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Dass der Experimentalfilmregisseur Guy Maddin für seinen ersten Dokumentarfilm auf eine hierfür übliche Filmform zurückgreifen würde, wird keiner ernsthaft erwartet haben: In seinem mittlerweile stattlichen Werk entwickelte der Kanadier eine im internationalen Filmgeschehen einzigartige Formsprache, die klassische Undergroundfilm-Ästhetik mit dem ästhetischen Repertoire des Stummfilms und anderer historischer Filmformen geradezu hyperbolisch eskalierend verschmilzt. Postmoderner Zitatereigen und bloß sich anschmiegende Pastiche-Ränke hingegen sind seine Sache nicht; zwar bedient sich Maddin reichhaltig aus dem Fundus der Filmgeschichte, greift diese Elemente aber lediglich auf, um sie vermittels einer hochassoziativen Montage zu einem ekstatisch-rauschhaften „stream of consciousness“ zu verdichten, der immer auch, so zumindest die Behauptung, autobiografisch eingefärbt ist: Gedächtnis und Erinnerung sind bei Maddin, so hat es den Anschein, immer schon von den geisterhaften Bildern der Geschichte besiedelt. Wenn Guy Maddin also den Spuren der Geschichte seiner Heimatstadt Winnipeg folgt, darf man annehmen, dass er hierfür vor allem in den verschütteten Schichtungen seiner eigenen Erinnerung schürft und diese in delirante Bilder umsetzt. Jeglichen Anspruch auf Objektivität verbietet schließlich schon der Filmtitel.Winnipeg erscheint als mythologisch überhöhter Ort: In der Mitte des nordamerikanischen Kontinents gelegen, entstanden an einer Kreuzung zweier Flüsse, die immer wieder assoziativ mit dem Schoß der eigenen Mutter verquickt werden, eine Stadt, die den Großteil des Jahres eingeschneit ist und deren Bewohner Maddin als eine Horde Somnambuler darstellt. Ein Ort, der Maddin wie ein Alb auf die Seele drückt, mehr „haunting ghost“ als konkrete Lokalität, ein Ort, der ihn hervorgebracht, wenn nicht ausgespien hat, sein steter biografischer Bezugspunkt (immer wieder kommt Maddin in seinen Filmen auf Winnipeg zu sprechen), dem doch unbedingt zu entfliehen ist. My Winnipeg, ein anscheinend nötig gewordener Exorzismus: Aufwachen aus diesem Albtraum Winnipeg, von hier fliehen, das ist Maddins Programm.
Dazu gräbt er tief in der Geschichte, auf deren Episoden er die Stationen seiner Biografie bezieht. Eine Auflistung großer Männer und ihrer Taten darf deshalb nicht erwartet werden, Maddin betont das Obskure, Abseitige, Verwunderliche: Dass Winnipeg den größten Güterbahnhof Nordamerikas hat beispielsweise, oder aber er berichtet von seltsamen Stadtfesten, von verqueren TV-Serien, in denen seine Mutter (hier erstmals bei Maddin von sich selbst gespielt) mitgewirkt hat, natürlich von dem Friseursalon, in dem er aufgewachsen ist, von dessen beißenden Gerüchen, von Neben- und Hinterstraßen, vom Schnee über der Stadt und von mystischen Seancen im Rathaus unter Teilname von Politikern und Bordell-Geschäftsführerinnen. Dies alles geschieht wie in einem flirrenden Wachtraum, in Form des für Maddin so typischen, filmhistorisch informierten Gleitens durch wehmütige Erinnerungen und assoziative Gedankenfetzen, die der Regisseur im fortwährenden Off-Kommentar einbaut.
Je tiefer Maddin gräbt, umso mehr Schichten der Stadt, wie seiner Persönlichkeit, legt er frei. „A City of Palimpsests“, sagt er an einer Stelle in einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Dabei geht es ihm, im Endeffekt, genau um die Rettung dieser historischen Schichten: Denn dies alte Winnipeg, in dem Maddin aufgewachsen ist, droht vom Modernisierungsschub unaufhaltsam verdrängt zu werden. Das alte Eishockeystadion, in dem die Winnipeg Maroons manch glorreichen Sieg davontrugen, an das Maddin goldene Kindheitserinnerungen knüpft, in dem seit Jahrzehnten jener charakteristische Duft aus Männerschweiß und Pisse durch die Gänge zieht, muss einer seelen-, also geister-, da geschichtslosen Shopping Mall weichen, derweil ein neues, für Maddin gänzlich uninteressantes Stadion an anderer Stelle aufgebaut wird. In diesen Momenten erwacht der Filmträumer Maddin und lässt als Kommentator des aktuellen Stadtgeschehens seinem narzisstisch eingefärbten Zorn freien Lauf; um die Hässlichkeit des bloß Präsentischen herauszustellen, werden in solchen Spitzen die traumwandlerischen Schwarzweißbilder durch lediglich die blanke Materialität der äußeren Erscheinung transportierende Digitalfotografien verdrängt, so dass man erbarmungslos mit der Nase voran auf das Pflaster der Realität gestoßen wird.
Die Reise in Guy Maddins Heimatstadt entspricht einer Reise in Guy Maddins verkarstete Neurosenwelt, sein Verhältnis zur Stadt entspricht, ganz psychoanalytisch, dem zwischen Mutter und Kleinkind: Zwischen verzehren wollender Liebe und drangsalierendem Hass. Maddins Flucht muss – wie die von der Mutter - notwendig erfolglos bleiben: Mit seinem wunderbaren Doku-Biography-Amalgam My Winnipeg setzt er seiner Stadt ein eigenwilliges, dunkel glitzerndes Denkmal und verschweißt sich so noch mehr mit ihr. Ohne Winnipeg ist Maddin nicht denkbar, und jetzt, nach diesem Film, auch Winnipeg nicht mehr ohne Maddin.

Ein ausgemachter Pimpf von heruntergekommenem Adelpatriarchen erliegt den Einflüsterungen seines opportunistischen Schwagers und verhökert seine beiden Töchter an den um einen Thronfolger bangenden König Heinrich VIII., nur um damit, infolge einiger Unabsehbarkeiten und Intrigen, das Leben seines Nachwuchses aufs Spiel zu setzen, was mit weitreichenden welthistorischen Erschütterungen - die Lossagung Englands von der katholischen Kirche - einher geht. Ausgewalkt wird dies in 115 langen Minuten, in denen jede Kameraeinstellung sitzt, jeder Lichtstrahl exakt hingetupft ist, fortwährend Zeugnis abgelegt wird von Überstunden der Ausstattungs- und Schminke-Crew und regelmäßig Wolken im Zeitraffer bedeutungsschwanger über Adelshäuser hinwegfliegen dürfen. Die Schwester der Königin ist durch und durch glossy und über seine gesamte Spieldauer unerträglich geschmackvoll.
Was er erzählt, wäre von einigem historischen Interesse. Immer wieder gibt es eine Ahnung des Risses durch die Bevölkerung, den die schwanzfixierten Manöver des Königs zur Begattungs-Durchsetzung von Anne Boleyn hervorriefen, die schließlich die Church of England zur Gründung brachten, allein es wird sich nicht die Bohne dafür interessiert. Stattdessen viel persönliches Drama und Tränenrühriges, ein bisschen Kindstod hier, ein wenig Vergewaltigung von hinten dort, nicht enden wollende Geilheit, versuchter Inzest dann und schließlich auch Enthauptungen - stets unter Wahrung von Geschmack und Respekt vor den Sehgewohnheiten des Publikums: Die Schwester der Königin erzählt sich nach Manier eines süßlich-traurigen Romanheftchens industrieller Fertigung für bildungsferne Hausfrauen im fortgeschrittenen Alter. Solche werden sich auf einen schönen Kinoabend freuen, andere dürfen sich beleidigt fühlen.
Nur den Akkreditierten Berlinale ist die unglaublich kleine, alte Dame ein Begriff, normalsterbliche Besucher kennen nur ihre Bilder: Erika Rabau, oder eben schlicht: Erika. Keine Pressekonferenz ohne die schrullige Hoffotografin des Festivals in der ersten Reihe. Im Berlinale-Staralbum der taz wird sie näher vorgestellt. 2004 war sie bereits der Berliner Zeitung sowie dem Tagesspiegel ein Portrait wert.Nicht wirklich schlecht, aber meiner Meinung nach auch nicht so herausragend, wie es internationale Kritiker glauben machen wollen (hie und da habe ich, ehrlich gesagt, mitunter gähnen müssen). Meine ausführliche Kritik erschien heute beim Perlentaucher, den Trailer gibt's als Bonus hier:

In der lediglich Akkreditierten und Branchenbesuchern zugänglichen Sektion "German Cinema" wurde auch Dominik Grafs neuer Film Das Gelübde, wenn ich das richtig überblicke eine Fernsehproduktion mit bislang nicht festgelegten Erstausstrahlungstermin, gezeigt. Ein eigenartiger, flirrender, aber schöner Film. Basierend auf dem Kurzroman des Fantasy-Schriftstellers Kay Meyer (hier sein Weblog), den ich allerdings nicht gelesen habe, erzählt er von der historischen, um fiktionale Elemente erweiterten Begegnung des romantischen Schriftstellers Clemens Brentano mit der 2004 seliggesprochenen Nonne Anna Katharina Emmerick im Jahr 1819 im Westfälischen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen frommem Katholizismus und Anti-Aufklärung auf der einen Seite, preußische Disziplin und Fortschrittsglaube auf der anderen. Die Stigmata der Emmerick und ihre Visionen treiben den frisch zur Frömmigkeit gefundenen Romantiker und Ex-Lebemann dazu, sich hinter alle Kunst zu stellen und als braver Protokollant die Trance-Reden der Nonnen aufzuschreiben. Das Buch Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi ist Zeugnis dieser jahrelangen Schreibarbeit und zudem wohl, wenn man diversen Websites und der Wikipedia zum Thema Glauben schenken darf, Inspiration für die Grausamkeiten in Mel Gibsons blödsinnigen Jesus-Gewaltporno The Passion of the Christ.
