Mittwoch, 6. Juni 2007
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Heute morgen, beim ersten Pott Kaffee, der mit einer allgemeinen Presseschau einher geht, hatte es mich gefährlich in den Fingern gejuckt. Ein "Ihr Pfeifen" wollte ich den "Journalisten" hinterherschreiben, die von basalsten Grundkenntnissen ihrer Profession, die sich selbst schon den frisch Gymnasien entschlüfpten Häschen im Publizistik-Erstsemester erschließen, offenbar noch nie was gehört haben. Dass man nicht hofberichterstattet beispielsweise, dass Verlautbarungsjournalismus unbedingt zu meiden ist, dass man sich eine Sache nicht zu eigen macht, vor allem aber: Dass man seine Informationsbringern immer auch als Vertreter von spezifischen Interessen einer bestimmten Öffentlichkeitswirksamkeit versteht. Vor allem letzteres gilt gerade dann ganz besonders, wenn man seine Informationen von der Polizei und/oder von einer Staatsanwaltschaft erhält. Man muss weder links, noch rechts, noch Verschwörungstheoretiker sein, um das zu begreifen oder zu beherzigen. Dennoch schreiben fast ausnahmslos alle dieser Herolde, als gälte es vor allem Interessen, Sorgen und Nöte vor allem einer Instanz, eben der Polizei, zu schildern und zu objektivieren. Natürlich hält man sich dabei an Fakten. Doch wenn ich ausschließtlich vom Faktum schreibe, dass die Polizei bei ihrem Einsatz Schwierigkeiten habe, perspektiviere ich die Ereignisse eben schon in einer Weise, in der Objektivität, Maß und Kritik von einer bloßen Mitteilungsverdopplung verdrängt wird.

Geschrieben hatte ich dann doch nichts. Und es stellt sich auch nicht mehr die Dringlichkeit, da der Spiegelfechter heute dazu sehr viel geschrieben hat, worauf ich ja eigentlich nur hinweisen möchte.

Und übrigens nicht umsonst schneidet die hiesige journalistische Kultur im Vergleich zu der in anderen Nationen vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum herrschenden so schlecht ab.

Nachtrag: Die taz bilanziert die vor Gutgläubigkeiten und handwerklichen Defiziten strotzende Berichterstattung.


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Der Fall Jericho bleibt weiterhin heiß: Gestartet als last season's Flaggschiff des Networks CBS erwies sich die Serie, in der sich nach einem nuklearen Schlag gegen die USA Überlebende in einer Hinterland-Siedlung namens Jericho sammeln, trotz eines guten Einstiegs nach einer dreimonatigen Pause zunehmend als Quotenenttäuschung (was im Falle des völlig ins bizarre geglittenen US-Serienmarkts soviel bedeutet wie: nur knapp über 7 Millionen Zuschauer...).

Das Urteil wurde bereits vor Seasonende erahnt und folgte schließlich wenig später im Mai: CBS wird keine weitere Season von Jericho in Auftrag geben. Das ist nicht nur für die dennoch zahlreichen Fans der Serie bitter, da die erste Season offen endet, sondern auch für den hiesigen Lizenznehmer Pro7, der die Rechte an der Serie noch vor der Absetzung erwarb und nun ein gewisses Überzeugungsproblem hat.

Die mittlerweile buchstäblich hochvernetzte "Serienszene" ließ indes auf Protestaktionen nicht lange warten: In einer wahrscheinlich wirklich beispiellos über das Internet organisierten Kampagne wurden Tonnen von Peanuts bestellt - und an die Lieferadresse von CBS geschickt. Die Aktion ist doppeldeutig: Auch Peanuts, also Nippes-Beträge im Finanzjargon, bringen hinreichend Gewicht auf die Waage, vor allem, wenn sie massenhaft angeliefert werden; und völlig "nuts" müssen die Verantwortlichen bei CBS zu sein, wenn sie nicht den Mut aufbringen, einer vielversprechenden Qualitätsserie den Raum zur Entwicklung und Reifung zu bieten.

Weiterhin ist diese Aktion auch dafür Indiz, dass sich der Serienmarkt unter den neu-medialen Paradigmen des Internets und der digitalen Distribution im dramatischen Maße neu strukturiert und deshalb auch nach neuen Geschäftsmodellen und -praktiken verlangt. Bloße Ausstrahlungsquote alleine ist kaum mehr in der Lage, den Erfolg einer Serie zu messen, da die ausstrahlungssynchrone Sichtung zusehends an Attraktivität verliert: DVD-Auswertung, Online-Streamings, zeitversetztes Sehen via TiVo und legaler oder illegaler Download gewinnen zusehends an beachtlicher Relevanz für die Streuweite zumal nicht auf episodic closure setzender Serien jüngeren Formats.

Ob nun die Nüsse ausschlaggebend waren, sei dahingestellt. Jedenfalls rumort die US-Branche derzeit, dass Jericho doch noch nicht zu den Akten gelegt sein könnte. Mit der LA Times, Variety und dem Hollywood Reporter streuen keineswegs nur Gerüchteküchen Meldungen über eine mögliche Wiederaufnahme der Serie. Konkreten Charakter weist zwar noch keine Meldung auf. Doch stehen die Zeichen nicht zum Schlechtesten, dass Jericho, wenngleich in einem wahrscheinlich abgeänderten Format, zurückkehren könnte. Eine acht Episoden umspannende Mini-Serie scheint die attraktivste Lösung zu sein.

