Donnerstag, 21. Februar 2013
Das Wasser trägt er schon im Namen, aus Meeresrauschen geht er zu Beginn des Films hervor - begleiten wird es ihn den ganzen Film: Freddie Quell (Joaquin Phoenix), Weltkriegsveteran. Seine nackte Aphrodite baut sich der Schaumgeborene am Strand aus Sand. Anfangs johlen die Kumpels noch mit, als er sie lüstern zu fingern beginnt, als er nicht mehr damit aufhört, gehen sie irritiert auf Abstand. Später wichst er sich in äffischer Pose am Wasser.

Ein traumatisierter Körper, ungemaßregelt, linkisch-tierhaft in Haltung und Bewegung, aus dem es so verzwickt wie animalisch unbeherrscht heraus glotzt - Phoenix beherrscht seinen im Method Acting gestählten Körper aufs Sorgfältigste. Eine desorientierte Figur, die - als Berufsfotograf für nostalgisch-cremig patinierte Familienbilder - sich nach einer Zeit zurücksehnt, die im Zweiten Weltkrieg verschüttet wurde. [weiter beim Perlentaucher]



° ° °




Samstag, 16. Februar 2013
Thema: radio


Michael Baute wies Anfang Februar auf dieses Radiofeature von Werner Dütsch hin. Beim Deutschlandfunk kann man es mittlerweile herunterladen:
» Kindermord und Ordnungswahn. Fritz Langs erster Tonfilm M.

In 'M' lässt Fritz Lang 1931 eine Stadt einen Kindermörder suchen. Er interessiert sich dabei ganz und gar nicht für die Mordtaten und auch sein Umgang mit Kindern ist völlig unsentimental. Ihn interessiert das Echo: Wie erfährt die Öffentlichkeit überhaupt davon?

Warum nutzt der mutmaßliche Mörder die Presse und warum empört das die Politik so heftig? Was ist das für eine öffentliche Aufmerksamkeit aus Stammtisch, Verdächtigung, Denunziation und Lynchjustiz? Welche Strategien verfolgt die Polizei und warum sind diese den Aktivitäten der Halb- und Unterwelt zum Verwechseln ähnlich?

Gern hat man in "M" eine Vorahnung des Naziterrors gesehen und in dem Buchstaben M auf der Schulter von Peter Lorre den zukünftigen Judenstern: riskante Interpretationen. Verblüffend sind aber in "M" die Diskussion um die Behandlung eines Triebtäters, die Vorführung zukunftsweisender Kontroll- und Überwachungssysteme, die kühle Präzision, mit der Lang die Entstehung kollektiver Hysterie vorführt, die Produktion dessen, was man heute einen Hype nennt.

Fritz Lang lässt Töne und Bilder einander widersprechen, stiftet produktive Missverständnisse, lässt provozierende Ähnlichkeiten aufscheinen, scheut weder Horror noch Kalauer, legt falsche Fährten - in einem Film über mörderische Lust und bedrohlichen Ordnungswahn.


° ° °




Abrechnung auf grünen Wiesen: Kaum kommt der Deneuve das französische M-Wort über die Lippen, hält der enervierend gut gelaunte Dreikäsehoch - im Film ihr Enkel, zu dem sie kaum eine Beziehung hat - die Hände auf: Für jeden Kraftausdruck ist ein Euro fällig. Deneuve kann nicht zahlen, denn sie hat kein Geld. Mit Reichtum gesegnet bin auch ich nicht, aber den Euro leg' ich gerne hin: Dieser Film ist richtig Scheiße! Kassier' mich ab, wer will!

Tatsächlich fühlt man sich, nach dem letztjährig herausragendem und diesjährig durchweg solidem bis sehr gutem Wettbewerb, im Nu in schlimmste Berlinalezeiten zurückversetzt - und das ausgerechnet noch im Festival-Endspurt. Was soll, was will dieser Film - hier, im Wettbewerb, und überhaupt? Man steht vor einem Scherbenhaufen aus mangelnden Ambitionen, mangelnden Ideen und mangelndem Witz und würde, wäre man nach endlosen zwei Stunden von diesem Knüppel nicht völlig sediert, sehr gerne hilflos mit den Schultern zucken. [weiterlesen beim perlentaucher]



° ° °




So wie es mindestes zwei Geschichten über Linda Lovelace gibt, die wegen ihrer Performance in dem berüchtigten Porno "Deep Throat" in den 70er Jahren kurzzeitig im Rampenlicht stand, so gibt es auch zwei Körper der Linda Lovelace - beide, Geschichten und Körper, sind eng miteinander verknüpft: In seinem Film "Lovelace" stellt Rob Epstein - der 2010 mit "Howl", seinem Beatnik-Biopic über Allen Ginsberg, im Berlinale-Wettbewerb stand - beide spiegelbildlich gegenüber, entlang der Achse eines harten Schnitts, der seinen Film in zwei Teile teilt.

