie schließlich - von Neugier getrieben, obwohl sie eigentlich weiß, dass sie nicht sehen will, was sie sehen wird - in die Küche hinüber geht und das ganze entsetzeliche Ausmaß des morbiden Mahles zu Gesicht bekommt. Natürlich schreit sie auf, rennt weg - und durch den Kinosaal geht ein angewidertes Zischen angesichts des dargebotenen Menschenmatschs.

Vor allem auch der exzellenten Kameraarbeit von Christopher Doyle ist es geschuldet, dass das Treiben ästhetisiert (aber nie stilisiert) dargeboten und somit also, welch Konflikt, goutierbar wird. Diese Effekte und eben die Tatsache, dass ein fürs Hongkonger Trashkino recht üblicher spekulativer Stoff diesem Zusammenhang entrissen und auf eine sehr geschickte und anspruchsvolle Weise inszeniert wird (nicht eben eine Selbstverständlichkeit, ganz und gar nicht sogar), machen den Film zu einer Besonderheit, nicht nur dieses Festivals. Einem magenfesten Publikum wird er als Geheimtipp empfohlen (zumal damit zu rechnen ist, dass der Film, schon allein aufgrund seiner Thematik, bei der Kritik verschrieen sein wird).


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Der Film läuft im Wettbewerb.

Fürchte die Deutschen, die in die Fremde fahren. Die Chancen stehen gut, dass nicht viel Gutes dabei rumkommt. Ähnliches gilt für Hannes Stöhr, der nach seinem Achtungserfolg Berlin is in Germany nach Moskau, Istanbul, Santiago de Compostela und schließlich wieder nach Berlin geflogen ist, um dort vor dem Hintergrund des Champions League Finales zwischen Galatasaray Istanbul und Deportivo La Coruña Variationen des im Kern sich ähnelnden Geschichtchens zu drehen. Das Ergebnis ist One Day in Europe, schmiegt sich natürlich konzeptuell an Night on Earth an und ist über weite Strecken damit beschäftigt, die eigene Einfallslosigkeit mit behauptetem Einfallsreichtum zu tarnen.



Das Finale in Moskau legt an diesem Tag das Leben in allen vier Städten fast völlig lahm. In Moskau kommt das einer nicht eben wenig arrogant auftretenden Künstleragentin zu Schaden, die auf offener Straße ausgeraubt wird und nun auf der fußballlethargischen Wachstation der Polizei vor sich hindarben muss. Immerhin kommt ihr die herzensgute Elena, die den Raubüberfall beobachtet hat, zu Hilfe. In Istanbul hingegen will ein junger deutscher Student einen Versicherungsbetrug begehen und sich als Opfer eines nicht stattgefunden habenden Raubüberfalls inszenieren. Bald sitzt er selbst auf der Wache, aber der Taxifahrer, der ihn zur Polizeistation gebracht hat (und sich als schwäbelnder Exil-Exiltürke zu erkennen gab), kommt ihm zu Hilfe. In Spanien nun wird einem ungarischen, schwermütigen Wanderer die Kamera geklaut. Ein Klassiker: "Können Sie mich mal fotografieren-" und weg ist der Dieb. Der lebensfrohe Polizist, an den er sich wendet, kommt ihm leider ganz und gar nicht zu Hilfe. Und dann, in Berlin, ein französisches Pärchen, das durch Europa fährt und sich mit Straßenperformances im Clownskostüm über Wasser hält. Die Geldbörse ist erschöpft - was tun? Man begibt sich auf die Suche nach dem rechten Platz in Berlin, wo man ausgeraubt hätte werden können - um dann von der Versicherung Geld zu kassieren.

Das noch Bemerkenswerteste an Stöhrs Film ist die vollkommene Ambitionslosigkeit. Weder wird hier eine Aussage gewagt, die über Banalitäten auch nur irgend hinauskäme, noch wird die Form des Episodenfilms selbst ausgelotet oder zumindest die eine oder andere originelle Geschichte erzählt. Mit gepflegter Beschaulichkeit und einem die Episoden verbindenden, bewusst naiv gezeichnetem Zeichentrickflugzeug, das die einzelnen Spielorte anvisiert und so als Moderation fungiert, ist man sich's schon zufrieden. Das riecht in jedem Moment nach dffb-Fingerübung: Solides Handwerk, sicherlich. Jenseits dessen: Wenig Vorweisbares. Also bleibt es beim Geschichtchenerzählen, das - über ein paar nette lakonisch-witzige Momente hinaus - nur wenig vorzuweisen hat als hinfabulierte Begebenheiten, die, sind die alle Episoden einenden Motive etabliert und also erkannt, ihren Reiz auch schon so gut wie verloren haben und allenfalls noch im Detail kleine Schrulligkeiten anzubieten wissen, die nun wiederum einen ganzen Film zu tragen selbverständlich nicht in der Lage sind.

Was so ein in jeder Hinsicht für den ausgerufenen "jungen deutschen Film" und dessen Schwächen typischer Film im Wettbewerb zu suchen hat, bleibt fraglich. Obwohl, vielleicht ja gerade deshalb.

imdb


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Sonntag, 13. Februar 2005
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Wer immer schon mal wissen wollte, wie eigentlich die ganzen schicken Schilder, die einen CinemaxX-Saal für kurze Zeit als Hort des wahlweise Kinderfilmfests, der Retrospektive etc.pp. ausweisen, an die Wand montiert sind, der hätte sich heute mit mir mal in die Akkreditiertenschlange vor The Killing stellen sollen. Zwar hätte er dann auf den Film verzichten müssen, denn die Presse wurde nach Schließen des Saals mangels Sitzplätze der Lokalität verwiesen. Doch hätte er erleben können, wie das Retrospektiveschild hinunterplumpst (mit der einen Seite zuerst, was einen netten Schwung auf meinen Brustkorb - ich stand ungünstig - ergab) und somit also die Technik dahinter entblößt. Die fällt enttäuschend aus: Nun ist es nicht wunderlich, dass hier nicht derbe in die Wand gedübelt wird - macht ja keinen Sinn für 10 Tage Berlinale im Jahr sich die Wand zu versauen - , aber zumindest doppelseitiges Klebeband hatte ich mir schon erhofft. Pustekuchen, Berlinale spart! Simples Tesa fördert der Faux-Pas zu Tage. Wie von Kinderhand die Enden aneinandergeklebt, so dass sich eine Art "Rolle" oder "simuliertes doppelseitiges Klebeband" ergibt. Na das kann ja nicht lang halten! Wo kann ich für diese Fahrlässigkeit Schmerzensgeld einklagen?

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An selber Stelle ebenfalls zu beobachten gewesen: Eine schon etwas betagtere Dame, die zu spät zum Kubrickfilm kommt. Da hilft auch die noch heile Karte nichts, wer eine Viertelstunde zu spät kommt, muss draußen bleiben. Weshalb die Frau "Schlechte Organisation" bellend von dannen zieht, bleibt leider ungewiss. Vielleicht meinte sie aber auch nur sich selbst.

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Der erste frühzeitig abgebrochene Film: Zero Degrees of Separation. Dokumentarfilm über homosexuelle Israeli/Araber-Pärchen. Hätte ja deshalb durchaus mehr sein können als der übliche "Israel ist Scheiße, Palästina das ewige Opfer"-Quark. Genau ein solcher schien sich dann auch abzuzeichnen und er wird auch nicht schmackhafter, wenn man ihn mit neuen Dokumentarstrategien verpackt. Nach einer halben Stunde raus.

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Verköstigungstipp: Butterhörnchen bei diesem schicken Wiener Bäcker, der da in den Arkaden für die Dauer der Berlinale steht. Kostet 95 Cent, ist also für einen schnellen Bissen recht moderat (zumal an dieser Stelle), und schmeckt sehr lecker. Auch die belegten Baguettes sind toll und verhältnismäßig günstig.

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Zweites Eis. Oh Mann. Diesmal das After-Eight-Eis probiert. Rockt. Vor allem in Kombination mit so einer Früchte-Vanille-Mischung. Klingt schaurig, ist es aber nicht.

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Heute abend im Market Screening: Der neue Myazaki. Da wünscht man sich ein anderes Akkreditierungsbadge ...

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Im Vorspann von One Day in Europe ist mein Haus zu sehen. Mein Balkon wird zwar perspektivisch von dem grünen Baum davor versteckt, aber immerhin. Gerettet wird er, der Film, dadurch jedoch nicht.


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Die Hintergründe der Ausladung von Heights aus dem Wettbewerb - an dessen Platz ist nun die Kertesz-Verfilmung Fateless zu sehen - sind einer Meldung des Tagesspiegels zufolge aufgeklärt. Wie bereits gemutmaßt, soll Kosslick den Film vor allem aufgrund der Absage von Glenn Close, auf dem Festival zu erscheinen, aus dem Programm genommen haben. Der Tagesspiegel zitiert aus einem Brief der Produktionsfirma, die die Ausladung als "außerordentlich enttäuschend“ bezeichnet: „Nun wird klar, dass eine Einladung zur Berlinale keine so hohe Ehre bedeutet, wie wir vermutet hatten.“


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Thema: Kinokultur
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Weil ja jeder drauf hinweist und das in der Tat eine nette Sache scheint: http://www.filmportal.de , lange angekündigt, endlich online.


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Im Vorspann zu Yukinojos Rache, dem wunderbaren japanischen Film in der Retrospektive, wird hingewiesen, dass es sich um des Hauptdarstellers 300. Spielfilm handele. Er spielt im übrigen eine Doppelrolle, und das in diesem steten Spiel aus Schein und Spiel so perfekt, dass erst ein letzter Gag kurz vor der Ende des Films, in dem exakt dies implizit zur Sprache gebracht wird, mir dies bewusst machte. Schon in den 30er Jahren hatte er diese im übrigen gespielt: Der Film ist ein Remake. Um aber auf die 300 zurückzukommen: Richtig bitter ist, dass selbst die imdb von diesen gerade mal nur 61 kennt. Ein Jammer.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Mathilde gefällt der Gedanke, dass eine Bewegung durch den Raum den Raum selbst verändert. Wer mit der Hand durch ihn streicht, hinterlässt eine Narbe, eine Spur. Wir sehen das in einer Detailaufnahme, ganz grobkörnig das Bild, Super8. Ihre Hand, immer nur ihre Hand, wie sie durch's Bild streicht. Sie markiert, vernarbt das Filmmaterial in der Kamera. Die offenkundig im groben Korn ausgestellte Medialität des Bildes scheint auch davon zu handeln, wie Gegenstand und (Dokumentar-)Film zusammenhängen, aber eben auch Tanz und Kunstschaffungsprozess.



Ich bin nun kein Mensch, der sich je viel mit Tanz beschäftigt hätte. Nicht aus überheblicher Ignoranz, es hat sich nur nie ergeben. Ganz von dieser Warte aus betrachtet ist es dem Film nur zu Gute zu sprechen, dass er nun mich, den Laien, voll beeindruckt hat mit seiner Schilderung davon, wie aus einem literarischen Text ein moderner Performancetanz wird, der ganze künstlerische Prozess - und der ist nun nie, wie man vielleicht meinen könnte, edelfedernabgehoben, sondern, im Gegenteil, schweißtreibende physische und intellektuelle Arbeit. Dabei geht es nie darum, eine Geschichte zu erzählen oder gar einfach nur verzückt vor den Darbietungen der Tänzer zu erstarren. Dafür ist schon deren Ausdruck viel zu expressiv, arhythmisch angelegt. Der Film geht ins Detail, beobachtet Nuancen des Körpers, setzt sie ins Bild. Ist oft distanziert, lässt geschehen, wirft den Blick auf Beiläufiges, simuliert dabei aber auch nie den Zuschauer der fertigen Veranstaltung im Saal (selbst bei der Generalprobe nicht, da ist die Kamera erhöht).

Wir sehen, wie Mathilde, die Choreografin, sich warm macht, sich lockert. In der Musik von PJ Harvey geht sie ganz auf, ohne dass damit Reformhauskundenverzückung gemeint wäre. Die Kamera gleitet mehrmals über ihren Körper, zerlegt gewissermaßen die "Performance" in kleine Glieder, die dem üblichen Zuschauer verborgen bleiben müssen. Bis, in der Tat, noch in den kleinsten Zeh ist sie konzentriert, ganz Körper, der ihrige. Ihr ist es, wie dem Film, ernst mit der Kunst. Bloße Selbstverwirklichung und laissez-faire ist ihr Ding nicht. Sie fordert ihre Tänzer und Tänzerinnen, kritisiert sie, vor allem aber sich selbst auch unentwegt. Begeistert sind dann die fast lautlos eingeflüsterten Kommentare aus dem Off, wenn etwas klappt oder eine Ebene des Ausdrucks erreicht wird, die dem Laienblick, also meinem, verschlossen bleiben müssen.

Am Ende steht ein Auszug aus der fertigen Performance. Mathilde versinkt in sich, das Bild spaltet sich in Split Screens. Ambient auf der Tonspur, Mathildes Performance nimmt gefangen, ganz und gar. Der stumme, minimalistische Abspann reißt aus der Versunkenheit, die Leinwand ist zwar schwarz, doch die Wirkung so grell wie Tageslicht. Ahnungen von einer Leidenschaft, ein beeindruckender Film.

info-sheet


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Der Film läuft in der Retrospektive.