Ich halte das für eine spannende Entwicklung. Seh- und Rezeptionsgewohnheiten strukturieren sich zur Zeit dramatisch neu; sollte Jericho doch noch mit Erfolg in die Verlängerung gehen, könnte sich dies als erstes Indiz für eine darauf reagierende Umstrukturierung von Produktion und Vermarktung neuer Serienformate betrachten lassen. Und vielleicht würde es in Zukunft weit weniger tragische Fehlentscheidungen wie die damalige Absetzung von Firefly geben.

Bleibt schlussendlich abzuwarten, was von Jericho selbst zu halten ist. Was ich bis jetzt schon spannend finde, ist das Detail, dass auch hier ein Weltverlust im Mittelpunkt steht. Ich will daraus keineswegs schon voreilige Schlüsse ziehen, doch scheint sich dieses Motiv gerade wie ein roter Faden durch die Landschaft zumindest ambitionierter US-Serien der letzten Jahre zu zeichnen: Ob nun Lost oder Battlestar Galactica, ob Deadwood oder Jericho und bis zu einem gewissen Grad auch Prison Break: Allesamt handeln sie von einer Gruppe, die, mehr oder weniger schlagartig mit einer neuen Lebensrealität abseits vertrauer Welt-Koordinaten konfrontiert, neue Verhaltenspraxen und Ethiken entwickeln muss. Mit etwas Mut zur steilen These will ich dann doch etwas behaupten: Wer in Zukunft die USA der 00er Jahre verstehen will, wird um einen aufmerksamen Blick in diese Serien nicht herumkommen.


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HBO am Ende?


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Montag, 4. Juni 2007
Wohl kaum ein akademisches Arbeitsgerät (zumindest der geisteswissenschaftlichen Bahnen) hat einen derart legendären Ruf entwickelt wie Niklas Luhmanns Zettelkasten, in den der Systemtheoretiker jahrzehntelang Gedanken und Lektüren hinterlegte und sortierte, sprich: speicherte. Lediglich Arno Schmidt dürfte in einer bundesrepublikanischen Kulturgeschichte des Zettelns als zweiter großer Zettelsammler neben ihm stehen.

Das folgende kleine Fundstück zeigt nicht nur Luhmanns höchst verzettelte Arbeitsstätte, sondern auch den Soziologen beim Erklären seiner Zettelei:

[via]

Auch ich zettle ja wahnsinnig gerne. Dies allerdings nicht so sehr in papierner, sondern digitaler Form. Eine dafür wirklich tolle, wenngleich bislang nur für Windows konzipierte (eine plattformunabhängige Version scheint jedoch in Arbeit) Adaption von Luhmanns Zettelprinzip hat Daniel Lüdecke entwickelt. Das Programm ist zwar nicht Open Source, aber Freeware - und im höchsten Maße effektiv.

Mehr zum Zettelkasten gab es beispielsweise auch im Einführungskurs Kulturwissenschaft an der HU Berlin vor wenigen Jahren. Das Seminarskript ist online zu lesen. Damit verbändelt ist das, allerdings an Arno Schmidt orientierte, Onlineexperiment Zetteltraum.



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Schade, Teil 3 der so geglückt begonnenen und ebenso fortgesetzten Reihe enttäuscht zumindest leise. Dass Teil 1 und 2 so quirlige movies im besten Sinne waren, lag, nach meinem Empfinden, vor allem auch daran, dass Raimi zwar Spektakelkino betrieb, ohne dabei aber einer Logik der Überbietung zu verfallen, die sich alles unterordnet. Sicherlich setzte Teil 2 einige neue Standards in Sachen neuer, computerinduzierter Kinetik und also Bewegungsfreiheit; dennoch überwogen zum Gelingen der Veranstaltung kompositorische Aspekte diejenigen bloßer Ausstellung und digitaler Muskelkraft.

Ein solches ausgewogenes Mischverhältnis erreicht Teil 3 in fast keinem Moment. Dafür gibt es Mehr von Allem. Mehr Konflikt, mehr atemberaubend Anzusehendes, mehr Bösewichte. Der Film selbst läuft dabei munter aus dem Ruder und dies nicht unbedingt zu seinem Vorteil.

Die Story bleibt im Vagen und übersteigt Reißbrettcharakter kaum. Alte Konflikte werden hinübergehievt und es dauert recht lang, bis eine Richtung deutlich wird. An allen Ecken und Enden kommen neue Schurken ins Spiel, die ihrerseits erst eingeführt werden müssen, was nicht immer ganz elegant geschieht. Da sich die einzelnen Teile nur mühselig ineinander schieben, ohne sich dabei je befriedigend zu verdichten (fast immer ist alles absehbar), bringt man oft ganze Passagen damit zu, den Film in seinem Verlauf lediglich zu registrieren, statt an ihm teilzuhaben. Vielleicht habe ich mich im letzten halben Jahr einfach nur zu viel mit narrativ avancierten und komplexen TV-Serien befasst; dennoch muss ich einfach sagen: Zuweilen hat das schon genervt. Weil's eben vor allem an soap operas und telenovelas erinnerte: Wer hat wessen Vater aus der Welt geschafft und dafür mit wessen Freundin wann gepennt und, ach, dergleichen mehr... Wobei eines schließlich doch zu bemerken ist: Spider-Man 3 ist, was Narration betrifft, monströs zusammengesetzt und doch erzählt sich in ihm über weite Strecken ein so derartiges Nichts, dass man über solche Gegensätze fast schon wieder staunen muss.