Die Begegnung ist schicksalsschwer: Brentano, als Seitenwechsler vom Preußentum zu religiös informierter Mittelalterromantik, erscheint als Figur seiner Zeit, in denen sich die seinerzeitigen historischen Frontstellungen aufreibend manifestieren. Brentano, so wird es wenigstens impliziert, geht eine eigenartige Liebesgeschichte zu der Nonne ein, über der er seine eigene Liebe aufs Spiel setzt und verliert, erkrankt schwer und ergeht sich in allerlei Wahnsinn, wie er Romantiker - Hölderlin im Turm - gern ereilt. Graf setzt dies nicht brav nach Lehrbuch um, sondern verleiht auch seinem Film eine Tendenz zum Irrealen, Enthobenen und Gleitenden.

Nonnen, Wahnsinn, Teufelei, das Vexierspiel aus Zucht und Unzucht vor Kulisse des 19. Jahrhunderts: Das gab's schon einmal in der Filmgeschichte, im später so genannten Nunsploitation-Film vornehmlich italienischer Herkunft. Nun wäre es wohl vermessen, Grafs Film wegwischend in eben diese Tradition zu stellen, doch scheint er, unter Deutschlands namhaften Regisseuren dem kernigen Genre-Handwerk noch am ehesten verpflichtet, von diesem zumindest informiert zu sein, wenn er Das Gelübde als stark assoziativ geschnittenen Film inszeniert und dabei auffallend oft das Stilmittel des Zooms - eigentlich verpönt, im italienischen Genrekino aber gang und gäbe, beim Spanier Jess Franco, der selbst einige Nonnenfilme gedreht hat, zur deliranten Kunst gereift - einsetzt: Immer folgt das Bild den Aufmerksamkeiten und Gedanken der Protagonisten, wenn die Montage Aspekte der Handlung krass betont und schnelle Zooms Affekte umsetzen; das leicht grobe Korn des Filmmaterials, die Ausstattung und der immer leicht irrealisierende Gestus der Inszenierung erinnern zudem auf sehr sympathische Weise an das Genrekino der 70er Jahre.
Das Gelübde ist auf gewisse Weise ein Gegenton im deutschen Fernsehfilmschaffen. Orientiert ist er an der etwas rabiateren Genretradition, dennoch ist er auf das nicht zu reduzieren, denn es ist ihm durchaus auch um Kunst zu tun, wenngleich er vom spröde protestantisch anmutenden Kunstfilm mit Aussagecharakter deutscher Provenienz nicht das geringste wissen will.
Graf erweist sich einmal mehr als verlässlicher Maverick der hiesigen Filmproduktion. Zu hoffen bleibt, dass dieser schöne Film nicht dazu verdammt wird, bloß auf Fernsehbildschirmen zu verhungern, sondern auch, denn hier entwickelt er Qualität, im Kino zu sehen sein wird.
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» siehe auch: Lukas (begeistert), Anja (beglückt) und Ekkehard (knapp, enttäuscht)

Als Spatzen – Sparrows – bezeichnet man in Hongkong die Taschendiebe, eine dort, wie Johnnie To in der Pressekonferenz süffisant anmerkt, aussterbende Zunft. Aussterbend ist auch die Zunft der Filmemacher, die im Genrekino nicht so sehr auf technologische Selbstläufer, sondern auf exakte Inszenierung, Raumverständnis usw. setzen; und wenn es darum geht, sich im Raum exakt bewegen zu können, ihn für sich zu nutzen, dann sind Taschendiebe und solche Filmemacher, wie To einer ist, mitunter wesensverwandt - der vorliegende Film ist hierfür schöner Beweis.Sparrow ist zugleich eine Herzensangelegenheit für seinen Regisseur. Vier Jahre lang hat To daran gearbeitet und wäre die Berlinale-Anfrage nicht dazwischen gekommen, so To in einem Interview, würde er noch heute wohl an ihm basteln. Immer wieder rückte er hinter andere Arbeiten – das übliche Maß an Auftragsarbeiten, aber auch ambitionierte Projekte wie die beiden Election-Filme – und wurde nur dann, wie To sagt, fortgesetzt, wenn es die Inspiration hergab. Das ist einerseits vor dem Hintergrund der allgemeinen Produktionsbedingungen in Hongkong bemerkenswert, wo schnelles Produktionsgeld schnellen Ertrag sichern soll, aber auch vor demjenigen, dass To pro Jahr mithin drei bis vier Filme vorlegt.
Dass man dem Film diese Entstehungsgeschichte anmerkt, wäre noch leicht untertrieben. Sparrow zerfällt, wie zuletzt kein anderer Film des Regisseurs, in eine Abfolge ineinander purzelnde set pieces, in denen sich die kaum ausgefeilte Geschichte – ohnedies keine Spezialität Johnnie Tos – gerade mal so ausbuchstabiert: Erzählt wird von Kei (Johnnie-To-Regular Simon Yam), einem sympathischen, augenzwinkernd und hochelegant zu Werke gehenden Taschendieb, der mit drei Partnern – allesamt eher Witzfiguren aus dem Kabinett der Hongkong-Komödie – in hübsch arrangierten Anordnungen auf der Straße zu Werke geht. Wie es ihm, und damit dem Film, an jenen ultra-kriminellen Aspekten, die ansonsten mit dem Hongkong-Film assoziiert sind, mangelt, so mangelt es ihm auch am Pathos, den man gemeinhin aus Hongkong kennt. Kei ist ein Kleinkrimineller, der eher an seinem „Handwerk“ interessiert scheint, als am großen Geld, das sich in den Triaden machen ließe.

Wie jeder gute To-Film spielt auch Sparrow über weite Strecken auf den Straßen seiner Stadt: Als Flaneur streift Kei mit einer alten Kamera durch Hongkong, immer auf der Suche nach schönen Motiven. Dass Sparrow auch ein Film über den Wandel seiner Heimatstadt sei, wo in den letzten Jahren zahlreiche alte Gebäude neuen, modernen Komplexen weichen mussten, darauf weist Johnnie To in der Pressekonferenz hin; mit seiner Kamera hält Kei dieses alte, zurückgedrängte Hongkong fest, genau wie der Film, der, im Hintergrund und am Rande, auch über den Zeitraum seiner Entstehung den Wandel in der Stadt beobachtet. Bei einem solchen Foto-Streifzug tritt Kei schließlich auch die schöne Chun Lei (die wunderbare Kelly Lin) vor den Sucher, die, wie sich bald herausstellt, nicht nur ihm, sondern auch seinen Partnern systematisch den Kopf verdreht und dies mit Grund: Als Festland-Chinesin ist sie einem alten Schwerkriminellen, einem ehemaligen Taschendieb, der ihren Pass unter Verschluss hält, um sie so an sich zu binden, ausgeliefert: Im Duell der Taschendiebe, ausgetragen in den Straßen von Hongkong, entscheidet sich Chun Leis Schicksal.
To erzählt seinen Film anhand überschaubarer, mal von einer kleinen, mal von einer großen Idee getragenen Sequenzen, denen man stets ansieht, dass sie nicht einem übergeordeneten Masterplan, sondern allein der gelegentlichen Inspiration zwischen zwei anderen Arbeiten entspringen. Dabei ging es nie um den großen cineastischen Wurf, sondern eher um freudiges Ausprobieren und die Lust am Experiment, stets von einem Augenzwinkern begleitet. Eine Standardsituation etwa, wie man sie aus zahlreichen Komödien kennt – eine Verfolgung wird durch Leute behindert, die einen großen Gegenstand durch die ohnedies schon beengte Gegend tragen -, wird in Sparrow zu einem kleinen, frechen Meisterstück auf engstem Raum (in einem Hochhausaufzug); den Versuch, einen begehrten Gegenstand zu entwenden – ein Amulett am Halse des Gegenspielers -, inszeniert To als Travestie in der Arztpraxis mit Humor auf kleinstem Raume; atemberaubend hingegen sind seine, wider alle Hongkong-Tradition, entschleunigenden Momente, wenn er eine Verfolgung auf dem Fahrrad inszeniert oder beim grandiosen Showdown, der, statt großer Oper, den Zeitlupen-Minimalismus zwischen Jackentaschen und Regenschirmen sucht. Zwar ist nicht jedes set piece die ganz große Kunst geworden, ein großer Spaß sind sie aber, je auf eigene Weise, schon.

So wie Straßendiebe einen übertölpeln, übertölpelt freilich auch To, der hier On und Off des Bildes mit der großen Souveränität des erfahrenen Filmemachers, der er ist, zu nutzen versteht; zum sympathisch ironischen Grundton des Filmes gehört freilich, dass er nicht jeden Trick der Taschendiebe ins Bild setzt, sondern oft genug ins Nicht-Sichtbare verrückt. Die freche Dreistigkeit, mit der er zwischen Nachvollzug des Geschehens und bloßem Budenzauber changiert, gehört aber mit zur schönen Unbekümmertheit von Sparrow.
Johnnie Tos bester und beeindruckendster Film ist Sparrow zwar nicht geworden; nach wie gehört es zu den großen Verfehlungen aus den Geschichtsbüchern der Berlinale, PTU (2003) seinerzeit nicht in den Wettbewerb geholt zu haben; dennoch, nach den düsteren Triadendramen der Election-Reihe und Exiled ist es ein Genuss, To mal wieder in guter Tradition einfach nur mit Film und seinen Formen fröhlich herumspielen zu sehen.
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Was für eine Wurst der Schweigers Till doch ist, denke ich, als ich am Bus von Radio 1 (oder welchem Sender auch immer) vorbeikomme und nur ein paar Fetzen der aktuellen Sendung mitkriege, die da lautstark übertragen wird. Und wie er das immer wieder unter Beweis stellt. Schweiger, der vor kurzem aus der Filmakademie ausgetreten ist, weil er einen Film offenbar nicht richtig einreichen kann, Schweiger, der gerade rund 4 Millionen Zuschauer in seinen Film locken konnte und also keinen Grund haben sollte, sich über irgendwas zu beschweren, Schweiger, der im Vorfeld des Kinostarts keinerlei Pressevorführungen anberaumte, Schweiger also meint da, mal wieder im Kritiker, den Teufel ausgemacht zu haben: Ein Film, so er, den keiner kennt, der sei nicht allein deshalb schon gut, bloß weil ihn eben keiner kennt, und wer aber so denke (ja wer denkt denn aber so?), so er weiter, darf sich seiner, Schweigers, Sympathie ganz gewiss nicht sicher sein. "Und solche Kritiker", umarmt ihn dann die Moderatorin, "sieht man auf der Berlinale nicht wenige" Vermutlich nickt sie dabei lakonisch in sich hinein, schließlich hat sie, wie Schweiger, alles durchschaut.