"Words can't describe the mysteries of Art!"
(aus den Untertiteln)

Perfekt ist ein Kunstwerk, wenn man von ihm nichts mehr entfernen kann. So in etwa soll der japanische Begriff von Perfektion aussehen. Reduktion bis zum Abstrakten, Minimalismus. In Yukinojos Rache - neben all den gewiss schönen, aber eben auch weitgehend sattsam bekannten Filmen der diesjährigen Retrospektive sicherlich eine der schönsten und lohnenswerten Entdeckungen dieser Sektion - kann man dieser Methode in Formvollendung zusehen: Eine schwarze Leinwand bedeutet Nacht, kaum, dass man die Personen sähe (sie sind oft nur an bestimmten Stellen be-, nicht ausgeleuchtet), kommt es zum Kampf, so reichen lichtreflektierende Streifen, die über die Leinwand sausen, um die Auseinandersetzungen mit dem Schwert zu referenzieren. Es bildet sich eine Logik des Erzählens, die nicht den geschlossenen diegetischen Raum sucht, diese an sich verlogene Simulation der Alltagserfahrung. Es ist eine Logik des Schauens und Präsentierens, eine, die die Leinwand nicht als unsichtbare Wand begreift, sondern vielmehr durch sie ganz auf den Zuschauer abgerichtet ist. Eine offene Form, an die anzuknüpfen ist. Kurz überlege ich, ob diese spezifische Form des populären Films (denn "Genre" ist Yukinojos Rache durchaus), wie sie sich in Japan herausgebildet hat, vielleicht wirklich auch mit der spezifischen Kinotradition Japans zu tun hat, mit den Benshi nämlich, den Kommentatoren, den ersten japanischen Kinostars, die die frühen Filme einst Jahre, Jahrzehnte lang erklärend kommentierten. Im nach außen hin sehr verschlossenen Kinoland Japans könnte sich hier eine spezifisch offene Form des Bildes entwickelt haben, deren Echo in diesem Film vielleicht ja wirklich zu spüren ist. Dies im Kino zu erleben ist schlicht sagenhaft.



Dabei ist diese theoretische Gymnastik an sich gar keine solche, denn der Film eröffnet schon mit einem formalen Paukenschlag im besten Sinne, der genau dieses Verhältnis von Diegese zum Bild zum Zuschauer zur Erzählung auf vorderster Ebene behandelt. Wir sehen eine Kabuki-Vorstellung; der abstrakte Tanz in einer künstlich-flachen Schneelandschaft einer von der männlichen Hauptfigur, Yukinojo, dargestellten Frau rührt eine Frau im Publikum so sehr, dass sie sich ans Herz fasst (und sich in den Schauspieler tödlich verliebt). Wir bewegen uns auf die Bühne, hin zu dem Schauspieler und mir einem Male ist die Bühne eine Landschaft, von einem Publikum nichts mehr zu sehen, nur kurz reißt der Blick in den Schnee zum Saal hin auf: Drei Männer aus dem Publikum sind eingeblendet. Yukinojo erkennt sie als vormalige Peiniger seiner Familie, die das Leben seiner Elten und also sein eigenes schwer beschädigt hatten. Ein Wechselspiel der Erzählformen, das diese sich durchdringen, überlappen lässt; gleichzeitig bestimmt der Film mit erfrischender Bestimmtheit in kürzester Zeit den Rahmen seiner Handlung und impliziert schon den weiteren Verlauf. Auch hier höchst effektiver Minimalismus, der sich nicht lange mit langwierigen Expositionen herumzuschlagen gedenkt. Und nie wird im weiteren Verlauf mit letzter Sicherheit beweisbar, ob wir uns im Theater, im Film oder in einem vom Theater evozierten Bilderraum befinden. Immer wieder fällt das eine ins andere und zu sich zurück.

Was sich, in Worte gefasst, nach grüblerischer Reflektion anhört, ist in Wirklichkeit ein leichtes Spiel mit den Erzählformen und Möglichkeiten des Films von beeindruckender Eleganz, das sich gekonnten Schrittes von Liebreiz zu Liebreiz bewegt. Eine Abfolge wunderbarer Bilder, Räume, Kameraeinstellungen, wo mit Charme und Klugheit um die Gunst des Zuschauers gebuhlt wird. Dazu ist jedes Mittel Recht und wenn es sich an sich mit anderen beißt, so überzeugt es im einzelnen doch: Barjazz der 1960er Jahre unterlegt manche Bilder (der Film spielt in den 1830ern ...), die besonders schön gestalteten Liebesszenen umschmeichelt Musik, die von Ferne an us-amerikanische Melodramen aus der Filmenstehungszeit erinnert. Gerade diese Leichtigkeit, diese Freude an der Perfektion der Schönheit ist es schließlich, die, neben all der Klugheit der Inszenierung, dieses Filmerlebnis zu einem genussreichen sondergleichen machte.

imdb


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Vorab, um möglicher Verwirrung entgegenzuwirken: „Kammerflimmern“ läuft bereits seit dem 3.2. in deutschen Kinos. Er ist dennoch Bestandteil der Berlinale, wenn auch „nur“ in der Programmschiene „German Cinema“, die vor allem für ausländische Festivalgäste gedacht ist, die sich einen Überblick über die hiesige Filmproduktion verschaffen wollen.

Etwas unschlüssig im Cinemax umherstolpernd hat mich Hendrik Hölzemanns Film (der 26-jährige führte Regie und schrieb das Drehbuch) vollkommen unvorbereitet getroffen. Mit dem schlimmsten rechnend - immerhin hat Hendrik das Buch zu Benjamin Quabecks quälendem „Nichts bereuen“ zu verantworten und sein Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer einer der unsympathischsten Filmfiguren der Nachkriegszeit in BvSB`s „Soloalbum“ zu fragwürdigem „Glanz“ verholfen – aber ich nehme alles zurück. Hendrik Hölzemann ist ein beinahe schon sensationell zu nennendes Debüt gelungen und als unverbesserlich skeptischer Nachzügler muss auch ich eingestehen: Matthias Schweighöfer ist vielleicht neben Tom Schilling, ganz großartig zuletzt in Egoshooter, der im Moment aufregendste deutsche Filmschauspieler überhaupt.

Wir sehen ein verliebtes Paar, dass in einem Wagen durch eine menschenleere Landschaft braust, auf dem Rücksitz ihr siebenjähriger Sohn. Die Idylle ist vollkommen, wie in einem Traum und plötzlich im nächsten Moment – ein lauter Knall – und alles ist vorbei. Die Kamera zeigt den Jungen, von unten angeschnitten, gegen den Himmel, im Hintergrund das Autowrack mit den tödlich verunglückten Eltern. Er rollt auf seinem Skateboard die schmale Straße entlang, nimmt noch einmal Schwung und knallt mit dem Kopf gegen die Wand eines Bushaltestellenhäuschens. In der nächsten Einstellung wacht Crash (Matthias Schweighöfer) schweißüberströmt in seinem Bett auf.

Crash ist Rettungssanitäter. Mit seinem Partner (Axel Prahl) fährt er durch Köln. Sie werden immer dann gerufen wenn alles schon passiert ist, wenn die aufmüpfige Frau von ihrem Mann vertrimmt wurde, der Penner halbtot in der Gosse liegt, der Familienvater einen Schlaganfall erlitten hat. Crash kommt mit dem Elend nicht klar, hat keine Abwehrmechanismen entwickelt, wie etwa sein zynischer Partner oder der sadistische Kollege. Er will Gutes tun und sucht eigentlich die Erlösung vom Schmerz der Erinnerung. Parallel wird die Geschichte der hochschwangeren November erzählt (Jessica Schwarz). Ihr Freund ist ein Junkie, die Venen zerstochen und porös. Sie liebt ihn, aber er dankt es ihr nicht.

Es kommt wie es kommen muss. Sein Tod bringt sie und Crash zusammen. Das Drehbuch hat unbestreitbar Schwächen. Die Geschichte ist in vielerlei Hinsicht vorhersehbar, hat hin und wieder Fernsehspielniveau. Aber wie Hölzemann den Zustand seiner Hauptfigur dem Publikum näherbringt, das ist beachtlich. Er bedient sich der Rückblende, jedoch nicht im konventionellen Sinn. Schritt für Schritt, während wir Crash kennenlernen und er sich selbst über die Annäherung an November entdeckt, werden seine Alpträume konkreter. Diese Technik verhilft dem Film zu seiner mystischen Qualität.

Ganz toll Axel Prahl, der durch seine Physis den Film erdet, mutig Jessica Schwartz, die manchmal vielleicht zu viel will, ich weiß es nicht so recht. Bibiane Beglau in der Rolle der abgebrühten Notärztin hat mir gut gefallen genauso wie auch Florian Lukas in einer nicht ganz so dankbaren Nebenrolle. Nicht alles gelingt. Immer wieder überspannt Hölzemann meiner Ansicht nach den Bogen. Zu deutlich tritt die Funktionsweise des Buchs auf den Plan, über wiederkehrende, identitätsstiftende Elemente, als wollte man auf Nummer sicher gehen. Zu offenherzig die Inszenierung, wenn Crash und November beim Sex gezeigt werden etwa und zu deutlich das Bemühen sich amerikanischer Vorbilder anzudienen, in Kleinigkeiten, in der Art und Weise wie die Schauspieler geführt werden, noch eine Geste hier und dort ein Wort zuviel. Das alles hätte der Film gar nicht nötig gehabt. Aber Hendrik Hölzemann will aufs Ganze gehen und ich hab die ein oder andere Träne verdrückt. Hoffentlich darf ers bald wieder versuchen.


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Das Bild eines menschlichen Crash Test Dummies steht für Regisseur/Autor Jörg Kalt für die Beschleunigung und das abrupte Abbremsen. Diese Allegorie will er übertragen wissen auf seine beiden Hauptfiguren, ein rumänisches Pärchen, dass nach Wien kommt um ein geklautes Auto nach Bukarest zu überführen. Wie der Dummy kommen sie mit hoher Beschleunigungsenergie im Westen an, werden abrupt abgebremst und geben ihre Energie an Personen weiter auf die sie treffen, einen trotteligen Kaufhausdetektiv, der es sich bevorzugt auf seiner aufblasbaren Ekelcouch besorgt und eine nymphomane, tschuldigung... lebenslustige Reisefachfrau, die gerne was erlebt.



Nicht nur, dass dieser Überbau schon beim Nacherzählen bemüht wirkt, ich wäre beim Betrachten des Films nicht im Traum auf diese Assoziation gekommen. Tatsächlich scheint mir „Crash Test Dummies“ der Film geworden zu sein, den Jörg Kalt, nach eigenem Bekunden unter allen Umständen vermeiden wollte: ein typisch österreichischer Film mit ausgeprägtem Schenkelklopfhumor. Was daran nun typisch österreichisch ist, wage ich nicht zu beurteilen, ganz im Gegenteil kann ich mich durchaus an spannende Produktionen aus der Alpenrepublik entsinnen, allerdings drängen sich Parallelen zu den Filmen unter Beteiligung des Starkomikers Josef Hader auf. In sofern ist meine zunehmende und am Ende ausdrücklich zu betonende, uneingeschränkte Abneigung gegen die skurillen Einfälle und die entlarvende Inszenierung des Regisseurs nicht ganz fair. Auch mit dem verschrobenen Humor Haders kann ich wenig bis gar nichts anfangen („Indien“ hab ich leider nicht gesehen, vermute jedoch nichts Gutes).

Wie gesagt, die rumänische Hauptfigur wirkt wie ein Stand-in Double Haders, mit dem ganzen linkischen Charme, dem lakonischen Herumstehen und dumm gucken und so weiter. In „Crash Test Dummies“ verhelfen grenzdebile Gespräche zum Fick, der sich ähnlich erotisch anläßt wie abgestandenes Bier; penetrantes Starren provoziert romantische Gefühle und ein Toupee muss herhalten für einen Running Gag, der sich müde durch die Bilder schiebt. Allerdings, es sei nicht unerwähnt: in der Pressevorführung waren etliche Besucher dem Lachkrampf nahe, soweit man sich das bei Filmjournalisten vorstellen kann.

Schließen möchte ich, gänzlich unkommentiert mit dem Zitat eines österreichischen Filmfunktionärs, dessen Name mir entfallen ist: es gibt gute Filme und es gibt schlechte Filme... und dann gibt es österreichische Filme.


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Es gibt eine Szene in diesem wunderschönen Film, in der die wohltuend zurückgenommene Inszenierung für einen kurzen Moment aufgegeben wird, in der der immer ein wenig schlafmützig wirkende Shinnosuke seinen ganzen Schmerz in die Welt hinausbrüllt, das Mobiliar zerlegt und jedwede Kontrolle über sich verliert. Es ist bezeichnend, dass gerade diese Szene mißlingt, dass sie wie ein Fremdkörper in einem ansonsten erstaunlich geschlossenen Film wirkt. Und es ist bemerkenswert, dass sie dennoch vielleicht am besten die Haltung des Films unterstreicht. Als Shinnosuke durchdreht, kommt sein Mitbewohner, Chef und Freund gerade rechtzeitig aus den Bergen zurück um ihn mit einem ungestümen Kuss zu überraschen. Das Leben geht weiter, muss weitergehen, vielmehr: es ist unverzeihlich sich zu verkrümeln, noch dazu wenn man geliebt wird. Es gibt kaum ein Bild, dass man zitieren möchte, keinen Dialogsatz, an den es sich zu erinnern gilt. Es braucht kein Gerüst an dem man sich abzuarbeiten hätte, noch nicht einmal ist eine „ganz bestimmte“ Atmosphäre spürbar, der man hilflos mit sorgfältigst abgewogenen Formulierungen beizukommen bräuchte. Es ist faszinierend mit anzusehen, wie ein Film es fertigbringt, ohne Tricks und doppelten Boden, vollkommen frei von jeglichem Pathos, ja beinahe schon beiläufig seine Geschichte zu erzählen. „Worlds End“ beweist gerade wegen seiner schwebenden Leichtigkeit wahre Größe. Ein bezauberndes Stück Kino, dass uns daran erinnert den Moment zu leben, auch wenn es für viele von uns eine unerfüllte Sehnsucht bleiben mag. Ein erstes Highlight und ich befürchte nach ausführlichem Studium des Programms: es wird derer nicht viele geben. Schnief.