Die eine Geschichte erzählte schon der Dokumentarfilm "Inside Deep Throat" (2005): Da war diese junge Frau, die die ganze Welt für einen Moment lang in ein Pornutopia verwandelte, indem sie Harry Reems' großes Glied bis zum Anschlag in ihren Mund aufnahm. Eine Geschichte voll cooler Klamotten, Aufbruchstimmung, freier Liebe. Mittendrin: Linda Lovelace' Körper als Spektakel, Avatar einer neuen Lust und Experimentierfreudigkeit. Die andere Geschichte deutete "Inside Deep Throat" immerhin an, bagatellisierte sie aber. [weiterlesen bei der taz]



° ° °




Donnerstag, 14. Februar 2013
» Staralbum - Sam Rockwell

» Was bisher geschah (6)



° ° °




Thema: videodrome
Die kürzlich auf arte ausgestrahlte Doku über Fritz Langs Metropolis und dessen Restauration steht nun auch für einige Tage in Mediathek des Senders. Dokus über Filmrestaurationen könnte ich endlos anschauen - schön:

edit: und wieder off.


° ° °




Donnerstag, 14. Februar 2013
(via) Kevin B. Lee, David Hudson (beide Fandor) und Cristina Nord resümieren das bisherige Festival in diesem schönen Video:



° ° °




Andrew Bujalski interessiert sich für das Obsolete: Seine Filme sind für gewöhnlich in 16mm gedreht, in seinem "Beeswax" von 2009 (unsere Kritik) steht ein Secondhandladen im Mittelpunkt. Warum er seinen neuen Film "Computer Chess" nun auf einer alten Sony-Videokamera aus den frühen 80ern gedreht hat, erklärt er verschmitzt im Q&A nach der Vorführung: "Die Leute fragte mich immer, warum drehst Du noch immer auf 16mm, warum nicht auf Video? Nun, da dachte ich mir, euch geb ich Video!"

Aber auch in anderer Hinsicht lässt sich die eigenwillige ästhetische Entscheidung zum monochromatischen Schwarzweiß (nur für eine einzige, bestrickend verspielte Miniatur bricht der Film in die Farbe aus), zu ausfasernden Lichtflächen, zur niedrig aufgelösten Verschwommenheit und zahlreichen Einschreibungen der technischen Materialgegenständigkeit ins Bild erklären: Wenn in "Computer Chess" analoges Magnetband auf obsolete Digitaltechnik blickt, zeichnet sich darin die für einen bestimmten Moment in der Technikgeschichte noch selbstverständlich bestehende medienhistorische Kluft ab, die im Zeitalter allüberall erfolgreich bestandener Medienkonvergenz, in der es keine Videokameras und Telefone mehr gibt, sondern nur noch Computer in jeder Hosentasche, längst überbrückt ist. Der Film spielt in den frühen 80ern in einem Provinzhotel. Eine Gruppe Nerds transportiert ihre klobigen Computer für ein Schachturnier an. Nicht Mensch gegen Maschine, sondern Maschine gegen Maschine, genauer: Algorithmus gegen Algorithmus treten an. Die Nerds sind lediglich Schnittstellen im noch nicht voll ausgeprägten Medienverbund: Brav tippen sie die Züge des Gegners in ihre Rechenmaschinen und bewegen die Spielfiguren. [weiterlesen beim perlentaucher]

»»» offizielle website »»» facebook »»» katalog (pdf)






° ° °




Wenn in Bruno Dumonts "Camille Claudel, 1915" plötzlich ein Auto vorfährt, erschrickt man eine Sekunde über diesen Misston: Natürlich sind Autos im Jahr 1915 keine Neuheit mehr, doch bricht mit dem Auto jäh eine Ahnung der Außenwelt und der Moderne in diese bis dahin zugemauerte Welt, in der schon ein Salon im Stil des 19. Jahrhunderts wie ein Zugeständnis an den Zeitenlauf wirkt, dass man sich halb im Schock dazu zwingen muss, sich zu erinnern, dass dieser Film im frühen 20. Jahrhundert spielt.

