Dienstag, 17. Mai 2005
Thema: Hoerkino


Eines der großartigsten Alben der 1990er Jahre, ach was, der jüngeren Geschichte populärer Musik wird 10. Und es ist noch immer ein Klassiker, den es zu entdecken lohnt, ja der überhaupt erst noch wirklich entdeckt werden müsste. Ein ungeahntes Stück zeitloser Rockmusik, das alles auf den Punkt brachte und noch immer bringt. Eine jener Platten, die jeder gekannt haben will, als es galt die (naturgemäß mauere) nächste der Band zu besprechen. Bis heute geht mir bei dieser Platte (und natürlich: bei der zeitlich nah dazu erschienenen 10") die Seele auf. Lebensfreude jenseits von stupidem Hedonismus, politisch jenseits politischer Platitüden, Seele jenseits dröger Authentizitätsrituale, smart jenseits biederer H&M-ness. Oder, wie wir damals sagten: Coole Scheiße.

Danke, Rocket!


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Thema: good news
Vom erst vor wenigen Tagen fertig gedrehten Seven Swords von Tsui Hark (vgl. auch hier) ist nun ein Shooting Diary im Web aufgetaucht (im wesentlichen ein Making-Of im üblichen Promo-Stil). Interessentierte klicken hier (Direktlink, wmv, ca. 5.4mb). Die Gerüchte, ob der Film noch vor seiner Post-Produktion wie zuvor anvisiert seine Premiere in Cannes erleben wird, reißen derweil nicht ab. Tsui Hark soll nun jedenfalls von vornherein nur an eine Premiere in Rohfassung geglaubt haben. Fernerhin wird gemunkelt, dass die high profile-Produktion überhaupt erst den Beginn eines mächtigen Epos über mehrere Teile hinweg darstellen soll. Die Promoaufnahmen, die ich auf dem Filmmarkt der Berlinale im Februar sehen konnte (noch mit sichtbaren Drähten und all dem Zeug, was sehr kurios aussah - einige Szenen finden sich auch in dem verlinkten Diary), ließen die Hoffnung auf einen echten Tsui-Hark-Knaller jedenfalls ordentlich ansteigen. [via]

Nachtrag: Variety meldet, dass der Film seine Premiere als Eröffnungsfilm des diesjährigen Filmfestival Venedig feiern wird. Warten wir's ab...


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Ich tippe sehr schnell, aber ungewöhnlich: Die linke Shift-Taste wähle ich mit dem linken Daumen an, der sich dabei unter der linken Handfläche durch, bzw. rüberdrückt (am Daumenansatz habe ich deshalb, im Gegensatz zum rechten, wohl auch ein kleines Muskelchen ausgebildet). Deshalb machte ich mir die letzten Tage Sorgen um die Mobilität meines linken Daumens: Die wirkte nämlich irgendwie eingeschränkt. So als würde sich da eine latente Steifheit einrichten. Und das mittlere Gelenk fühlt sich seit Tagen seltsam an, wenn ich den Daumen ganz langsam anwinkle, knackt das lustig, gerade so, als säße das Gelenk nicht richtig, ähnlich wie knackende Zehen etwa, mit dem Unterschied, dass das leicht weh tut und sich nicht recht einrenkt (sich also n-fach wiederholen lässt). Ich spiele also seit Tagen mit dem linken Daumen rum, massiere ihn, versuche ihn geschmeidig zu kriegen, ändere sogar mein Tippverhalten (mit katasstrophalen Folgen für die Orthografie).

Und jetzt gerade eben stütze ich mich gedankenverloren mit dem linken Daumen kurz am Schreibtischstuhl ab, etwas zu viel Druck und es macht KRACH. Oder: KNACKS. Auf jeden Fall: Laut. Und plötzlich will er wieder, der Daumen, als wäre nie etwas gewesen. Wundersam wieder erlangte Mobilität. Und im gleichen Moment erinnere ich mich daran, dass ich mir ja vor knapp einer Woche den Daumen am Müllcontainer ganz fies (so richtig fies) angeknackst habe und dass die Beeinträchtigung des Daumens wohl gar nichts mit meinem Tipptick zu tun hat, sondern wohl ziemlich sicher eher daher rührt. Plötzlich, im Moment der lautstarken Wieder-Einrenkung, ist diese verdrängte Müllcontainer-Erinnerung also wieder da, schlagartig sozusagen, in vollkommener Plastizität, und als reiche dieses Zusammenfallen von lautem Knochen-Ach und wiedererlangter Rückbesinnung noch nicht hin, werde ich mir - nur einen Hauch einer Sekunde später - bewusst, dass ich zudem gerade "Daumen" von der neuen CD von Bohren & der Club of Gore höre.

Die CD heißt 'Geisterfaust'. Ich werde heute Nacht das Licht brennen lassen müssen.


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Montag, 16. Mai 2005
Thema: Kinokultur
Update, 06.10.2005: Auf der Website des US-amerikanischen Radiosenders National Public Radio gibt es ein kleines Feature mit Interview-Bits von Cronenberg und dem New Yorker Filmkritiker James Hoberman im Stream

Kein Cronenberg in Cannes ohne Zwischenfälle. Nachdem Crash seinerzeit für einige Skandälchen und entsprechend hektisch verlassene Kinositze sorgte, ging auch die Pressevorführung von A History of Violence, die Adaption einer graphic novel von John Wagner und Vince Locke, dem Vernehmen nach nicht ohne weiteres vonstatten. Wie im Cannes-Weblog der New York Times nachzulesen ist, sorgte die Hyperbolik einer offenbar vollends übertriebenen Gewaltszene für massenhaftes Gelächter seitens der versammelten Presse. Nur ein einzelner der Anwesenden - NYT-Kritikerin Manohla Dargis ist er namentlich und auch darüber hinaus bekannt (Details indes werden verschwiegen) - verteidigte das offenbar verlachte Werk: "Will you critics take this serious", soll es ins Dunkel gerufen worden sein. Dabei, so Dargis, sei das Lachen nun gar nicht boshafter Natur gewesen: Ganz im Gegenteil, Cronenberg gelinge es geradewegs meisterlich, den Tonfall seines kraftvollen Films sehr nuanciert durch ein weites Spektrum zu manövrieren. "It slyly draws you into the pleasure of violence (Mr. Cronenberg outdoes John Woo in the film's "action" scenes), then makes you take uncomfortable stock of your laughter. In effect, it deconstructs the American action movie. And it is awesome." Das, Frau Dargis, glauben wir aufs Wort.

A History of Violence erzählt die Geschichte der Musterfamilie Stall im Mittleren Westen der USA. Als Vater Tom (Viggo Mortensen) zwei gesuchte Schwerverbrecher erlegt, als diese sein Restaurant überfallen wollen, wird er kurzfristig zum gefeierten Medienstar. Die Prominenz bleibt nicht ohne Folgen: Bald stehen zwielichtige Gestalten aus der Unterwelt von Philadelphia vor der Tür, die Tom Stall für einen untergetauchten Gangster halten.



Spiegel-Diarist Borcholte wirft in seinem Cannes-Tagebuch viele Namen ins Feld: Der mit "extremer Brutalität" durchsetzte History beginne sowohl wie ein Roman von Stephen King, als auch auch wie ein Film von David Lynch, ende aber ganz sicher wie ein Film von Tarantino, nicht ohne Umwege über die Werke von Sam Peckinpah und Walter Hill jedoch. Die "brutal-lakonische Abrechnung mit Gewalt" sei Cronenbergs bislang "zugänglichster Film" und mache einen "Mordsspaß".