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Samstag, 12. Februar 2005
Thema: good news
... eines Filmarchivs werden nun, nach langer Zeit, endlich wieder zugänglich. Schlichtweg atemberaubend, was mastersofcinema.org zu melden weiß:

Mainichi Shimbun newspaper today reports the death of a legendary Japanese film collector, Yoshishige Abe, aged 81. His father was a police doctor who worked for the Korean Consulate, and together they both collected fifty-thousand films both pre and post war at their storehouse. They had previously refused all investigations by scholars, and it is not clear just how many of the films are still viewable.

The article focuses mostly on Na Unkyu's debut Arirang (1926), one of the most influential films of early Korean cinema, and long thought lost. North and South Korea apparently each sent representatives to reclaim the film but Abe refused. Thinking of it as an anti-Japan movie he said he would be willing to give the film rolls to both nations only if Korea united.

Abe has no heir, so after the lawful procedures, National Film Center [Tokyo] will investigate the films. The catalogue contains Daichi wa Hohoemu [The Earth Smiles] (Mizoguchi, 1925) amongst its many treasures.


Bei dem Gedanken daran, was hier an Schätzen bergbar sein könnte, wird mir schwindelig. Vor allem die 20er Jahre des japanischen Kinos waren äußerst produktiv: Japan produzierte weltweit die meisten Filme. Dennoch ist aus den ersten Jahrzehnten der japanischen Kinematografie bislang nur eine Handvoll (ich glaube Bordwell spricht von etwa 50 Stück) überhaupt noch erhalten. Die große Hoffnung ist nun, dass durch diesen sagenhaften Fund klaffende Lücken nun endlich geschlossen werden können.


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Heute also doch das erste teure, aber leckere Eis. Oben von den Arkaden (die Eisdiele am vorderen Ende, Nahe des CinemaxX). Daselbst dieses dann auch schnabuliert und gleichzeitig auf die Ausmaße einer Medienrevolution gestoßen: In den Arkaden steht nämlich auch das Fußvolk des Festivals - die Zahlkunden - um Karten an. Die Länge der Schlangen wurde häufig schon, meist hämisch, im Feuilleton bemerkt. Klar, man selbst steht ja nicht an, man zeigt nur sein Stück Plastik vor (was auch wieder so nicht stimmt, denn die Kollegen verschweigen den Ticket Counter oben im Hyatt...). Früher, als ich selbst noch Karten dort abholte, war das so, dass der übliche Schalter mit langer Wartezeit verbunden war, während man bei dem Kabuff am Rande, wo man die im Internet bestellten Karten abholen kann, eigentlich auch nicht länger anstand als werktags beim Bäcker für Brötchen. Heute aber, und das ließ mich wirklich staunen, ist das geradewegs groteskverdreht und ich fragte mich, ob da die Organisatoren nicht selbst was verpennt haben: Die Schlange für den Internet-Schalter schlägt jede andere, mir je dort unter die Augen gekommene Schlange mit Leichtigkeit: Beinahe schon sehen sich die Leute dazu gezwungen, die Schlange bis vor die Türen der Arkaden zu verlängern. Die üblichen Counter hingegen stellen moderate Wartezeiten in Aussicht: Die Low-Tech-Freaks, die noch brav "Datum-Kino-Uhrzeit" aufsagen, bilden eher kleine Grüppchen denn lange Reptilien. Und natürlich sind die üblichen Schalter noch immer mehrfach besetzt, während das Internethäuschen immer noch, mit gezeigten fatalen Folgen, das Kabuff am Rande ist ...

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Apropos Anstehen, Karten, Journalisten. Manche der letztgenannten sind offenbar gewillt, das Klischee vom narzistischen Publizisten, der "wichtig" gällt und auf den Boden stampt, wenn es nicht nach seinem Willen geht, zu jeder Zeit zu bekräftigen. Tatort CinemaxX gestern Abend, Panoramavorstellung: Die in den Presseunterlagen als "Pressevorführung" ausgewiesene Vorführung von Redentor ist in echt eine öffentliche, in die wir auch hineindürfen. Eigentlich recht logisch ist da, dass die Leute mit gekauften Karten in diesem Falle zunächst Vortritt haben. Schnell bildet sich eine Traube vor dem Saal, Akkreditierte müssen kurz warten, bis die Zahlkunden alle drin sind. Die meisten fügen sich dem ohne Murren. Ein paar besonders Akkreditierte aber lassen sich die Möglichkeit zum Stänkern, zumindest aber zum wild mit dem Plastik Fuchteln nicht entgehen. Sie seien akkreditiert, wird da geblökt, dabei ignorierend, dass der bemerkenswert die Fassung bewahrende CinemaxX-Angestellte zuvor schon meinte, dass Akkreditierte bitte kurz am Rande warten mögen. Mit großen Augen stehen sie nun da, diese Wichtigheimer, fuchteln rum und mimen den dicken Max. Manch einer zieht auch die Liste mit den Pressevorführungen raus und deutet mit dicken Zeigefinger drauf. Sicher, meint der Angestellte, aber es ist eben auch eine öffentliche Veranstaltung. Brüskiert wird sich umgedreht, mit den Augen gerollt, als sei man eine Kuh auf LSD. "Mein Gott", möchte man ihnen zurufen, "Du kannst Dir hier kiloweise Filme for free anschauen und musst nur ein paar, meist ohnehin debile, Zeilen drüber schreiben. Tausende beneiden Dich! Führ Dich doch einfach nicht so auf, bloß weil's mal ein paar Minuten länger dauert!"

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Eine Welt für sich: Der Filmmarkt, unweit des Berlinale-Palastes. Hier herrscht alle schmierige Business-Freundlichkeit der Welt. Jeder ein potentieller Einkäufer, Kunde und Geldbringer. Man muss die Dialoge, den Umgang miteinander dort selbst einmal gehört haben, um's zu glauben.
Trotzdem ist der Filmmarkt gleichzeitig auch so was wie der Traum vielleicht nicht eines jeden, aber doch so manchen Geeks. Kiloweise Promomaterial zu den neuesten, internationalen Produktionen liegt da rum. Manche Filme sind gar ganze Hefte wert und viele nationale Kinematografien stellen ihren letzten Jahrgang in Buchform vor - natürlich zum Mitnehmen, sicher, und ein Lächeln vom Countermäuschen gibt es noch dazu.
Man verfällt in Mitnehmrausch. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, landet im Arm. Der schmerzt bald und man fürchtet, eine etwas armselige Figur zu machen. Ist aber nicht schlimm, weil hier jeder mit mindestens drei bis vier Kilo Promomaterial auf dem Arm durch die Gegend hechelt, dabei immer zur Seite stierend, ob es nicht doch noch ein (in der Regel sehr hübsch gestaltetes) Infoblatt gibt, das noch nicht eingepackt wurde. Hier und dort kann man in Filme reinschauen, auf kleinen DVD-Spielern mit LCD-Bildschirm, bei den Asiaten aber gerne auch mal auf dem großen Plasmaschirm. Das meiste ist noch unveröffentlicht, manches noch gar nicht fertiggestellt. An einem Stand einer Hongkonger Firma war es mir dann auch möglich, einen Blick auf ein PromoReel von Tsui Harks neuestem Film Seven Swords werfen können. Ein Zusammenschnitt "bester Szenen", natürlich sind die Drähte noch zu sehen gewesen, aber generell lässt sich wohl schon vermuten, dass Tsui Hark mit diesem ausstattungstechnisch offenbar sehr aufwändigen Film eine gelungene Rolle rückwärts in seine nostalgischen Wuxia Pian der frühen 90er vollzogen hat, bzw. diese technisch auf den neuesten Stand gebracht hat. Überhaupt sind die Stände der asiatischen Firmen ganz wunderbare kleine Inseln mit vielen bunten Materialien. Sogar Exemplare des besonders schön gestalteten Programmhefts vom Festival in Pusan liegen hier aus. Richtig wohnzimmrig altbacken wirken dagegen die Stände zahlreicher deutscher Anbieter und vor allem der Öffentlich-Rechtlichen. Bei ARD stehen ein paar blaue Stühle und kleine Tischchen rum, darauf: Knabberzeug, Weihnachtsplätzchenartiges. Bombenmarketing!

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Unvergesslich auch ein Moment im Presseraum, wo internationale Journalisten ihre Texte in die Welt schicken. Nach erfreulicherweise nur wenigen Minuten Anstehen, ergattere ich einen Platz, ungünstigerweise zwar in der "Express Station", wo nur 15 Minuten lang getippt werden darf, aber ich will mich ohnehin kurz fassen. Freudig haue ich in die Tasten und sehe meinen Text allerdings auf Kyrillisch erstrahlen. Nicht, dass der Rechnerplatz das vorher irgendwie preisgegeben hätte ...

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Was den Wettbewerb und also den Großteil der öffentlich(st)en Berichterstattung betrifft, könnte dies, so dachte ich noch letzte Nacht, Kosslicks schlimmste Berlinale werden. Gleichzeitig aber - und das ist gar nicht mal so paradox, wie man vielleicht ja wirklich erstmal glauben möchte - gibt es in den verschiedenen Sektionen in der Tat genug zu entdecken, um sich eine der vielleicht besten und interessantesten Berlinalen der letzten Jahre zusammenzustellen. Wenn dies die Folge eines sich selbst zunehmend für obsolet erklärenden Wettbewerbs ist, soll mir das nur recht sein.

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Das Wetter ist leicht besser, der Trubel hat merklich angezogen. Bei gerade mal zwei Filmen, die ich heute gesichtet habe (dazu später mehr), war es mir eine große Freude, durch die ersten Festivalwogen am Postdamer Platz zu streifen, bald hierhin, bald dorthin zu schauen, Eindrücke sammeln. Wenn man soviele Menschen auf einem Haufen sieht, die mal mit der Leidenschaft des Liebenden, mal mit der Hektik des Berichterstattenden über's Gelände pesen, weiß man einmal mehr, warum dies die schönste Jahreszeit von allen ist. Noch macht die Betriebsamkeit große Freude, warten wir ab, wie es in vier, fünf Tagen aussieht, wenn es zwischen heimischem Bett, PC und Filmvorführungl keinen Zwischenraum mehr gibt ...

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Hallo, Herr Kuhlbrodt aus der taz

Also ihre Kritik zum Shiori-Film, den ich ja auch sehr toll fand, ja also die ist wirklich schön. Ja, ging mir ähnlich beim Rausgehen.


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Der Film eröffnet die Sektion Panorama.

Mitternachtskino, das ist grell, laut, oft virtuos umgesetzt, grundsätzlich immer größenwahnsinnig, prätentiös, nicht immer, ja eigentlich kaum geschmackssicher, kontrovers, fabelhaft, es wirft 1000 Ansprüche für sich auf, von denen nicht mal die Hälfte eingelöst wird. Das macht es sympathisch, es putzt die Rezeptoren durch, provoziert. Im Gegensatz zu den ungefällig gefälligen Wettbewerbsfilmen, die ganz auf Sicherheiten hin ausgewählt zu scheinen, ist ein Mitternachtskinofilm grundsätzlich einer, der seinen Zuschauer anschreit und Positionierung verlangt.



Der brasilianische Eröffnungsfilms des Panoramas, Redentor, entspricht dem voll. Werbe- und Videoclipregisseur Claudio Torres, der hier sein Debüt abliefert, schätzt seinen Film auch so ein, dass er den Hunger, die Wildheit und die Konsequenz eines Debüts habe und er bedankt sich gleich darauf, nicht mit Eiern und Tomaten beschmissen zu werden. Fragen an ihn gibt es trotzdem keine. Der Film, spätabends und noch dazu mit erheblicher Verspätung in einer kurzfristig anberaumten zweiten Vorführung parallel zur eigentlichen gescreent (und in der Tat wurden hinter den Kulissen die Rollen von Saal zu Saal geschockelt), hat die Leute fertig gemacht. Das Hirn ist voll von grellen Bildern, wahnwitzigen Handlungsverläufen, abgeschmackten bis genialen Ideen - und dass er, Torres, es mit diesem, nun ja, Werk ernst meint, daran besteht kein Zweifel.

Der Film ist wirr, auf Überwältigung hin, inszeniert. An sich aber von einfacher Erzählung, wenngleich sie in viele Detailmomente gegliedert ist, in denen entscheidende Weichen gestellt werden. Célio Rocha, Journalist in unter-mittelmäßigen Lebensverhältnissen, soll über einen Skandal im Baugewerbe berichten. Dahinter steckt sein alter Schulfreunde Otávio Sabóia, der einzige Erbe des bankrotten Bauunternehmers „Dr.“ Sabóia, der sich kurz zuvor das Leben genommen hat. Vor Jahren hatte der Spekulant hunderte Familien, darunter Célios, mit der Aussicht auf schnieke Luxusapartements ins Elend getrieben. Die Folge ist ein ganzes Elendsviertel vor den Toren Rio de Janeiros, bizarrerweise direkt vor dem nahezu fertiggestellten Luxusbau, der jedoch nie bezugsfertig wurde und seit Jahren brach liegt. 15 Jahre später nehmen die Bewohner der Favelas die Sache in die Hand und besetzen, was sie für ihren Besitz halten. Fatalerweise auch die Wohnung, die Célios Vater einst abgestottert hatte, der, wenn auch todkrank, von keinem anderen Wunsch beseelt ist, Rache an der Spekulantenfamilie zu nehmen. Doch der gerissene Otávio nutzt unter allerlei Versprechungen Célio als Lockvogel für weit Schlimmeres. Der Pakt fliegt auf, Otávio bugsiert Célio in den schlimmsten Knast des Landes, wo er eine Erleuchtung hat, Gott sucht und findet, die Insassen befreit und das Volk mit göttlichem Auftrag aufwiegelt. Die Erlösung ist greifbar nahe und Gott auf seiner Seite ...