Irgendwann, aus heiterem Himmel, kommt dann aber doch der erste Bösewicht. Und also die erste Actionsequenz. Sie lässt einiges erahnen, was sich später bewahrheiten wird: Im Sinne von "Viel hilft viel" wird man hier in eine lediglich der Verwirrung dienliche Abfolge von "Raumereien" geschmissen, was ja gerade die Unsitte von zeitgenössischen Actionfilmen ist, die in den vorherigen Spider-Man-Filmen zumindest nicht derart exzessiv betrieben wurde (ich erinnere mich eher an ein paar hübsch aufgeräumte, und gerade dennoch sehr imposante Sequenzen). Einen Gewinn schlägt Spider-Man 3 daraus nicht: Statt Achterbahn gibt's zumeist zerfasert Anzusehendes, sobald etwas Schwung in die Körper kommt.

Überhaupt, die Schurken. Allesamt sehr interessante Figuren und jede eines Filmes würdig. Spider-Man 3 packt jedoch so viel in sich, dass sich von jedem zwar je ein Drittel erahnen lässt, die drei zusammen genommen aber dennoch nicht einmal die Summe ihrer Teile ergeben, sondern eben weniger. Da das Drehbuch überdies keinem dramaturgischen Aufbau folgt, sondern, gelinde gesagt, arge Zeitmanagment-Probleme aufweist und streng nach der Logik momentanen Bedarfs zu funkionieren scheint, wirkt das ganze wie eine geplatzte Wundertüte, deren am Boden herumliegende Einzelteile aufzusammeln offenbar die Mühe nicht lohnte. Weshalb sie sich ja auch keiner gemacht hat.

Vielleicht ist das Potenzial der Titelfigur auch langsam ausgereizt. Von den Heften und Paperbacks konnte ich ja auch immer nur ganz wenige lesen und dann war auch einfach mal gut, zumal Parker als Charakter, naja, schon eher wenig mitreißend ist. Von der vermeintlichen "Nähe" der Figur, weil sie soviele Alltagsprobleme habe, konnte ich jedenfalls nie viel spüren; wie unedlich vielversprechender und unauslotbarer sind dagegen die Abgründe, die in Batman vom Konkurrenzverlag angelegt sind (soviel zu diesem ewigen Streit).

Dennoch gibt's in Spider-Man 3 auch einige hübsche Beobachtungen zu machen. Tobey Maguire beispielsweise sieht jetzt aus wie ein Teig mit Mund, vom alten feinen Schnitt im Gesicht ist nüscht geblieben. Ist da nicht auch die Ahnung eines Doppelkinns? Wohl deshalb meint der Konkurrenzfotograf an der einen Stelle, dass Spidey auf seinen Bildern weniger pummelig erscheinen würde. Nett auch, dass die eine Blaskapelle die Titelmelodie von irgendeiner uralten Spiderman-Serie (oder sowas) spielt. Stan Lee himself hat ein nettes Cameo, dasselbe gilt für die drei Kinder von Sam Raimi, die ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ähneln, weshalb man sie zuvor noch nicht einmal gesehen haben muss, um sie als ihres Vaters Brut zu erkennen (der Abspann gab mir schließlich recht). Und schließlich nichts weniger als göttlich ist der obligate Auftritt von Bruce Campbell, der in /allen/ Raimi-Filmen mitspielt: Einmal mehr erweist sich der alte B-Movie-Dandy als die coolste Sau von Hollywood. Nur die alte Karre von Sam Raimi habe ich diesmal nicht entdeckt, sonst bringt er die ja immer unter - wer hat Hinweise?

Doch davon ab und als sozusagen Fazit: Ich freue mich auf den zweiten Batman. Den Spidey lassen wir jetzt erstmal gut sein, ja?

imdb


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Sonntag, 3. Juni 2007
Hier gefunden.


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Freitag, 1. Juni 2007
Bruno S., die schillerndste Figur im Werk Werner Herzogs, wird 75. Der "Tagesspiegel" würdigt ihn mit einer ausführlichen Reportage.

Seinen Jeder für sich und Gott gegen alle sollte man zu diesem Anlass mal sehen, wenn man ihn noch nicht gesehen hat. Eine Dokumentation über ihn gibt es auch, Bruno S. - Die Fremde ist der Tod, die ich leider noch immer nicht gesehen habe.

Alles Gute, Bruno.


