Donnerstag, 23. Februar 2006
Angst ist der glückliche Fall einer DVD-Veröffentlichung, die ein bislang weitgehend in Vergessenheit geratenes Meisterwerk schlagartig in die Filmgeschichte einsortiert. Der österreichische Regisseur (und heutige Werbefachmann) Gerard Kargl inszenierte diesen höchst intensiven Serienkillerfilm 1983 weitgehend aus eigener Tasche und verschuldete sich damit auf Jahre hin. Dieses Herzblut, diese Leidenschaft, dieses unbedingte Festhalten an der eigenen Vision spürt man Angst in jedem Moment ab. Angst ist sicherlich einer der gewagtesten, radikalsten und beeindruckendsten Versuche, sich dem Topos wie der Figur des Serienkillers maximal anzunähern - bis hin zur Grenze der Erträglichkeit. 1994 wurde der Film auf einem britischen Festival in einem Double Feature mit Jörg Buttgereits nicht minder genialem, wenn auch 10 Jahre später entstandenen Schramm programmiert; seitdem ist der damals zurecht tief beeindruckte Berliner Undergroundregisseur in der Mission unterwegs, Kargls Film in Erinnerung zu rufen. Nun endlich besteht dazu mit der von epiX veröffentlichten DVD Gelegenheit.

Der Film wird ganz durch die Figur des namenlos bleibenden Killers (gespielt von Erwin Leder, der in Das Boot 'Das Gespenst" gab) strukturiert - er ist die unmittelbare Instanz, durch seine Augen, seine Präsenz staffelt sich der fast ausschließlich in Echtzeit inszenierte Film. Anfangs wird er aus dem Knast entlassen, vor Jahren hatte er seine Mutter ermordet. Kaum auf freiem Fuße, macht er sich auf die Suche nach seinen nächsten Opfern, denn das Zuchthaus mag, wie er sagt, dazu da sein, Menschen zu bessern, doch den Drang, Menschen zu quälen, habe es ihm nicht austreiben können. Noch in der selben Nacht wird ein abgeschieden gelegenes Anwesen zum Schauplatz einer blutigen Tragödie ...

Angst zeigt keinen sardonischen Serienkiller, keinen de Sade'schen Philosophen, auch keinen nachts souverän durch Großstadtstraßen flanierenden Dandy, seine Figur wird kaum als pathologische Psychopathen-Abziehfolie geschildert und er ist auch kein popkompatibler Rächer des Puritanismus, wie man ihn aus US-Slashern der frühen 80er kennt. Es gibt keinen Masterplan, kein durchdachtes Vorgehen, nur den gehetzten Drang und dann schließlich den Rausch der Gewalt selbst, der doch nichts anderes ist als nackte, gehetzte Angst. Immer ist da der kongenial geschriebene und eingelesene Voiceover, der uns direkt in die Welt dieses Menschen holt, der nichts erläutert, nichts rechtfertigt, nur reflektiert und Emotionen schildert - dies allerdings in Form einer literarisierten Distanziertheit, die im Kontrast zu den eruptiven Bildern steht und einen oft genug erschaudern lässt.

Die hochgradig präzise Kameraarbeit - die das widerwärtig detailfreudige Close-Up wie die panoramahafte Totale gleichermaßen für die Effizienz des Films und sein Projekt zu nutzen weiß - tut ihr übriges, um uns ganz dicht an diese Figur zu führen und verleiht dem Film eine Wertigkeit, die anderen Beiträgen des Subgenres völlig abgeht. Hinzu kommt eine Soundstruktur, die das "Ohr des Films" immer dicht am Körper des Protagonisten verortet, selbst noch in der distanziertesten Aufnahme von einem schwindelerregend hohen Kran aus; und die wabernd sich steigernde Synthie-Musik weist geradezu hypnotische Qualitäten auf. In dieser genau in sich austarierten Anordnung der Formmittel findet nun Erwin Leder die Möglichkeit, sein expressives Spiel ganz auszureizen und dem Killer eine ungeahnte physische Präsenz zu verleihen. Selten hat man einen Schauspieler die unterschiedlichen Zustandsformen von Rausch, Sadismus, Gehetztheit und schierer Panik und das Hinübergleiten von einem Zustand in den nächsten besser darstellen sehen als hier.