Martin Rosefeldt, für Arte an der Croissette, erzählt viel nach. Conclusio im letzten Absatz: Cronenbergs Film sei "kein allzu ernster oder gar melodramatischer Stoff", seine überbordende Gewaltdarstellung lade vielmehr zum Lachen ein. Diese "übertriebene Kontrastierung" trage jedoch maßgeblich zum Gelingen des Films bei, wenn es darum geht, den Blick des Zuschauers mithin auch auf die eigene Wirklichkeit zu ändern.

Todd McCarthy von Variety hat sich ebenfalls auf die Suche nach Vorbildern begeben und hebt vor allem die Nähe zum Western hervor. Dessen Archetypen handhabe Cronenberg selbst noch im Detail mustergültig, doch herrsche jenseitss dessen Konvention vor. Erstaunlich, wenn man die ansonsten abenteuerlichen Pfade des Regisseurs kennt. Zwar sind Film wie darstellerische Leistungen an sich solide, wenngleich der Blick auf allzu Amerikanisches "slightly idiosyncratic" ausfalle und Howard Shore es gelegentlich etwas zu gut meine, doch für einen Cronenbergfilm sei bloß solides Handwerk letzten Endes nicht ausreichend.

Ray Bennett vom Hollywood Reporter hebt zur Gegenrede an: Cronenbergs Film - einer seiner "more straightforward pictures" - sei ein "cleverly told "what if?" movie", das an einige ernste Themen rühre. Vor allem der manipulative Umgang mit der Darstellung von Gewalt ist diskursiv offenbar recht anregend ausgefallen. Auch die Darsteller finden lobende Erwähnungen.

Verena Lueke von der FAZ macht hierzu nur ein langes Gesicht. Das blutige Treiben sei doch nur einer von Cronenbergs schwächeren Filmen. Zwar ist die Story kompliziert angelegt, doch sind's allein die Darsteller, die das Interesse am Film nicht frühzeitig erlahmen lassen. Michael Hanekes Cache wird hier als positiv benanntes Gegengewicht noch im gleichen Absatz mitverfrühstückt.



Jonathan Romney, Berichterstatter für Screen Daily, hat hingegen schon einen heimlichen Wettbewerbsfavoriten ausgemacht. Viele filmhistorische Links werden auch hier entdeckt, die Spanne reicht vom Western zum Film Noir, von Hitchcock über Peckinpah zu Dirty Harry (und, schließlich, zu Cronenberg selbst, der hier zahlreiche Themen und Motive seiner Filmografie erneut aufgreife). Vor allem die zahlreichen Twists (von denen obige Synopsis offenbar nur sehr wenige andeutet) haben es ihm angetan. Verlässlich sei hier nur, dass nichts verlässlich ist. "Cronenberg’s most commercial shot in ages" könne zwar manch alteingesessenen Fan verschrecken, könnte dafür aber auch ein größeres Publikum zufrieden stellen, zumal als typischer Film im Zeitalter der DVD, der mehrmals gesehen werden müsse und könne. Sein Fazit: "Ruthlessly gripping and intellectually provocative and dense".

Weiterführende Links:
imdb ~ Festival-Infosite ~ offizielle Website ~ Info-Blog zum Film mit weiteren Infos und Fotomaterial.


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Klingt spontan erstmal gut, Qualitätsjournalismus, der jetzigen selbstapostrophierten "Qualitätsjournalismus" als primäre Abstoßrampe und Distanzbezug auffasst, das könnte echt was werden. Vielleicht ist das aber auch einfach nur einmal mehr ein Großkotz vom Dienst und das ganze wird ziemlich muffiger Quatsch. However, beides ist möglich, deshalb: In Blicknähe ablegen. Ab Herbst, monatlich.

Vor einem Monat gab's dann ja auch schon in der taz ein Manifest zum Thema vom Herausgeber. [via]


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Kurz und knapp zwar alles, aber ich mag das: Hier. [via]


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Sonntag, 15. Mai 2005
Thema: Kinokultur
In Berlin fristen die Filme von Johnnie To, dem vielleicht besten Genre-Auteur derzeit, ein trauriges, unbeachtetes Dasein in den Nebensektionen. In Cannes honoriert man den Hongkonger Vielfilmer (zwei bis drei Filme jährlich - drunter ist To kaum zu haben, darunter auch viel Durchschnittliches, aber mindestens einen durchweg aufregenden Film pro Jahr liefert er für gewöhnlich immer ab) nun mit einem Eintrag in der Königssektion, im Wettbewerb. Dass Berlin dies bemerkt und seine schleimig sozialdemokratische Wettbewerbskonzeption in Zukunft etwas modifiziert, bleibt zu hoffen.

Jedenfalls, gestern fanden die Screenings von Election statt und langsam tropfen erste Besprechungen ins Netz. Die Korrespondentin von Arte hat den Film gesehen und bietet zunächst eine knappe Synopsis:

Alle zwei Jahre wird der Anführer der ältesten Triadenvereinigung Hongkongs, der Wo Shing Society gewählt. Wie es der Brauch ist, dürfen die ältesten Mitglieder der Triade den neuen Chef per Stimmabgabe ermitteln. Es gibt zwei Anwärter. Für Lok, den einen scheint die Mehrzahl der Entscheider zu sein, doch Big D verschafft sich mit unlauteren Methoden jede Menge Respekt. Zwischen den beiden Kandidaten bricht ein brutaler Krieg um den Chefsessel aus.



Die Besprechung selbst fällt etwas distanziert aus. Der Film sei "konventionell erzählt" und setze "bisweilen auf die schockierende Wirkung brutaler Gewalt". Ansonsten gibt es vor allem Widersprüchliches zu lesen: Zwar bleibe To und sein Kameramann ganz den Konventionen des Genres verhaftet, doch sei das Ende bemerkenswert und aufsehenerregend. Dieses solle auch nicht verraten werden, wird es aber letzten Endes doch (nicht ohne Hinweis auf Brutalitäten und "minutenlangen Metzeleien in Echtzeit"), so dass der Eindruck einer latenten Überforderung der Rezensentin entsteht.



Mit der Auflistung von Brutalitäten beginnt auch Ray Bennets Besprechung für den Hollywood Reporter, der im folgenden auch einen etwas exakteren, aber ebenfalls distanziert anmutenden Blick wagt. Die weitgehend in "semi-darkness" geschossenen Bilder seien bemerkenswert und erstaunlich, vor allem die musikalische Untermalung bekommt ein Lob für ihren entschiedenen Anteil der offenbar recht noir-esquen Atmosphäre.

Lee Marshall hingegen winkt ab. In seiner Besprechung für Screen Daily erkennt er zwar Tos Versuch an, für die Hongkonger Triaden in etwa das leisten zu wollen, was The Godfather für die italo-amerikanische Mafia geleistet habe. Doch habe To sich dabei übernommen. Marshall wagt den Blick in die Glaskugel und sieht gar Fangemeinden allerorten dahinschwinden: Der Film sei unterbelichtet geschossen, uninspiriert gefilmt und leide maßgeblich an seiner Unentschlossenheit, ob er nun Actionreißer, Underground-Saga oder Shakespeare'sche Tragödie sein wolle. Das Hongkong-Publikum, "who prefer their action straight", würde mit solcherlei "half-hearted arthouse lurch" wohl kaum viel anfangen können. Dass Johnnie To in seinem Heimatland traditionell ein eher überschaubares Publikum hat und international gerade aufgrund seiner oft abenteuerlich konstruierten und realisierten Filme geschätzt wird, scheint Lee Marshall bei der Erstellung seiner Prognose nicht bewusst gewesen zu sein.

Auf AICN zeigt sich Celia hingegen sehr begeistert. Johnnie To habe einen richtigen Film Noir und Mafiafilm vorgelegt, der vor allem durch seine "gorgeous night scenes" und den gelegentlich eingestreuten Humor überzeuge. Zwar sei Oldboy im letzten Jahr der bessere Beitrag zum Genre gewesen, doch sei Election dafür leichter goutierbar.