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Montag, 28. Mai 2007
The Sorcerers (1967) - deutscher Verleihtitel: Im Banne des Dr. Monserrat - ist ein eher unbekannter britischer Horrorfilm mit dem schon greisen Boris Karloff in der Hauptrolle. Produziert wurde er von Tigon Productions, neben den Platzhirschen Hammer und Amicus die dritten im Bunde der British Horror Movies. Der Film ist gewiss recht trashig und leitete damals vielleicht sogar schon die neuere Welle (vgl. etwa Dracula AD 1972) im britischen Horrorkino ein, die nicht mehr in Zeit, Raum und Literatur des 19. Jahrhunderts hauste, sondern ganz im (damaligen) Hier und Jetzt. Als Regisseur verantwortlich zeichnete im übrigen Michael Reeves, ein früh verstorbener Filmemacher, der vor allem für seinen Witchfinder General (zu dem ich persönlich indes nie wirklich Zugang fand) unter Genrefreunden zu großem Ruhm gelangte.

Karloff mimt hier einen ins Alter gekommenen Wissenschaftler, der von seiner Gattin - möge der Teufel diese Eva auf alle Tage verfluchen ( ;) ) - dazu verführt wird, seine neueste Erfindung, die es ihm gestattet, Menschen telepathisch zu kontrollieren, ordentlich für eigenen Macht- und Genusszuwachs zu missbrauchen.

Als ich den Film vor einigen Jahren in der Nachtschiene irgendeines Dritten Programms erstmals gesehen habe, habe ich ihn sogleich ins Herz geschlossen. Das mag vor allem an den wild illuminierten Laborsequenzen liegen, auf die The Sorcerers in bester british tradition nicht verzichten mag und denen ich immer mit größter Freude begegne; vielleicht liegt's aber auch an den hübschen Einblicken in das noch frische swinging London der späten 60er oder an dem grundsätzlich um grimmige Ernsthaftigkeit bemühten Tonfall, wer weiß (echolog.de sieht hier bereits die Punk-Ära am Horizont heraufdämmern, kein schlechter Gedanke). Eine DVD ist zumindest in Deutschland meines Wissens nicht erschienen, bleibt also allein die Hoffnung auf einen TV-Termin.

Warum ich das alles schreibe? Bei Cinedelica ist jetzt der Trailer zu dieser kleinen Verschrobenheit aufgetaucht, der ein bisschen von dem candy dieses Film erahnen lässt und den ich deshalb niemand vorenthalten möchte:



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Donnerstag, 24. Mai 2007
find, listen, and discuss free lectures from around the web.


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Thema: radio
A series of 20 half-hour long radio broadcasts by Brakhage recorded at KAIR, Univeristy of Colorado in 1982. Includes long passages of Brakhage musing on subjects such as film, poetry, theater, and other arts.
[via]

Oder hier als Transkript.


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Mittwoch, 16. Mai 2007
Thema: festivals
Auch dieses Jahr mal wieder nur aus der Ferne zu beobachten: Das Filmfestival in Cannes. Für alle Schicksalsgenossen habe ich auf der linken Spalte einen Linkticker eingebaut.


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Samstag, 12. Mai 2007
Thema: Kinokultur
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Woche für Woche lesenswert (und um so viel lesenswerter als, ach, das allüberall so übliche): Die noch recht junge Kino-Kolumne im Perlentaucher von, naja, wissen Sie ja bestimmt. Gute Idee war das.


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Mystery cat takes regular bus to the shops


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Thema: Kinokultur
Die 43. Ausgabe des stets lesenswerten Online-Filmjournals ist seit kurzem online.


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Freitag, 11. Mai 2007
Thema: good news
Die große Untote der Filmgeschichte, die seit Jahr und Tag siech darniederliegende Tante Hammer, erfreut sich am Labsal frischen Bluts, wenn man dieser kleinen Featurette Glauben schenken darf.

Ich tu's gern, und wart' mal ab, was die Zukunft so bringt.

Nachtrag: Der Hollywood Reporter hat meine tolle Überschrift geklaut.


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Donnerstag, 10. Mai 2007
Thema: DVDs


In den Niederlanden ist bei Milkwood ein 2-DVD-Set mit einer Dokumentation über und den Experimentalfilmen von Frans Zwartjes erschienen. Damit wird ein weiteres Puzzlestück einer "anderen" Filmgeschichte geborgen.

Da die DVD englische Untertitel aufweist, ist sie auch von internationalem Interesse.


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Montag, 7. Mai 2007
03.05.2007, Seminarsichtung "Filmkritik"

Los Muertos, die Toten, heißt der zweite Film des jungen argentinischen Filmemachers Lisandro Alonso. Ein schlichter, lakonischer Titel, und doch präzis und exakt, in dem was er bezeichnet, mit einer sublimen Ahnung von Schrecken, doch ohne jedes Pathos. Ein passender Titel.

Mit den Toten beginnt der Film. Die höchst bewegliche Kamera – so agil wird sie an kaum einer zweiten Stelle - taumelt in sich versunken durch einen Wald, der Blick geht nach oben, nach unten. Ein suchender Blick, der indes nichts findet: Das Geäst bleibt nscharf, fleckenhaft. Nur hier und da tritt ein Blatt in den Schärfebereich direkt vor der Linse, als würde es ganz unwirklich erst direkt dort entstehen, und zeichnet sich konturiert vom undeutlichen Hintergrund ab. Dann, nur im vorbeigleitenden Anschnitt, ein toter Junge am Boden, Blut. Man hört Wasser plätschern, die Kamera schwebt weiter, eine weitere Leiche, ebenfalls ein Junge, dem kaum mehr Aufmerksamkeit vergönnt ist. Schließlich der Mörder, ebenfalls nur im Anschnitt, ebenfalls ein Junge. In seiner Händ hält er eine Machete. Das Bild wird grün, kein Vorspann folgt.