Angst verweigert sich einer moralischen Positionierung, es gibt keine ermittelnde Instanz und keine vollständig befriedigende Erklärung, die ihrerseits nur Distanzierung ermöglichen würde. Angst ist ganz Anordnung, ganz experimentives Feld, in dem über den gezielten Einsatz der Formmittel der Zuschauer direkt affiziert und emphatisiert wird. Seine Haltung nähert sich dabei selten, ja fast nie dem Exploitativen an, sehr zu seinem Gewinn. Angst ist ernst gemeint, als Beitrag einer Kunst, die anhand ihrer Ästhetik Extremzustände erfahrbar machen will, und in jedem Moment hochkonzentriert. Darin ist er nichts anderes als meisterlich und eine echte Empfehlung wert.

imdb ~ weitere Informationen ~ Kritik von St. Höltgen ~ Interview mit Kargl




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Thema: Kinokultur
"It is not my business to tell you what it's about. My business is to get excited about it, to bring it to your attention. I am a raving maniac of the cinema."
... wird Jonas Mekas in diesem Artikel, in dem Hoberman auf 50 Jahre Filmberichterstattung in der Village Voice zurückblickt, zitiert. Und mehr zu wollen kann man eigentlich gar nicht verlangen.

(und dann denke ich mir ja immer, warum gibt es vergleichbares nicht hier, also hier in Berlin, meine ich, warum ist das immer so öde Chronistenpflicht, so bloßes Filme-Runterbesprechen, immer mit der Ahnung, dass da nur einem ohnehin geschmacksarmen, uninteressierten, kaum neugierigen Publikum nach Mund und Interessenslage zu reden versucht wird, warum also nichts oder kaum vergleichbares in, sagen wir, zitty oder tip, na gut, die taz, ja sicher, die geht schon oft in die Richtung, aber wir sprechen hier doch von Stadtmagazinen.)


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Thema: Kinokultur
Einen Film rechtlich zu verbieten ist nur dann möglich, wenn die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellt und ein Gericht entscheidet, dass der Film gegen das im Grundgesetz verankerte Verbot von Volksverhetzung oder Pornographie verstößt. "So etwas kommt nur alle Jubeljahre vor", so Hermann Dettbarn von der FSK. Zuletzt 1972, als der Erotikfilm "Im Reich der Sinne" verboten wurde.
(Quelle) Nicht nur, dass Nagisa Oshimas Film aus dem Jahr 1976 ist, wie sich fast schon lächerlich einfach feststellen lässt, es kann nun auch wirklich keinerlei Rede davon sein, dass seit dem Trubel um Im Reich der Sinne kein Film mehr in Deutschland verboten worden wäre...


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Thema: DVDs
In der taz bespricht knoerer den hervorragenden Thai-Melo-Western Tears of the Black Tiger: Klick! Diese wunderbare Perle des thailändischen Kinos ist vor wenigen Tagen auch in Deutschland erschienen - jetzt gibt es also keine Ausrede mehr!



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Donnerstag, 23. Februar 2006
Thema: Hoerspiele


Ausgegraben von Scar Stuff - Danke!


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Dieser Meldung nach zu schließen jedenfalls.


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Dienstag, 21. Februar 2006
Thema: DVDs
Es ist lobenswert, dass die FAZ wöchentlich eine ganze Seite dem Thema DVD widmet. Es wäre sicher wünschenswert, wenn hier der Fokus noch ein bisschen weiter weg von dem gelegt wird, was über Kanonisierung oder Werbeaufwand des Anbieters ohnehin schon einigermaßen bei den Lesern angekommen ist, aber nun gut. Es ist aber mit beträchtlicher Sicherheit absolut ärgerlich, wenn man, wie heute, eine gerade mal zwei Absätze lange Larmoyanz zu lesen bekommt, in der die Nicht-Veröffentlichung zahlreicher Klassiker gescholten und eine Art digitales Mittelalter einer zukünftigen Filmkultur prophezeit wird.

Zugegeben, die deutsche DVD-Editionslage ist nicht die beste. Es mag bezeichnend sein, dass sich eine DVD-Serie wie die SZ-Cinemathek fast ausschließlich aus ohnehin schon veröffentlichten Titeln zusammensetzt und dadurch schnell in den Ruch des Sinnbefreiten gerät. Ja, von vielen Titeln wünschte man sich gerne eine deutsche DVD, gerade und besonders aus filmhistorischen Gründen.