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Michael Althen meldet sich, kryptisch und antizipierend, bei newfilmkritik zu Wort.
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Der schönste Moment in Los Olvidados (Retro): Der unschuldig in einem Jugendbesserungsheim (oder war's ein Jugendknast?) einsitzende Junge nimmt ein Ei in die Hand und wirft's dann kurzentschlossen direkt in die Kamera. Überhaupt gibt's in dem Film wahnsinnig schöne Details, die sich von der doch sehr überschaubaren Erzählung des Films abheben und eine Art Eigenleben besitzen. Das alternative Ende aber, das Bunuel, wie das ausliegende Infoblatt der Retrospektive erläutert, auf Produzentenbitten hin nachgedreht hat und im Anschluss gezeigt wurde, ist für den Film gottlob nicht verwendet worden: Es ist eklig beschaulich und ein fieses Stück Agitation niederer Ansinnen auf Zuschauerseite. Versteht sich, dass der Applaus nach diesem Schluss (der echte Schluss wurde eher verhalten bejubelt) bedeutend erleichterter und enthusiastischer ausfiel. Brrr.
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Als Klaus Kinski am 20. November 1971 die Berliner Deutschlandhalle mit seinem Programm „Jesus Christus Erlöser“ betritt, kommt es zum Eklat. Zwar war bereits die gesamte vorangegangene Tour nicht unter dem besten Stern gestanden; doch Zwischenrufe, Pöbeleien, Provokationen, diskutierfreudige Zuschauer sowie Kinskis Wutausbrüche und andauernden Performance-Abbrüche gestalten den Abend zum Parforce-Ritt, der bis heute als Legende („Nein, er hat eine Peitsche genommen...“) kolportiert ist.Das Wissen um den Abend war bislang fragmentarisch; einige Filmaufnahmen – zumeist die zugespitztesten Momente – gab es hie und da im Fernsehen und in Werner Herzogs später Doku-Auseinandersetzung mit Kinski, Mein liebster Feind, zu sehen. Eine Doppel-CD mit Aufnahmen der Tour verschwand kurz nach Erscheinen wieder aus den Regalen auf Grund einer unklaren Rechtesituation, ist aber seit kurzem wieder erhältlich. Erst jüngst veröffentlichte der Publizist Peter Geyer ein um frühe Gedichte Kinskis ergänztes Transskript des seinerzeit frei rezitierten Textes von „Jesus Christus Erlöser“ im Suhrkamp Verlag, wo Geyer auch eine etwas nüchtern geratene Biografie des Künstlers vorlegte.
Der Film Jesus Christus Erlöser versammelt nun ebenfalls von Geyer zusammengestelltes Archivmaterial aus den Beständen des Kinski-Nachlasses und unternimmt dabei den Versuch, die einst so gescheiterte, von Kinski mit glühendem Herzen konzipierte Performance zumindest im Film noch zu retten; zugleich gibt er Einblick in den wirklichen Verlauf des Abends abseits jener wohlbekannten Momente. Gelegentlich eingefügte Texttafeln aus Kinskis Autobiografien, in denen er Jahre später über den Abend reflektiert, kontextualisieren das Gezeigte, wie sie den Film auch eindeutig auf einer Seite positionieren, auf der Kinskis als missverstandenen Künstler.
Wer den Text zu „Jesus Christus Erlöser“ kennt, bekommt inhaltlich wenig Neues zu hören; spannend wird der Film aber nicht nur als weiteres Dokument des herausragenden Rezitations- und Vortragstalent Kinskis, sondern auch Möglichkeit zum Nachvollzug, warum jener Abend vielleicht auf diese Weise enden musste. Die Kamera ist immer dicht bei Kinski, Nahaufnahmen seines voll in den Vortrag aufgehenden Gesichts dominieren über weite Strecken. Im groben Korn des 16mm-Materials werden Tränen in den Augenwinkeln des Künstlers sichtbar, stumme Zeugen der vermutlich nicht nur ausgestellten Ergriffenheit des für seine Emphase bekannten Kinskis. Doch gelegentlich schneidet der Film um, auf das Material der in der Halle stehenden Kameras, die offenbart, was das Publikum in der geräumigen Halle gesehen haben muss: Einen von einer einzelnen Lichtquelle bestrahlten, weit entfernt stehenden Mann am Mikrofon, ein kleiner, bläulich leuchtender Strich inmitten eines großen, schwarzen Filmbildes. Literaturhäuser und übliche Vortragslokalitäten mögen solcher Kargheit einen funktionalen Rahmen bieten; in der Weite der Deutschlandhalle wirkt das Konzept verloren, reizarm. Kein Wunder, das aus solcher Perspektive – wohlweislich setzt Geyer sie nur pointiert und selten in seinem Film ein - , jede Kunstpause Kinskis wirken musste wie die Verlegenheit eines vergessenen Textes, ein Vorwurf, der immer wieder aus dem dunklem Saal lautstark zu hören ist.
Die Tumulte und gegenseitigen Beschimpfungen nehmen zu; ein Höhepunkt entsteht, als Kinski einen jungen Mann, der auf sein Recht auf das Mikrofon insistiert, mit lakonischer Miene vom Schutzpersonal wegführen lässt. "Kinski ist - ein Faschist", ruft es im Sprechchor aus dem Saal. Der Abend endet, vorerst, mit Ansprachen des Hausherrns, der den Gebrauch seines Hausrechts androht, Polizei ist anwesend, ein hektisch gestikulierender Kinski debattiert in Augenhöhe mit Leuten aus dem Publikum.
Abspann – doch halt: Nach dem Abspann folgt ein weiteres Segment. Stunden später, etwa 100 Leute entsprachen Kinskis steten Aufforderungen, dass jene, die die Performance interessiert zu warten hätten, bis „das Gesindel“ die Halle verlassen hätte, geduldig vor der Bühne. Kinski tritt in den Kreis, verzichtet auf sein Mikro und hebt aufs Neue – und man weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Male an diesem Abend – mit den Worten „Gesucht wird Jesus Christus“ an. Nach mehreren Versuchen gelingt es schließlich doch, den Abend, gegen zwei Uhr nachts, zu seinem Ende zu bringen, in direkter Tuchfühlung mit dem kümmerlich verbliebenen Teil des Publikums auf gleicher Höhe. Kinski, scheint es, ist am Ende. Im Endeffekt endet seine Karriere als Vortragskünstler in diesem Moment.
Jesus Christus Erlöser ist ein spannend nachzuvollziehendes, von Widersprüchen gewiss nicht freies Filmdokument, ein wertvolles Puzzlestück in der steten Aufarbeitung von Leben und Werk dieses Ausnahmekünstlers.
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Der Yasukuni-Schrein in Tokio ist ein Politikum. Den Ansichten des Shinto zufolge dient er den zahlreichen Seelen der japanischen Soldaten, die in den zahlreichen Kriegen des Landes seit dem Erbau im Jahr 1869 gefallen sind, als spirituelle Heimstätte: Wer hier mit Name und biografischen Notizen präsent ist, weilt hier auch als Geist. Auch die Kriegsverbrecher aus den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem asiatischen Festland im 20. Jahrhundert sind hier mit Namen erfasst und genießen so den Rang von Kriegshelden. Einen diplomatischen Grenzfall stellt deshalb Jahr für Jahr die Würdigung der Toten durch Premierminister Kozumi dar; in Korea, China und anderen Ländern gilt diese, von japanischen Ultranationalisten und Revanchisten als Akt der vermeintlichen Emanzipation gefeierte Geste als geschmacklose Provokation. Alljährlich entfachen sich am Rande dieses Rituals Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Friedensbewegten. Dass sich nun ausgerechnet ein Chinese des Themas in Form einer Dokumentation annimmt, ist schon deshalb bemerkenswert; zumal, da er dies, wiewohl deutlich auf Seiten der Friedensbewegung, im herausragend diplomatischen Tonfall angeht. Noch bei den größten Ausfällen von Revanchisten und Rechtsradikalen nimmt sich Li Ying zurück: Seine Kamera ist zwar ultra-nah am Geschehen – zuweilen bis an die Grenze des Erträglichen, wenn sie inmitten einer Handgreiflichkeit minutenlang nur wackelt und nichts mehr greifbar nachvollziehbar ist -, doch seine Einstellungen sind oft quälend lange, gerade so, als wäre jeder Schnitt ein Vergehen gegen den Kodex des demutsvollen Beobachters, als der sich Li Ying dem Thema nähert.
Li Ying zeigt einen Aufmarsch von Soldaten, einen kuriosen US-Amerikaner, der mit US-Flagge und Pappschild („Ich unterstütze Premierminister Kozumi“) für Irritationen, Beifallbekundungen und Beschimpfungen sorgt, Demonstrationen für und wider den Schrein (naturgemäß kommt es zu Rangeleien zwischen den Parteien), vergebliche Petitionen von Familienangehörigen taiwanesischer Hinterbliebener, die die Namen ihrer Gefallenen aus dem Schrein genommen wissen wollen, die dramatische Intervention eines linken Studenten während der feierlichen Zeremonie, selbstverständlich Kozumis Ehrerweisung und vieles weitere. Die Rolle eines Ruhepols nimmt ein alter Waffenschmied ein, der seit Jahren die im Schrein aufgebahrten Samuraischwerter herstellt. Immer wieder schneidet Li Ying zu diesem alten Handwerker - 90 Jahre ist er alt und der letzte seiner Gilde - zurück, beobachtet ihn bei der Anfertigung eines weiteren Schwertes und stellt ihm dabei, gelegentlich, Fragen, die vom Schmied - ob nun aus Naivität, Altersstarrsinn oder schlichter Unwissenheit - nicht, lachend oder unbekümmert beantwortet werden. Hier wie dort wahrt Li Ying Höflichkeit und Distanz; lieber lässt er die arglos eingefangenen Bilder, die Leute, kurz: das gesellschaftliche Phänomen "Yasukuni" selber sprechen.
Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, spannend, spannender als eine fiktionalisierte Aufarbeitung eines solchen Sujets mit ihren Zugeständnissen an Filmkonventionen und -dramaturgie je sein könnte. An die verwackelte, distanzlose Kamera gewöhnt man sich bald, in der vermeintlichen Amateurästhetik meint man zudem schnell eine Art Konzept zu erkennen: Nur in solcher Haltung gegenüber dem Pro-Filmischen wird die Gefahr, die militaristischen Zeremonien mit ihrem ausgestellten Erhabenheitspathos noch in der kritischen Beobachtung zu duplizieren, umgangen: Das Bild ist grob, der Sound verzerrt die Trompeten ins grotesk Übersteuerte – in Yasukuni findet sich kein einziger für Bellizisten, Nationalisten oder Militaristen verwertbarer Moment. Im Gegenteil, je mehr sich Revanchisten und Nationalisten in Rage reden, desto mehr schieben sie sich hier, trotz aller Ausgewogenheit des Films (in Form von footage darf etwa auch Kozumi seinen Standpunkt lange und unkommentiert erläutern), ins Abseits.
Allein etwas deplatziert und störend wirkt eine Sequenz gegen Ende des Films, die zu pathetisch-melancholischer Musik historische Aufnahmen aus der Geschichte Japans und des Yasukuni-Schreins zeigt und gegen Ende in die bekannten Atompilze von Hiroshima und Nagasaki mündet; zwar schließt Li Ying damit beispielsweise an Keji Nakazawas (lesenswerten) Manga-Klassiker Barfuß durch Hiroshima an, der implizit die Ansicht vertritt, die Atombomben seien eine logische Konsequenz aus der Militarismus- und Nationalismus-Besoffenheit der einsichtsunwilligen japanischen Gesellschaft; nur hat ein ansonsten schon so rundum überzeugender, gerade durch seine Sensibilität und Beobachtungsgabe brillierender Film ein solches Betroffenheitsspektakel eigentlich nicht nötig.

Sonne. Berlinale und Sonne.

Julia Roberts wird erwartet. In zwei Stunden. Well.
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Die laengste Schlange des Festivals befindet sich in der Galerie der Arkaden. Vor der legendaeren Eisdiele reihen sich Menschen in Schlangen ein, deren Laenge jede mir ansichtig gewordene bei weitem uebertrifft.
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Auf der anderen Seite stellen sich Leute fuer einen Sitzplatz in besagter Eisdiele an. Intelligenterweise tun sie das vor der Rolltreppe. Ficht wohl keinen an, dass dadurch bloedsinniges Gedraenge entsteht. Ein Kommentar von mir, die Schlange doch einfach ein paar Meter weiter zu bilden, erntet verstaendnislose Blicke.
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Auch ein Klassiker des Festivals: Touristische Schwaben aelteren Datums fahren mit der Rolltreppe bergab um, am Ende angekommen, erstmal stehen zu bleiben, Lage checken, umzukucken, seelenruhig, wird ja schon keiner hintendrein kommen. Irrsinn allenthalben.

Vielleicht bin ich, was die Geschichte der Psychoanalyse samt ihrer teils schon gefährlich ins Esoterische spielenden Subformen betrifft, einfach zu uninformiert oder schlicht zu uninteressiert. Kann gut sein, sorry, meine Schuld. Vielleicht wären entsprechende Kenntnisse nötig gewesen, um W.R. - Misterije organizma, den das Forum in einem Special Screening zeigte, zu verstehen. Aber so, mit diesem Wissensstand, wirkte der Film wie ein wirres Konvolut aus Interviews, dokumentarischem Material, zahlreichen Spielszenen, seltsamen Musiksequenzen und Attraktionsmontagen von deliranter Semantik. Kann auch sein, dass dies die Absicht war: Wirres, spastisch anmutendes zur Befreiung von Lebenssäften und -kräften, was dann ja, wenn man dem Film glaubt, in etwa die Essenz von Wilhelm Reich gewesen wäre. Verstanden habe ich, wie gesagt, das wenigste. Irgendwie gut war der Film aber schon. Nur: Wieso? Keine Ahnung. Vielleicht weil ich ein Herz für klassenkämpferische Wirr-Filme mit Happening-Charakter habe, in denen erstmal Konzepte wurscht sind, solange das ganze irgendwie knallig rüberkommt. Stalin wird hier in einer Montage beispielsweise zum herumstolzierenden
Schön gewesen aber ist, mal wieder, die Materialästhetik alter Filme. Vermutlich war das günstiges 16mm-Farbfilmmaterial. Fleckig, tupfig, körnig, wunderschöne Farbverfremdungen, wie ein Foto-Familienalbum aus den 70er Jahren. Allein dafür lohnen sich solche Screenings.
Und natürlich: Toll der Moment, in dem plötzlich das Cover der Originalausgabe von Film as subversive Art vor einem auf der Leinwand steht. Schöne Feedback-Schleife.
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Mit pinku eiga - eine Auswahl zeigt das Forum als Mini-Retrospektive zu Ehren des Regisseurs - hat sich Koji Wakamatsu in den 60er und 70er Jahren einen Namen gemacht. Mehr als 100 Filme gehen bislang auf sein Konto. Nun ist aber der pinku eiga - grob gesagt: der japanische Softpornofilm für entsprechend orientierte Kinos - nicht unbedingt nur das Pendant zum euro-amerikanischen Schmuddeltreiben jener Dekaden. Der pinku eiga ist zugleich Experimentierfeld für junge Regisseure und die Möglichkeit zum gesellschaftskritischen Kommentar. Solange alle paar Minuten nackte Haut zu sehen ist, hat der Regisseur weitgehend freie Wahl bei Art und Umsetzung seiner Sujets. Koji Wakamatsu, der dem linksradikalen Milieu rund um die auch im Japan der späten 60er Jahre entstandenen Studentenbewegung entstammt, reicherte seine oft von psychotischen Menschen handelnden Filme mit entsprechenden, und meist nicht unbedingt subtilen, Untertönen an, wenn sie nicht gleich komplett im Revoluzzerlager angesiedelt waren.Von daher ist sein United Red Army in gewisser Weise eine Rückkehr in jene Zeit, wenngleich unter anderem Vorzeichen. Ein pinku eiga ist die fast dreistündige Doku-Fiction nicht, spielt aber inmitten der Studentenbewegung, bzw. in einem sich bis ins Groteske radikalisierenden Splitterzweig, der die Gewalt schließlich gegen sich selbst richtet. United Red Army nimmt dabei Bezug auf ein konkretes Ereignis: Nach zehn Tagen Belagerung gelang es der japanischen Polizei unter viel Blutvergießen die in der entlegenen Skihütte Asama verschanzten Restbestände einer japanischen RAF-Gruppierung zu überwältigen. Dem war, in den Bergen Japans, ein Massaker vorangegangen. Bereits 1997 hatte Kazuyoshi Kumakiri den Stoff in seinem kontroversen Film Kichiku aufgegriffen, der ebenfalls auf der Berlinale gezeigt wurde.
Den drei Stunden entspricht eine Dreiteilung des Films: Die erste Stunde schafft historischen Kontext und wechselt dabei von mit Psychedelic Rock unterlegtem Archivmaterial zu kleineren Expositionen, die die verwirrend zahlreichen Figuren und die noch verwirrenden Splitter- und Gruppierungsprozesse der Bewegung vorstellen; der zweite Teil fokussiert den harten Kern der Gruppe, der aus den zahlreichen Wendungen hervorgegangen ist. Diese Gruppe zieht zur militärischen Ausbildung in die Berge, wo sie den Gebrauch von Schusswaffen genauso lernt wie das Ritual der dialektischen Selbstkritik, vorgeblich ein Verfahren zur Entwicklung wahrhaftig kommunistischen Charakters, in Wahrheit aber eher eine Art schmerzhafte Selbstbezichtigung vor versammelter Mannschaft. Teil 3 schließlich zeigt ohne Rücksicht auf den Zuschauer den paranoisch-psychotischen Verfall der Gruppe: Die "Selbstkritik" verlässt jeglichen Rahmen der Vernunft, der Anführer geriert sich zum Despoten, erste Tote sind zu beklagen: Die Terrorgruppe terrorisiert vor allem sich selbst und wird schließlich von der Polizei aufgespürt. Nach etlichen Tagen Fußmarsch durch die verschneiten Gebirge landet die Gruppe in besagter Skihütte, wo es zur Tragödie kommt.
Seinerzeit war Wakamatsu eigener Aussage nach von dem Polizeieinsatz in Asama schockiert, eine Anklage im altlinken Sinne ist United Red Army indes nicht geworden. Wakamatsu wechselt mit beeindruckender Rigorosität in die Perspektive der Gruppe selbst: Noch der "Showdown" in Asama wird nicht etwa als Shootout in dramatisierender Parallelmontage im buchstäblichen Schuss-Gegenschussverfahren - wohl jeder weniger selbstsichere Regisseur wäre dieser Versuchung der Standardisierung erlegen - aufgelöst, sondern bleibt bis zum bitteren Ende ganz auf Seite der Restgruppe, der jeglicher Bezug zur Realität ohnedies schon längst abhanden gekommen ist. Die Klaustrophobie, der unbarmherzige Druck nach innen solcher Gruppendynamiken findet hier Entsprechung in der Inszenierung des Geschehens.
Was Wakamatsu mit Konsequenz schildert, ist der Verfall eines sozialen Kampfes durch die vorangetriebene Selbstradikalisierung: Indem die Gruppe in die Wälder und Gebirge zieht, mutmaßlich zur eigenen Ausbildung und in heilloser Überschätzung der eigenen sozialen Relevanz, verlässt sie auch jeglichen Referenz- und Ansatzpunkt ihrer traditionell urbanen Gesellschaftskämpfe. Vor Wald und Wiese, Berg und Hütte entbehren die brav aufgesagten Marx- und Leninzitate jeglicher Verankerung in der konkreten sozialen Wirklichkeit. Die vermeintliche Avantgarde-Stellung entpuppt sich als Kultur-, also Weltflucht. In diesem jeder sozialen Konkretizität enthobenen Milieu entwickelt sich, im Zuge voranschreitender Paranoia, die das einzelne, schwache Individuum zum Hauptangeklagten und Kronzeugen kapitalistischer Beschädigungen erklärt, kommt es zu den tragischen Ereignissen, von Wakamatsu mit hohem Effekt, aber nie exploitativ, ins Bild gesetzt. Die Gruppe erscheint von eigentümlicher Todessehnsucht angetrieben: Die größten Bestrafer werden alsbald selbst aus nichtigsten Gründen zu Bestraften, mit oft genug tödlichem Ausgang.