Info am Rande: Die Länge der ursprünglichen Schnittfassung betrug etwa drei Stunden. Auf der Pressekonferenz in Cannes zeigte To sich jedoch mit der von ihm neugeschnittenen Fassung sehr zufrieden: "I didn't want Election to be too long. In fact, I said all I had to say about the triad in the final 90-minute cut you saw." Hauptdarsteller Simon Yam unterstützt seinen Regisseur und gibt sich erleichtert, dass einige seiner Szenen nicht im Endresultat zu sehen sind, gleichzeitig eröffnete er die Aussicht auf eine mögliche Verwertung der Langfassung auf DVD.

Weiterführende Links:
imdb ~ Festival-Infosite (mit Links zum Presskit und Clips von Pressekonferenzen und Interviews!)


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Thema: Kinokultur
Die neue Ausgabe von Sight and Sound bringt ein ausführliches Interview mit Jean-Luc Godard, im Mittelpunkt steht dabei vor allem sein letzter Film, Notre Musique.


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15.05.2005, Heimkino

Inhalt (Covertext der DVD):
John Person, Schauspieler mit Geldproblemen, hat keinen Schimmer, ob er verrückt geworden ist oder von Irren umgeben – oder ob hier einfach jemand ein fröhliches Verwirrspiel mit ihm treibt. Nur eines weiß John: Der Botendienst, den er für seinen wunderlichen Nachbarn übernommen hat, könnte ihn von allen Schulden befreien.

So wartet er nun mitten in der Wüste, in einem Motel im Schatten des längsten Thermometers der Welt. Er wartet darauf, dass der mysteriöse "Cowboy" einen ebenso mysteriösen Koffer abholt. Reisegepäck für einen Trip zu den Außerirdischen? Das würde jedenfalls zu ganzen Freaks passen, die John im Umkreis des Motels trifft...


The Big Empty ist im Stil der Kultfilm der Neunziger Jahre gehalten - Backwood-Cool- und Weirdness, irgendwo im Niemandsland der us-amerikanischen Wüste. Bars nahe der Grenze zu Mexiko, mysteriöse Figuren wie eben jener wortkarge Cowboy, Rednecks mit Hang zu Area-51-Stories, die entweder mehr wissen als sie vorgeben, oder einfach nur dim in the head sind. Doch The Big Empty verirrt sich keineswegs in die Zynismen der Oberfläche, sondern mischt seine Videotheken-Mixtur noch zusätzlich mit dem Lebenslauf-Blues, der wehmütigen Tristesse eines American Beauty an, dessen Soundtrack im hier Verwendung findenden deutlich zitiert wird. Und waren die Neunziger nicht zuletzt auch das Jahrzehnt der Mystery-Serien - von Twin Peaks angefangen, bis hin zu Akte X?



Man könnte deshalb sagen: Abgehangen, um Jahre zu spät. Gewissermaßen das Crime is King-Syndrom, hier kurzerhand benannt nach jenem penetrant nervigen Film von vor wenigen Jahren, der die 90er mit Kevin Costner und Kurt Russell als Elvis-Inkarnationen nur technisch verstärken und in dieses Jahrzehnt hinüber retten wollte (gescheitert auf ganzer Linie). Doch irgendwie schafft es The Big Empty vielleicht nicht gerade zu begeistern, aber eben doch als ungemein sympathischer Film für das Frühstück an einem verregneten Sonntagmorgen positiv verbucht zu werden.

Dies mag schon alleine daran liegen, dass er sich gar nicht erst an optischen Überbietungsspielchen versucht, sondern völlig relaxed im Offbeat-Tempo daherkommt. Seine Skurrilitäten sind nicht mit Blick auf die Bilanz auf schrullig hinkalkuliert, sondern spulen sich entspannt und mit Liebe modelliert ab. Der latente TV-Look der Produktion unterstützt die selbstgewählte, keineswegs uneffiziente Behäbigkeit zudem. Die Figuren sind nicht bloße Abziehbildchen, die durch die beständigen Loops einer längst schon solipsistisch werkelnden Zitierungsmaschine, wie sie das derzeitige Geek-Kino mittlerweile darstellt, durchscheinend geworden sind (auch sind sie keine Figuren aus Fleisch und Blut, gewiss), sondern ganz bewusst und mit etwas Hintersich so hingetupft wie sie sind. Man verfolgt das als Zuschauer entspannt und verfällt in ein heimeliges Vertrauen: Einfach nur hinschauen und sich überraschen lassen von dem, was als nächstes kommen mag (ohne dass die Überraschungen im Sinne von Überwältigung sich abspulen würden), ohne dass man viel mitdenken oder gar mitraten müsste. Hier geht es nicht um den ewig öden "Smarter than you"-Wettstreit zwischen Drehbuchautor und Zuschauer.

Maßgeblich zum Gelingen trägt sicherlich auch die Besetzung bei. Für eine Low-Budget-Produktion findet sich hier manch bekanntes Gesicht wieder, das den formalästhetisch nicht sonderlich anspruchsvollen Film mithin zu tragen weiß: Neben dem Hauptdarsteller - Jon Favreau, den man ansonsten nur als ewigen Nebendarsteller und face without a name kennt - sind vor allem auch die Nebenrollen geschickt besetzt: Sean Bean (Boromir im Lord of the Rings, Odysseus in Troy) gibt den lakonischen Cowboy mit angeratenem mimischen Understatement. Daryl Hannah brilliert als Barbesitzerin unter Perücke und Bud Cort - Harold aus Harold & Maude - als paranoider Nachbar ist ein stets gern gesehenes Gesicht am Rande. Auch die übrigen Figuren sind mit Herz dabei.

Wie gesagt, The Big Empty ist weit davon entfernt, großartig zu sein. Aber er ist charmant und solide, mit einigen schönen Momenten zwischen auch dem einen oder anderen Leerlauf. Und so ein bisschen ist das Ganze auch ein wehmütiger Blick zurück in das coole Indie-Kino der 90er. Man merkt, dass hier jemand mit Reife zu Werke gegangen ist, vielleicht ein Geek, der erwachsen geworden ist und dies seinem Film auch anmerken lässt. Besser als das kindisch-regressive Einerlei, aus dessen Repertoire sich das Fantasy Filmfest (wo The Big Empty im letzten Jahr zu sehen war) mittlerweile zu einem nicht unerheblichen Teil speist, ist das allemal. Steve Anderson, der hier sein Debüt als Regisseur vorlegte, wird vorerst im Auge behalten.



imdb ~ trailer ~ offizielle website ~ Zuschauer-Reviews vom Fantasy Filmfest ~ Infosite des deutschen Anbieters


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Sonntag, 15. Mai 2005
Thema: Kinokultur
Für ausführliche Pressespiegel wie im letzten Jahr fehlt mir gerade die Zeit, vor allem aber auch eigentlich die Lust. Hier aber zumindest die Links zu den wichtigeren internationalen Berichtererstattungen von der Croisette. Auf filmz.de und angelaufen.de finden sich Links und Zusammenfassungen der deutschen Feuilletons (von denen die meisten meiner Meinung nach aber ohnehin, naja, eher egal sind).

Die New York Times geht mit der Zeit und hat ihren beiden Korrespondenten in diesem Jahr ein Weblog eingerichtet. Dort finden sich mehrmals täglich kurze Clippings, Filmeindrücke und dergleichen. "Richtige" Reviews wird man wohl in den nächsten Tagen auf dem Movie-Portal finden.

Übliches beim Guardian in Großbritannien. Hier das Cannes-Portal mit Meldungen, Kritiken, etc. pp.