Wie verhält man sich aber nun in einer solchen Situation? Möchte man Zeilen und Aufmerksamkeit klauben, dann stellt man sich mit einem The End is nigh!-Schild ins Redaktionsbüro und verfasst den veröffentlichten Text - kommt kantig, ist wichtig, kulturkritische Untergangsszenarien sind immer gerne gesehen. Bringt das aber bitte irgendwas außer dem Autor fünf Minuten Leseraufmerksamkeit? Nö!

Oder aber man will die Situation vielleicht wirklich konkret verbessern - und schreibt eine Anleitung, wie man sich endlich mal frei von den Kalkulationen des deutschen Filmmarktes machen kann, wie man also, mit wenig Aufwand und obendrein meist sogar recht günstig, DVDs im Ausland bestellt. Nicht wenige der Filme, deren Nichtveröffentlichung der Autor zeiht, sind im Ausland nämlich ohne großen Aufwand beziehbar. Manche etwa schon über die französische, britische oder us-amerikanische Filiale von Amazon.

Gut, könnte man vielleicht entgegnen, aber im Ausland wird's ja wohl kaum deutschen Ton geben! Ja, den gibt es dort nur sehr selten, auch deutsche Untertitel darf man nicht erwarten - umso besser, wenn sich von solchen Sprachbarrieren - und das sind sie - endlich mal freigemacht wird! Diese Unsitte nämlich, alles und jedes zu synchronisieren hat nämlich nicht nur dazu geführt, dass in Deutschland kaum ein Mensch Englisch sprechen kann, sondern eben auch sehr konkret dazu, dass - und eben hier schließt sich der Kreis - zahlreiche bedeutende Meisterwerke der Filmgeschichte überhaupt nie in Deutschland zu sehen gewesen, ja vollkommen unbekannt sind. Es wird endlich gottverfluchte Zeit, dass sich die Deutschen von ihrem infantilen Entwurf des gallischen Dorfes zu lösen beginnen!

Ein nicht eben unbeträchtlicher Teil der Filmgeschichte liegt international auf DVD vor, es bedarf nur eines ersten Anschubs, dass sich die Leute dessen bewusst werden. Wer, wenn nicht ein Redakteur für eine DVD-Seite einer der größten deutschen Tageszeitungen könnte hier besser Schubhilfe leisten? Darüber hinaus gibt es dort draußen auf DVD eine unfassbar große Menge an großen, wichtigen, atemberaubenden aktuellen Filmen, die man in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach weder im Kino noch auf DVD jemals zu Gesicht bekommen wird - was könnte fruchtbarer für eine Filmkultur sein, als an prominenter Stelle genau darauf hinzuweisen, Links und beim Bestellen Beachtenswertes zu kommunizieren?

Aber nein, lieber verbreitet man etwas merkbefreiten und vollkommen unangebrachten Weltuntergangsverdruss, dazu ein wenig Staatsanrufung. Das ist speckigste, alt-bundesrepublikanischste Kulturgesinnung, die eine Vorsortierung des Guten lieber in die Hände von öffentlich-rechtlichen Redaktionen, katholischen Filmgremien und Kulturausschüssen – und damit also dem genuinen Feind einer vitalen, widerspenstigen, leidenschaftlichen, aufregenden Filmkultur – legt, statt Interesse, Neugier und Expertise zu befördern.


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Montag, 20. Februar 2006
Mondo Movie ist ist ein Weblog zum Thema Underground-, Cult-, Horror und Arthouse movies. Auf den ersten Blick recht geschmackvoll. Zugegeben, solche Sites und Blogs gibt es mittlerweile viele, herausstechend ist dann aber doch das Podcast-Projekt der Macher, das sich in regelmäßigen Ausgaben mit der wunderbaren Welt der Exploitation und Cult Movies beschäftigt. Auf dieser Seite lassen sich die bisherigen Folgen runterladen und der Podcast abonnieren.


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Sonntag, 19. Februar 2006
Thema: visuelles
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In den nächsten Tagen wird das Kino Arsenal nochmals eine kleine Auswahl von Filmen aus dem "Internationalen Forum des jungen Films" zeigen, darunter auch einer der besten Filme des diesjährigen Festivals, Dear Pyongyang von Yang Yong-hi. Die Termine lassen sich diesem Hinweis entnehmen.

Weiterhin werden nochmals acht der insgesamt neun auf der Berlinale gezeigten Filme von Nobuo Nakagawa in Form einer eigenen Reihe im Arsenal vorgeführt, hier der Programmtext mit den Terminen dazu. Auch hier spreche ich eine dringende Empfehlung aus, wer sondieren muss, möge Ghost Tale of Yatsuya und The Mansion of the Ghost Cat in Erwägung ziehen.