Die Bildhauerin Camille Claudel (Juliette Binoche) ist in einer von Nonnen geführten Anstalt untergebracht. Die Umstände der Einweisung bleiben unklar - dass es sich um eine männerbündische Abschiebung handelt, wird zumindest sehr implizit angedeutet. Die Welt wirkt vom schweren Gemäuer abgeschlossen - so abgetötet wie die Körperlichkeit der Nonnen unter ihren Gewändern und Tüchern. Einmal führt eine Art Pilgerweg auf den Gipfel eines nahen Bergs, von dem aus weite Landschaften, aber keine Anzeichen von Zeitgenossenschaft zu sehen ist. Eine überkontrollierte, unter dem Alb der Vergangenheit liegende Umgebung, in der als Misstöne das Gejauchze und Gekluckse der Insassen, das schelmisch wahnhafte Grinsen oder der nervtötende Trommeltick beim Essen fast befreiend wirken. [weiterlesen beim Perlentaucher]

»»» trailer



° ° °




"Pulchritude", "Schönheit" also heißt das Stück der Thee More Shallows, dessen so markant wie sanft um sich selbst kreisende Spielfigur Ramon Zürchers "Das merkwürdige Kätzchen" immer wieder als Intermezzo durchstreicht, strukturiert, aufatmen lässt. Eine ganz spezifische Schönheit sucht auch dieser fragile, funkelnde Film: die aufblitzende Poesie des Alltags, die Melancholie des einen kurzen Moments, den Zauber dessen, was als Spur bleibt.

Leicht schief gedrehte Zigaretten im Etui etwa, flüchtig auf der Küchenarmatur liegengelassen, eine Tasse Tee mit Beutel auf dem Tisch, daneben ein Einkaufszettel voller zu Herzen gehender Schreibfehler eines kleinen Kindes, eine Ratte, die mit dickem Hintern hektisch über den Gehsteig huscht, eine menschenverlassene Küche, auf deren Tisch ein Kätzchen hüpft, das magische Blitzen im Innern eines Pfandautomaten. [weiterlesen bei der taz]



° ° °




Mittwoch, 13. Februar 2013
Am Ende von "Before Sunset" wurde ein Flug verpasst, zu Beginn von "Before Midnight" wird einer erreicht: Dazwischen liegen nicht nur genau neun Jahre und ein Tag - zumindest, wenn man mit den beiden Berlinale-Premieren rechnet -, sondern auch jene Zeit, in der fragile Liebesversprechungen an einem lauen Pariser Sommerabend zum ganz gewöhnlichen Beziehungstrott eingedickt sind.

Was bisher geschah: 1995 begegneten sich die Französin Celine (Julie Delpy) und der Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) in Wien. Die jugendlichen Träumer durchstreiften eine Nacht lang die Wiener Straßen, erkannten einander als Seelenverwandte und verloren sich wieder. 2004 trafen sie sich - sie mittlerweile Berufsaktivistin, er Schriftsteller - in Paris wieder und verbrachten einen Spätnachmittag miteinander: Bilanz und Lebensabgleich, was ist aus den Träumen geworden und was könnte noch aus ihnen werden - aus den Träumen, aus Celine und Jesse, diesem schönsten Liebespaar der jüngeren Filmgeschichte?[weiterlesen bei der taz]



° ° °




Einmal, als er wild gestikulierend vom Filmemachen erzählt, vom Leben, das in die Filme schießt, da verlässt Roland Klick den sorgfältig scharf gezogenen Bereich des Bildes. Über 70 ist der Mann, doch auf eine Weise agil und mit einer inbrünstigen Leidenschaft gesegnet, als wäre er noch keine 30. Wenn er plötzlich loslacht – und Klick lacht viel –, dann reißt sein ganzes Gesicht auf, es funkelt ein Spott über die Absurditäten des Lebens darin, den sich gut leisten kann, wer stets Außenseiter gewesen und Held geblieben ist.