Alonso lässt Los Muertos fast schon hypnotisch beginnen. Er lenkt den Blick auf die Machart des Films und stellt auf das Tempo ein. Bedächtig, kontemplativ, jedoch nicht einlullend, oft genug nur minimal über dem Nullpunkt von Narration, und dennoch immer wieder überraschend, spannend, da Details in die Aufmerksamkeit rücken dürfen.

Im Mittelpunkt steht Vargas, ein bereits älterer Mann und offenbar der Mörder aus dem Prolog, der ein Gutteil seines Lebens für den Mord an seinen beiden Brüdern im Gefängnis abgesessen hat. Daran erinnere er sich kaum mehr, sagt er an einer Stelle, auf seine Tat angesprochen. Dass sich Vargas im Gefängnis befindet, ergibt sich erst nach und nach. Einen establishing shot, der die Zuschauer über Setting und Person einführend und umfassend in Kenntnis setzt, eine typische Erzählweise des kommerziellen Kinos also, findet man in Los Muertos an keiner Stelle.

Stattdessen reiht Alonso einzelne, oft sehr lange Einstellungen aneinander. Vargas im Bett, wie er geweckt wird. Später bei der Arbeit, beim nachmittäglichen Spazieren, ein Gespräch mit anderen Insassen. Eine Vielzahl von Räumen, die eine Kartografie der Örtlichkeit indes nur schwer ermöglicht und die ihren institutionellen Charakter – es könnte zunächst auch ein beengtes Dorf sein – erst nach und nach zu erkennen geben. Immer ist Vargas schon da, in diesem jeweiligen Raum, und immer verlässt er die Einstellung zu ihrem Ende hin und lässt ein unbelebtes, nachwirkendes Bild zurück. Nur selten schwenkt die Kamera ein wenig und verrät weitere Details der Umgebung.

Vargas wird entlassen, nach 30 Jahren Haft. Er lässt das Gefängnis hinter sich und damit die überschaubaren Bahnen seines Lebens. Vargas streift durch's Land. Er besucht eine Prostituierte, kauft ein Kleid für seine erwachsene Tochter, die er noch nie gesehen hat, fährt mit einem Boot auf dem Fluß entlang, erreicht eine Insel, ernährt sich von erbeutetem Honig und schlachtet fachmännisch eine Ziege. Die vollgestellte Welt der Gefängnissiedlung weicht einer existenziellen, rein auf Physis abgestellten Welt, in der nurmehr wenig an die Zivilisation erinnert. Eine Welt, die nach Vögelgezwitscher, Grillengezirpe und heißem Wind klingt; die Tonspur von Los Muertos ist über weite Strecken reinster Ambient.

Nach und nach ergibt sich eine Form von Karte: Die einzelnen Orte, die Vargas durchstreift, erscheinen zusehends verknüpft. Ist Vargas im Gefängnis immer schon da gewesen, so ergibt sich hier eine vorgefundene Welt: Einzelne Bilder sind erst da, und werden erst anschließend von ihm betreten. Eine Einstellung – die schönste des ganzen Films – zeigt ihn auf dem Gepäckladeteil eines fahrenden Transporters. Der Wagen hält, Vargas springt ab, die Kamera folgt seiner Bewegung im stoisch-langsamen Schwenk. Vargas setzt sich in Bewegung. Mit ihm fährt auch der Wagen an, auf dem sich die Kamera noch immer befindet. Beide fahren weiter, Vargas wird zum kleinen, weißen Punkt in einem stumm bleibenden Bild.

Vargas sucht seine Tochter. Schließlich findet er deren Sohn in einem ärmlichen Zelt am Rande einer Dschungelsiedlung. Eine Reise ist am Ende, mit ihr auch Alonsos kontemplative, filmisch minimalistische Meditation. Die Bilder, die er findet, sind, in dem was sie zeigen, von einzigartiger Klarheit und bleiben dennoch rätselhaft. Sie bilden keine Metaphern aus, sind weder sinnüberfrachtet, noch von ausgestellter Tiefe berauscht. Spielzeug liegt am Boden, die Toten sind tot, der Fluß fließt und Vargas, informiert der Abspann, ist Vargas.

imdb



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Die Website des Korean Film Council bietet den interessierten Filmfreunden regelmäßig neue, kostenfreie Veröffentlichungen zu einzelnen Aspekten der Geschichte des koreanischen Films in digitaler Form. Ganz frisch auf der Website findet sich ein schlicht Korean Cinema: From Origins to Renaissance betiteltes PDF-Dossier, das die koreanische Filmgeschichte im weiten Bogen umfasst und vorstellt. Auf oben verlinkter Website abrufbar über "Publications" und dann "Korean Film History".