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Eine Reise durch die Türkei, von Istanbul im Westen bis zum Berg Ararat im Osten, von der westlich orientierten Metropole hinein in die Geschichte des Landes, am Konflikt mit den Kurden vorbei bis hin zu den Stätten des Genozids an den Armeniern. Arslans Kamera fängt die Stationen dieser Reise in langen, meist unbewegten Einstellungen ein, der Ton besteht ganz aus Atmo, immer wieder der Blick durch die Frontscheibe des Wagens auf die Straße, auf Berge, Landschaften, wie Kapitelstrukturierungen, weiter durch das Land. Kaum Kommentare. Sparsam, ja fast spärlich spricht Arslan im Voiceover. Meist handelt es sich um knappe, topografische Hinweise - wo befinden wir uns, was fand hier statt, hier wuchs er als Knabe auf. Dann wieder viele Minuten lang kein Wort, nur Bilder und Eindrücke: Menschen bei der Arbeit an Nähmaschinen, Kinder, die auf öffentlichen Plätzen spielen, eine Grenzpatrouille, ein Jugendlicher mit Slayer-T-Shirt, der, so stellt es sich in der nächsten Einstellung heraus, in der Tat als Metzger arbeitet (ein seltsamer, aber sympathischer Humor schimmert gelegentlich durch die Bilder).

Man hätte den Informationsgehalt sicher auch als Texteinblendungen realisieren können, doch widerspräche dies der Logik des Films, die sich ganz vom Bildeindruck, von der Seh- und Schauerfahrung her denkt; nicht zuletzt ist Arslan die unbedingte Instanz dieses sehr subjektiven Films, der seinen distanzierten Titel nicht umsonst trägt: 20 Jahre ist Arslan, der als Halbtürke zwar in Deutschland geboren, aber in Ankara aufgewachsen ist, nicht mehr in der Türkei gewesen. Aus lapidarem Grund, wie er im Gespräch nach dem Film erläutert: Er hätte bis vor kurzem dort noch zum Militärdienst verpflichtet werden dürfen. Der Blick also ist in Aus der Ferne in der Tat einer, der Nähe nicht sucht, sie aber auch nicht verneint. Seine eigenen Bilder aus der Kindheit habe er, so Arslan, nicht wiederfinden können; immer spricht das Bild auch von dem, der ihn wirft, von Arslan und seiner Kamera und damit auch von uns, deren Blick streng durch diese Instanz strukturiert wird.

Die Türkei im Bild ist immer schon vorcodiert; der Panoramablick auf Istanbul etwa, wie man ihn aus Fatih Akins Gegen die Wand kennt und mit dem Arslan seinen Film auch in der Tat beginnen lässt, eine Moschee, die weiße Mondsichel auf rotem Grund, für den östlichen Teil des Landes gibt es den Hirten als rustikales Symbol. Doch die Türkei - und hier ist Arslans Film im Rahmen einer Berlinale, die so verzweifelt dem Politischen hinterher hechelt, dabei aber fast ausschließlich gefällige Folklore zeitigt, die es dem privilegierten Festivalpublikum ermöglicht, von der eigenen Moralität überzeugt beruhigt nach Hause zu gehen, in diesem Zusammenhang also ist Arslans Film im besten Sinne politisch, da das Politische nicht als aussagekräftiger Gegenstand, sondern als Aspekt einer filmästhetischen Erfahrung gedacht wird - die Türkei also ist mehr als diese Handvoll Bilder, ist in sich so komplex wie jede andere Kultur und Gesellschaft: Arslan lässt uns dem nachspüren, in Form eines essayartigen Reiseberichts, der einem gerade eben (und gottlob) nicht Land und Leute nahebringen will, sondern der beobachtet, Bildvorstellungen aufsprengt und einen permanenten Reflexionsprozess in Gang setzt. Arslans Film mag schlicht sein, sicher minimal, doch in jedem Moment bleibt er im höchsten Maße spannend und beeindruckend.