Redentor beißt in alle Richtungen. Wer das Kino, warum auch immer, vorrangig als politische Anstalt versteht, wird von dieser (manchmal leider auch sich selbst) beißenden Satire am laufenden Meter vor den Kopf gestoßen: Möchte man jubeln über den offen antikapitalistischen Gestus, wird man greinen, wenn die "kommunistische" Erhebung ebenfalls mit menschlich-hässlicher Fratze gezeigt und von Torres zudem noch als - keine Wertung - hanebüchene Religionsstiftung mit offenen Jesus-Parallelen verkauft wird, als Gründung einer religiösen Bewegung, die Halleluja singt, aber auf handfesten monetären Gelüsten beruht. Und dazwischen ist alles wild, oft zu wild, dann wieder delirierend orientierungslos, man erstickt an eigenen Ambitionen.

Torres hätte aus dem Material gut zwei bis drei Filme machen können. Weiß der Geier, warum er alles in einen Film stopfen musste, der zwar nicht immer, aber auffällig oft an seiner Überfülle zu bersten droht. Das Ergebnis stimmt zwiespältig: Ein grotesker Satire-Genrefilm, wie man ihn ohne weiteres auch ins Fantasy Filmfest bugsieren könnte, der über weite Strecken mit seiner hausieren gehender Ungezügeltheit schlicht langweilt, um dann zum Ende hin das Gaspedal wieder voll und im besten Sinne nach unten zu drücken. So ähnlich hatte man das im Panorama schon vor zwei Jahren, als da das Little Match Stick Girl lief, ein - im Gegensatz zu Redentor - vollends und über die Ungenießbarkeit noch hinaus überladenes Knallbonbon aus Korea. Redentor immerhin kriegt gerademal so noch die Kurve und humpelt aufrecht durch's Ziel. Respektapplaus ist ihm sicher. Fragen? Nein, danke - keine.

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Donnerstag, 10. Februar 2005
Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Die ersten Bilder zeigen Bäume, Laub, durch dieses hindurchscheinendes Licht. Ein kleines Funkeln entsteht, so beiläufig, dass es bewusst ins Bild gesetzt sein oder sich zufällig ergeben haben könnte. Dieses Spiel mit dem bewusstem Understatement und dem Zufälligen ist charakteristisch für diesen sanften Film, der gemächlich plätschert, aber nie selbstgefällig wird. Man kann sich aussuchen, wie man die kleinen Details und Begebenheiten auffasst, nie wird man mit Sinn, Bedeutung, Atmosphäre erschlagen. Ein Film, der sich von Moment zu Moment hangelt, mit dem man sich anfreunden mag oder auch nicht, den man vielleicht so oder ähnlich auch aus dem eigenen Leben kennt. Es sind Angebote, aber nie verbindliche, von denen gar Freundschaften abhängig wären. Eine sympathische Grundhaltung, eine filmische Gemütlichkeit, der jeglicher Muff des Behäbigen fehlt. Man kennt diese Haltung bereits, aus einem anderen, ähnlich grundsympathischen und behutsamen Film, aus Kasei no Kanon (filmz.de) nämlich, der vor drei Jahren im gleichen Rahmen zu sehen war und von der selben Regisseurin stammt: Kazama Shiori, an die man sich als quirlig-kleine, junge Filmemacherin mit ausgelatschten Lederstiefeln erinnert. Schön, dass das Forum Beziehungen pflegt und der Werdegang junger Künstler, die in seinem Rahmen vorgestellt wurden, auch weiterhin im Auge behalten wird.



Im Kern geht es um die junge Haruko und den leichtlebigen Shinnosuke. Und es geht im weiteren um die Personen, von denen die beiden umkreist werden. Es geht um die Umstände, warum die beiden sich zwar irgendwie haben – zum Beispiel beim gemeinsamen Essen beim Chinesen, wenn man sich mit der sachten Schönheit des eingespielten, aber nicht eingeschlafenen Paares gegenseitig die Leckereien des eigenen Essens zuschiebt, die man selbst nicht mag, der andere aber zu schätzen weiß -, aber sich doch nie kriegen (wobei, sagen wir, das Ende durchaus den Schluss zulässt, dass sich nun endlich gekriegt wurde, vielleicht zumindest). Sie zieht bei ihm ein, zu Beginn, weil ihr Freund sie auf die Straße gesetzt hat. „Bei ihm“, das heißt: In den Bonsai-Laden, den er zusammen mit einem Freund als eine Art „WG-Geschäft“ betreibt. Natürlich kommt man sich näher, in Nuancen, spielt sich gegenseitig nicht immer nur liebevolle Streiche. Doch Haruko hat bald schon einen Neuen, der selbst verlassen wurde und also einsam ist. Shinnosuke kommt nicht in Frage, da der nur Jagd auf Mädchen macht, ihm aber jede Ernsthaftigkeit abhanden geht. Ein Fehler, den er zu spät bemerkt, aber immerhin hat er bald eine andere, mit der er sich tröstet. Der Reigen geht bald von Neuem los, als Haruko auf die Straße gesetzt wird, als des neuen Gefährten Ex plötzlich zurückkehrt. Das geht mit einer Selbstverständlichkeit – „Welcome back home!“ - vonstatten, dass man noch nicht mal den Auszug im Bild sieht. Also zurück in die Butze von Sinnosuke, der nun aber wiederum in einer Beziehung steht ...



Wie gesagt, ein Plätschern. Lange Einstellungen, unbewegte Kamera, lange Dialoge. Das lädt ein zum genauer Hinschauen und Mithören. Wie es weitergeht, weiß man eigentlich nie. Es ist ein Präsentieren von Bildern einer verquer sich bildenden Beziehung. Mal ist da trocken lakonischer, nie aber bösartiger Humor, mal ist es schlicht bezaubernd. Zum Beispiel in Szenen der Annäherung: Immer ist da ein Funkeln im Bild, sei es ein Licht im Hintergrund, das sich nähert (ein trotteliger Polizist auf einem Fahrrad), oder aber die Lichtreflexe vom Wasser eines Swimming Pools, das sich über zwei Menschen an dessen Rand legt. Das ist so unprätentiös in den Film hineingelegt, so wenig im Vordergrund, aber doch so stark für den Gesamteindruck, das man sich gerne in diesen Bildern umsieht und auf Reise geht. Und man fühlt sich an den schönen Kasei no Kanon erinnert, an die eine Szene, als die beiden Mädchen, die sich in diesem Film auf Umwegen näher kommen, in den Himmel schauen, um nach den Sternen Ausschau zu halten, während unter ihnen – sie befinden sich auf einer Art Gitterdach – die Lichter der Stadt funkeln, wie Sterne eben selbst, die sie als solche nur erkennen müssten.



Oder dann ein Moment zum Schluss, wenn Haruko und Shinnosuke in einer Fallgrube liegen. Die Welt scheint unterzugehen (in der Tat hört man, wie stets immer nur am Rande, zuvor gelegentlich Radiomeldungen von Selbstmordanschlägen und allerlei anderen Katastrophen, ohne dass natürlich hiermit zwanghaft die Apokalypse beschworen würde) und sie blicken steil nach oben in den Himmel. Sie schließen die Augen und das Bild wird schwarz. Doch die Schwärze bleibt nicht. Da bewegt sich was. Ein leicht roter Schimmer zieht durchs Bild. Wir sehen den Himmel. Durch verschlossene Augen, direkt auf den Augenlidern, die zur Leinwand wurden. Ganz ehrlich: Gab es das schon mal?

festival info-sheet


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Unter http://blogg.zeit.de/cinemaskop/ bloggt die Redaktion von "Die Zeit" vom Festival. Beinahe ein Blog: Rüdiger Suchsland hier auf artechock.com mit seinem Berlinale-Tagebuch.


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Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Das Festival präsentiert die Früchte der Saat, die es im letzten Jahr ausgeworfen hat: Lost and Found, im Forum als Eröffnungsfilm zu sehen, ist ein Omnibusfilm, dessen einzelne jungen Regisseure auf dem letztjährigen Berlinale Talent Campus zueinander fanden. Die Anregung zur Kurzfilmsammlung stammt von Nikolai Nikitin, unter anderem Herausgeber des Schnitt, und entsprechend dessen Leidenschaft für das Kino Osteuropas ist Lost and Found eine Bilanz jungen Filmschaffens auf dem Balkan und den Anrainerstaaten geworden. Ergänzt wurde die Talentschau durch den Kurzfilmpreisträger des letzten Jahres und einen Zusammenhang stiftenden Animationsfilm nutzt man als Scharnier und Rahmung des fertigen Pakets.

Die Idee an sich ist gut und nur naheliegend; dass das Festival im dafür passenden Rahmen des Forums die Früchte des eigenen, vor allem auch als Kontaktbörse verstandenen Campus-Projekts vorstellt, an sich der Kontinuität halber erfreulich. Fraglich aber bleibt, ob der Film – oder auch seine Bestandteile – ohne die Verbindung zur Berlinale überhaupt präsentiert worden wären. Natürlich ist es eine Binsenweisheit, dass solche Konzeptfilme grundsätzlich immer ein schwaches Glied haben, das den Durchschnitt drückt. Doch im wesentlichen handelt es sich bei den einzelnen Beiträgen dann doch fast ausschließlich um zwar immer gutgemeintes, aber doch weitgehend nur beschauliches Fabulieren mit Ambition. Eine Eheschließung in der rumänischen Provinz wird seitens der Familien mit viel traditioneller Folklore begangen, der Clou aber ist, dass das junge Paar ganz woanders weilt – man feiert und gratuliert über Handy. In Bukarest soll ein junges Bauernmädchen unter vielen Tränen den liebgewonnenen und heimlich dressierten Truthahn einem Arzt als Bestechungsgeschenk übergeben, damit der die todkranke Mutter nochmals operiert – natürlich schlägt viel fehl und ob der tote, nackte Gockel am Ende wirklich der Truthahn selbst ist, bleibt fraglich (oder auch nicht). Eine tote Mutter dient bei Nacht und Nebel zum Anlass, eine psychisch offenbar nicht mehr ganz intakte Rest-Kleinfamilie zum bedeutungsschwangeren Treffen vor bedrückend-verfallener Kulisse zu vereinen. Viel interessanter erscheint der zwischen den Beiträgen durchblitzende „Rahmenfilm“, der mit unterschiedlichen Praktiken des Animationsfilms kleine, oft surreale, meist motivisch überleitende Miniaturen bildet, die mal an die Glanzzeiten tschechischer Animationskunst, mal an avantgardistische Zeichentrickfilme erinnern.

Wobei es dann doch eine Ausnahme gibt, die wirklich rundum gelungen ist: Der jugoslawische Beitrag nämlich, dem es auf erstaunlich reife Weise gelingt, in einem raum-zeitlich sehr begrenzten Rahmen einen lakonischen Blick auf das Leben, seinen Sinn und den Konflikt der Generationen zu werfen. Ort des Geschehens ist eine Tram, die stoisch durch Belgrad rattert, Hauptfigur die schon reife Ticketverkäuferin, die ihr Leben offenkundig durch’s Klo gespült hat, flankiert von ihrem dementen Opa, den sie mitschleppt, weil sie nicht weiß wohin mit ihm, und ihrer Tochter, die lauthals mit ihr debattiert, weil den Mann ihres Lebens kennen gelernt hat. Vor wenigen Tagen und er ist Kubaner und sie will nun nach Kuba auswandern, dort heiraten. Kaum wird der Mutter das Ticketgeld unbemerkt gestohlen, dreht sie, als sich ihr die Gelegenheit bietet, durch und kidnappt die ganze Tram. Ein paar Straßen weiter indes zwei einsilbig im Wagen vor sich hinbrüteten Polizisten, denen es dann obliegt, die außer Kontrolle geratene Straßenbahn aufzuhalten. Wie dies gelingt, wie die Täterin in Staatsgewalt genommen wird und welche Folgen dies zeitigt, das ist charmant bis auf die Knochen und in jedem Moment vor allem auch überzeugend in Szene gesetzt.

Man bleibt also im Zwiespalt. Talent ist gewiss jedem Beitrag anzuspüren. Aber eben auch, dass es sich um erste Schritte handelt. Solche können oft voller Hunger und Wagemut begangen werden. Ein Sturm auf die Bilder, Geschichten, Motive, auf die formalen Konventionen. Dass davon nur sehr wenig zu spüren ist, dass man sich – getreu eigentlich den meisten Figuren des Films, denn „Generationen“ ist das alles bestimmende Thema – zwischen Aufbegehren und Tradition einen für beide Seiten sicheren Weg aussucht, ist eigentlich schade.