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Thema: good news
Sehr gute News aus den US of A. Das Produzententeam von Lost konnte sich mit dem Network ABC in einem wahrscheinlich wohl beispiellosen Deal auf die weitere konkrete Länge der Erfolgsserie einigen: Es wird drei weitere Staffeln geben. Jede Staffel verkürzt sich auf 16 Episoden. Kein Sequel, keine Spin-Offs.

Damit ist der Rahmen für eine erfreuliche Verbindlichkeit gesetzt. Die hie und da schon bemäkelte, angebliche Beliebigkeit der immer wieder neu der Handlung übergepropften Mysterien dürfte damit als Vorwurf hoffentlich aus der Welt sein. Auch die Vermutung, die Produzenten hätten keinen Masterplan in der Hinterhand, sondern würden einfach nach Gutdünken Geisterbahnen aufbauen, verliert dadurch an Legitimität. Da Lost , wie ich der gestrigen Lektüre einiger fernsehwissenschaftlicher Artikel von 2004 entnehmen konnte, ohnehin auf sechs Seasons angelegt war, dürfte sich der weitere Verlauf der Serie mit der anfänglichen Konzeption erfreulicherweise decken.

Ich für meinen Teil bin gespannt wie ein Flitzebogen, wie's weitergeht. Mit diesen Rahmenbedingungen dürfte sich die Story hochkonzentriert und mit ausgeprägtem Sinn für narrative Ökonomie fortsetzen. In den Tenor der Vorwürfe bin ich ja eh nie eingestiegen, weil ich das immer wieder absolut toll finde, welche Dreistigkeiten die Macher Woche für Woche platzieren und damit auch noch wirklich davonkommen (und ich habe ja sowieso so eine kleine Theorie in der Hinterhand, aber mal schauen, was und wie es wird...). Und die dritte Staffel, die sich in den kommenden Wochen zum, wie man schon munkeln hört: grandiosen, season finale aufschwingen wird, ist ohnehin ganz famos geraten.

In diesem Sinne: 4 8 15 16 23 42.


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Samstag, 5. Mai 2007
Nun habe ich ja schon seit einiger Zeit keinen Fernsehempfang mehr, da ich zum Umstieg auf DVB-T bislang nicht die geringste Dringlichkeit gesehen habe. Vermutlich wird sich das auch weiterhin nicht ändern. Deshalb hatte ich ja auch keine Ahnung davon, welche Zumutungen man dort dem Publikum mittlerweile gleichmütig andient. Manchmal lässt man sich eben doch was aufnehmen, zum Beispiel einen der vielen Italowestern, die auf Tele5 in schöner Regelmäßigkeit ausgestrahlt werden, um dann, wie heute geschehen, aus allen Wolken zu fallen.

Der Film ist in seiner Darbietung völlig ungenießbar. In der Bildfläche nimmt er allenfalls noch gut ein Drittel ein, der Rest ist vollgestopft mit blödsinnigen SMS-Sprüchen und anderen Reklametafeln. Ungläubig spulte ich vor - das einzige Vollbild, das ich erhalten habe, war das eines nackten Frauenarsches aus irgendeiner Sexhotline-Reklame, der mir in eindeutiger Absicht entgegen gestreckt wurde - hallo, Werbeblock, wenigstens Du bist nicht beschnitten. Aber, ach...

Vom Film habe ich kaum eine Minute angeschaut. Die Aufnahme wandert umgehend in die Tonne. Mir ist es völlig unbegreiflich, wie man sich ein solches Geschäftsmodell ausdenken kann - Profitmaximierung durch nichts anderes als aktive Kundenvergraulung mit Nachhaltigkeitseffekt? Wie, bitte schön, kann man denn unter solchen Vorzeichen für sich überhaupt noch mit "Wir lieben Kino" werben, ohne rot zu werden? Ja, Tele 5, Du bist gemeint!

Das Kabel- und Privatfernsehen - einst werbewirksam als Garant für die Bereicherung von Programmvielfalt angetreten - serviert sich derzeit, scheint's, auf ganz beispiellose Weise selbst ab. Ich werde diesem Markt auch weiterhin nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich wühle schließlich auch nicht im Altpapier, um mich mit aus gutem Grund weggeschmissenen Werbeprospekten für die eigene Feierabend-Unterhaltung einzudecken. Ich freue mich auf die erneute Gebührenerhöhung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, hoffe darauf, dass die Sender dann noch stärker das Netz nutzen können, und befasse mich dann gezielt mit Qualitätsrundfunk, der sein Geld wert ist. Und weit kostengünstiger als das vermeintlich "kostenfreie" Privatfernsehen ist es noch obendrein [schon mal gefragt, woher eigentlich das Geld für all die Werbung für all die Produkte kommt, die man täglich im Supermarkt kauft?]


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Thema: Hinweise
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Dietrich Kuhlbrodt bespricht exklusiv für die filmzentrale den neuen Dokumentarfilm Nicht Böse sein!, der im Februar vor den Toren der Berlinale im Regen Premiere feierte.

Kinostart: September 2007. Offizielle Website hier.


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Thema: Hinweise
Neu auf GreenCine: Ein Interview mit Guy Maddin, einem der derzeit vielleicht interessantesten Experimental-Filmemacher weltweit.