Wie sehr Arslan vom Bild und dessen Status seiner Filmizität ausgeht, zeigt sich in dessen Strukturierung und Komposition. Nie sind das zufällige Bilder, die sich kommentarlos aneinanderreihen, nie steht die Kamera einfach nur da und fängt ein und zeigt uns unbekümmert das Resultat. Immer ist da ästhetischer Mehrwert, der sich aus der Position der Kamera ergibt, kaum ein Bild, das nicht komponiert (aber eben auch nicht überästhetisiert oder gar stilisiert) wirkt, fast immer geschieht etwas im Bild, was die Einstellungsdauer bestimmt: Sei es ein Hund, der plötzlich in den Bildkader tritt und die Einstellung mit seinem Verlassen daraus beendet, ein Stück Stoff, das abschließend vom Wind ins Bild geweht wird und zum Liegen kommt, das der Montage den nächsten Schnitt diktiert. Anhand solcher oft überraschenden, wenn nicht verblüffenden Details, die plötzlich Bewegung ins Bild bringen und es bestimmen, unterstreicht Arslan zum einen die Gemachtheit des Films, zum anderen schreibt er sich selbst subtil in das ästhetische Ergebnis ein: Wir spüren, dass das Bild nicht für sich spricht und Repräsentationskraft atmet, man bemerkt, dass die Einstellungen weit, wenn nicht wesentlich länger gedauert haben mögen, dass aber der Ausschnitt daraus, den wir schließlich sehen, gezielt und mit Bedacht ausgewählt wurde. Es soll hier keine neuen Symbolbilder geben.

weitere Informationen ~ peripher film



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Donnerstag, 16. Februar 2006
... und dann, als ich gerade vor den Toren der Arkaden am Potsdamer Platz fast food verspeise, fragt mich diese junge Frau mit einem Fingerzeig in Richtung Arkaden, ob das denn der Berlinale-Palast sei. Ich bin so verdutzt, dass ich mich verschlucke und hustend nur noch "Nää!" rauskriege, ein bisschen muss ich dabei auch lachen.

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Surreales gab's vor der Vorführung am Nachmittag. Als ich mich setze, bemerke ich, dass mein Sitznachbar schon schläft. Schlafende im Kino sind ja nun keine Seltenheit auf einem Festival, aber schon bevor der Film überhaupt angefangen hat? Der andere Platz neben mir ist hingegen von einer Tasche samt Mantel besetzt; plötzlich stürzt deren Besitzer durch die Reihe, entschuldigend mit den Händen wedelnd, greift sein Zeug und murmelt irgendwas von "Ist mir ja noch nie passiert, falsches Kino, die haben mich einfach reingelassen, ich muss doch wo ganz woanders hin!", nicht wenige lachen über diesen Quatsch. Dann kommt die Ansage, dass der Film nun anfange, viel Spaß und so, was den Schlafenden neben mir jäh aus seinen Träumen reißt. Doch der Film beginnt nicht, der Vorhang bewegt sich nur gerade so weit auf, dass man lediglich ein bisschen Leinwand sieht, aber so grotesk gecacht kann der folgende Film nun wirklich nicht sein. So bleibt das eine Weile, bis irgendein Techniker hinter den Vorhängen an der Seite verschwindet; derweil fällt vorne links irgendein Schild um, dass da stand. Schließlich geht das Licht aus, und geht wieder an. Der Vorhang noch immer so wie zuvor. Dann geht hinter der Leinwand eine Neonröhre an, was ziemlich Scheiße aussieht; aber immerhin tut sich der Vorhang auf, während der Kinoangestellte sich offenbar im Nebenvorhang verfangen hat. Nun, einige Minuten nach der Ansage, kann de Film endlich beginnen.

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Es gilt eine Unsitte bei den Pressevorführungen zu schelten, die der unlauteren Platzreservierung nämlich. Für diese lässt man einfach seine Jacke auf einem günstigen Platz liegen, verlässt den Saal und wartet draußen, bis es wieder reingeht. Welches Anrecht über die einzelnen Vorführungen hinaus da gewähnt wird, ist mir schleierhaft. Anderen, beherzten Menschen offenbar auch, weshalb sich solche Reservisten nun anscheinend zu anderen Methoden gezwungen sehen: Eine Jacke lässt sich schließlich leichter Hand entfernen, um einen Platz nonchalant einzunehmen; weit mehr Skrupel bestehen allerdings, wurde vom Platzgeierer statt eines unproblematischen Kleidungsstücks seine offenkundig weidlich benutzte Rotzfahne auf dem Kinosessel hinterlassen. So vorgestern beobachtet, niedriger geht's nun wirklich nicht mehr.