Solche Dynamiken nachzuvollziehen ist Wakamatsus größtes Verdienst; dass sein Tonfall nicht anklagend, sondern nachvollziehend ist, tut das Übrige. Die mangelnde analytische Distanz stört dabei nur gelegentlich und sorgt eher für notwendige Reibungspunkte, die einem als Zuschauer eine Positionierung, dankbarerweise, erschweren. Sicher ist Wakamatsu als alter Maverick zu sehr an einem Kino der Drastik interessiert, um den Stoff im wirklich angemessenen Ton aufzuarbeiten; doch scheint es sich bei United Red Army auf Grund der eigenen, historischen Verwicklung in das portraitierte Milieu ohnedies eher um eine Art Exorzismus zu handeln. Auch eine Form der Selbstkritik.

Im nicht so gelungenen Auge in Auge, auf den im Bild oben gewartet wird (Kritik siehe hier), gab's dann doch einen Moment, der mich entzückte: Berlin um die Ecke, verboten in der DDR und somit also von vorneherein schon interessant,im Althen/Prinzler-Filmgeschichtsfilm ausschnittsweise zu sehen, zeigt im Vorspann, sogar bei der Titeleinblendung, eine Luftaufnahme des Hauses, in dem ich wohne. Schon das dritte Mal, dass ich mein Haus in einem Berlinale-Film auf der Leinwand sehe. Kurios,+++
Knörer verreißt. Knörer verreißt ordentlich. Was ein Spaß!
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Hell, das ist die erste Berlinale mit gutem Wetter. Üblicherweise lautet die Faustregel: Während der Berlinale schneit's. War die letzten 8 Jahre nicht anders. Jetzt, dieses Jahr, lautet die Devise: Cafés, stellt die Tische raus. Find ich gut.
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Esstipp: Kartoffeltasche Maxi mit Remoulade bei Nordsee unten in den Arkaden. 2,49€, superlecker.
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Gesprächsfetzen, beim Verlassen des Saales nach Go Go Second Time Virgin von Wakamatsu (den Detlef Kuhlbrodt näher vorstellt, bei Das Manifest gibt's ein Interview), Cinestar 8, etwa halb zwölf Nachts, beim Vorbeigehen aufgeschnappt: "You know, I've heard the Japanese make weird movies. But, you know, there is weird. And then, there is weird."
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Nach wie vor die unbequemsten Kinosessel der Stadt: Die im Delphi. Die gehen gar nicht. Man setzt sich hin und wartet, dass der Film losgeht. Der geht noch gar nicht los und man sitzt schon da mit Arschdruck ohne Ende.
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Pünktlich zur Berlinale lag ein kleines Antidot zum Filmgeschichtsentwurf Althens/Prinzlers im Briefkasten: Die neue Ausgabe von SigiGötz Entertainment, jenem Magazin, das sich um die andere Geschichte des deutschen Films mehr als verdient gemacht hat. In einer der letzten Ausgaben war eine ganz wunderbare Alternative zum Kanon deutscher Filmgeschichtsschreibung zu lesen, der ich allenfalls vorwerfe, dass sie Rolf Olsens Blutiger Freitag nicht berücksichtigt, dafür aber immerhin den nicht minder wundervollen Engel, die ihre Flügel verbrennen (Regie: Zbynek Brynych, wunderbare Kamera: Josef Vanis, nicht zu vergessen: der herausragende Soundtrack von Peter Thomas) anführt. Dies Heft sollte jeder in seiner Berlinale-Tasche tragen (zumal es diesmal Abenteuergeschichten von Werner Herzog zu lesen gibt).
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Killer of Sheep (hier der Trailer), das Debüt des afroamerikanischen Regisseurs Charles Burnett aus den fruehen 70er Jahren, gehörte mit zu den größten Entdeckungen des letzten Festivaljahrgangs. Auf Grund nicht eingeholter Rechte für den Soundtrack konnte dieses Meisterwerk des US-Independentkinos jahrelang nicht gezeigt werden. Die großzügige Unterstützung Steven Soderberghs machte diesem Zustand gottlob ein Ende. Mit My Brother's Wedding ist dieses Jahr erneut ein lange Zeit nicht greifbarer Film des Regisseurs im Forum vertreten. Los Angeles, 1981: Im Mittelpunkt steht Pierce, zweiter Sohn einer Familie, die von einer kleinen Wäscherei lebt. Im Gegensatz zum älteren Bruder, der gerade als Rechtsanwalt reüssiert und bald in eine Familie gehobenen Stands heiratet, ist er wenig karrierefixiert, sondern lebt mit jovialer Leichtfüßigkeit in den Tag hinein, etwa wenn er mit dem Vater spielerisch herumtollt oder mit Lederjacke durch die Straßen zieht. Als sein Freund „Soldier“ aus dem Knast kommt, versucht er dem frisch Entlassenen einen Job zu vermitteln, erfolglos. Als „Soldier“ bei einem Autounfall ums Leben kommt, steht Pierce vor der Wahl, entweder die Hochzeit seines Bruders oder die Beerdigung seines Freundes zu besuchen.
Die Spielhandlung ist beinahe nebensächlich, erst in der letzten Viertelstunde steht der Plot im Vordergrund; wichtiger sind die am Rande eingeschobenen Details, Eindrücke aus dem Alltagsleben, kleine Zeichen. Pistolen etwa, die hie und da schnell aus Schubladen oder unter dem Tresen hervorgezogen werden: My Brother's Wedding setzt einen kulturellen Wandel ins Bild. Von der Gewaltseligkeit früherer Blaxploitation- und späterer Gangsta-Filme ist hier noch nichts zu spüren, aber die Straßen- und Waffengewalt schiebt sich merklich ins Alltagsleben dieser Leute. Fast en passant fächert Burnett die Lebensrealität jenseits klischierter Bilder auf. Den Familien, die hier gestreift werden (und eben wirklich nur gestreift – immer hat man den Eindruck, dass hier nicht der Film etwas strukturiert, sondern dass die Leute jenseits von Filmbild und Montage ein Eigenleben führen), bieten sich mehrere Möglichkeiten, mit ihren Lebensbedingungen zurecht zu kommen. Das brave Erdulden im Gottesglauben von Pierce' Eltern etwa, mit einem versonnenen Blick auf den Reichtum der emporgestiegenen Schwarzen, für die das Elternhaus von Pierce' Schwägerin steht. Eben dieses Karrieredenken gibt es als Option und schließlich, was sich immer wieder und eben auch nur andeutet, die Eskalation von Gewalt im Straßenleben.
Das alles entwickelt Burnett ungemein entspannt. Die teils etwas hölzern agierenden Schauspieler – man darf mutmaßen, dass es sich um Amateure handelt, ihr Spiel erinnert mitunter an das aus typischen 70s B-Movies – sind Träger eines lakonischen Humors, der sich auch in den immer wieder das Geschehen aufbrechenden, verspielten Episoden findet. Das Elendspathos des Ghetto-Films bleibt aus, auch wenn es keinem der Hauptfiguren wirklich gut geht; aber auch die Romantisierung verarmter Zustände ist die Sache des Filmes nicht.
Großartig auch der Einsatz des Academy Bildformats. Burnett inszeniert seine Welt beengt, von vertikalen Linien geprägt. Wenn Pierce an einer Stelle von Soldiers Tod erfährt, rennt er durch die Stadt – Burnett zeigt dies frontal mit weitem Schärfebereich, was eine ungemeine Flächigkeit des lange durchrannten, also tiefen Raums ergibt: You can run, but you can't escape, scheint dies zu sagen. Pierce rennt, und kommt doch nicht vom Fleck: Stadt als Falle.
» Zahlreiche Ausschnitte aus dem Film (offizielle Website)
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Solche Filme, sagt Dominik Graf, müsse man retten. Sie hinübertragen, zum anderen Ufer. Weil sonst eine Filmgeschichte, die sich ja immer größer schreibe, als sie in Wirklichkeit sei, solche Filme übergehen würde. Der Film, den Graf hier in Obhut nimmt, ist Rocker, ohne Zweifel einer der großartigsten Filme des bundesrepublikanischen Kinos der 70er Jahre. Und man muss Dominik Graf dankbar sein für eine solche Ansage, die im Zuge des Gesprächs für Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte vielleicht nur schnell daher gesagt wurde, im fertigen Film aber, im Kontrast zu den Darlegungen anderer deutscher Filmschaffender und den von den Autoren des Films - FAZ-Filmkritiker Michael Althen und dem Ex-Leiter der Retrospektive der Berlinale, Hans-Helmut Prinzler - ausgewählten Ausschnitten aus insgesamt 251 deutschen Filmen, im fertigen Film also kommt diesen Worten einiges an Gewicht zu.Denn treffender könnte dieser, mutmaßlich bei Rotwein konzipierte Streifzug durch 113 Jahre deutschen Film (verbunden mit der steten Suche nach dem deutschen Wesen) kaum beschrieben sein. Auge in Auge ist zwar gut gemeint - man wolle vor allem halt nur Lust darauf machen, diese alten Filme mal (wieder) anzuschauen, sagt Prinzler nach dem Film -, doch sehr viel mehr als flauschiger Cineastenkitsch für die etwas ältere Garde ist aus dem Vorhaben, leider, nicht geworden. Filmschaffende werden nach ihren Lieblingsfilmen befragt und dürfen diese näher referieren; das ist mal großartig - Graf und Rocker -, mal geht so bis öde - Wenders und M -, mal seltsam - Ballhaus zieht einen, von ihm selbst geschossenen, Fassbinderfilm heran. Dazu gibt es einen eigens komponierten Score - süßlich, melancholisch - und einige, in der Tat sehr hübsche, Montagen von Motiven im Laufe der deutschen Filmgeschichte (Küssen, Rauchen, Telefonieren).