Roland Klick, ein Verschütteter der deutschen Filmgeschichte. Einer jener Regisseure, die im verlässlichen Turnus wiederentdeckt und wieder vergessen werden, denen man die Aufnahme in den offiziellen Pantheon auch ernsthaft gar nicht wünschen kann. [weiterlesen bei taz]



° ° °




Samstag, 9. Februar 2013
Keine Emphase: Der dem Strom entrissene Nugget liegt auf einer Hand, bestaunt von einer Gruppe Pioniere. Es fällt kein und damit auch nicht dieses Wort - Gold. Darin liegt, im Norden Amerikas des späten 19. Jahrhunderts, auch ein Versprechen: Die Aussicht darauf, beengtesten und elendsten Verhältnissen (beschrieben wird einmal eine Unterkunft in New York: Vier Leute, ein Zimmer, dunkel, Feuchtigkeit und Kälte nagen an der Gesundheit) zu entkommen - sofern man die Strapazen meistert, die zwischen den jungen städtischen Zentren und dem Goldvorkommen in unwirtlichem Gebiet lauern. So finden sich in Thomas Arslans Post-Berliner-Schule-Western denn auch eine Gruppe deutscher Migranten ein, die dem Ruf des Goldes, genauer: der Annonce eines windigen Reiseführers, der zum geringen Preis eine weniger strapaziöse Passage zum neuen Reichtum in Aussicht stellt, folgen. [weiterlesen beim Perlentaucher]



° ° °




Die Pirate-Bay-Doku aus dem Panorama steht in voller Länge auf Youtube:



° ° °




Freitag, 8. Februar 2013
Wo man hinschaut: schmutzige Scheiben. Oft dreht Gus van Sant durch Scheiben hindurch, so dass man die Schlieren auf dem Glas sieht. Oder das Licht auf der Frontscheibe eines Autos reflektiert so, dass Matt Damon dahinter nur schemenhaft erkennbar ist. Ein Kontrast zu den weiten Panoramen oder den aus einiger Höhe aufgenommenen Gottesperspektiven: Hier, wo die USA am amerikanischsten sind, im Hinterland, wo die meisten - wenn auch zunehmend unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten - noch auf Farmen leben, hier also, wo manche Einstellung so aussieht, als sei sie der Rahmenhandlung vom "Wizard of Oz" entnommen, wo man den Eindruck gewinnt, als habe sich die USA in den letzten Winkel und ihren eigene Ursprungsmythos zurückgezogen, hier liegt das Land in aller Klarheit vor einem. Nur die Leute, die in die Stadt kommen, bleiben undurchsichtig.

Es geht ums "Fracking", die Erschließung von Erdgas in tiefsten, bislang unzugänglichen Gesteinsschichten. Eine Technologie, die einerseits die USA vom Ressourcenvorkommen in Krisengebieten unabhängiger machen und den verarmten Farmern zugleich ein Vermögen einbringen könnte, wenn sie sich nur auf die Angebote von Steve Butler (Matt Damon) und Sue (Frances McDormand) einlassen.[weiterlesen beim Perlentaucher]



° ° °




Donnerstag, 7. Februar 2013
offizielle website | forum

Eine Ehe wird getrennt. Ein Kind haut von zuhause ab (einmal um den halben Globus). Eine Schwangerschaft und noch nicht mal 20. Und doch kein Problemfilm.

I used to be Darker ist buchstäblich voller Musik - live mit elektronischer Verstärkung und Verzerrung, akustisch im Proberaum, von Platte (analog, ein wunderbar alter Plattenspieler). Einmal wird Theater gespielt. Es wird viel gesungen.

Musik und Kunst als utopischer Fluchtpunkt, der sich nicht mehr anvisieren lässt. Der unverbunden neben dem Leben steht. Eine bessere Welt in der Kunst, unendlich zart - wie der Gitarrist über die Saiten gleitet, wie Kim am Ende singt - angedeutet, leicht evoziert und doch unerreichbar. Zu Beginn wird eine Malerei mit einem Messer zerstückelt. Die Inkongruenz von Leben und Kunst.

Ein Film, der in hellen, sonnenklaren Bildern (wie dunkel war dagegen doch Putty Hill) keine Hoffnung spendet, in einer Umarmung dann aber am Ende vielleicht doch.