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Ich gehe in den Raum, wo die Pressekonferenzen stattfinden, suche mir einen Platz mit guter Sicht und blicke nach vorne; just in diesem Moment greift Isabelle Huppert, während Chabrol Französisches, das ich nicht verstehe, von sich gibt und dabei ganz krötenhaft wirkt, zur Mineralwasserflasche und füllt deren Inhalt in ein Glas. Dies in wenigen Sekunden, mit einer Perfektion und Eleganz eines Bewegungsablaufs, der reine Magie darüber legt; dazu hat sie ihr Kinn leicht nach vorne geschoben, der Mund ist eine dünne Linie, die sich an den Enden zu einem geheimnisvollen Irgendwas zwischen Lächeln und kühler Abschätzung kräuselt, Augen halb geschlossen, der Blick ist ganz auf ihre Hände gerichtet. Ich bin glücklich, weil ich alles gesehen habe, was ich sehen wollte, und verlasse den Raum umgehend wieder, nicht ohne einen letzten Blick auf sie zu werfen, diese foxy lady.

(den dazu passenden Film habe ich leider nicht gesehen, sehr wohl aber Ekkehard und der zeigt sich nicht eben unangetan)


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Ein neues New Yorker Filmblog, Hinweis via greencine daily.


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Hübsche Impressionen nicht so sehr von den Festivalfilmen, sondern von dem allgemeinen Festivalgeschehen, dem allgemeinen Wahnsinn, dem der Potsdamer Platz im Februar immer für 10 Tage verfällt - Realität? Vergiss es! -, bietet das Blog von epd Film. Vieles von dem, was da steht, ist sehr wahr.

Darauf aufmerkam gemacht wurde ich durch eine Mail von deren Seite, ich hoffe in aller Öffentlichkeit, nun auch mit einer Gegenverlinkung rechnen zu dürfen. ;-)


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Der erste leichte Hangover macht sich bemerkbar; nicht so sehr, was das allgemeine Feeling betrifft - selten war ich bei einer Berlinale mit Akkreditierung zu diesem Zeitpunkt noch derart fit und filme-launig -, eher was die Schreibmotivation angeht. Wird mir hoffentlich nachgesehen, dass ich vorerst nur einige Notizen anbringe, womöglich in einer ruhigeren Minute zu den einzelnen Filmen noch etwas mehr:

Retrospektive: Monate und Jahre in Freuden und Schmerz (Keisuke Kinoshita, Japan 1957)
Für mich bislang der schönste und beste Film der diesjährigen Berlinale; und wie in fast allen Jahren zuvor war mein Liebling in der Retrospektive (die ich in diesem Jahr allerdings eher mäßig zusammengestellt finde) zu sehen. Er ist ein shomingeki, das heißt, grob gesagt, ein japanischer "Alltagsfilm". Geschildert werden Szenen und Episoden aus dem Leben eines Leuchturmwärter-Ehepärchens. Der Film dauert fast drei Stunden, aber in keinem Moment habe ich auch nur die Ahnung von Langeweile spüren können; im Gegenteil, ich habe diesen entspannten Urlaub vom ansonsten so hektischen Festivalbetrieb jede Sekunde genossen.
Der Film umspannt rund 30 Jahre, Kinder werden geboren und wachsen auf, es gibt sehr schöne und manche traurigen Momente. Der Krieg zeichnet diese beiden, später wird der Sohn in Tokio abgestochen. Beide Eheleute tragen einander und am Ende ergibt sich eine Kreisstruktur, die im stoisch im Bild rollenden Leuchturm-Licht aus dem Vorspann bereits angedeutet wurde. Ein wenig ändern sich die Dinge, die Menschen, ihr Verhalten, ihre Körperhaltung. Am Ende war es die Mühe wert gewesen, wenn nächtens ein Schiff - auf dem sich die Tochter befindet, die gerade nach Frankreich fährt, wo sie ihre Ehe leben wird - und an der Küste ein Leuchtturm - darauf die beiden Eltern mit Fernglas - sich gegenseitig mit dem Nebelhorn alles Gute wünschen: "Utosa - okasa - domo arigato!", flüstert die junge Frau an der Reling, eine Träne fließt über die Wange. Die Aufrichtigkeit des kleinen Wortes.
Eine flüchtige Melancholie durchzieht den Film, er ist so sanft und klar und einfach und so nichts weiter meinend wie ein Haiku.

Das Filmmuseum Berlin hat ein Filmblatt zu diesem Sektionsbeitrag erstellt, das man sich hier downloaden kann (ganz runterscrollen).