Wer des Französischen mächtig ist (ich bin es, leider, im nur sehr geringen Maße), ist bei Libération gut aufgehoben. Auch hier gibt es ganz klassisch ein eigens eingerichtetes Portal. Selbes gilt für Le Monde - hier.

Die LA Times hat ebenfalls eine übliche Sektion, aber ein Weblog hat man ebenfalls installiert - schöner Titel: "Postcards from Cannes". Ich mag ja die Vorstellung vom Festival-Kritiker weniger als Kritiker im Namen der Kunst, sondern als Bote, der den Zuhausegebliebenen mitteilt, was sie verpassen und nach was es Ausschau zu halten lohnt.

Auch dieses Jahr ist IndieWire wieder mit einem Weblog in Cannes zugegen und versorgt den Leser mit Eindrücken, Filmhinweisen, Meldungen von hinter den Kulissen.

Die üblichen Branchenblätter berichten mittels klassischer Portale: Variety und Hollywood Reporter. Auch Screen Daily ist in Frankreich und liefert für den Nicht-Abonnenten lediglich Reviews. Die auch nicht in gesondert eingerichtetem Bereich, sondern auf linker Seite des Hauptportals unter "Cannes Reviews" (runterscrollen!).

Auch Roger Ebert tummelt sich in franzsöischen Kinosälen. Auf seiner Website gibt es eine Sektion mit täglichen Berichten.

Das Cannes-Portal von arte besticht durch schlichte, aber schöne Gestaltung und optimalen Überblick. Man konzentriert sich vor allem auf die eigentlichen Stars eines jeden Festivals: Die Filme selbst, die komplett aufgelistet und im Falle einer vorliegenden Besprechung gesondert gekennzeichnet werden. Erfreulicherweise schaut man sich auch in anderen Sektionen um, statt nur den Wettbewerb zu beachten.

Zu empfehlen ist ein täglicher Klick auf Daily Greencine, dem internationalen Filmpressespiegel. Dort finden sich, neben dem üblichen Betrieb, auch zahlreiche Hinweise auf neue Meldungen vom Festivalgeschehen. Nachtrag: Wie ich gerade sehe, hat man auch einen Korrespondenten vor Ort, der täglich Notizen mailt.

Und für grundsätzliche Informationsbeschaffung sei auch die Website des Festivals nicht verschwiegen.


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Thema: good news
Variety meldet erste Lebenszeichen des neuen Films von David Lynch. Dieser würde sich sogar schon (seit zwei Jahren!) in Produktion befinden, wird digital gedreht (D'oh!) und handele, so Lynch im Zitat, von einer Frau (gespielt von Laura Dern, das Blondchen aus Blue Velvet) und einem Geheimnis... .... ääääh?

Der Titel ist INLAND EMPIRE - ja, in Großbuchstaben - und wird von Lynch selbst finanziert. StudioCanal hat die Worldwide Sales übernommen. Als Termin für die Premiere wird bislang Cannes 2006 anvisiert. Alles weitere im Volltext!

Ein trauriges Zitat noch aus der Meldung:

"For me, there's no way back to film. I'm done with it," Lynch says. "I love abstraction. Film is a beautiful medium, but it's very slow and you don't get a chance to try a lot of different things. With DV, you get those chances. And in post-production, if you can think it, you can do it."

... :(

Nachtrag, 19.08.2006:

Justin Theroux spricht im Interview über seine Rolle. Weiterhin findet sich auf youtube.com ein Video von David Lynch, das einer Promo-DVD für digitales Filmemachen entnommen ist. Die Promo-DVD wurde seinerzeit damit beworben, dass sie auch Material aus dem Film enthalte. Unter Umständen ist das folgende also schon ein erstes snippet aus dem Film. Und falls nicht gefällt es vielleicht auch so:


Nachtrag, 07.09.2006: Nach der Premiere in Venedig trudeln nun langsam erste Kritiken ein. GreenCine Daily bietet einen guten Überblick, allerdings sind die Reaktionen auf den Film sehr verhalten. Gezeigt wurde der dreistündige, ästhetisch wohl auch sehr grobe und obendrein sehr "verschwurbelte" Film allerdings in einer Pressevorführung um halb neun Morgens und dies eben im Rahmen eines laufenden Festivals; vielleicht kommen die Verstimmungen auch einfach daher. Wir werden sehen, wie sich der Film schlägt, wenn er unter freieren Bedingungen atmen kann.


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Hier!


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Thema: Kinokultur
Vom 18. bis 22. Mai findet in Hamburg das 6. Japanische Filmfestival statt. In drei Kinos wird ein Überblick über das aktuelle Filmgeschehen in Japan geboten, weiterhin gibt es auch eine kleine Werkschau Hirokazu Kore-Eda zu sehen. Das Programm kann sich durchaus sehen lassen.

Von Berlin aus gutes Gelingen und allen Besuchern ein schönes Festival!


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Freitag, 13. Mai 2005
Thema: Hoerspiele
Auf Deutschlandradio wird heute Nacht um 00.05 Uhr das Hörspiel Shaft und die sieben Rabbiner, eine Produktion aus dem Jahr 2003 nach der literarischen Vorlage von Ernest Tidyman, gesendet. Aus dem Programmtext:

John Shaft, der "schwarze James Bond" der siebziger Jahre, ist Privatdetektiv in New York, elegant, smart, mit extravagantem Lebensstil, der - wenn nötig - auch mal kräftig hinlangt, mit geschliffenen Worten oder mit geballter Faust. Von sieben Rabbinern erhält Shaft den Auftrag, eine Serie von Auftragsmorden zu klären, die die Diamantenbranche der Fifth Avenue aufmischen.

Ich kenne das Hörspiel noch nicht, bin aber gespannt, wie es der recht jungen Produktion gelingen wird, den spezifischen urbanen Charme des 70er Stoffs zu übertragen und dabei auch den mitschwingenden Bildern aus den Kultfilmen mit Richard Roundtree gerecht zu werden. Hard Boiled- und Krimifans kommen hoffentlich auf ihre Kosten.

Als Stream-Tool wird, wie üblich, der kostenlose Player von Phonostar empfohlen, der neben Hunderten voreingestellter Streams auch über eine komfortable Mitschneidefunktion verfügt.


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Danke, George.


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Donnerstag, 12. Mai 2005
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Audio-, bzw. MP3-Bloggen ist, gelinde gesagt, der heiße Scheiß! Während hierzulande noch alle rumkrämern von wegen "Isset Literatur", "Isset Journalismus", "Isset Tagebuch" oder "Isset auch einfach scheißegal, wasset is" (wobei es doch sonnenklar ist: Weblogs sind die Nachfahren der Fan- und Egozines im Zeitalter des Internets, voll panne einfach, das!), rockern sich vornehmlich in den USA Dutzende, ja Hunderte von Blogs durch ihre Plattenarchive und -höhlen und präsentieren den geneigten Lesern, was die Musikgeschichte in ihren Falten und Nischen an übergangenen Obskuritäten hervorgebracht hat. Dabei geht es gar nicht um Aktualitäten. Wer Internetz braucht, um Brittney Spears zu kriegen, hat vermutlich beim Wassertrinken den Klodeckel auf den Hinterkopf bekommen. Nein, es geht (hauptsächlich) um Wildes, Ungeahntes, Aufregendes, (Langweiliges), um Sachen, die vermutlich nie (oder nur selten) in die Ehre einer CD-Reissue kommen.

Mixbloggen is the new Mixtapen. Und besser und aufregender als der ganze Filesharing-Schmonz ist das obendrein.

Warum ich das schreibe? The Tofu Hut, eines der dienstältesten MP3-Blogs, hat hier eine Riesenliste mit MP3-Blogs zusammengestellt, die ohne Zweifel durchklickenswert ist. Und jetzt sagt bitte keiner mehr, er hätte nichts davon gewusst.