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Thema: Kinokultur
Unter den wohlwollenden Augen von Günther Rohrbach hat sich gestern die Speersptze des deutschen Gefälligkeits- und Qualitätskino selbst mit Preisen beschmissen. Die Speerspitze des deutschen Gefälligkeits- und Qualitätskino weiß schließlich selbst am besten, dass sie nicht nur für das gute Kino aus Deutschland, sondern überhaupt für das deutsche Kino steht. Gestern abend wurde der Deutsche Filmpreis verliehen. Eine kommentierte Auswahl all dessen, was im Zuge grassierender Betriebsblindheit und Selbstgeilheit noch nicht einmal nominiert wurde, ist heute in der taz zu finden, Cristina Nord und Ekkehard Knörer sei's gedankt.

Ich kenne bislang zwar nicht alle dieser aufgelisteten Filme, doch die, die ich davon kenne, sind großartig. Wenn Sie die Tage in einer Videothek oder im Kino gezielt deutsche Filme kucken wollen, dann tun Sie sich einen Gefallen: Nehmen Sie /diese/ Liste als Orientierungsgrundlage.


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Freitag, 4. Mai 2007
Die Posche-Connection läuft gut: Friedrich Kittler gratuliert in der vielbeworbenen Publikation seines einstigen DJ-Doktoranden seinem Stichwortgeber und ihm wohl auch liebsten Literaten, Thomas Pynchon, zum 70. Dazu gibt es ein großes, aktuelles Foto von ihm. (von ihm natürlich, nicht von ihm)

Auf FormatLabor indes gibt's als neue Lieferung die Audioaufnahme von Kittlers Buchvorstellung vom vergangenen Mai in dieser griechischen Halle da, neben der Humboldt Uni. Es ging um Mathe-Schüler, die nicht an Frauen kommen, um Peterchens Mondfahrt und was uns die dumme Christenheit schon immer vorenthalten hat. Und um vieles weitere. Die Aufnahme hallt ganz so, wie auch der Vortrag damals hallte, ich war ja live dabei.

Überhaupt ist das FormatLabor eine schöne Sache. Langsam, aber stetig bildet sich dort ein Archiv von Lesungen, Vorträgen und Gesprächen, teils Video, teils Audio. Das ganze entsteht im weiteren Dunstkreis zur Medien- und Kulturwissenschat der Humboldt Universität und bildet, um ehrlich zu sein, diese ganz gut ab, was eben Besonderheiten und Schrullen betrifft. Was hier geht, geht woanders, glaub ich, nicht. Der Macher des Ganzen (oder: einer der...) sprach mich in der U-Bahn mal an, weil ich da Filmtheorie gelesen habe. Vor wenigen Wochenenden fragte er mich, ob wir schon zu machen würden. Ich glaube, er stand unter Einfluss, bin mir aber nicht sicher.

In der U-Bahn schließt sich der Kreis. Da, und (naja, fast) nur dort, las ich letzte Woche Geoffrey Winthrop-Youngs sehr instruktive Junius-Einführung zu Kittler. Hatte was von einem Abenteuerroman, von einem der auszog und against all odds usw. Und Geoffrey Winthrop-Young heißt, als sei er einem Pynchon-Ensemble entsprungen.

Und jetzt alle-


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Donnerstag, 3. Mai 2007
Ich muss gestehen von Chuck Palahniuk, am bekanntesten wohl für seinen Debütroman, die literarische Vorlage zu David Finchers Fight Club, bislang noch nichts gelesen zu haben. Obwohl ich immer wieder mal Lust dazu hatte. Es hat sich nur nie ergeben. So bin ich auf Gedeih und Verderb dem Glauben ausgeliefert. Dem Glauben, das Chuck Palahniuk einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren der USA sein soll.

Dies zumindest behauptet die vorliegende Doku in wenig distanzierter Haltung. Was man so sieht und hört, darin, könnte in der Tat darauf schließen lassen, dass Palahniuk so eine Art J.G. Ballard der Jetztzeit sein oder als solcher eines Tages mal angesehen werden könnte. Zumindest hat er dafür die beste Voraussetzung: Eine Art cult following unter jungen Amerikanern, von denen einer sozial ausgegrenzter als der andere wirkt. Freaks und Nerds, schlechte Zähne, seltsame Frisuren, Übergewicht und Ticks, wohin man schaut. Und mittendrin Chuck Palahniuk, der einst Automechaniker war und dessen trainierte Oberarme in der Tat so aussehen, als würde er sich regelmäßig mit Tyler Durden prügeln. Meist tritt er kultiviert und charmant auf, unbestritten verfügt er über das wertvollste Kapital unserer Zeit: Charisma in rauen Mengen. Dann wieder trägt er Tarnhosen und Hemden mit abgeschnittenen Ärmeln, als käme er gerade aus irgendeinem Manöver im Feld.

Das Bild, das sich hier ergibt, ist nicht unbedingt das schlechteste; es ist dem etablierten Literaturbetrieb mit seinen öden Ritualen, seinen Schleimereien, Unverbindlichkeiten und Intrigen, seinen Wichtigtuereien und Gelecktheiten - seien es, gleichviel, Frisuren, Geschlechtsteile oder Arschlöcher - allemal vorzuziehen. Es ergibt sich eine neue Verbindlichkeit der Physis, des Da- und Dabei-Seins. Darin ist das Bild Fight Club - den ich als Film eben kenne - nicht unähnlich.