Forum: Before Born (Zhang Ming, China 2005)
Huang Guangliang sucht einen Mann namens Li Chonggao und begeg­net dabei Yu Ran, die ebenfalls nach ihm forscht. Sie begeben sich gemeinsam auf die Erkundungsreise, auf der Huang entdeckt, dass sie ein Geheimnis verbirgt. (Quelle: Forum)

Keineswegs ein herausragender Film, aber er hat seine Momente. Gesprochen wird fast nichts, alles nähere verschwindet in der Lakonie, oft genug zwischen zwei Einstellungen. Manchmal ist da ein seltsamer Humor, der sich nicht recht zu erkennen gibt, dann wieder gibt es einfach nur schön karge Bilder vom grauen Strand, dem jede Sommerlichkeit abhanden gekommen ist. Ich bin mir nicht sicher, wirklich viel verstanden zu haben, es scheint aber eine kleine Ellipsenstruktur zu geben. Es ist ein Film, bei dem zuschauen kann, was Leute tun, wenn sie nicht so recht wissen, was sie tun sollen. Davon mag man halten, was man will - begeistert war ich nicht, aber auf eigentümliche Art angetan. Alleine etwas deplatziert wirkt der Aufschwung zur orchestralen, tragische Bedeutung markierenden Musik, in manchen Einstellungen ungeheuer niedlich: Die Hauptdarstellerin.

Forum: The Last Communist (Amir Muhammad, Malaysia 2006)
"The Last Communist" ist ein hybrider Dokumentarfilm: er verbindet Fakten und Fiktion, und vor allem mischt er Zeugenaussagen und Gesang. Chin Peng, die Hauptfigur, wurde 1924 geboren und ist der letz­te Vorsitzende der verbotenen Kommunistischen Partei Malayas (CPM). Obwohl er wiederholt angeboten hat, sich dem Gericht zu stellen, gestattet ihm die malaiische Regierung nicht, aus dem thailändischen Exil nach Malaysia zurückzukehren. Vor dem Hintergrund der konfliktreichen Geschichte untersucht Amir Muhammad, inwieweit sich das Land seit Chin Pengs Jugend entwickelt hat. Gemeinsam mit seinem Kameramann reist er in die Städte, in denen Chin Peng früher gelebt hat. Die meisten von ihnen sind noch genauso unterentwickelt, obwohl sie am Rand moderner Autobahnen liegen. Hier führt Muhammad Interviews mit unterschiedlichsten Menschen über die vielgestaltige Realität des heutigen Malaysia. Er begibt sich aber auch nach Thailand, um mit Exil-Kommunisten über ihre Ansichten zu sprechen. (Quelle: Forum)

Es ist manchmal ungeheuer spannend, manchmal ungeheuer befreiend, wie Amir Muhammad es angeht, eine Doku - eigentlich eher einen Essay - über eine historische Episode, eine historische Persönlichkeit zu inszenieren, ohne dabei ins Archiv zu gehen und seinen Film mit Naheliegendem zu illustrieren. Es gibt kein "altes Material" (Fotos, Film, etc.), der Portraitierte selbst, Chin Peng, taucht zu keinem Moment auf; verblüfft ist man, wenn man aus dem letzten Schriftinsert erfährt, dass Chin Peng noch immer lebt, wo man dann doch die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass die historische Welt, die die zahlreichen Texteinblendungen evozieren, mit jener zeitgenössischen, die im Bild repräsentiert wird, so gar kein Verbindungsstück mehr aufweist. Dennoch, Amir Muhammad beschäftigt sich auch im heute mit kommunistischen Reizthemen: Er schildert den Alltag der Lohnarbeit, besucht Fabriken, Straßenarbeiter, lässt alte Kombattanten zu Wort kommen, die in ihrer Alterstattrigkeit so weit weg vom Bild der Dschungelguerilla sind, dass man es mit der Angst zu tun kriegt, wenn man hört, was sie früher alles getan haben wollen.
Geschichte wird bei Amir Muhammad nicht zum Simulakrum, zum Bildarchiv, gar nicht erst suggeriert wird, dass ein audiovisuelles Bild eine Historie as is zu fassen kriegen könnte; dennoch steht sie nicht verbindungslos neben den Oberflächen des Heute und Jetzt. Darin ist der Film ein kluger, mutiger und wichtiger Beitrag. Und der footage-Fetischist Guido Knopp erscheint nur einmal mehr als der unfassbar dumme Esel, der er ist.