Natürlich, es handelt sich hierbei nur um eine, nicht um die deutsche Filmgeschichte. Solches wird gleich eingangs betont und ist als Statement so obligatorisch wie als Selbstabsicherung durchsichtig. Dennoch, diese eine Filmgeschichte unterscheidet sich kaum von jener einen, die man üblicherweise auf den Regalen öffentlicher Bibliotheken findet. Fritz Lang, Riefenstahl, Kluge, Fassbinder, ein bisschen Wenders, Tom Tykwer für den Gegenwartsfilm, die Gebrüder Skladanowsky dürfen einmal mehr nicht fehlen (und werden einmal mehr, fälschlicherweise, als eigentliche Väter des Kinos hingestellt, die - oh deutsche Verlierermelancholie - ja bloß das Nachsehen gehabt hätten, gerade so, als wäre es medienhistorisch nicht längst bewiesen, dass von den Skladanowskys der Weg zum Kino nicht gangbar gewesen wäre, von den Lumières aus aber eben schon) und alle weiteren üblichen Verdächtigen, deren Namen zumindest in hektischer Montage vorgeführt werden. Das ist alles, je für sich genommen, nicht schlecht; nur erneut aufgekocht langweilt's dann doch. Bis zu jenem Misston eben, den Grafs Lieblingsfilm darstellt, der für ein anderes Kino aus Deutschland steht, für das die Kulturbeflissenheit des ansonsten berücksichtigten bildungsbürgerlichen Kanons viel zu selbstbesoffen wäre. Jede Filmgeschichte arbeitet notwendig mit Auslassungen, aber was hier weggelassen wird, wird einmal mehr, erneut und wohl auf ewig: weggelassen.
Das deutsche Kino aber erscheint hier als Märchen. Als wattiges Zuckerland der unbegrenzten Möglichkeiten - von Fidericus Rex bis Christian Petzold alles drin -, Bauchschmerzen (Harlan, Riefenstahl) inklusive. Und Althen - er kommentiert den Film selbst - gibt, mit tiefem Bass und manchmal so, als spräche er für die Sendung mit der Maus, den Märchenonkel. Was ist der deutsche Film? Eine Vielzahl kleiner, beschaulicher Begebenheiten. Wo fliegt er hin, der deutsche Film? Mitten hinein in die Versonnenheit. Und was macht er heute? Ja, wenn er nicht gestorben ist usw. !
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Ein mythisches Bild: Ein Mann gräbt im Schacht, im Dreck. Zuvor dunkel dräuend: Karges Gebirge. Er findet was, er wühlt, schlägt Löcher ins Gestein. In eine Nische kommt das Dynamit. Der Soundtrack ätherisiert das Geschehen, enthebt es völlig der Realität. Der Mann sprengt das Dynamit, stürzt ins Loch, bricht sich das Bein, zieht sich selbst aus dem Loch hervor und, mutmaßlich, durch die Wüste. Silber und Gold hat er gefunden, das Jahr ist 1898, wenige Jahre später - noch immer dieser Soundtrack - findet er dort, mit ein paar Gefährten, Öl. Es wummert und zischt auf der Tonspur, das Öl kommt nach oben, klebt an einem Metallbolzen, das der Mann berührt wie einst der Menschenaffe bei Kubrick den Monolithen. Gewalt und Reichtum, die Geburt aus dem Schlamm, frontier capitalism in seiner rauhsten Form.Ein Westernbild: Eine flache Landschaft, Eisenbahngleise, die sich gerade in den Horizont ziehen. Die Kamera befindet sich auf diesen Gleisen, ein Auto aber, kein Zug, tritt in ihre Aufmerksamkeit, sie folgt der Linie des Wagens, die Gleise rücken aus dem Bild, bis man sie schnell vergessen hat, das Auto fährt. Es ist 1901 und die Gesellschaft entfernt sich, mit jedem Auto ein wenig mehr, von kohlebasierter Energie zur ölbasierten. Leichtfüßig setzt Paul Thomas Anderson das alles in Bild, völlig beiläufig und doch vollkommen präsent.
There Will Be Blood erzählt, mit alttestamentarischem Ingrimm verbrämt, eine Gründergeschichte, an der sich ein Mythos entbrennt. Er erzählt vom Öl, wie es unter haarsträubenden Bedingungen buchstäblich in die Welt dieser Menschen kam und als Basis, und somit Quell unermesslichen Reichtums, einer ganzen, noch frischen Gesellschaft, und er erzählt vom Predigen, von Religion, als zweiter Basis. Beide Instanzen, hier im Film im steten Widerstreit, verbinden sich im Schauprinzip: Daniel Day-Lewis als Plainview, Schürfer und "Ölmann", bezirzt die Investoren mit Aussagen, die vorangegangene Bilder schon vorab als Lügen enttarnt haben, und Paul Dano als Eli, der an der frontier eine Kirche gründet und als Vorläufer heutiger TV-Prediger mit ihren Widerwärtigkeiten ins Bild gesetzt wird. Beide schmieren, von Paul Thomas Anderson bis an die Grenze des over-actings getrieben, aber zum Gewinn des Films, der aus beider Performance den Irrsinn zieht, von dem There Will Be Blood handelt.
Es ist eine Abfolge von Betrügereien und Demütigungen, die beide, bis zum delirierenden Höhepunkt auf einer Bowlingbahn, als dessen filmhistorische Blaupause mutmaßlich Clockwork Orange herangezogen wurde, miteinander verschraubt. Aus diesem Netz von menschlichen Verfehlungen, Gemeinheiten und Dreistigkeiten, so könnte es sich Paul Thomas Anderson gedacht haben, wurde einst das Fundament der Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer heutigen Form gelegt.
Die Bilder und Sounds, die Anderson dafür findet, sind mit einem Wort großartig. Seit Boogie Nights gilt der Filmemacher als Independent-Wunderkind, mit Magnolia konnte er sich beweisen und mit Punch Drunk Love legte er ein ausgesprochenes Meisterwerk vor. There Will Be Blood macht sich in dieser Reihe hervorragend. Wie alle seine Filme ist auch dieser, zumindest für Hollywood-Verhältnisse, exzentrisch, eigenwillig, voller Überraschungen - ein Kind ganz und gar seines Autors. Seine Geschichte wirkt entfremdet und enthoben, fernab unnötigen psychologischen Ballasts und über weite Strecken dicht dran an jenem das Mythische, aber nicht das Romantische suchenden Wahnwitz, der die Filme Werner Herzogs auszeichnet.
Trailer:
Was so ein Festival auszeichnet, außer dass es, wie Christoph Hochhäusler im BerlinaleBlog der Zeit schreibt, das "extremste Filmbuffet der Welt" ist, sind die unterschiedlichen Dynamiken, die es abbildet. Völlig verrückte Welt herrscht beim ersten Coup Grand des Dieter Kosslick, der öffentlichkeitswirksamen Programmierung vom Rolling-Stones-Vehikel Shine A Light auf den Eröffnungstag. Drei Pressevorführungen, alle rammelvoll. Für die Pressekonferenz heißt es, sich schon anderthalb Stunden zuvor anstellen, wenn das überhaupt mal hinreicht. Ich gelange auch ohne irgendwie rein, allein, weil ich mir den Trash mit eigenen Augen anschauen möchte. Andere haben weniger Glück: Vor der Tür zum Pressekonferenz-Zentrum im Hyat stapeln sich vor allem die Fotojournalisten, denen die blanke Angst um die eigene Existenz ins Gesicht geschrieben steht, wenn die insistierende Security sie nicht gleich reinlässt in den Medien-Hexenkessel.Tragödien und Wortgefechte spielen sich ab, als Journalisten, die ihren Platz mit einer Jacke besetzt hielten, nicht mehr rein gelassen werden, egal, welche Klamotten von ihnen da auf welchen Stühlen rumliegen. Gänzlich kurios ist eine Journalistin im Presse-Computerzentrum, die neben mir saß als ich diese Zeilen eintippte: Als die Pressevorführung, die erste, noch im vollen Schwung war, saß sie da schon und versuchte sich, ob der ersten fünfzehn Minuten, die sie von dem Film wohl gesehen hatte bevor sie dem Saal entfleuchte, eine Filmkritk so irgendwie aus den Rippen zu schneiden. "Die Rolling sind etwas ganz besonderes", stand da am Nebenrechner zu lesen, "Auch für Martin Scorsese. Das beweisen die ersten fünfzehn Minuten seines neuen Films" usw - Die Pressekonferenz war nun aber doch nicht so voll, wie man's von anderen, wesentlich volleren Konferenzen der Vorjahre in Erinnerung hatte. Jedenfalls, da kamen sie dann irgendwann, die Opas. Natürlich zu spät, sind ja Rockstars. Mick Jagger sieht aus wie Mick Jagger, Scorsese ist erstaunlich frisch und Keith Richards ist von einem handelsüblichen Renter im fortgeschrittenen Alter eigentlich nicht mehr zu unterscheiden, hätte er da nicht lustige Fransen am Opa-Hut, die allerdings auch jeder zweite, unter dem Existenzminimum dahinvegetierende Rentner in Friedrichshain am Hut trägt. Allein Mr. Wood ist das Schicksal wohlgesonnen: Seine Frisur, seit Jahrzehnten unverändert, ist mittlerweile durch ominöse Rockismus-Bands aus dem Indie-Sektor wieder in.
Lahm war das trotzdem und irgendwie auch völlig wurscht. Also floh ich ganz schnell, weil ich eine ganze Stunde davon wohl nicht ertragen hätte, Rock'n'Roll-Typen mögen mir solche Ketzereien verzeihen. Ganz gediegen und gemütlich, wie eh und je eben und von Dynamiken hatte ich's ja eingangs, geht's in der Pressevorführung des Forums zu, wohin ich vor dem Trubel geflohen bin. Der Film ist ein guter Einstieg ins eigentliche Festival und irgendwie mag ich die Forums-Pressevorführungen, weil sie immer so entspannt sind, weil es dort immer Plätze gibt, weil vor dem Saaleinlass kein Pressepogo stattfindet und die Leute, die hier sitzen, während 100 Meter Luftlinie weiter die Stones irgendwelche Kalauer in Kameras sagen, wohl auch wirklich hier sitzen, weil sie hier, aus gutem Grund, sitzen wollen (zugegeben, hier irre ich mich vielleicht, aber der Gedanke ist nett).
Irrsinn hier, Ruhe dort. Draußen vor den Türen nimmt der Betrieb indessen nochmal deutlich zu. Morgen ist der erste richtig richtige Festivaltag mit ordentlich Programm - dann gibt's wieder Irrwitz satt auf allen Parketts und Bühnen. Man muss das irgendwie lieben, einmal im Jahr.