° ° °




Thema: videodrome
Für die Berlinale zuhause: Ulrich Köhlers hervorragender Schlafkrankheit steht für einige Tage in der arte-Mediathek. Im Grunde muss man den Film im Kino sehen und die Bröselkodierung von arte wird ihm auch nicht gut tun, aber darauf hingewiesen sei dann eben doch. Außerdem dort: Johnnie Tos Vengeance, den ich leider noch immer nicht gesehen habe - klick!

edit: und wieder offline.


° ° °




Bruce Lee war der große Pragmatiker und Eklektiker des Kung-Fu: "Sei Wasser", war sein Leitspruch - nicht die Verbundenheit zu einer bestimmten Schule, sondern die Situation beherrschte seinen Kampfstil: Gut ist, was praktisch ist, Stiltreue nur soweit von Belang, wie sie im Moment weiterhilft. Einen ganz ähnlichen Pragmatismus hört man zu Beginn von "The Grandmaster", dem Berlinale-Eröffnungsfilm von Jury-Präsident Wong Kar-Wai, der darin Schlaglichter auf das Leben von Ip Man (Tony Leung), Bruce Lees Lehrmeister, wirft: Im Grunde läuft bei Kung-Fu alles auf zwei Begriffe hinaus - horizontal und vertikal. Einer steht, einer liegt am Boden.

Dass Wong Kar-Wai sich diesen Pragmatismus zu Herzen nimmt, wäre zu wünschen gewesen. Doch aufs Minimale und Praktische lässt Wong Kar-Wai sich (nicht, dass es zu erwarten gewesen wäre) von vornherein nicht ein: Er schlägt Schneisen in die chinesische Geschichte, die oft willkürlich, zumindest aber unkonturiert wirken (dass dies auch an Kulturtransferproblem liegen könnte, lässt sich allerdings nicht ausschließen), fährt ein Ensemble auf, dessen Beziehungen untereinander lange Zeit undeutlich bleiben und streut über den Teig Streusel aus dem Weisheitenschatz des Kalenderspruchgenres. [weiterlesen beim Perlentaucher]



° ° °




Die Würdigung japanischer Studioregisseure zählt zu den in den vergangenen Jahren am meisten liebgewonnenen, jüngeren Traditionen der Berlinale, respektive des Forums. Will einen aus dem Festivalprogramm womöglich auch sonst nichts anspringen - auf die japanische Hommage im Forum ist stets Verlass.

Dass sich rund um die Shochiku, Japans ältestem Film- und Studiogesellschaft, ein ganz eigenes "Genie des Systems" abzeichnet, wie es André Bazin in Abgrenzung zum und in Kritik am Hollywood-Geniekult seiner jüngeren Cahiers-Kollegen Godard und Truffaut bezeichnet hat, wird dabei auch in diesem Jahr aufs Neue (und Schönste) kenntlich: Hinter den cinephilen Schwergewichten Kurosawa, Mizoguchi und Ozu gab es bislang eine ganze Reihe im Ausland faktisch unbekannter Routiniers zu entdecken, deren Werke unter den verlässlichen Arbeits- und Auftragsbedingungen eines Großstudios eine Meisterschaft im (gar nicht despektierlich gemeinten) kleinen aufweisen: Eine Termitenkunst, die vielleicht gerade in Japan florieren konnte, wo Genie- und Schöpferkult im europäischen Sinn kulturhistorisch kaum verankert ist und ästhetische Meisterschaft weniger am Ideal eines kristallin-erhabenen Kunstwerks, als vielmehr am Studium und Beherrschen einer handwerklich zwar komplexen, in seiner Erscheinung aber einfachen Form festgemacht wird. [weiterlesen beim Perlentaucher]



° ° °




Mechanik der männlich-heterosexuellen Pornophilie: Computer an, Bilder zum Aufwärmen, die Suche nach dem passenden Clip, schließlich Hand an den Schwanz und kopfüber in eine Welt williger Frauen ohne lästiges Kuschelbedürfnis.

Porno ist besser als Sex, sagt Don Jon (Joseph Gordon-Levitt) und er bringt - in einem schmerzhaft zugespitzten Vergleich - einen ganzen Strauß Gründe dafür an. So funktional sich das anhört, so funktional ist auch sein Verhältnis zu allem anderen: Da die Freunde, dort der Club, dort drüben der Aufriss (nach Erfolg: Handsex mit dem Internet), hier sein durchtrainierter Körper, dann die Familie, sonntags Kirche und dann im Kämmerlein Beichte. [weiterlesen bei der taz]



° ° °




Donnerstag, 7. Februar 2013
Kurzer Rundumschlag:

Auch in diesem Jahr werde ich wieder im Berlinale-Blog des Perlentauchers mit vielen geschätzten Kollegen vom Festival berichten. Dazu gesellen sich einige Kritiken, die ich für die taz schreiben werde.