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Kaum ist Berlinale, wird das Wetter in Berlin grausig. Mützen und hochgeknöpfte Kragen prägen das Bild am Potsdamer Platz. Der Betrieb geht langsam los, vom allgemeinen Trubel ist noch nicht viel zu spüren. Kein Wunder, schließlich finden heute noch kaum öffentliche Vorführungen statt. Im Cinemaxx aber ist schon heavy scheduling angesagt: Das Forum präsentiert seine internationalen Schätze im Pressevorführungsmarathon und der, wie man hört, reichlich öde Eröffnungsfilm Man to Man (den ich mir von vorneherein geschenkt habe) bekam kurzfristig aufgrund des Ansturms gleich noch eine dritte "PV" (wie "Pressevorführung" im Journalistensprech heißt) verpasst.

Großes Thema des ersten Tages natürlich wie immer (neben allgemeinem Gemurre über die Programmauswahl): Das Wasser des Sponsors, das den Akkreditierten zum freien Konsum kredenzt wird. Herrschte in den letzten Jahren noch Wellness-Dezenz (Rosé und Veilchenblätter sorgten vormals für feine Aromatisierungen, die dennoch, wenn im Dunkeln des Kinosaals unter Erwartung eigentlich neutralen Geschmacks genossen, manche, nicht immer positive, Überraschungen zur Folge hatten), bekommt man dieses Jahr die volle Breitseite postmoderner Geschmacksexzesse verpasst: Walderdbeere meets Pfeffer. Ananans flirtet mit Aloe Vera (oder wie das heißt). Zeugs mit Zeugs und nochmal Zeugs. Wer einfach nur "Wasser" will, verliert zwangsläufig, es sei denn er hält den gierigen Schnabel unters Leitungswasser (das ist wie mit Joghurt, wer hätte in letzter Zeit einfach nur mal "Erdbeerjoghurt" in freier Wildbahn gesehen?). Erste Gourmet-Diskussionen im Schatten des Berlinale-Palasts fanden bereits statt, weitere werden - angesichts der breiten Palette, durch die sich getrunken werden will - zwangsläufig folgen. Das "Water of the Festival" (im letzten Jahr bei mir, in der Tat, nach einer kurzen Phase Toleranzarbeit meinerseits: Rosé, bald schon leidenschaftlich getrunken, was die üblichen Fragen aufwirft, inwiefern die Berlinale die Journalisten mittels Gratiswasser unter euphorisch stimmende Drogen setzt...) ist noch nicht gefunden, die Jury testet noch.

Ein wenig stolz bin ich schon auf mich: Im ersten Stock der Arkaden habe ich noch kein Eis gegessen. Hier herrscht dieses Jahr nicht strikte, aber nahezu Abstinenz. Das Eis ist nämlich so sauteuer wie es saulecker ist (und unter zwei mal zwei Kugeln täglich ging kein Berlinaletag vorbei). Auch eine Chinapfanne, ebenfalls dort käuflich zu erstehen, ist bislang noch nicht meinen Schlund hinabgewandert. Wobei ich während der Sichtung des, um es schon mal vorweg zu nehmen, sehr schönen Sekai no Owari (Infos) gute Lust bekommen habe. Da sitzt man nämlich auch gelegentlich als Japaner beim Chinesen und isst Nudelpfannen. Jene großen, mit viel Suppe und einem braun verfärbtem Ei drin. Was mich auch an New York erinnerte, an Chinatown, wo ich allabendlich mit meiner Liebsten dinnierte. In einer Suppe hatte sie auch so ein Ei drin schwimmen, was sie sehr glücklich stimmte, da sie Eier sehr liebt, vor allem Eigelb. Und die beiden, die in dem Film diese Suppen essen, teilen sich dann die Eier auch wunderschön auf: Sie kriegt sein Eigelb, er kriegt ihr Eiweiß. Perfekte Symbiose, eigentlich. Und solche sachten Detailmomente finden sich viele in Sekai no Owari, ganz ohne Romantikgeheische und dergleichen. Hinschauen, aus dem eigenen Leben kennen oder nicht. Zurücklehnen und am Ende in den Himmel schauen, durch die Augen der beiden, die sich eigentlich haben, aber nie so recht zu kriegen scheinen.


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Was habe ich mich geärgert, dass ich es wohl zeittechnisch nicht hinbekommen werde, Kubricks Meisterwerk der Science Fiction (und meinen ganz persönlichen Lieblingsfilm) 2001 - A Space Odyssey in der Berlinale-Vorführung mit der 70mm-Fassung zu sehen.

Und nun meldet das Kino Delphi, dass nach der Berlinale einige Vorführungen mit exakt dieser Version stattfinden werden. Die Pressemitteilung im Wortlaut:

Der Delphi Filmpalast am Zoo ist besonders stolz darauf bekannt geben zu können, diesen Meilenstein der Filmgeschichte im aufwendig in Bild und Ton restauriertem 70mm Filmformat mit 6 Kanal Stereo Magnetton (in der Originalfassung !) für eine kurze Zeit der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Die Vorführungen finden im Anschluss an die diesjährige Berlinale und begleitend zur Stanley Kubrick Ausstellung in Matineevorstellungen jeweils sonntags, beginnend mit dem 27.02.05 um 12.00 Uhr statt. Dies bietet dem filminteressierten Publikum der Stadt die äußerst seltene Gelegenheit eine Aufführung im 70mm Format erleben zu können. Zeitgemäße Investitionen in die Tonanlage inklusive neuer Magnettontechnik ermöglichen einen filmischen Genuss der Extraklasse. Großer Dank gilt der Familie Kubrick und der Warner Bros. für die einmalige Gelegenheit diese Einladung an das Publikum aussprechen zu dürfen.

Eintritt. Euro 7.50
Der Erwerb der Eintrittskarten ist ab 21.02.05 im Vorverkauf oder jeweils ½ Stunde vor Beginn der Vorstellung möglich.

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Ich freue mich!


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Auf den letzten Drücker stößt noch Bernd Böhlichs Mutterseelenallein zu den programmierten Filmen der Berlinale. Das Kinospielfilmdebüt schildert die Situation einer Frau, die erfährt, dass ihr Sohn zum Mörder geworden ist. Bea, die weibliche Hauptfigur, durchlebt alle extremen Aggregatzustände menschlichen Verhaltens und gerät dabei selbst an den Rand der Gesellschaft. Die Rolle der Bea spielt Katrin Saß. Der Film ist am 11. Februar im Kino International zu sehen.

Weitere Informationen hier auf der Website des Festivals.


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Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Mann packt in abendlicher Gesellschaft Schwanz aus, legt ihn auf den Tisch. Mann bezeichnet sich im Off-Kommentar als Idiot. Stimmt. Binsensweisheiten, weitere: Alle sind Idioten, zum Beispiel. Und früher war er ein Idiot, der es nur nicht wusste. Freund stirbt, Mann verwindet's nicht. Freund hatte Dostojewski aufgeführt. Hätte man sich denken können, Idiot und so. Mann schlägt sich den Kopf an. Trifft dabei Frau seiner Träume - verfall', verfall'! Doof: Ist verheiratet. Machen wir auf Hitchcock, Mann wird Spanner. Und dies immer aus dem Off reflektierend. Frau kriegt's mit, schlägt ihn, Mann genießt's. Eine amour fou wird das. Ficken hier, Ficken dort, Ficken allenthalben. Dialoge mit Freunden, der Idiot, der Mann. Beim Kiffen. Kamera wackelt, wackelt weiter, wackelt dauernd. Bleibt Frau beim Mann, bleibt Frau bei ihrem Mann? Hat Frau noch anderen Mann? Krise. Krise, Krise, Krise! Mann fliegt weg. Südamerika. Reflektier', reflektier'. Er darf ja Fehler machen, denn Mann ist: Idiot. Mann kommt wieder. Handy klingelt, alles irgendwie absurd, Kamera wackelt, kurzer Kitzel vor dem Höhepunkt. Labereien aus dem Off. Bleibt sie bei ihm? Frau kommt zurück, lächelt ihn an, ja, offenbar. Blick von hinten, Iris blendet ab. Paar zusammen, Film aus.

Ich habe ganz ehrlich keine Ahnung, was er von mir wollte. Aber immerhin hat die Kamera gewackelt (Kunst!).

imdb | berlinale-infoblatt


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Mittwoch, 9. Februar 2005
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Auch die Deutsche Welle bloggt zur Berlinale. Auf http://berlinale.dw-world.de/ kümmern sich Christine Haries und Marcus Bösch vor allem um den Boulevard und nehmen uns mit "auf die Pressekonferenzen, die Partys und auf den roten Teppich".


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Für Freunde des Werkes von Stanley Kubrick ist die Berlinale ein wahres Fest. Neben der bereits vor drei Wochen eröffneten Ausstellung im Martin-Gropius-Bau bietet sich in der Retrospektive des Festivals die Möglichkeit, das gesamte Werk Kubricks (mit Ausnahme des von Kubrick selbst zurückgezogenen Fear and Desire) im Kino zu sichten. Gesprächsrunden und andere Veranstaltungen runden das Angebot ab.

Sehr nützlich für den Aficionado ist dabei ein Timetable, das die Organisatoren der Kubrickausstellung zusammengestellt haben. Darauf finden sich alle Termine und Informationen zu Kubrickveranstaltungen während und am Rande des Festivals.

Der direkte Link: http://www.stanleykubrick.de/res/pdf/timetable_kubrick_berlinale.pdf


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Thema: Kinokultur
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Kurz zwischendurch, komme aber gerade nicht zur genaueren Lektüre: Die neue Ausgabe von Senses of Cinema ist online.


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Die letzten Tage vor dem Festival sind immer für Überraschungen gut. Der bereits fest programmierte Film Heights wurde in letzter Sekunde aus dem Programm genommen, dafür ist nun Fateless im Wettbewerb zu sehen.

Weitere Informationen aus der Pressemitteilung:

Die literarische Vorlage für den Film ist der „Roman eines Schicksallosen“ des ungarischen Nobelpreisträgers Imre Kertész, in dem er den Holocaust aus der Sicht eines heranwachsenden Jungen schildert. Kertész ist auch für das Drehbuch von Fateless verantwortlich.

Das Regie-Debüt des renommierten Kameramanns Lájos Koltai (Oscarnominierung für Malena) erzählt vom Schicksal der jüdischen Bevölkerung Budapests unter der Nazi-Herrschaft.

Zu den Hauptdarstellern gehören Marcell Nagy, Áron Dimény und András M. Kecskés. Die Filmmusik hat Ennio Morricone komponiert.


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Kleiner zusätzlicher Service, Furl macht's möglich: Hier links am Weblog-Rand befindet sich nun ein kleiner Presseschau-Ticker mit aktuellen Links zu Artikeln und Kritiken anderer Berichterstattungen. Der "Archiv-Link" darunter zeigt eine Übersicht aller verlinkten Berlinale-Texte. Nach Möglichkeit werde ich während des Festivals versuchen, zumindest einmal täglich ein Update vorzunehmen.

Viel Spaß bei der Lektüre.


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Dienstag, 8. Februar 2005
Das Festival steht kurz bevor. Im ganzen Stadtgebiet kann man bereits Menschen beim eifrigen Durchblättern des Berlinale-Programmjournals beobachten, die Feuilletons bieten erste Vorabartikel, der Vorverkauf für die ersten Berlinale-Tage ist eröffnet. Zeit für einen kleinen Ausblick: Filme, die ich mir unter keinen Umständen entgehen lassen werde (oder die ich mir leider entgehen lassen muss), allgemeine Empfehlungen und Hinweise auf Interessantes, Notizen aus den Pressevorführungen (ein paar komplette Kritiken gab's ja schon).

Die Retrospektive war im letzten Jahr mit dem Thema "New Hollywood" das eigentliche Highlight des ansonsten mittelmäßig geratenen Festivals. Bald schon traf sich hier eine eingeschworene Gemeinde Cinephiler ein, die unter dem Dach des großen Cinemaxx einem der spannendsten Kapitel jüngerer Filmgeschichte beim Pulsieren zusah. Die diesjährige Retrospektive - glücklicherweise auch diesmal thematisch und nicht auf eine Person hin ausgerichtet - verspricht ein nicht minder spannendes Ereignis zu werden, zumal mit dem Thema "Production Design" einer der ansonsten übergangensten Aspekte der Filmgrandezza im Mittelpunkt steht und die Retrospektive in sich eine komplette Werkschau Stanley Kubrick beinhaltet (Fear of Desire, der nicht zu sehen ist, wurde von Kubrick selbst aus dem Verkehr gezogen): Ganz besonders hingewiesen sei dabei auf die sich am Sonntag bietende, äußerst rare Möglichkeit, die frühesten Kurzfilme des Meisterregisseurs in einem Programm zu sichten. Christiane Kubrick wird der Vorführung von Paths of Glory abstatten und außerdem am 16.02. mit Jan Harlan, Kubricks Produzenten, im Filmmuseum für ein Gespräch mit Michel Ciment zur Verfügung stehen. 2001 wird im übrigen am 16.02. in der Urania in der 70mm-Fassung gezeigt - eine seltene Möglichkeit, den Film im Originalformat zu genießen (dem regulären Screening der Retrospektive im Cinemaxx liegt nur die 35mm-Fassung zugrunde).
Fernerhin interessant zu werden verspricht der japanische Film Yukinojos Rache, ein Rachedrama aus dem Jahr 1962/63. Strictly Filmschool bezeichnet es als "an audacious and infinitely fascinating exercise in straddling the fragile equilibrium that interweaves cultural past and present, East and West, theater and cinema." Ich bin mir sicher, hier eine große Entdeckung machen zu können (hier betrachtet die Village Voice das Werk von Regisseur Ichikawa genauer). Schöne Screenshots aus dem Film bringt dvdbeaver.com.
Satyajit Rays Musikzimmer zählt zu den großen Klassikern des indischen Auteurs. Eine leider nicht konzentriert durchführbare DVD-Quersichtung stellte mir ein wunderschön fotografiertes Drama mit einigen atmosphärisch und emotional sehr dichten Musikeinlagen (nicht im Bollywoodsinne!) in Aussicht. Auch hier eine Empfehlung, zumal es sich um keinen gemeinhin bekannten Film handelt. Gleiches gilt natürlich für Wangshibri aus der über mehrere Sektionen verteilten Werkschau Im Kwon-Taek, die ebenfalls eines der Highlights der Berlinale zu werden verspricht (Kritiken gibt's derzeit aktuell auf http://www.jump-cut.de!).