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Ton, ein junger Architekt aus Bangkok, soll den Wiederaufbau einer vom Tsunami zerstörten Ferienanlage im Süden Thailands überwachen. Statt in einer der Bettenburgen von Takua Pa mietet er sich in einem unscheinbaren Kleinstadthotel ein, wo er der einzige Gast zu sein scheint. Tons Flirt mit der jungen Hotelwirtin Na entwickelt sich zu einer leidenschaftlichen Beziehung, die dem argwöhnischen Blick ihres sinistren Bruders Wit nicht entgeht. (Internationales Forum)
Der Soundtrack von Wonderful Town wird von zirpend-abstraktem Ambient und warmen Akustikgitarrenklängen getragen. Oft hört man das Rauschen des Windes von den traumhaft schönen thailändischen Waldhügeln her, oder vom nahen Meer. Die Bilder sind nur leicht ästhetisiert, ganz sanft, und wenn Ton und Na miteinander Thailändisch reden, kleine Witze austauschen und sich unendlich behutsam Schritt für Schritt annähern, dann klingt das unglaublich schön.
Schön auch der Einsatz von Farben: Oft ist das Bild zwar gräulich und schwärzlich, bald fällt auf, dass die Kamera bei Innenaufnahmen auf das sonnenbestrahlte Äußere, das man durch Fenster sieht, justiert ist, so dass die Figuren häufig nur Konturen ohne Details sind. Doch immer wieder gibt es Inserts, in denen die Farben auf eigentümliche Weise präsent sind, wie ein fernes Echo der technicolor-artigen Entrücktheit vergangener Filmdekaden. Ein mittelgroßes Kinoglück: Ton liegt auf seinem Bett, draußen scheint die Sonne hinter Wolken hervorzukommen - und mit einem Male blüht das Bild von innen heraus auf. Oder jene Momente, in denen Na Tons Zimmer pflegt, wie sie mit ihren Fingern voller Sehnsucht über das Laken streicht, dass es unter den eigenen Fingerkuppen zu kitzeln beginnt.
Wonderful Town ist ein kleiner, schöner, sanfter Film. Auf dem Festival bekommt man solche in der Regel nur im Forum zu sehen; zumeist kommen sie aus Asien (ein zweiter des diesjährigen Jahres ist der ebenfalls recht feine Asyl). Umso rauher wirken jene Thriller-Elemente, die sich in der zweiten Hälfte in die zärtliche, aber eben zärtelnd verkitschte Romanze schieben. Nicht, dass der Film plötzlich auf die Pauken hauen würde; das Gleitende und Sanfte bleibt grundsätzlich bestehen, allein der Inhalt wandelt sich, wenn sich aus der Tiefe der Kleinstadtseele plötzlich Abscheuliches auftut.
Ton als Großstadtmensch, der er nicht sein möchte, verfällt dem beschaulichen Idyll dieser neuen Umgebung Man verfällt als Zuschauer gern mit ihm. Was hinter der Fassade lauert, bleibt deshalb im Elliptischen verborgen und lugt nur im schlimmsten Schreckmoment wirklich hervor. Die letzten Bilder: Kleines provinzielles Idyll, Kinder, die tanzen, Handwerker, die werkeln, kleine Häuser, wie es sie überall auf der Welt gibt. Alles beim Alten, nur ein kleiner Mord in einer wunderbaren Stadt.
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Ein Tag in den Banlieus, im Mittelpunkt die Jugendlichen aus einem Wohnblock. Der Raum ist beengt, überall gibt es Überschneidungen: Man hört die Nachbarn von unten, und unten hört man von oben. Alle kennen sich, vor dem Hause kann man sich nicht bewegen, ohne in irgendeinen zu kennen, den man rennt, mit dem man symbolische Gesten oder (deftigen) Slangtalk austauscht. Man muss etwas hermachen, die Codes kennen. Die älteren sagen den jüngeren, wo's lang geht. Die Schwarzen - sie sind in der Überzahl - den Weißen, warum sie keine Frauen abkriegen. Die Brüder den Schwestern, was sie zu tun und zu lassen haben. Alter, Geschlecht, sexuelle Präferenz, Hautfarbe stellen den Rahmen all dessen, was getan, gesagt werden kann und darf. Und die Sanktionen bei widerspenstigem Verhalten.Ein Tag in den Banlieus, viele Weiber- und Männergeschichten. Jungs und Mädchen, das sind die Hauptgruppierungen. Mal streift man sich, mal sprechen sich einzelne gegenseitig an, weitestgehend bleibt man unter sich und schreit, aus der eigenen Gruppe heraus, der anderen etwas zu. Einige landen am Abend gemeinsam im Bett, anderen geht es schlimmer.
Ein Tag in den Banlieus, zwei Perspektiven: Die erste Hälfte des Films ist aus Jungsperspektive erzählt, dann gibt's einen Cut, der dramatisches in Aussicht stellt, und derselbe Tag wird erneut erzählt, aus Mädchenperspektive. In diesem speziellen Schuss-Gegenschussverfahren ergibt sich oft erst, was beim ersten Durchlauf noch elliptisch wirkte, fragmentarisch oder nicht verständlich. Die Jungs stehen relativ gut im Leben, auch wenn es Hänseleien gibt; die wahren Tragödien spielen sich auf Frauenseite ab.
Angelpunkt des Geschehens ist der schwarze Fußballer Jo, der auf dem besten Weg ist, die Banlieus hinter sich zu lassen: Die internationale Fußballwelt winkt mit einem Angebot aus London. Das Mädchen, mit dem er anbandelt und dass deshalb gute Chancen hat, ihn zu begleiten, ist weiß; jenes, das er gerade verlassen hat, ist schwarz. Weiß ist isoliert in dieser Welt, und schwarz tritt cliquenartig auf. Bei den Jungs ist das kaum ein Problem, ein Battle Rap auf Mädchenseite offenbart Weißsein aber als Ausschlusskriterium.
Überhaupt die Stereotypen. Fast unbemerkt - und das ist seine große Kunst - bricht der Film sie auf. Es geht ihm nicht um klischierte Zuweisungen und Unterstellungen von Verhaltensweisen, und seien sie auch noch so gut gemeint. Indem er seine Welt multiperspektivisch auffächert - und anders als bei Innaritu ist solches Verfahren hier kein bloßes Spiel mit der eigenen Fingerfertigkeit - verlässt er auch die Welt übereindeutiger Standorte und Perspektiven. Dass er zudem aus dem unüberschaubaren Teig, als der sich der Stoff zunächst darbietet, eine spannende Geschichte formt, ohne sich allzu sehr im bloßen Erzählkino wiederzufinden, ist seine zweite große Qualität. Regarde-Moi pulsiert vor Leben, und ist eben doch vor allem Kino.
Zugegebenermaßen, die zweite Erzählhälfte wirkt hie und da als Komplement zur ersten. Ab und an ist das von wenig Reiz. Auch die schöne Kinematografie wird im zweiten Teil gelegentlich zu oft einer Logik des aufdringlichen Close-Ups geopfert, auch der Holzhammer bleibt zum Ende nicht nur in der Ecke stehen. Dennoch, der stete Achsenwechsel funktioniert, Regarde-Moi sollte gesehen werden.

Tag 1 beginnt mit einem bummer: Der Termin zur Pressevorfuehrung (yes, this is an american kezboard I'm writing on...) fuer das Scorsese-Stones-Konzertpicture Shine A Light, dem Eroeffnungsfilm des Wettbewerbs, der mutmasslich deshalb laeuft, damit ScorseseJaggerRichards laufen, ueber den roten Teppich naemlich, dieser Termin also wurde falsch memoriert, weshalb ich vor geschlossenen Toren stand und nun nicht bei den Stones, sondern im Pressezentrum sitze. Egal, der Trailer ist jetzt ohnedies nicht soo vielversprechend:+++
dafuer fuellt sich der potsdamer platz merklich mit leben. plastikbadges allerorten. am roten teppich haben sich schon die ersten kirren stones-fans positioniert, um ihren idolen am abend zuzujubeln.
+++
mit das wichtigste thema jedes festivals: die diesjaehrigen umhaengetaschen. fuer akkreditierte kostenfrei, alle anderen muessen blechen. nicht dass dies lohnen wuerde, diesmal sind sie von ausgesuchter haesslichkeit. sattes neonrot meets sattes neongruen. waere die tasche eine website, sie wuerde umgehend fuer den augenkrebs-oscar nominiert werden. hinzu kommt, dass ihr fassungsvermoegen das eines handelsueblichen kulturbeutels nur unwesentlich ueberschreitet, sodass auch der praktische nutzen - auf so einem festival will viel mitgenommen, eingepackt und rumgeschleppt werden - reichlich gegen null tendiert. zu hoffen bleibt, dass die person, die dieses entsetzliche ding genehmigt hat, nicht auch noch bei der filmauswahl ein woertchen mitzureden hatte.
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apropos filmauswahl: so richtig richtig begeistert hat mich bislang noch nichts. dennoch scheint der jahrgang unter einem einigermassen guten stern zu stehen. schreibt zumindest ekkehard in einer sehr schoenen festivaleinfuehrung beim perlentaucher. gespannt jedenfalls bin ich auf to im wettbewerb, den neuen anderson-film und einiges hier und dort in den nebenreihen.
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wo ich schon am hinweisen bin: auch in diesem jahr gibts wieder einen kleinen berlinale-ticker mit ausgesucht lesenswerten im netz zum festival (und nein, weil das im letzten jahr nervig war: ich werde auf bitten und anfragen per mail, dort doch auch bitte blog x und seite z zu beruecksichtigen nicht eingehen). findet sich direkt unter der reklame, vielleicht gefaellt es ja :)
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auch dieses jahr scheinen die wasser-sponsoren an wasser zu sparen. nicht gut, das.
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over and out.