Hier beteilige ich mich neben vielen ebenso sehr geschätzten Kollegen an einem Kritikerspiegel.

Außerdem der Hinweis, dass ich in der rechten Spalte dieses Blogs wieder einen "Berlinale-Dump" führen werde, also Links zu interessanten Texten, Artikeln, etc. pp. die ich im Netz auffische. Dafür nutze ich den Social-Bookmark-Service Delicious und dort den tag berlinale2013. Wer will abonniert einfach den dazu passenden Feed.


° ° °




Dienstag, 5. Februar 2013
Thema: videodrome
Schön: Noch bis 17. Februar kann man hier viele Filme von Agnès Varda im Stream ansehen. (via)

Außerdem: Susan Sonntag und Agnès Varda im Fernsehen (1969).





° ° °




Die Spiele sind (fast) eröffnet: Hier gibt es in diesem Jahr als Kooperation zwischen critic.de, dem Perlentaucher und Freunden einen Kritikerspiegel von der Berlinale. Da das Festival den Berliner Kritikern bereits viele Filme in Vorabpressevorführungen zeigt, gibt es bereits viele Einschätzungen. Als besonderes Bonbon kann man sich die Bewertungen jedes Kritikers auch einzeln hierarchisiert anzeigen lassen - ein Klick auf den Namen genügt.

Meine Bewertungen etwa gibt es hier. Ich werde in diesem Jahr wieder für den Perlentaucher und verstärkt für die taz vom Potsdamer Platz berichten.


° ° °




Sonntag, 3. Februar 2013
Thema: videodrome
Bei Netzkino, einem Onlineanbieter, der offenbar legal Filme für Streaming lizenziert, gibt es tatsächlich den wunderbaren Star Crash - Sterne im Duell im Angebot (wenn auch, sigh, im beschnittenen Bildformat). Einer der, wie ich finde, herzigsten Italofilme aller Zeiten, in dem Wahnsinn und Spielfreude einem gleichermaßen entgegentriefen. Dass sich der Film unwesentlich bei einem etwas bekannteren Science-Fiction-Film aus den USA, der um 1980 für etwas Aufsehen gesorgt hat, bedient - was soll's? Toller Film!

Siehe dazu auch die Begeisterungsstürme hier, hier und hier.



° ° °




Samstag, 2. Februar 2013
Morgen im Bundesplatz-Kino in Berlin: Eine Will-Tremper-Double-Matinee (mit allerdings spielfilmlanger Pause zwischen beiden Filmen). Gezeigt wird um 11 Uhr Die endlose Nacht sowie um 15:45 Playgirl, die ich für zwei der schönsten bundesrepublikanischen Filme der 60er Jahre halte. Ersterer kam kürzlich in einer, nach allem, was man bislang hört, ziemlich wunderbaren DVD auf den Markt - was an einer Sensation grenzt, weshalb man der DVD sogar eine offizielle Website spendiert hat. Auch auf VHS hat es diesen wundervollen Film bis dahin nicht gegeben.

Ein paar Eindrücke aus dem Film gibt es auf Youtube. Und hier eine Bilderstrecke auf critic.de. Im Archiv des Spiegel gibt's außerdem einen Hintergrundartikel über die ungewöhnliche Entstehung dieses ungewöhnlichen Films. Eh legendär: Nettelbecks Filmkritik/Porträt anlässlich von Playgirl.


(hier gefunden)



° ° °




Freitag, 1. Februar 2013
»Sichtlich eilig konzipiert und gedreht, hinterläßt der Film nur ungute Gefühle.« (film-dienst)

Heute Abend um 21 Uhr im Berliner Zeughauskino: Blutiger Freitag, Rolf Olsens phänomenaler Krauts- bzw. Bankübferfalls-ploitation-Film von 1972, der Hans Georg Rammelmayrs Banküberall in der Münchner Prinzregentenstraße im Jahr zuvor einerseits spekulativ ausschlachtet, andererseits aber auch eine Art Zeitbild der sozialen Spannungen in der BRD der frühen 70er Jahre schafft. In der Hauptrolle: Raimund Harmstorf in seiner, wie ich finde, größten Rolle. Vor dem Film gibt es eine kurze Einführung von Philipp Stiasny (CineGraph Babelsberg) zu Rolf Olsen und von mir zum Film selbst.