(Sekai no Owari))

Das Forum bietet ein langersehntes Wiedersehen mit der japanischen Regisseurin Kazama Shiori. Deren The Mars Canon lief vor 3 Jahren in selber Sektion und begeisterte nicht nur mich damals schwer (in der Tat war der Film eines meiner schönsten Berlinale-Erlebnisse und der Gedanke, sowas wie ein Filmtagebuch zu führen, rührt sogar von diesem Erlebnis her: Irgendwas Persönliches sollte von diesem schönen Film fixiert werden.). In diesem Jahr nun gibt es ihren neuesten Film Sekai no Owari zu sehen. Hier gibt es detaillierte Informationen zum Film.
Außerdem bin ich auf Verschwende Deine Jugend.doc gespannt, der nun nichts mit dem deutschen Spielfilm von vor einiger Zeit zu tun hat, sondern eher mit dem Interviewroman, der bei Suhrkamp erschienen ist, in dem mehrere Protagonisten der hiesigen Punkszene der frühen 80er zu Wort kommen. Die Dokumentation setzt dies nun filmisch um und verwendet dabei offenbar auch viel historisches Material. Hier weitere Informationen.
Besonders hinweisen möchte ich noch auf den koreanischen Beitrag This Charming Girl, den ich schon vorab sichten konnte. Der Film schildert sacht und behutsam den monotonen Alltag der jungen Postangestellten Jeong-hae, umgeht dabei allerdings geschickt jede melancholische Tristesse-Falle. Alltagsbeobachtungen - wie etwa die der Zähmung einer zugelaufenen Katze - und Annäherungen an einen jungen Schriftsteller ergeben ein mit ruhigem Strich gezeichnetes Bild vom Leben der jungen Frau, doch bleibt eine seltsame Leere über allem. Und dies mit Grund: Wie sich herausstellt, ist Jeong-hae eine traumatisierte Person. Filmpathologien werden dabei geschickt umschifft, im Gegenteil zeichnet sich der Film durch seine angenehm "rohen", im Sinne von "uninszenierten" Bilder und nicht zuletzt durch die nuancierende Arbeit der Hauptdarstellerin aus. Ein ruhiger, kluger Film - ein echter "Forum-Geheimtipp". Hier weitere Informationen.
Das Forum ist immer auch die zentrale Anlaufstelle für anspruchsvolle Genrekost aus Fernost. Vor allem die beliebte Mitternachtsreihe hatte hier oft einige Perlen in petto, noch vor dem dafür eigentlich bekannten Fantasy Filmfest. Dass diese kleine Sparte im Forumsprogramm nun eingedampft wurde, ist sehr bedauerlich. Dennoch findet sich mit Jiang Hu wieder - wie beinahe schon Tradition - ein Mafiagangsterfilm aus Hongkong mit Superstar Andy Lau im Programm (vorletztes Jahr Infernal Affairs, letztes Jahr der wahnwitzige Running on Karma und Infernal Affairs 3). Genauere Informationen hier.
Definitiv auch anschauen werde ich mir Violent Days, einen französischen Spielfilm, der mit stilisierenden Mitteln die Subkultur der Rockabillies, deren Alltag und die Rolle der Gewalt darin behandelt.


(This Charming Girl)

Im traditionell in der Öffentlichkeit etwas unterrepräsentierten Kinderfilmfest/14Plus hat man Shunji Iwais neuesten Film ja beinahe schon versteckt: Hana & Alice, der, wie man hört, auf den drei Werbeclips des Regisseurs für einen Schokoriegel basiert. In der Vergangenheit drehte Iwai Filme den unglaublich bezaubernden Swallowtail Butterfly und den traurig-schönen All About Lily Chou-Chou, der vor drei Jahren im Panorama gezeigt wurde. Hier gibt es bei filmforen.de einen reich bebilderten Infothread, der große Lust macht.

Everyone's Darling, die Perspektive Deutsches Kino, reizte mich in Vergangenheit nur wenig. Bloß pflichtbewusst weise ich deshalb auf die Filme Happy End, Blackout und Weltverbesserungsmaßnahmen hin, die ich mir wohl ansehen werde. Letzterem begegne ich dabei eher kritisch: Als einen Vorschlag zur Verbesserung der Welt zieht der offenbar essayistisch konzipierten Films wohl tatsächlich mal wieder den alten Antisemiten Gesell mit seinem Rostgeld aus der Schublade - verkürzte Kapitalismuskritik my Ass! (Aber mal schauen, was der Film noch so weiß).
Ehrlich interessant klingt Was lebst Du?. Der Film "erzählt - [...] sehr persönlich und äußerst unterhalsam - aus der Welt von von vier muslimischen Freunden unterschiedlicher Nationalitäten in Köln.", so das Programm-Journal. Ein Kandidat für: Mal schauen, was mein Terminplan hergibt!

Übliches zum 20. Jubiläum beim Panorama: Arthouse, Dokumentationen, etwas kleinere Starfilme, die es nicht in den Wettbewerb geschafft haben. Das Thema Sex steht diesmal sehr im Vordergrund: Gezeigt wird die Dokumentation Inside Deep Throat, die sich der Geschichte des ersten auf breiter Basis populären Pornofilms, Deep Throat, annimmt, der, wie man heute auf SpOn lesen konnte, anlässlich dieser Dokumentation nun auch wieder ins (US-)Kino kommt. Dass man diesen filmhistorisch wichtigen (!) Film nicht auch gleich noch gezeigt bekommt, ist eigentlich etwas schade (wäre allerdings dem Kulturbürgertum, der Hauptklientel des Panoramas, wohl auch nicht zuzumuten ...). Wer im "Schedule-Druck" ist, sei im übrigen darauf hingewiesen, dass Constantin einen deutschen Kinostart für den Sommer ankündigt. Ebenfalls mit der Pornografie beschäftigt sich u.a. Cycles of Porn - Sex/Life in L.A. Part 2. Im Mittelpunkt stehen die Auswirkungen des Internets auf die Branche.
Protocols of Zion scheint eine sehr interessante Dokumentation über die vom russischen Geheimdienst erstellten "Protokolle von Zion", bis heute Kernstück antisemitischer Phantasmagorien, zu sein. Steht fest in meinem Timetable!
Die Berliner Ausnahmerockband MUTTER wird in Wir waren niemals hier beleuchtet.
Der neue Andreas Dresen, Willenbrock, läuft ebenfalls im Panorama. Und wieder zieht Dresen mit Axel Prahl gen Osten, die dortigen Befindlichkeiten zu untersuchen und sichtbar zu machen.
Keine Lieder über Liebe ist wohl so eine Art fiktiver Dokumentarfilm-im-Film über die Wege einer jungen deutschen Independentband. Mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle, unter Mitwirkung von Markus von KETTCAR entstanden, den ich als Sänger von ...BUT ALIVE seinerzeit mal sehr toll fand (KETTCAR nun eher nicht so, aber schon die letzte ...BUT ALIVE kam bei mir nie an).


(Peacock)

Der diesjährige Wettbewerb setzt den letztes Jahr unter den Eindrücken der vorgeschobenen Oscar-Verleihung beschrittenen Weg fort: Mehr Europa, mehr Afrika, weniger USA, weniger Hollywood-Stars. Entsprechend mehr Kulturbürgerprogramm, engagierte Arthouse-Filme, etc. In einer Zeit, wo sich gerade dieses Segment eigentlich in einer sackgassenartigen Krise befindet, mag man davon halten, was man will. Wenn aber die Aufmerksamkeit weg vom Glamour geht und hin zu den Filmen (oder gar: Zu besonderen Filmen der Nebensektionen) findet, dann soll einem das auch recht sein. Einige interessante Filme gibt es auch hier, auch wenn der Wettbewerb, wie letztes Jahr, im Allgemeinen eher uninteressant ausfällt: Vor allem natürlich Gespenster von Christian Petzold soll empfohlen werden. Schon Wolfsburg, eigentlich nur für's TV gedreht, dann doch noch im Panorama gelandet und mit Ach und Krach Wochen später in lachhaft geringer Kopienzahl sogar im Kino, hätte das Zeug zum veritablen Wettbewerbsfilm gehabt. Dass Petzold hier nun berücksichtigt wurde, freut mich persönlich ganz besonders.
Mit Twilight Samurai war Yoji Yamada vor zwei Jahren schon im Wettbewerb vertreten. Der Film war langweilig, formal fad und streckenweise gar furchtbar schmonzettig. Weiß der Geier, warum ich also auf seinen neuen Film, The Hidden Blade, hinweise. Vielleicht weil ich gerade Lust auf Samuraifilme habe (und weil Japan im Wettbewerb nicht gerade stark repräsentiert ist). Empfehlung unter Vorbehalt also.
Peacock ist das Regiedebüt des chinesischen Kameramanns Gu Chang Wei, der auch Lebewohl, meine Konkubine geschossen hat. Im Mittelpunkt steht der Alltag der 70er und 80er Jahre einer chinesischen Arbeiterfamilie in der Provinz.
Ganz besonders freue ich mich auf Tsai Ming Liangs The Wayward Cloud, in dem der taiwanesische Regisseur die Liebesgeschichte seines letzten Films What Time is it there? (meine Kritik) fortschreibt. War dieser jedoch eine Übung in formaler Reduktion und Langsamkeit, scheint das "Sequel" andere Wege zu beschreiten: Das Programm-Journal spricht von "bunten Musical-Einlagen". Ich bin gespannt!
Eine Sache des Herzens ist der Hinweis auf The Life Aquatic, der neue Film von Wes Anderson. Dass viele die Royal Tennenbaums abtaten, kann ich gut nachvollziehen und sehe die Kritikpunkte ein. Dennoch war da was, was in mir was zum Klingen brachte, etwas, was über bloße sophisticated Schrulligkeit hinausging. Der Soundtrack, die Farben, all das - wie heiße Schokolade am Herbstnachmittag. In The Life Aquatic schickt Anderson nun seine "Muse" Bill Murray in ein Unterwasserabenteuer. Ich freue mich!

Das Berlinale-Special ehrt die Shochiku, eine der traditionsreichsten Produktionsgesellschaften aus Japan, die in diesem Jahr die 110 voll macht - also exakt so alt wie das Kino selbst ist. Gezeigt wird deshalb der 1954 entstandene Film Nijushi no Hitomi, ein Antikriegsdrama, das vom Jahr 1928 an das Schicksal der Kameraden einer Schulklasse über Jahrzehnte hinweg beobachtet. Sehr vielversprechende Screenshots gibt es auf dvdbeaver.com. Auf Filmsasia.com finden sich zwei euphorische Besprechungen und auch das sagenhafte imdb-Voting - 8.1 bei 60 Stimmen - sollte einem den Film schmackhaft machen.
Auch nicht uninteressant erscheint mit der russische Beitrag Nochnoj Dozor, ein mit hohem Produktionsaufwand realisierter Blockbuster aus dem Fantasy-Thriller-Genre: Zahlreiche Fabel- und Halbwesen treffen sich in Moskau zur finalen Konfrontation zwischen Gut und Böse ein, das Journal verspricht ein "halsbrecherisches Tempo" und zwei Sequels befinden sich schon in Planung. Man darf gespannt sein.

Auf ein spannendes, inspirierendes, entdeckungsreiches Festival am Potsdamer Platz und seinen Trabanten im Berlinale-Planetensystem!


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Montag, 7. Februar 2005
Der Film läuft in der Sektion Panorama.

Die Begegnung mit der verschrobenen japanischen Diva Madam Umeki (Matsuzaka Keiko) eröffnet der jungen Immobilienverkäuferin Meili (Teresa Cheung) eine seltsame erotische Schattenwelt. Deren nostalgisch-luxuriös eingerichtetes Apartement steht zum Verkauf und Meili obliegt es, es nach bestem Wissen und Gewissen an den wohl Geeignetsten zu verkaufen. Bei einer Besichtigung begegnet sie dem jungen attraktiven Kim (Sho), der sie in seinen Bann zieht und sie verführt. Doch auch die stattliche Erscheinung des Polizeioffiziers #4708 fällt ihr bei ihren täglichen Wegen durch die Gassen der Stadt auf. Der ist ganz sinnlich und streift alles im Vorbeigehen mit seinen Fingerkuppen. Eine junge Frau (Harisu) stößt zu dem Geflecht, die sich als die junge Madam Umeki ausgibt, kurz nach ihrer Geschlechtsumwandlung, die sie durchgeführt hat, um Kim zu gefallen. Der wiederum findet bald Gefallen an #4708. Und vor dem feinen Ambiente ihres Apartements führt die ältere Madam Umeki Meili in die wunderbare Welt des Fetischs und des Masochismus ein ...