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Im aktuellen Max mit Comic-Schwerpunkt findet sich auch ein Star-Wars-Special aus naheliegendem Anlass. Toll ist der Aufreißer: Am 19. Mai liefe ja nun der Star Wars an und weltweit seien deshalb die "Trekkies" schon aus dem Häuschen. Und ja, um die Kirk'n'Spock-Fans geht's hier kein Stück, "Trekkies" meint hier "Star-Wars-Fans".

Und dann noch irgendwo so'n Promo-Interview mit Ewan MacGregor gelesen. Der 34jährige wird gefragt, ob er sich denn noch an sein erstes Star-Wars-Erlebnis erinnere. Ja, im Alter von 6 Jahren sei er in Return of the Jedi geschleppt worden und er könne sich noch richtig gut dran erinnern, wie er da mitgefiebert hatte und die Ewoks und so. Der Film kam 1983 in die Kinos.

Auch nicht schlecht: Das kostenlose Gratis-Promoheft, das im Saturn ausliegt, weiß bereits, dass Revenge of the Sith richtig geil sei. Voll düster, megakolossal, Action bis der Doktor kommt, ein würdiger "Abschluss" der Saga. Irritierend dabei alleine, dass erst für morgen die erste Pressevorführung angesetzt ist (zumindest in Berlin, die anderen waren so die letzten zwei, drei Tage erfahr' ich hier grad).


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Mittwoch, 11. Mai 2005
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"Von Musik über Mode bis hin zum Graphik-Design hat Punk in den 80ern unheimlich viele, heute noch erkennbare Einflüsse in zig kulturellen Segmenten ausgeübt. Punk heute hat sich spätestens mit der Allianz mit den Bahnhofsstrichern und -pennern die letzte Wucht genommen."

Mein Reden seit eh und je (naja, vielleicht nicht ganz so lang, aber fast...). However, auch mal davon gänzlich ab: Nettes Interview auf krit.de mit supatyp (dessen Arbeit zur Erlangung eines akademischen Titels über Punk ich noch nicht gelesen habe, geschweige denn, dass ich ihrer bislang habhaft geworden wäre. Mal so'n Tipp?).


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Ich frühstücke in fremder Küche. S. ist nicht da und ich frühstücke gerne dort. Brötchen, Kaffee, ein paar mitgenommene Comics, Deutschlandradio Kultur nebenher. Und die Blumen muss ich ja ohnehin gießen, während sie weg ist. Plötzlich schiebt sich eine Gestalt vor die Küchentür, klopft schüchtern an. Irgendein Typ, der gerade aus dem Schlafzimmer gekrochen kommt. Schnell stellt sich heraus: Stammt von der Nachbarin, Besuch, halt eben hier schnell untergebracht, Wohnung ist ja ohnehin gerade nicht bewohnt und man hat ja den Schlüssel. Ist auch kein Problem, Nachbarin und S. sind, wie man sagt, "beste Freundinnen".

Trotzdem komisch, das, aber im besten Sinne. Ich biete ihm Kaffee an, Brötchen habe ich nun leider keine mehr, er fragt, ob er rauchen könne, ja bitte gerne. Trinken Kaffee, reden über dies und das. Entspanntes Geplänkel an einem verregneten Morgen, vor allem, unter den Umständen dieser Begegnung. Am Ende stellt sich heraus, dass ich ihn - der vom anderen Ende Deutschlands kommt - schon mal vor 2 Jahren getroffen habe, auf einer kleinen Hausparty. Damals hatte er allerdings noch lange Haare. Noch eine Zigarette, dann gieße ich die Blumen, er wolle heute Bücherläden in der Stadt ansehen, ein paar Tipps von mir, schönen Tag in der Stadt wünsche ich ihm noch, dann gehe ich.


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Dienstag, 10. Mai 2005
Die letzten 10 Tage hatte ich Besuch. Noch ist er hier, bald - siehe ein Kommentar hier weiter unten - nicht mehr. Leider ist der Besuch recht fleckig geraten auf dem Bild. HandyCam is halt nicht das Geilste, näch?





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01. Ja hätte ich nur gekonnt (und aus sehr privaten Gründen konnte ich nicht), dann wäre ich gerne dort gewesen. Und jetzt, nach den ersten Lektüren, eigentlich noch mehr. Ach, und Whiskeygespräche mag ich ja auch.

02. Die Blogsendung jetzt gerade auf Radio Fritz ist sehr nett, sehr sympathisch (des Moderators Blog im übrigen hier). Macht Lust, dieses gerade etwas brach liegende Blog wieder zu aktualisieren. Viel besser jedenfalls als diese unheimlich abgeschmackte Tekkie-Sendung damals auf gleichem Sender, weiß nicht wielange die schon wieder her ist, wo man jedenfalls den Eindruck bekam, dass Blogger in erster Linie nerdige Spinner mit pickligem Geltungsbedürfnis sind. Diesmal alles sehr entspannt, sehr relaxed. Angenehm wenig "We are the new cool", viel "warum das einfach Laune macht". Fein.

Edit: Der als "Thomas aus Friedrichshain" angekündigte Telefon-Gast, der gerade eben in die Sendung kam, bin natürlich nicht ich. :)


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Samstag, 7. Mai 2005
Die Kölner Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Ekaterina Vassilieva-Ostrovskaja hat nun auch ein eigenes Weblog:

http://culture-club.blogspot.com/

Willkommen im Club! ;-)


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Montag, 2. Mai 2005
Japanisches Filmmonster-Weblog. Nicht, dass ich verstünde, was da steht, aber der optische Reiz liegt doch auf der Hand. [via]




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Viel Erfolg!


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Den 01. Mai habe ich ganz traditionell begangen: Kasperlezirkus außer Acht gelassen, gelesen. Derzeit gerade Thomas Haurys Dissertation 'Antisemitismus von Links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antiozionismus in der frühen DDR.' Zumal in Zeiten wie diesen, wo mal wieder jeder Hannes meint, biergeschwängerte Kapitalismuskritik leisten zu müssen, kann ein solches exaktes Nachfragen, wie weit es mit linker Kapitalismuskritik ist, nicht schaden...

However, was ich eigentlich schreiben wollte: Dass am 01. Mai in Berlin nix wirklich Bemerkenswertes geschehen ist, lässt sich am Zeitungskiosk diesmal gut nachfühlen. Die B.Z. etwa (nicht zu verwechseln mit der Berliner Zeitung), ansonsten immer für Martialisches zum 02. Mai zu haben, bringt diesmal das Konterfei einer rüstigen Seniorin auf dem Titel. "Ich war Hitlers Krankenschwester" steht dann drunter zu lesen, man denkt sich entsprechend: "So fucking what?" und weiß: Hier wurde in letzter Minute ein klassischer Lückenfüller hingekleistert. Würde mich nicht wundern, wenn die dazugehörige Story schon eine ganze Weile im Schreibtisch liegt. "Hitlers Krankenschwester - interessiert kein Aas, Hitler macht sich aber - siehe Spiegel - immer gut auf dem Titel, das behalten wir mal für die Saure-Gurken-Zeit im Auge...", hört man es förmlich in den Redaktionskatakomben des Schmierenblatts raunen. Der Berliner Kurier, für gewöhnlich in direkter geistiger Nähe zur B.Z. anzutreffen, will den 02. Mai indes traditionell begehen und verzichtet nicht auf lodernde Flammen auf Seite 1: Anlass dazu bot ein Brand in einer Fabrik, nach bisherigem Kenntnisstand weder von Autonomen noch von Krawalltouristen oder gar "türkischen Jugendlichen" begangen. Aber immerhin: Von der Ferne betrachtet, könnte man meinen, dass es in Kreuzberg am Vorabend allzu Übliches zu bestaunen gab.