Auf der Website der Zeit gibt es eine historische Reportage über die Ereignisse von 1971. Auf Youtube gibt es die ersten fünf Minuten des Films (mit ziemlich idiotischen englischen Untertiteln).

Sehenswert ist der Film vor allem auch als Bestandteil einer heute verschütteten und mangels einer befriedigenden DVD-Editionslage auch kaum mehr rekonstruierbaren Genrefilmkultur in Deutschland, die sämtliche Onkelig- und Beschaulichkeit, die man den Wallace- und Winnetou-Filmen (von den Heimatfilmen ganz zu schweigen) vielleicht wirklich attestieren möchte, abschüttelt und roh, dynamisch, rasant auftritt. Kein "Theaterdeutsch" trübt das Spiel, kein Bild wird zulange gehalten, der Schnitt ist grob und packend, die Kamera hochmobil. Über weite Strecken gleicht der hysterische Pegel einem Schlingensief-Film. Olsen, der zuvor St.Pauli-Filme (ebenfalls sehr sehenswert - Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn gibt es gerade bei Das Vierte gratis in der Mediathek) und einen ziemlich sonderbaren Heinz-Erhardt-Film (Immer wenn ich traurig bin...") gedreht hat, ließ hier mit einem Mal italienische Thrillerhärte ins bundesrepublikanische Genrekino einfließen.



° ° °




Mittwoch, 30. Januar 2013
Das erste Bild: Kein Bild, aber ein Datum. 11. September 2001. Die Leinwand bleibt schwarz, die Ikone der qualmenden, schließlich kollabierenden Twin Towers bleibt ausgespart. Stattdessen hört man Aufnahmen von Telefonanrufen aus dem Innern des Gebäudes. Menschen in Lebensangst. In der Überpräsenz der buchstäblich monolithischen Panorama-Nachrichtenbilder vom 11. September verschwindet das Schicksal des Einzelnen - Regisseurin Kathryn Bigelow bricht dieses Bilderregime für einen Moment lang auf. Von vornherein ist klar: Zero Dark Thirty versteht sich als bildpolitische Intervention. [weiterlesen beim Perlentaucher]



Nachgetragen aus letzter Woche:

Nahtlos reiht sich dieser kindliche Victor Frankenstein in die lange Kette autobiografisch geprägter Sonderlingen ein, die Tim Burtons Filme seit jeher bevölkern: Verunsichert und etwas phlegmatisch im Auftreten, hager in der Erscheinung, den Eltern oft ein Rätsel (zumal, was die Monomanie seiner Interessen betrifft: wissenschaftliche Forschung und das Erstellen ruckeliger Super8-Filme, die dem Horrorkino ihren Tribut zollen), in körperlichen Dingen herausgefordert (Sport - ein Graus!) und mit auffälligen, wenngleich als Schrulle noch erträglichen Defiziten, was die soziale Kompetenz betrifft. Was in Burton County, wo auch dieser Film angesiedelt ist, ohnehin nicht allzu schwer ist: Seit jeher ließen sich Burtons Kringel und Kreise als Gegenentwurf zu einer aufgeräumten Welt der rechten Winkeln und geraden Linien lesen. [weiterlesen beim Perlentaucher]



Daneben lief noch der episodisch zwar recht hübsch geratene, im Gesamten dann aber arg christlich-schicksalshaft verbrämte Flight von Robert Zemeckis an, über den ich eine Kurznotiz bei der Stadtrevue verfasst habe. An Gangster Squad sollte man unterdessen keine NeoNoir-Maßstäbe ansetzen, um sich den Film nicht verderben zu lassen: Dass der Film unentwegt Pulphefte wie Detective Stories etc. ins Bild rückt, hat Methode. Dieser Film knallt um sich, wie das nur eine sich um kulturelles Kapital nicht scherende Pulpstory tut, die sich nicht unter Hinweis auf Chandler und Co. um Legitimiation bemühen muss. Auch hier eine Notiz für die Stadtrevue. Selbst noch als Horrorfan schenken kann man sich unterdessen den wenig erfreulichen House at the End of the Street.


° ° °