Was sich aber auch ergibt, ist eine Art Religionskult. Unschwer ist Palahniuk in den Augen der Fans als Messias zu erkennen. Postcards from the Future entstand zu weiten Teilen auf zwei Palahniuk-Konferenzen, die im Abstand von zwei Jahren am Literatur-Department einer us-amerikanischen Universität unter der Schirmherrschaft einer ihrerseits von Palahniuk begeisterten Professorin stattfanden. Sowohl Palahniuk, als auch die Idee zur Konferenz wurden ihr von Studenten angetragen. Und Palahniuk nun also diskutiert und doziert, beantwortet mal brav, mal spitzbübisch Fragen und sitzt anderen lectures im Publikum bei. Darauf angesprochen, meint er an einer Stelle, dass der Gedanke, an einer Konferenz über sein literarisches Werk teilzunehmen, zunächst sehr creepy gewesen sei; er habe in Erwägung gezogen, ihr fernzubleiben, hatte sich dann aber, aus Höflichkeit, doch dafür entschieden, an ihr teilzunehmen. Palahniuk ist ein Charmeur. Selbst anstößigste und unsensibel geführte Interviews dreht er noch zu seinen Gunsten um. Er ist ein begnadeter Anekdotenerzähler. Und im Publikum wird deutlich spürbar nach jeder Silbe gelechzt, während Palahniuk mit ausgezogenen Schuhen im Schneidersitz auf dem Dozententisch hockt. Wie allen messianischen Figuren überwältigt auch er den Sinnesapparat seiner Gefolgschaft: Bei der öffentlichen Lesung einer offenbar wirklich äußerst schauderhaften Horror Short Story fällt einer im Publikum unter viel Geschrei in Ohnmacht. Ein übliches Phänomen, erfährt man bald.

An anderer Stelle spricht Palahniuk vermutlich nicht zufällig davon, dass der Menscheit die großen Erzählungen abhanden gekommen sind. Er nennt sie die meta-narratives und meint, beispielsweise, das Christentum oder den Kommunismus; Palahniuk, der antipostmoderne Postmoderne. Diese stories jedenfalls seien es, die das Leben der Menschen zum Besseren ändern könnten. Ein communism saves us all sei Partikular-Geschichtchen wie Britney Spears is hot vorzuziehen. An der Generation seines Publikums läge es ein neues meta-narrative zu installieren. Nicht auszumachen ist, ob Palahniuk sich selbst für einen Propheten hält. Vermutlich eher nicht, er wird aber dazu erhoben.

Jene Momente, in denen Palahniuk frei und vom Film selbst auch ungestört doziert und redet, sind bis zum äußersten seduktiv. Man will die Bücher lesen, man will diesem Mann glauben. Im Vorspann zu Postcards from the Future taucht eine Website auf, die den Film präsentiert und wohl auch produzietr hat. Betitelt ist sie schlicht: "The Cult". Postcards... ist von Fans gedreht, die ihrem Meister bedingungslos an den Lippen hängen.

Das ist letztendlich das Heikle des Films. Man erfährt nur wenig bis nichts über die Bücher selbst, dafür viel, sehr viel, von Palahniuk. Mag sein, dass er Finger auf offenen Wunden der Jetztzeit legt. Man erfährt nur nicht recht, welche Wunden das sind. Man muss es sich denken, und man muss die bedingungslose Begeisterung der Fans glauben, wenn man nicht, hie und da, vor ihr erschrickt. User-Votes, imdb: 8,4/10.

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Thema: festivals


Sehr schöne News zu einem meiner erklärten Lieblingsregisseure: Das herannahende Münchner Filmfestival wird eine komplette Werner-Herzog-Retrospektive veranstalten, sagt yahoo.com. Bei dieser Gelegenheit wird Herzog auch persönlich vor Ort sein.

[edit: auweia, das sind ja steinalte News sehe ich jetzt gerade erst...]

Mich freut das ganz ungemein. Vielleicht geht von einer solchen Veranstaltung endlich ein Impuls nicht nur zur Wiederentdeckung dieses großen Regisseurs aus, sondern unter Umständen auch zur Aufarbeitung seiner jüngsten, höchst produktiven Jahre. Während in den US zuletzt ein wahrhaftiger Herzog-Hype stattfand, nahm man hierzulande kaum mehr Notiz von ihm. Zu wünschen steht, dass auch Rescue Dawn, sein letzter Spielfilm, der derzeit in den USA nach einer Festival-Weltpremiere auf Grund einiger unangenehmer Ungeklärtheiten diffus auf Eis liegt, in München ebenfalls gezeigt werden kann.

Und überhaupt muss ja auch endlich mal gesagt werden, dass die mehr oder weniger offizielle Konkurrenzveranstaltung zur Berlinale sich mittlerweile schon fast zum attraktiveren der beiden Festivals gemausert hat.

Links:

» Herzog im filmtagebuch
» movie magazine search engine ~ movie blog search engine


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