Was war also wirklich geschehen, bei den Wilden Kerlen? Erschreckend wenig offenbar: Gestrige Radiomeldungen am Abend kündeten von einem weitgehend friedlichen Verlauf. Allein eine Spontan-Demo mit ca. 350 Teilnehmern hätte am Abend noch Polizeibeamte mit Feuerwerkskörpern beschossen und sich wohl vereinzelt mit selbigen rumgeprügelt. Ein Auto wurde ebenfalls umgekippt, offenbar aber noch nicht einmal angezündet. Traurige Traditionsversessenheit, und auf halbem Wege auch noch schlapp gemacht. Verletzte Beamte wurden im einstelligen Bereich notiert, auch Verhaftungen sind über ungewöhnlich niedrige zwei Stellen nicht hinaus gekommen. Angesichts der Massen, die da gestern in Kreuzberg feierten und demonstrierten doch ein eigentlich guter Schnitt? Sollte man meinen, zumal auch andere Veranstaltungen mit Massen- oder gar Politcharakter in seltensten Fällen ohne Sach- oder gar Personenschaden am Rande über die Bühne gehen (man vergleiche etwa die für gewöhnlich als "friedlich" apostrophierte Love Parade - von Berliner Behörden als Standortfaktor bejubelt - mit ihren jährlichen Vergewaltigungen zwischen den Büschen des Tiergartens, bzw. jedes übliche Bierzeltfest mit seinen Schlägereien).

Der Berliner Morgenpost - der seriöse Seitenarm des Springer'schen Bild-Zeitungs-Wesens - ist das hingegen freilich schnurz. Zwar sieht sich keine seriöse und zumal überregional erscheinende Tageszeitung Deutschlands dazu gezwungen, ein von Jugendlichen stumpfsinnig umgekipptes Auto zum Tagesthema Nummer 1 zu machen. Doch immerhin hatte man tatsächlich einen Fotografen dicht genug am Geschehen positionieren können, der dann in der Tat die Kiddies beim Umkippen des Fahrzeugs zeigt und solch Exklusivität will ausgenutzt werden: Also titelt man "1. Mai: Randale in Berlin", zeigt das - zumal im Vergleich zu ansonsten üblichen Bildern der Kreuzberger Mai-Ereignisse reichlich unspektakuläre - Foto dick auf Seite 1 als Aufmacher und übt sich somit ganz in Blockwart-Manier (immerhin: Zur Relativierung insofern hat es gereicht, dass diese Pressemitteilung der Berliner Polzeit, die diesen 01.Mai als den friedlichsten seit 20 Jahren bezeichnet, mit einem vereinzelten Satz kurz zitiert wird - diese Erfreulichkeit aber zum eigentlichen Aufhänger zu machen wollte man offensichtlich nicht wagen).

Glückwunsch jedenfalls zu solch Delirantentum - das hat nicht mal die vornehmlich illustrierend kommunizierende Schandmaul-Presse hingekriegt. Im Konzert der heutigen Zeitungsauslage steht diese Ausgabe der Berliner Morgenpost nun als Beispiel für dummdämlichen Schwachfug-Journalismus auf dem Platz, der in Klassenzimmern vormals für gewöhnlich dem dummen Esel vorbehalten war.


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Wie aus der Website von Filmtheorie-Philologe Helmut H. Diederichs ersichtlich wird, ist für den kommenden Oktober im Suhrkamp Verlag mit einer Textsammlung von filmtheoretischen Schriften Sergej Eisensteins zu rechnen. Inwiefern die Publikation bislang unerschlossenes Material beinhalten oder sich durch eine distinguierende Zusammenstellung/Kommentierung von ähnlichen Publikationen abheben wird, steht abzuwarten, für gewöhnlich ist in den von Diederichs betreuten Büchern aber eine kompetente Einleitung/Kommentierung zu finden. Entsprechend gespannt bin ich bereits.


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Samstag, 30. April 2005
Thema: good news
"Revenge of the Sith" is, quite simply, fucking awesome. This is the "Star Wars" prequel the haters have been bitching for since "Menace" came out, and if they don't cop to that when they finally see it, they're lying. As dark as "Empire" was, this movie goes a thousand times darker -

Can't wait!


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Thema: Hoerkino
In der heutigen taz bespricht Tim Stüttgen die CD 'Geisterfaust' von Bohren & der Club of Gore.

Und es ist ja sicher gut gemeint, was hier steht. Über Promo-Schleuderei kommt's trotzdem kein Stück hinaus, und im letzten Absatz - gerade so, als könne das alles ja so nun nicht stehen bleiben - fügt man dann noch ein Stück selten dummes Geunke an. Eher ist zwischen allen Zeilen und Sätzen Ratlosigkeit herauszulesen, die sich aber nicht konkret fixiert, sondern sich mit Kultabfeierei und blöden Übertreibungen wie Motiven zu kaschieren sucht. Kein wirkliches Wort etwa über die neue CD, und dass Bohren hier nun in fester Form angekommen seien: Absoluter Scheiß, der Mann hat die CD offenbar schlicht nicht angehört - wie jedes andere Album der Band ist auch dieses ein hermetisches mit zwar üblich urbaner Tristesse, aber von eigenem Klangkonzept. 'Black Earth', das letzte Album der Band, unterscheidet sich de facto und ganz offensichtlich in seinem Konzept von 'Geisterfaust'. Wer hier implizit Redundanz anmäkelt, sollte mal im CD-Player nachschauen, ob er überhaupt die richtige CD eingeschmissen hat.

Dafür präsentiert Stüttgen aber viel Werdegang-Abschreiberei von üblichen Waschzetteln. Man merkt, dass sich hier jemand gerne zum Insider gerieren will: Er schreibt von Kaschemmen, in denen er offenkundig nie gewesen ist. Schreibt von Kultbands, die er als solche erst wahrnimmt, wenn auch der Hinterletzte das mittlerweile mitbekommen hat, gibt sich aber den Ruch des Kenners und Entdeckers. Dazu übliche Floskeln wie die von wegen "Lynch" und "Carpenter", mit denen man Bohren vor 5 Jahren vielleicht noch hätte fassen können (wobei zumindest eine klangliche Nähe zu Carpenters Musikminiaturen bemerkenswert wenig vorhanden ist) - dass diese auf die jüngste Inkarnation allerdings kein Stück weit zutreffen: Was soll's, offenbar, klingt dafür ein bisschen klug und die wenigsten Leser werden sich die CD überhaupt anhören: Voll egal also. Und dann so ein blöder Faux-Pas wie "Schwarzer Samt für Dean Martin" - ersetze "Samt" durch "Sabbat" und wir lägen richtiger.

Ansonsten eben viel an sich zwar gutgemeintes Geunke - "Nein, also diese kuriosen Horrorfans!" - , das aber über Kuriositätsgewäsch nie hinauswächst und damit einer Bastion des guten Geschmacks wie Bohren nach Strich und Faden Gewalt antut.

Ach, taz. Erst letztens diese scheussliche Kritik zur neuen Kammerflimmer Kollektief CD (wir erinnern uns: Elfen und Zwerge, die man bei der Musik vor dem geistigen Auge tanzen sähe - was ein Bullshit.) und nun dieses Ärgernis. Was soll das bitte?


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Donnerstag, 28. April 2005
Thema: videodrome


Jeden Morgen wagt Lynch den Blick durch's Fenster und unterrichtet die Welt vom Wetter in Los Angeles. Toller (!) Scheiß, haha! [via]


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25.04.2005, Kino Intimes; Inhalt.