Der Hongkonger Regisseur Yonfan hat für dieses panasiatische Projekt eine illustre internationale Truppe um sich geschart: Die Darsteller stammen aus Korea, Hongkong und Japan, den Soundtrack voller dunkler Exotik hat Bollywood-Dauerkomponist Surender Sodhi erstellt und Kameramann Wang Yu, der schon den bezaubernden Souzhou River (2000) geschossen hat, stammt aus China. Ziel war die Schaffung einer "new cinematic force". Herausgekommen ist allenfalls eine kinematische Farce, deren Blödheit bald schon physisches Unbehagen auf Zuschauerseite nach sich zieht.



Irgendwo zwischen delikater Erotikliteratur des 19. Jahrhunderts - Sacher-Masoch kommt einem gelegentlich in den Sinn - und 80er Jahre Lack-und-Leder-Hochglanz angesiedelt, ist Colour Blossoms ein bemerkenswert unerotischer Erotikfilm, der in seinem verkrampften Bemühen, noch jede Nuance des Genderbendings durchzudeklinieren, dieses an sich ehrenwerte Projekt eigentlich nur einer seltsam peinlichen Lächerlichkeit preisgibt, ohne dass eine derart ironische Haltung irgendwie intendiert wäre. Die Geschichte mit dem Polizeioffizier und dem Spiel mit fremden Wohnungen erinnert ein wenig an Chungking Express, mit dem Unterschied, dass jeglicher Esprit vermieden wurde, wenn #4708 wiederholt mit vergeistigter Visage an Treppengeländern herumfummelt. Auch die Einrichtung der alten Wohnung verrät deutlich, dass man es auf Wong Kar-Weis Studien in Nostalgie abgesehen hatte. Dieser Hang zur offenkundigen Anlehnung vermischt sich mit einer stilisierten Obsessionserotik wie man sie motivisch von Jess Franco kennen kann. Von beiden auf ihre Weise reizvollen Regisseuren übernimmt man aber qualitativ rein gar nichts, sondern gefällt sich vielmehr im Abspulen einer zum Ende hin immer penetranteren, aber stets öde bleibenden Ledermodeschau ohne Sinn und Verstand, die von Fetischismus oder Masochismus nichts verstanden hat und seine Darsteller mit einer Würdelosigkeit nach der anderen bestraft, die diese mit ernster Miene durchzuexerzieren vom jedweder Souveränität verlustig gegangenen Regisseur verdammt sind. Diese Verdammung überträgt sich 1:1 auf den Zuschauer, der ob dieses Machwerks mehr als nur einmal den Blick kopfschüttelnd zu Boden senkt. Nurmehr ratlos ist man da, wenn man erfährt, dass die Vereinigung der Filmkritiker Hongkongs in ihrem Jahresrückblick dem Film, mit neun anderen, eine lobende Erwähnung zusprachen.

Oder kurz: Wir raten ab. (aber sowas von)

imdb | kritik auf jump-cut.de (-MAERZ-)


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Der Film läuft in der Sektion Panorama und ab 17.Februar im Kino.

Der Swing-Entertainer Bobby Darin ist, im Gegensatz zu seinem alles überragenden Vorbild Frank Sinatra, eine tragische Figur der populären Kultur der 50er Jahre. Trotz einiger Evergreens, die er der Musikgeschichte beschert hatte immer eine Nummer kleiner als Sinatra geblieben, kehrten ihn die 60er Jahre - trotz einiger Versuche, an sie anzuschließen - beinahe schon rüpelhaft unter den Teppich. Mit 37 starb er schließlich an den Folgen einer Krankheit aus Kindertagen, die sein Herz geschwächt hatte; ein stolzes Alter eigentlich, wenn man bedenkt, dass ihm seine Ärzte - folgt man Spaceys Film - maximal 15 Jahre vorausgesagt hatten. In jüngsten Jahren erfuhr Darin zumindest in zweiter Ordnung eine kleine Renaissance: Durch Robbie Williams’ Neuauflagen diverser Darinsongs, darunter auch, eingesungen für den Soundtrack des Pixar-Animationsspektakels Findet Nemo, Beyond the Sea.

Viele Jahre soll Kevin Spacey für diese Projekt gerungen haben. Dass man das dem fertigen Film, dessen Produktion Spacey kurzerhand, nachdem er in den Staaten wohl keine Möglichkeit mehr sah (und ihm, was ebenso anzusehen ist, die Zeit auch aus biologischen Gründen davon zu laufen drohte) , nach Großbritannien und Deutschland verlegte, ansähe, ist glatt untertrieben. Beyond the Sea ist nichts geringeres als die ultimative Kevin Spacey Picture Show. Spacey schrieb das Drehbuch, führte Regie, produzierte, tanzte alle Choreografien selbst und sang zudem jeden Verwendung findenden Darinsong neu mit eigener Stimme ein. Vor allem die performativen Aspekte seiner Arbeit gelingen Spacey dabei durchaus: Mit seiner zwischen Lausbub und Womanizer changierender Physiognomie ist er die Paradebesetzung für die augenzwinkernden Performances der Swing-Ära. Auch der Stepptanz gelingt ihm ausnehmend gut, so dass die (zahlreichen) Musicaleinlagen des Films, die diegetisch mal verbindlich (Film-im-Film), mal unverbindlich („It was a fantasy sequence“, sagt Darin-Spacey an einer Stelle) eingestreut sind, ohne weiteres vor der Tradition des Genres bestehen können. Und natürlich stellen sie das eigentliche – mal mehr, mal weniger erfolgreiche - Spektakel des Films, bzw. für Spacey wohl den primum movens, sich überhaupt diesem Stoff zu widmen, dar: Ganz unverhohlen wollte Spacey sich als stepptanzender, swingend-singender Entertainer inszenieren, solange ihm das Alter dies noch gestattete.

Dies, wie der Umstand, dass Spacey als 44jähriger über weite Strecken im Film einen knapp 20jährigen verkörpert, lädt natürlich zu hämischer Kritik ein, die Spacey jedoch im Film durch eine pro- und epilogische Rahmung antizipiert und dadurch zu zerstreuen sucht. Ganz nebenbei eröffnet er dem nicht unheiklen Subgenre des Biopics einen selbstreflexiven Diskurs, den es bis dato, meines Wissens, darin nicht gegeben hat. Ganz nach Tradition De Palmas lässt Spacey seinen Film nämlich als eine dem Zuschauer zunächst nicht als solche erschließbare inszenierte Realität innerhalb der Filmrealität beginnen: Der espritvolle Auftritt vor begeistertem Publikum eines Nachtclubs entpuppt sich jäh als Dreharbeit zu einem Darinbiopic, in dem Darin sich selbst verkörpert. Die Maske des Sunnyboys fällt schnell, als er recht eitel die Szene abbricht, wiederholen lässt und dem Nächstbesten daran die Schuld unterjubelt. Kritische Dialoge folgen, ob Darin nicht schon zu alt für eine solche Performance sei, es nehme ihm doch keiner mehr ab, einen 20jährigen darzustellen. Auftritt eines kleines Jungen, der sich aus den Kulissen nach vorne schiebt, im Film-im-Film soll er Darin als Jungen spielen, im eigentlichen Film (den wir sehen) macht er das auch und darüber hinaus ist er Darin noch die Wiederkehr der eigenen Vergangenheit: Er, der Junge, sei kein Darsteller, sondern der kleine Darin selbst, den der erwachsene Darin zurückgelassen habe. Diskussionen im diegetisch ortlos Bleibenden folgen, wie nun Darin im Film sein Leben inszenieren solle, der junge meint, so sei es nicht gewesen, der alte kontert, dass im Film nicht Authentizität, sondern Künstlichkeit gefragt sei.



Das Subgenre selbst erfährt in diesen Momenten eine Thematisierung seiner eigenen Problemstellungen, die den fertigen Elaboraten in der Regel, fatalerweise, oft nicht mehr anzusehen sind. Denn ganz grundsätzlich ist dies in mehrerlei Hinsicht determiniert: Es hat historische Fakten zu berücksichtigen, muss aus der Fülle eines Lebens in zwei, maximal drei Stunden die Essenz ziehen, es ist den Strukturen und dem Verlauf des Dramas verpflichtet, das die Faktizität schnell überformt, und nicht zuletzt vor allem ein Produkt seines Autors, der ein eigenes künstlerisches Projekt verfolgt. Das fertige Produkt muss sinnfällig sein, eine Geschichte nach üblichem Schema erzählen und soll darüber noch faktisch bleiben: Dies ist, beileibe, nicht zu schaffen, was das Biopic – am perfidesten vielleicht im TV-Format „Dies ist Dein Leben“ (das in Beyond the Sea ebenfalls kurz aus der Schublade gezogen wird) – nicht daran hindert, Faktizität für sich zu beanspruchen und als historisches Dokument für sich mehr oder weniger Geltung zu verlangen. Beyond the Sea schlägt hier einen deutlich anderen Weg ein, indem er von Anfang keinen Zweifel daran lässt, dass hier nicht „Bobby Darin, wie er wirklich war“ versucht wird, sondern dass vor allem Kevin Spacey, als alles überblickende Instanz des Films, und seine Leidenschaft für diesen Stoff, den Bobby Darins Leben darstellt, im Mittelpunkt steht. So unterstreicht auch der Epilog, der den Zuschauer nach Bobby Darins Tod dennoch mit Zungenschlag aus dem Film verabschiedet, dass der Privatmensch Darin vielleicht gestorben sein mag, die Kunstfigur Darin aber, gerade deshalb, niemals sterben kann und auch nicht Darins Tod am Ende des Films zu beklagen ist: Weil es um den Privatmenschen, in diesem Film, trotz aller Indizien, die zunächst dagegen sprechen mögen, nicht geht, nicht gehen kann.

Zugegeben, diese reflexive Note mag reiner Apologetik geschuldet sein, kraft derer sich Spacey von Beginn an schon jeden Egotrip zurechtgelegt hat. Dafür spricht, dass solche Einschübe im Film (der innerhalb seiner Rahmung im wesentlichen dann eben doch dem klassischen Biopic entspricht) eher selten sind und die als sinnstrukturierend angesehenen Stationen aus Darins Leben in nahezu einheitlicher Form dargeboten wurden. Dass dies mal unterhaltsam, mal schrecklich öde ausgefallen ist, spricht ferner gegen den Film. Aber dass überhaupt einmal, aus welchen Beweggründen auch immer, gewagt wurde, der heiligen Erzählung des Biopics eine kritische Schlagseite zu geben, ist an sich schon bemerkenswert genug.

imdb | filmz.de


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Sonntag, 6. Februar 2005
01.02.2005, Filmkunsthaus Babylon; in Anwesenheit des Regisseurs.

»Kapitän Gustav will sich mit seinem Schneckenschiff zur wohlverdienten Ruhe setzen. Mit seiner bunt zusammen gewürfelten Mannschaft aus Mensch und Tier - zu der neben zahlreichen Eingeborenen auch ein Bär, eine Eule und fünf Frösche gehören - strandet er an einer geheimnisvollen Insel. Voller Freude auf den Vorruhestand bereitet er sich auf den Landgang vor. Noch ahnt niemand an Bord, dass im Herzen der Insel ein böser König haust. König Knuffi regiert im Zeichen des Teppichklopfers.« (Wenzel Storch über seinen Film)



» ›So ist unser Geschmack, das wird die Welt nach unserem Gusto sein. Demiurgos gefiel sich in ausgewählten, vollkommenen und komplizierten Materialien, wir geben dem Trödel den Vorrang. Uns entzückt und ergreift einfach das Billige, das Minderwertige, das Trödlerhafte des Materials. Versteht ihr‹, fragte mein Vater, ›den tiefen Sinn dieser Schwäche, dieser Leidenschaft für für buntes Dekorationspapier, für Pappmaché, für Lackfarbe, für Werg und Sägespäne? Das ist‹, sprach er mit schmerzlichem Lächeln, ›unsere Liebe für die Materie als solche, für ihre Flaumigkeit und Durchlässigkeit, für ihre einzigartige mystische Konsistenz. Demiurgos, dieser große Meister und Künstler, macht sie unsichtbar, läßt sie aus dem Spiel des Lebens verschwinden. Wir dagegen lieben ihr Knirschen, ihren Widerstand, ihre klotzige Unzierlichkeit. Uns gefällt es, in jeder Geste, in jeder Bewegung ihre schwerfällige Anstrengung, ihre Ohnmacht, ihre süße Bärenhaftigkeit zu sehen.‹ «

Bruno Scholz: Traktat über die Mannequins oder das zweite Buch Genesis. (in: Die Zimtläden.)



Ein schöner, reicher Film, ein Werk der reinsten Liebe zur Kunst. Wer hier von Trash und Provokation spricht, sich allein am Seltsamen aufzieht, der spricht dabei in zweiter Ordnung doch nur von dem Klotz, der seine Sensoren verklemmt, von seiner Lust an miefiger Durchschnittlichkeit, die die Welt unterteilt ins geliebte Übliche und das nun eigentlich verabscheut, was dessen Sphäre verlässt, dieses nicht fassen kann und also über dünkelhaftes Amüsement seins Platzes verweist. Hier, in diesem Film, liegen Schönheiten verborgen, die noch im Banalsten das Liebreizende betonen, die vom Willen, eine bestaunenswerte Welt zu kreieren, künden. Kino zum Staunen, ganz und gar.

imdb | wenzelstorch.de | filmz.de | angelaufen.de


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Samstag, 5. Februar 2005
04.02.2005, Heimkino

Ich habe auf diese Sichtung fast zwei Jahre gewartet. Erwartungen: keine. Die beste Haltung, einem Film zu begegnen, dessen man lange nicht habhaft wurde. Hoffnungen? Zugegeben, viele. Ich halte Buffalo '66 für ein begnadetes Stück eigenbrötlerisches Independent-Kino und Gallo selbst, bei allen politischen Differenzen, für eines der letzten exzentrischen Künstlerwesen, die sich diesen Status noch erlauben dürfen. Natürlich waren da die Kontroversen in Cannes. Die waren abzusehen und an sich auch nicht aussagekräftig. Dann kam eine begeisterte Kritik eines geschätzten Filmfreundes zur letzten Berlinale, wo der Film nur im mir nicht zugänglichen Filmmarkt zu sehen war, und dann natürlich tauchte der Film auf vielen, geschätzten Top-2004-Listen auf. Sogar auf denen mancher Kritiker, die sich in Cannes nicht einkriegen konnten mit ihren Schmähreden. Gestern dann, endlich, war es soweit.