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Heavy Metal und Krieg, das gehört zusammen wie Amen und Kirche. Ob sich nun auf den Plattenhüllen einschlägiger Combos muskelbepackte Krieger tummeln oder gleich ganze Schlachtfelder abgebildet sind, ob in den Songtexten zu sägenden Gitarrenwänden und davongaloppierenden Blastbeats allerlei drastische Begebenheiten aus Frontgräben und Bombenkellern zum Besten gegeben werden, oder ob sich schließlich, in eher peinlicher Protestsong-Manier, Antikriegs-Ansichten in Befindlichkeitsprosa aus dem Sonderangebot für Allgemeinplätze ihren Weg bahnen: Der Beispiele gibt es unzählige - wie viele Metalsongs tragen gleich noch "War" im Titel? - und doch eint sie alle vor allem ein Erfahrungshintergrund: Der, der grundsätzlichen Vermittlung; zwar hebt Metal wie kaum eine zweite Jugendsubkultur Krieg und Gewalt ins Bewusstsein seiner Anhänger, die auf diese Weise ja fast schon ironisch "Stahlbad" und "Fun" miteinander in Verbindung zu bringen in der Lage sind, doch konkrete Erfahrungen mit kriegerischen Auseinandersetzungen dürften sowohl auf der Bühne als auch im davor brodelnden Moshpit aller Wahrscheinlichkeit nach keine vorliegen. "Krieg" im Metal erscheint in erster Linie ein ästhetischer Topos, eine Art Erfahrungsreferenz ins Abstrakte hinein, die vielleicht wirklich der Sinnlichkeitsarmut unserer modernen, hochgradig vermittelten Kultur der Gesellschaft entspringt: Wo Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen über Geldausgabe und Wahlzettel stattfindet und sich gesellschaftliche Kämpfe in 0,5% mehr Netto nach erfolgreichem Streik niederschlagen, bietet Metal eine, wenngleich kaum einen Deut weniger vermittelte, Option zur als direkt gewähnten Erfahrung: Der Nackenmuskelkater und das Ohrensausen nach einem durchstandenen Konzert in erster Reihe gehen mit der ästhetischen und inhaltlichen Drastik Hand in Hand.Für die Band Acrassicauda gilt nichts dergleichen. Wenn sie von Bomben singen, vom Krieg, der alles zerschlägt, von der Ohnmacht angesichts eines außer Rand und Band geratenen technologischen Monsterparks, der erbarmungslos alles um sich herum zermalmt, dann sind das eben nur auf rein textueller Ebene Genre-Spezifikationen, wie sie im Metal üblich sind. Sie zehren sich aber aus einer Alltagserfahrung, die von denjenigen gewöhnlicher Metal-Anhänger drastisch abweicht: Acrassicauda kommen aus Baghdad, Irak, in einer Gegend also, die auf der internationalen Metal-Landkarte geradewegs im Nirgendwo liegt - sie sind die einzige Band ihres Genres in dem Land, ihre Konzerte erreichen kaum eine Besucherzahl, die über die Besuchsdichte einer typischen Teestube hinauskäme. Heavy Metal in Baghdadist somit als Titel für eine Dokumentation, die sich mit der Band befasst, mit dieser implizit überblicksartigen Qualität nicht schlecht gewählt.
Gegründet haben sich Acrassicauda schon vor dem Irakkrieg im Jahr 2003. Eine Auftrittsgenehmigung erhielten sie nur, wenn sie zum einen bei den Behörden als Spielart "Rock" angaben - Metal steht in dem islamisch geprägten Land schwer unter Satanismusverdacht - und zum anderen mindestens ein Loblied auf Saddam Hussein zum Besten gaben - historisches Videomaterial geben hiervon in der Doku bizarres Beispiel. Ohne Szenerückhalt gestaltet es sich schwierig, Auftritte und damit Öffentlichkeit zu ergattern. Die Invasion der USA tat ihr übriges. Die Zeiten danach, die Heavy Metal in Baghdad vor allem fokussiert, sind indes kaum von Frieden gekennzeichnet: Paranoia und akute Gefahr für Leib und Leben gehören zum Alltag in der irakischen Hauptstadt. Nach Sonnenuntergang sollte man zuhause sein, jeder Gang vor die Haustür wird sorgfältig geplant, weite Straßenzüge sind fest in der Hand von auf der Lauer liegenden Scharfschützen und also unbedingt zu meiden, Anschläge welcher Gruppierung auch immer sind fest an der Tagesordnung. Sänger und Bassist - eigentlich beste Freunde, deren Wohnungen kaum mehr als einen Katzensprung entfernt liegen - sehen sich unter solchen haarsträubenden Bedingungen etwa einmal im Vierteljahr. Dann schlägt eine Rakete in jenem Haus ein, in dessen Keller sich der Proberaum samt aller Instrumente befindet: Von Glück lässt sich sagen, dass zu dem Zeitpunkt keine der - aufgrund der Alltagsumstände ohnedies kaum möglichen - Bandproben stattfand. Wenn Acrassicauda vom Wahnwitz solcher Erfahrungen in Metalmanier eher wenig analytisch, sondern polemisch, zugespitzt und parolenartig singen, dann hat dies weniger mit mangelnder poetischer Reflexionsgabe zu tun, und auch nicht notgedrungen etwas mit obligatorischen Genre-Spezifikationen - das rohe und ungeschlachte rührt direkt aus der Fassungs- und Machtlosigkeit gegenüber solchem Irrsinn: An einer Stelle sitzen Sänger und Bassist an einem Swimming Pool eines Hotels zum Interview, als unweit eine Rakete einschlägt. Der Bassist, gerade im Redefluss begriffen, blickt nur einen Moment lang auf, gibt ein diffuses "Hi there" in irgendeine Richtung ab und ist sogleich wieder zurück im Thema.

Entdeckt für den Westen wurde Acrassicauda vor wenigen Jahren vom Vice Magazine, einem glossy Magazin für Popkultur abseits von Theorie- aber nicht unbedingt Kunst- und Ästhetikfreundlichkeit, dessen Lifestyle-Gestus sympatischerweise aber auch das Drastische und popkulturell Inkorrekte zu schätzen weiß. Dem einstigen Titelgeschichten-Obskurum Acrassicauda blieb man treu und hielt den Kontakt aufrecht: Daraus erwuchs schließlich dieser Film, vom Vice Magazine produziert und durch die Augen dessen Reporters Suroosh Alvi erzählt, der sich für diesen Film immer wieder, wenngleich eine Spur zu ausgestellt, todesmutig in diverse No-Go-Areas der irakischen Hauptstadt begibt.
Immer wieder begibt sich Suroosh Alvi über teils groteske Umwege in den Irak, um nach der Band zu sehen und um neues Material zu filmen. Entsprechend ergebnisoffen sind die einzelnen Segmente des Films angelegt: Ob es die Band noch gibt, ob einige der Bandmitglieder in den Nachkriegswirren verunglückt sind oder ähnliches, ergibt sich oft erst lange nach der Ankunft in Baghdad und nach ersten Kontaktaufnahmen. Als er an einer Stelle den Sänger der Band per Mobiltelefon kontaktiert, antwortet dieser nur mit zustimmendem oder verneinendem Brummen. Hätte er an jener Stelle, an der er sich gerade befand, offen Englisch geredet, wäre er vermutlich nicht mehr weit gekommen. Später erweist es sich, dass der Band die Flucht nach Syrien gelungen ist, wo sie sich als "Heavy Metal Exilanten" durchzuschlagen versucht.
Wie jede gute Metalband sind auch Acrassicauda an Politik nicht interessiert. Einer von ihnen winkt an einer Stelle deutlich ab: Wenn er im Fernsehen etwas von Politik hört oder ihm jemand seine politische Meinung aufdrücken will, dann würde er einfach abschalten. Es interessiert ihn einfach nicht. Somit sind auch die Texte von Acrassicaude nicht poltisch intentiert. Dennoch, am Ende, in einer der eindrücklichsten Szenen dieses an intensiven Momenten nicht armen Dokuments, wird es politisch, als die Band im syrianischen Exil den bisherigen Rohschnitt des Films sichtet. Hie und da wird bierselig gejubelt, etwa als ein von Vice in Baghdad unter haarsträubenden Bedingungen organisiertes Konzert nochmals Revue passiert gelassen wird; doch zum Ende hin wird es eigentümlich still unter den Metallern: Trauer, Wut, Verzweiflung bricht sich Bahn, als würde das Prisma des Films die eigenen Lebensumstände durch Entwirklichung überhaupt erst noch vor Augen führen: In welche Richtung die Wut zielt, wird nicht ganz deutlich. Wut auf die Filmemacher? Auf die im gemütlichen Westen sitzenden Zuschauer, die sich ein wenig am Elend laben können und dafür die Bequemlichkeit eines Kinosessels nicht zu verlassen brauchen? Oder auf Eliten und Machthaber? Der letzte Satz dann - dieser Sequenz, dieses Films - lautet: "Fuck you, you pigs!", direkt in die Kamera gesprochen.
Trailer:
In a weird way this goes back to Death Proof, because one of the biggest inspirations for the film, especially the first half of the movie - the more slasher-oriented section - was Carol Clover's book Men, Women and Chainsaws. I really truly think that her chapter on the 'final girl', the role that gender plays in the slasher film, pins down the best piece of film criticism I've ever read. It gave me a new love for slasher films and one of the things that I was doing when I was watching that movie was applying her lessons.
Schön, dass zumindest Deutschlandradio Kultur den Ball aufnimmt und ein ausführliches Interview mit Martin Körber, Leiter der Stiftung Deutsche Kinemathek, hinzufügt, in dem die Problematik nochmals eingehend erörtert wird.
Thematisch lose in der Nähe schrieb bereits kurz zuvor Kothenschulte in der Frankfurter Rundschau ein Loblied auf die Zugriffsmöglichkeiten auf Filmgeschichte im digitalen Zeitalter.
Nun ist der Text da und das Gespräch ist schön, und, ach, schade ist's, dass nicht die ungekürzte Fassung zu lesen ist, die, so steht da, gleich fünf Zeitungsseiten gefüllt hätte.
Ein schöner Moment im Studium: Nach dem Seminar erzählt der Professor von Freiburger Discotheken und dortigen Einnahmen.
[gelogen ist die schöne Stimme und, äh, Melodie?]
Nachtrag
Wie's der Zufall will: Ein weiterer Professor zum selben Thema.
Nachtrag2
Wie fein. Im schönen Blog von Detlef Kuhlbrodt gibt's nun die Roh-Transkription.
Mitnehmen werde ich wohl (aktuell und Erstsichtungen gemischt):
Death Proof
Ratatouille
Shooter
Zodiac
Detektive
Prison Break, 2. Staffel
Battlestar Galactica, 3. Staffel
Lost, 3. Staffel
Los Muertos
State Legislature
The Host
Ferien
Shotgun Stories
Lady Chatterley
Killer of Sheep
Einen Ehrenplatz erhält Transformers für die quirlige Errettung des Blockbusters nach 80er-Manier - was hab' ich mich gefreut!
Und verpasst habe ich soviel, was auf der Liste noch Platz haben könnte, potenziell.