Eastwood ist ein Regisseur der Schwärze. Mit ungemeiner Sanftheit schält er immer wieder aus der schwarzen Fläche Konturen, Gesichter, Personen heraus, um sie darin wieder verschwinden zu lassen. Ein Gespür, das sich in Unforgiven ankündigte, in Mystic River wiederkehrte und nun Vollendung gefunden hat. Überhaupt ist das Licht in Million Dollar Baby von entscheidender Bedeutung für die an sich recht strikt den Formalien der Genres des Boxerfilms und (später) des Dramas folgende Geschichte. Die biografische Tiefe, die die Figuren zwar bewusst nicht aufweisen, aber dennoch immer im Raum steht, findet im Wiederstreit zwischen Überbeleuchtung und vollkommener De-Illumination einen Ausgleich. Alle haben sie schwer an Vergangenheit zu tragen, doch keine Biografie erhält sonderliche Repräsentation im dramatischen Gefüge; von einzelnen Spitzen - kurzen Ausbrüchen, und auch die nur in Form von knappen Dialogen - abgesehen, könnte man glatt sagen, dass die Vergangenheit zwar über allem liegt, aber an sich vollkommen ausgeblendet bleibt. Die Vergangenheit benötigt keinen direkten Ausdruck, sie ist in der Schwärze, aus denen die Figuren immer wieder herausragen, in die sie immer wieder zurückgedrängt werden, ästhetisch voll nachempfindbar geworden. Auch die Gesichter - Eastwood hier, wie mir scheint, erstmals nicht als alter Mann, der es nochmal allen beweist, sondern eben wirklich im Alter angekommen, mit allen Furchen, Falten, Verhärmungen, die das mit sich bringt - sprechen viel, ohne dass es deutlicherer Artikulation bedarf. Die Vergangenheit von Eastwoods Figur selbst bleibt sogar völlig ungeklärt, aber dass er schwer daran zu tragen hat, wird überdeutlich.



Der Boxerfilm erzählt nun davon, dass man nur an sich glauben muss, um alles hinter sich zu lassen, um zu erreichen was man will, um über das Dispositiv der eigenen, nachteiligen Herkunft und Biografie hinauszuwachsen. Anfangs bestätigt Million Dollar Baby dies auch scheinbar, doch liegt hier schon Trug unter der Erfolgsgeschichte: Die Siege gehen zu glatt, dutzende K.O.s in der ersten Minute der ersten Runde - eine komplette Ausblendung üblicher Boxdramatik. Gebremst wird diese Aufstiegsstory schließlich durch eine Lappalie, durch eine Laune des Schicksals, durch etwas, was durch Begriffe wie Schuld und Kausalität nicht hinreichend beschrieben wäre. Um Schuld wird es deshalb im weiteren Verlauf auch niemals gehen - eine Stärke und nicht zuletzt Kommentar zur Selbstverwirklichungsideologie, die einem an allen Ecken und Enden um die Ohren gehauen wird.

Million Dollar Baby ist dabei nicht das, was nach dem Oscarregen zu erwarten gewesen wäre. Genialisches, Übertrumpfendes, Tränenrühriges, Mitreißendes, Visionäres, was immer man auch von einem Oscar-Liebling erwarten würde, findet hier nicht statt (und eben deshalb verwundert der Academytriumph auch etwas). Den Film zeichnet vielmehr das aus, was ich an Eastwood generell schätze: Er ist ein Klassiker des Kinos und übt sich weniger darin, neue Wege zu beschreiten, neue Ausdrucksformen zu erschließen; vielmehr setzt er das Erschlossene feinkalibriert um. Bei Eastwood im Kino sitzen heißt Kino-wie-es-ist zu beobachten und keine künstlerische wie kommerzielle Übertrumpfungsshow (wie manch andere Filme anmuten). Es ist die leichte Unzeitgemäßheit, ein vielleicht nicht altersweises, zumindest aber -kluges Sich-Verlassen auf Routiniertheit und Bewährtheit, die aber eben doch nichts mit dem Handwerk des Routiniers zu tun haben, vor dem man gemeinhin scheut, was ich an Eastwood im Allgemeinen, an diesem Film im Besonderen schätze. Dabei kommt nie das Großartige schlechthin heraus (und schon gar nicht das Meisterhafte, das Million Dollar Baby gerne nachgesagt wird), sondern eher eine gewisse Verlässlichkeit, eine Üblichkeit, die jedoch nicht in Langeweile umschlägt.



Gut gefallen hat mir auch der Balanceakt des Films, der einem zwar oft genug Härten vorführt, in denen man einschreiten möchte oder in denen man Tränen vergießen könnte, dabei aber nie ins Rührselige oder plump Empörte umschlägt. Die vielleicht dann doch große Kunst des Films besteht darin, die Augen zwar feucht werden, die entscheidende Träne aber nie vergießen zu lassen. Dass er bisweilen in der Tat auch zur Überdeutlichkeit neigt, sei dabei nicht verschwiegen - andererseits, so scheint mir, gehorcht Eastwood hier auch streng den Vorgaben des Dramas mit seinen ineinandergreifenden Zahnrädern, wo jedes Detail schließlich im Gesamtgefüge seinen Platz einnimmt.

imdb ~ filmz.de ~ angelaufen.de


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Thema: comics
Kleiner Hinweis: Den ersten Paperback-Band von Alan Moores phantasievoller und wie stets sehr intelligent konzipierter Superheldinnensaga Promethea gibt's derzeit günstig als Remittende bei Speed Comics. Der Band umfasst die zusammenhängenden Geschichten aus Moores Comicserie America's Best Comics 2-7 (entspricht sozusagen der origin story von Promethea) und kostet remittend nur 5 Euro. Nur noch wenige Exemplare zu diesem Preis erhältlich!

Promethea erzählt die Geschichte einer jungen Studentin, die sich von den Erzählungen der übermächtigen und legendären Figur Promethea, die aus ägyptischen Sagen überliefert ist, sichtlich fasziniert zeigt. Schon bald stellt sich heraus, dass in dem Mythos ein wahrer Kern steckt, dass Promethea bis heute aktiv ist, in immer neuen körperlichen Inkarnationen. Und wer sich auf Prometheas Spuren wagt, läuft Gefahr, selbst Promethea zu werden, und die hat alle Hände voll zu tun, denn interdimensionale Dämonen attackieren fortlaufend unser Gefüge... Wie üblich, steht auch in diesem Werk Alan Moores die Mythen- und Sagenwelt und das verdichtende Spiel mit den intertextuellen Bezügen im Mittelpunkt. Eine grafisch äußerst sorgfältige und prächtige Bearbeitung, die auch den Raum jenseits der Panels nutzt, um jeder Seite einen ästhetisch reizvollen, optischen Gesamteindruck zu verleihen, rundet die spannende und originelle Geschichte gelungen ab! Zu diesem Preis: Meine Empfehleung!

Kleine Lektüreeinblicke gestattet diese Infosite auf der Website des Verlags.


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Mittwoch, 27. April 2005
Thema: Hoerkino
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... ach, und wenn Sie gerade sowieso schon bei The of Mirror Eye vorbeischauen, dann kucken Sie doch auch mal hierhin. Thailändischen Rock'n'Roll hört man schließlich auch nicht alle Tage...


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Thema: Hoerkino
The most intriguing part of their sound is a result of their use of DIY/homebrewed electronics. They make everything - sound system, mixers, instruments, etc - from old magnets and discarded car parts. The result is an incredibly distorted sound that they’ve incorporated into their overall aesthetic.

Von The of Mirror Eye, wo es auch zwei MP3s dieses äußerst interessanten Projekts - aus Kongo! - zu hören gibt. Hier nähere Infos vom Label.