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Langverweilende Bilder und Einstellungen. Nicht so sehr erzählende, eher zeigende. Understatementhaft, zumal nach dem ästhetisch hoch- und durchkonzipierten Buffalo '66. Eine Leere, die sich in der Weite und oft Relieflosigkeit der Landschaft spiegelt und, wie zu sehen sein wird, mit der im Protagonisten, Gallo selbst, korresondiert. Eine Leere, die schuldzerfressen ist.

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Bud Clay ist Motorradrennfahrer. Er zieht durch's Land, von Rennen zu Rennen. Versuche von Affären am Straßenrand. Charisma und höllisch gutes Aussehen (der Mann ist 41!) hat er für zwei. Küsse, dann Tränen. Die Intimitäten zerbrechen, bevor sie überhaupt beginnen. Weiter durch's Land. Am Ende der Verlust, "mono-dialogisch" gezeigt, eine Rückblende noch darin selbst. Standbild, aus.

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Lichtstrahlen fallen ins Bild, ergeben Flächen, Punkte, Spiele im Bild. Immer wieder der Blick nach vorne aus dem Buick, durch die Scheibe, auf der sich Schmutz und tote Insekten ausmachen lassen. Die Sonne blitzt noch kurz auf, bevor sie hinter dem Berg verschwindet. Karge Landschaften, Musik wie aus anderen Zeiten (und natürlich geht es auch hier, wie bei Buffalo '66 immer um das, was nicht mehr im Nostalgiebild zu fassen zu kriegen ist, wie also das Bild, das von Vergangenheit durchtränkt ist, Wesentliches der Vergangenheit eigentlich verdrängt, ungreifbar macht. Es ist ein instinktiv kluger, kein konzeptionell-intellektueller Umgang mit dem Bild in der Geschichte seines Protagonisten, den Gallo hier an den Tag legt.). Man könnte kurz an einen Western denken, dem Genre, das von der Landschadt maßgeblich lebt. Doch wo im Western die Landschaft und die Frau bezwungen werden muss, ist Gallos Held kein Westerner. Er ist vielmehr einer, der die bereits endlos durchmessene, unendlich oft eroberte Landschaft einmal mehr durchreist, immer auf der Suche nach dem, was noch jenseits dessen liegen könnte, dabei aber immer in der Landschaft, im Bild, in seinem Leben bleiben muss. Ein Tableauartiges Bild in der Salzwüste, bestimmt von der Horizontlinie, davor der Buick, das Motorrad, Gallo, dessen Kopf milimetergenau die Horizontlinie tangiert, wie auch die Oberkante des Wagens dies tut. Er fährt hinaus in das Weiß der Wüste, verschwimmmt, wird Teil von ihr, erreicht aber nichts Neues. Melancholisches Folgebild: Der Wagen, wie er enttäuscht sich von dieser Sphäre abwendet, nicht aber verlässt.



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Narzismus, Moralität? Nein. Und wenn schon.



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An einer Stelle erinnert mich der Film an Two-Lane Blacktop. Und natürlich an Gerry. Auch wenn alle drei nur wenig eint, streichen ihre Membrane an manchen Stellen aneinander.

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Keine Geschichte im klassischen Sinne. Und vor allem: Keine Psychologie. Zumindest nicht im Narrativ. Wohl aber in den Bildern und ihrer Organisation. Die Leerstelle, das Trauma, ist anwesend durch Abwesenheit. Die mangelnde pathologische Ebene des Films ist dabei klarer Vorteil, ein weiteres Indiz für seine Klugheit.

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Ich liebte es, diesen schönen Film im großen Kino zu sehen. Das ist mein Wunsch für die nächsten Jahre.

imdb | offizielle Website | vincentgallo.com | galloappreciation.com



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Im heutigen Tagesspiegel findet sich ein Artikel über "mein" filmwissenschaftliches Institut, Getrud Koch und Hermann Kappelhoff, die beiden Lehrstuhlinhaber, standen zudem für einige Statements zur Verfügung.


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In About Schmidt (filmz.de) warf Alexander Payne einen kompromittierenden Blick auf Jack Nicholsons Hinterteil und ließ – zur Belustigung der Insassen diverser Internetforen – Kathy Bates nackend zu Nicholson in den Pool steigen. Die Reise, die dem Film das narrative Rückgrat bot, war, nicht nur dahingehend, eine hinter die Fassaden des bürgerlichen Lebens, die einen Blick ermöglichte hinter die nur vorgeblich sinnstiftenden Strukturierungen der absurden Zustände, unter denen der ins Alter gekommene Mensch des frühen 21. Jahrhunderts sein Dasein einrichtet. Das buchstäblich „pein-liche“ dieser Ansichten und Begebenheiten regulierte About Schmidt durch einen Gestus der liebenswerten Schrulligkeit und eine Lakonie, die auch das würdelose Sterben von Schmidts Frau während Küchenarbeiten – und eben die dargebotenen Nuditäten – dem Zuschauer erträglich machten. Sideways, Paynes neuer Film und nach sehr euphorischen Kritiken in den USA nun auch einer der großen Oscarfavoriten des Jahres, erscheint da als in mancherlei Hinsicht deckungsgleich. Wieder steht eine Reise im Mittelpunkt des Geschehens, wieder geht es um Menschen, die ihre Blüte schon hinter sich gelassen haben und, natürlich, darf man auch wieder einen peinlich entblößten Arsch sehen, diesmal noch narrativ verdoppelt ertappt: Beim Vögeln durch einen unversehens ins Geschehen Hineinplatzenden erwischt. Ein Unterschied ist diesmal doch gegeben: Payne macht das pein-liche der Bilder diesmal oft schmerzhaft spürbar, der Blick, so scheint es zumindest zunächst, ist diesmal schärfer (doch der Schein ist oft trügerisch).



Im Zentrum stehen zwei alte alte College-Freunde, Miles (Paul Giamatti, der bereits in dem wunderbaren American Splendor (filmz.de) den im Leben Gestrandeten bot), ein erfolgloser, weil unveröffentlichter Schriftsteller und Englischlehrer mitten in der schmerbäuchigen Midlife Crisis, der seine Scheidung vor zwei Jahren nicht verwinden kann, und der abgetakelte, dennoch fast schmerzlich lebensheitere und darin reichlich tumbe Fernsehseriendarsteller Jack (Thomas Haden Church), der in einer Woche heiraten wird. Die Zeit dahin nutzen die beiden für eine Junggesellenabschied in Form einer einwöchigen Autofahrt durch die kalifornischen Weinanbaugebiete: Während Miles, ganz Connaisseur, die Woche vor allem auf Weinverköstigungen zubringen und seinen Gaumen erfreuen möchte, steht Jack der Sinn in erster Linie nach billigem Vergnügen mit leichten Frauen, um die Zeit vor der Eheschließung noch effizient zu nutzen, wie er ganz unzweideutig zu erkennen gibt. Mit der melancholischen Schwermut seines Reisebegleiters kann er hingegen nichts anfangen. Ganz im Gegenteil will er Miles von dieser durch allerlei Animationen, es ihm doch gleich zu tun, kurieren.

Die Gelegenheit bietet sich, als beide Bekanntschaft mit der Kellnerin Maja (Virgina Madsen), die sich ebenfalls als respektable Weinkennerin entpuppt, und Stephanie (Sarah Oh) schließen. Während Miles’ Komplexe das Anbandeln mit Maja eigentlich schon sabotieren, vögelt sich Jack derweil mit Sarah quer durch die Hotelzimmer. Konflikte, weinschwangere Gespräche, allerlei Slapstick und Verwechslungen sind da vorprogrammiert.

Sideways entblößt ebenfalls nicht Maskeraden, sondern Eigentlichkeiten des Menschen. Wenn kurz vor Aufbruch zur Reise noch Miles’ Mutter – sie hat Geburtstag – besucht werden muss, wird die Glückwunschkarte wenige Meter von der Tür entfernt kurz und bündig beschrieben: Eine Farce, wenn man bedenkt, dass Miles Schriftsteller ist. Natürlich ist die Mutter – wie offenbar alle älteren Damen bei Payne – eine abgetakelte, eher skurrile Schnepfe mit vogelnestartigem Haarwuchs und morgenmantelfreigelegten blassen Hühnerbeinen, die zur Feier des Tages dann auch noch groteskes Make-Up auflegt. Selbstredend klaut Miles heimlich der Mutter Geld aus der Sparbüchse, wenn sie mit Jack konversiert. Eine Boshaftigkeit wie bei Todd Solondz, der regelmäßig menschliche Scheußlichkeiten aus- und bloßstellt, stellt sich hier hingegen nicht ein. Dafür wiederum will Sideways doch zu sehr die selbsternannten Connaisseurs jenseits der 40 im Publikum umschmeicheln, die sich selbst auf der Leinwand gespiegelt sehen wollen. Und weil ein Roadmovie immer auch eine Entwicklung der Hauptfigur zum Thema hat, ist es, auch wenn das Roadmovie als solches schon bald ins Stocken gerät, kein Wunder, dass nun Miles, der selbst eigentlich, trotz aller literarischer Tiefsinnigkeit (oder: vielleicht ja gerade deswegen), ein Unsympath ist, am Ende, nach allen Konflikten und Missverständnissen, in die vor allem Jacks frohselig-dumpfe Art ihn manövriert, sein Scheidungstrauma vermutlich überwindet und das ihm narrativ zugestandene Mädchen ergattern kann (der Film selbst impliziert’s jedenfalls). Gerade in dieser Versöhnlichkeit, in die der Film immer wieder, nachdem er manche menschliche Verfehlung bis zur Grenze an die physische Nachempfindbarkeit durchdekliniert hat, liegt letzten Endes auch seine Schwäche, die in der allgemein jubilatorisch ausgefallenen Kritik gerne unterschlagen wird: Er macht den Zuschauer zum Komplizen, bis dahin sogar – und das ist durchaus gruselig -, dass er Jacks Lebenswandel und dessen Konsequenzen derart mit Lust aufbauscht, dass sich regelrechte Rachegelüste einstellen, die auch prompt bedient werden, wenn er nun endlich, ja endlich seinen nicht zu knapp ausfallenden Rüffel erhält, unter johlendem Applaus des Publikums, versteht sich (und ich nehme mich da gar nicht aus).



Dies ist - neben der stellenweise arg übertriebenen Redseligkeit, die doch kaum zu was führt - eigentlich schade, denn auf der anderen Seite ist Sideways auch ein keineswegs schlechter oder scheußlicher Film. Vor allem die darstellerischen Leistungen sind bemerkenswert: Man nimmt sich zurück, grimassiert sich nicht, legt Wert auf Nuancen und Details und kann dieses Niveau auch im Zusammenspiel konsequent halten. Fernerhin gibt es selbstredend auch Momente, die bezaubern, nett anzusehen sind. Dass der Film dabei nie, in welche Richtung auch immer, konsequent bleibt, dass er den Kuchen essen und behalten will, ist indes ein trauriges Indiz für die, letzten Endes, Durchkalkuliertheit eines Films, der ganz offensichtlich mit Blick auf den Goldjungen hininszeniert wurde, zu Lasten anderer Ambitionen, leider.

imdb | mrqe | filmz.de | angelaufen.de


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Thema: Kinokultur
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Sideways ist auch so ein Fall, wo ich mich frage: What's the fuzz all about? In braver Manier nicken hiesige Kritiker den Film ab, als espritvolles Meisterwerk, intellektuelles Fest für die Sinne und so weiter und so fort. Offenbar möchte man nicht aus dem Rahmen fallen, denn in den USA hatte der Film noch überwältigendere Kritiken bekommen. Und ist in zahlreichen wichtigen Kategorien für den Oscar nominiert. Verständlich, dass man da nicht der Nörgler sein will. Weiterhin gab es ja reichlich Wein während der Pressevorführung. Da wird der Blick getrübt und für ein spendiertes mittägliches Halbbesäufnis im Berliner Filmpalast lässt man auch mal fünfe gerade sein.

So zumindest mein Eindruck, denn der Film ist nun wirklich, ach, ich weiß nicht... abgeschmackt, hininszeniert, "skurril", verschroben und so. Keine Risiken eben. Sicher, manches ist nett, der Film auch in der Gänze nicht schlecht (meine Kritik, derzeit in Mache, eigentlich schon für letzte Woche geplant, kommt bald). Aber: This year's Lost in Translation? Also bitte!

Schön ist da die Kritik von Harald Fricke in der taz. Der ließ sich nämlich nicht vom ausgeschenktem Rebensaft umschmeicheln, sondern bewahrt die Contenance des Kritikers. Auch er findet den Film, wie ich, nicht schrecklich. Aber: Er relativiert doch zur Genüge die Lobeshymnen, die bei den Kollegen für den Film aus der Schublade geholt wurden.


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