Sehr spannende Sache, ich mag sowas ja (wie zB auch diese vietnamesische Straßenmusik, die Trikont Records mal veröffentlicht hat). Und im Mai/Juni touren die übrigens auch durch Europa, begleitet von Tortoise.




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Sonntag, 24. April 2005
Thema: literatur
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Vor wenigen Tagen habe ich mein erstes Exemplar eines Suhrkamp-Taschenbuchs erhalten, das rein äußerlich nicht mehr der vormals üblichen Fleckhaus-Gestaltung, sondern jener neuen Konzeption entspricht, die mit geometisch genau separierten vier Farbflächen ein wenig verzweifelt Modernität zum Ausdruck bringen soll. Mag bei vorliegender Prosa, durch den Einsatz naheliegender Fotografien, das Buch noch ansehnlich gestaltbar sein, zumindest dahingehend, dass man ästhetisch nicht vollends beleidigt wird, gelangt die Gestaltung wissenschaftlicher oder zumindest nicht-prosaischer Bücher bei der Blöße des ästhetischen Grundkonzepts an, das über mit zweifelhaftem Geschick zusammengestellter Farbflächen und bloßer Titelangaben keinerlei weiteren Anreiz mehr bietet. Und mit einigem Erfolg erreicht man auch das offenbar gesteckte Ziel: Es sieht zum Kotzen aus, nach Wegwerfliteratur und Billig-Quatsch, zumal auch das spezifische Einbandmaterial früherer Ausgaben - mit leichtem "Relief" - gewechselt wurde und man nun bei üblicher Taschenbuchglätte angelangt ist. Die elegante Schlichtheit und Serialität, wie sie die Fleckhaus-Konzeption mit sich brachte, die letzten Endes auch Suhrkamp-Bücher schnell differenzierbar machte, ist, zu Gunsten ästhetischer Gleichgültigkeit, dahin. Vorbei das Taktile, das Suhrkamp-Büchern in wissenden Händen Differenzqualität bescherte, vorbei offenbar auch die Zeit einer diskreten Gestaltungssingularität innerhalb des gesteckten, zwar rigiden, aber eben doch austestbaren Konzepts früherer Tage. Schade auch, dass im Regal der Eindruck des Geschlossenen nun mehr zerstört wird.

Jetzt, wo ich das Resultat der seit letztem Jahr geänderten Politik unmittelbar in Händen halte, frage ich mich, zu welchem Zweck hier herumgeschneidert wurde. Das Moderne, was hier zum Ausdruck gebracht werden soll, ist doch nur Einfallslosigkeit und mündet in ästhetische Minderwertigkeit, vor allem aber in Profilverlust. Jede alte Lovecraft-Ausgabe aus selbem Hause überbietet den äußeren Reiz solcher Einfältigkeit. Erschreckend ist dabei die Geschwindigkeit, mit der nun auch scheinbar für ewig bei Suhrkamp vorliegende Klassiker der Sachliteratur durch ihre ermüdend neu gestalteten Pendants ersetzt werden.

Für mich hat dies nur eine Konsequenz: Sofern mir irgend möglich, wird Material von Suhrkamp in Zukunft auf antiquarischem Wege bezogen. Lieber nehme ich dusselige Anstreichungen in Kauf als mir solch ausgemachte, lieblos hingemurkste Hässlichkeit ins Regal zu stellen.

Nachtrag:
Die FAZ sah das, im September vergangenen Jahres, ähnlich.


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23.04.2005, Heimkino

Zunächst ein schönes Beispiel, warum die 80er größtenteils ein ästhetisches Verbrechen darstellen. Der Film ertrinkt förmlich in seiner Zeitverhaftung und während noch fast jede Dekade seinen Filmen ein Gepräge mit auf den Weg gibt, das diesen, im Sinne des Charmes, zum Vorteil gereicht, ist bei den 80ern dahingehend kaum etwas zu holen. Nein, die Musik, die hier in großzügigen Dosen über alles und jedes gegossen wird, wird auch in Zukunft nicht gut klingen, vielmehr will man schreiend wegrennen. Die Klamotten, die alle anhaben, sind grundsätzlich Scheiße. Das gekünstelt Oberflächliche in jeder Einstellung ist nur mehr schale Hülle. Auch das Filmmaterial ist von selten ödem materialästhetischen Reiz, das post-homevideo-bedingte Bildformat macht vor allem die an sich sensationall inszenierte Autoverfolgungsjagd zum Trauerspiel, das vom abhanden gekommenen Scope kündet, und die typografische Gestaltung des Vorspanns verursacht bloßen physischen Schmerz.

Dem kann der Film zunächst kaum entkommen, zumal auch gerade die erste halbe Stunde seltsam unbalanciert vor sich hinstolpert und sich kaum für etwas handfestes entscheiden kann. Und immer wieder meint man einem verkrampften Versuch beizuwohnen, an den großartigen French Connection - der nun ebenfalls ganz und gar im Sud seiner Zeit kocht, aber nun, ganz im Gegensatz zu diesem Friedkinfilm, dadurch punkten kann - anzuschließen, diesen künstlerisch überrragenden Erfolg gar zu wiederholen.

Gut wird's dann später, als der Fokus endlich gefunden ist, die Ungelenkigkeiten in der grundsätzlichen Orientierung abnehmen und auch die "Greatest" Hits of the 80's-CD im hohen Bogen aus dem Tonstudio geschmissen wurde. Wenn diese beiden Polizisten, um die sich mal wieder alles dreht, endlich aus dem offiziellen Behördengang ausscheren - der eine, weil er ein Egomane sondergleichen ist, der andere, weil er an sich gegen seinen Willen mitgerissen wird - entwickelt To Live and Die in L.A. eine ungemeine Kraft, in der übliche hard boiled Zynismen der Copthriller aus den 70er Jahren mit leichter Hand noch übertroffen werden und ein selten düsteres Bild von Machtökonomien und ihren Verlockungen gezeichnet wird. Es ist nichts anderes als großartig, wenn diese beiden Cops selbst einen Diamantendeal unter Hehlern überfallen, um an jenen Geldbetrag zu kommen, der ihnen von offizieller Seite verweigert wird, um damit einen Geldfälscher - im übrigen großartig mit dem jungen Willem Dafoe besetzt - in die Falle zu locken. Ab hier zieht das eigene Verbrechen dann die weiten Kreise, die von einem solchen Schattenfilm zu wünschen sind, und natürlich stehen am Ende: Blut allenthalben und die verlorene Unschuld des vormaligen Idealisten. Das eigentliche Opfer indes: natürlich eine Frau, eine Person am Rande des Schauspiels nur, die von männlicher Egomanie aufs Neuerliche versklavt wird.

Ein ambivalentes Erlebnis. Bis an die Schmerzgrenze unsicher zu Beginn, dann atemberaubend, zum Ende hin schlicht genial - wann hätte ein Schuss in den Kopf den Zuschauer stärker vor den eigenen gestoßen? -, mit einem wiederum seltsam delierenden Beschluss, der einen nochmals am Verstand der Macher zweifeln lässt. Sei's drum: To Live and Die in L.A. ist eine Kost, an der man manchen Zahn verliert, aber schlußendlich gelohnt hat sich's dann doch.

imdb


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Nicht zu fassen eigentlich: Kaum ist die Sonne mal wirklich einigermaßen präsent, dass man zwecks Lektüre den Gang auf den Balkon auch wirklich wagen kann, haben die Asis vom Imbiss nebenan schon ihre Grills rausgestellt und dampfen einen ordentlich mit einer widerwärtigen Geruchsmischung aus way too much Spiritus und vormals lebendiger Kuh zu. Und da soll man als an sich sehr zur Toleranz neigender Vegetarier die Ruhe bewahren? Make my day!


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