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Mittwoch, 15. Februar 2006
Sabus bisheriges Werk ist vielleicht wie kein zweites eines der Bewegung und der Struktur, in die diese eingebettet ist; eine besondere Rolle kommt dabei den Mechanismen haarsträubender Zufälle zu, die ein Zahnrad bilden, aus dem heraus sich Bewegung herleitet, die gleichzeitig aber auch wieder den weiteren Verlauf der Mechanismen bedingt. Sabus Filme gleichen Anordnungen von Hamsterrädern, in ihnen wird gerannt, Fahrrad gefahren, vorangeschritten, Auto gefahren und durch's Leben gestolpert.

Sein neuer Film ist anders, nicht zuletzt weil die off-beat Komik seiner bisherigen Filme weitgehend fehlt, aber auch das zentrale Motiv der Bewegung eine höchst untergeordnete Rolle spielt; es ist vielleicht bezeichnend, dass in ihm ein Mädchen namens Eri zwar für ihr Leben gerne rennt (weil sie, wie wir später erfahren, einstmals um ihr Leben rannte) und schließlich - hier haben wir wieder Sabu, wie wir ihn kennen - von einem Steinschlag - die Ladung eines vorbeifahrenden LKWs kippt zur Seite über - halb erschlagen wird. Fortan geht sie an Krücken, Reduzierung von Bewegung also, wenn auch nicht ihre Verneinung. Mithin die schönsten Momente sind es also in diesem von merkwürdiger, da bei Sabu normalerweise nicht stattfindender Wehmut getragenen Film, wenn die Hauptfigur des Films - Shuji, ein Junge, der das Leben sucht - Eri, die den Tod sucht, zur Seite steht, sie trägt und beide schreiend, für einen Moment lang, zusammen rennen. In diesen Szenen - es gibt einige mehr davon - ist der Film ganz bei sich und atmet die aufrichtige Schönheit von Menschen, die behutsam aufeinander acht geben.

Ein klein wenig erinnert Shisso an die Filme von Shunji Iwai. Schon das erste, von sanfter Klaviermusik unterlegte Bild - eine seltsam hin und her kippende Handkameraansicht auf eine karge Landschaft, gefilmt von einem Kran aus -, schließt wenn auch nicht farbästhetisch, so doch motivisch eher an All About Lily Chou-Chou als an Sabus eigenen Filme an. Das letzte Bild wird das erste wiederholen, allerding mit Wissen um die Perspektive angereichert: Es könnte, so ahnen wir, ein Engel sein, der hier blickt.

Eine Melancholie, die den ganzen Film durchzieht, auch wenn es später kurzzeitig um Mord und Totschlag geht. Shuji wächst im Hinterland auf, ist an der Schule wenig geachtet, sein älterer Bruder wird später gar zum Brandstifter. In jüngsten Jahren, davon handeln die ersten Minuten, wurde er von einem ähnlich Verrückten mit dem Auto mitgenommen, gespielt wird er von Susumu Terajima, den man in den 90er Jahren in nahezu jedem zweiten japanischen Film sah und nun, was einem erst jetzt schmerzlich auffällt, fast kaum mehr; es tut gut, ihn, fast wie einen alten Bekannten, wieder zu sehen. Diese Fahrt wird bald zum ausgewachsenen Höllenritt, der Spuren bei dem kleinen Jungen hinterlässt; zwar wird die hier gewonnene Rasanz an keiner weiteren Stelle im Film wiederholt, doch bleibt sie als Referenz und Motiv - der Ausbruch als Selbstläufer, da er keine Grenzen hat und sich selbst ins Nichts verrennt - im Hintergrund erhalten.

Sabus Film hat viele Stellen, die man ohne weiteres lieben kann; denen stehen viele gegenüber, die sich nicht recht einsortieren lassen. Nicht, weil sie durch ihre Sperrigkeit herausstechen, oder den bewussten Bruch suchen - der Film ist unzweifelhaft in sich schlüssig und ändert die Tonlage so gut wie nie. Man kommt nur nicht so recht an sie heran. Vorgeworfen werden soll das Sabus Film freilich nicht; er ist gewiss kein leichter Film, und schon gar nicht leicht zu goutieren. In seinem Werk sticht er heraus und wirkt wie ein geschaffener Freiraum zum Atmen. Deshalb ist der Film als Geste innerhalb eines Werkes sicher wichtig; welchen Status er darüber hinaus in diesem entwickeln wird, das wird die Zukunft weisen.

imdb ~ weitere Informationen ~ Jump Cut ~ taz



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Dienstag, 14. Februar 2006
Zu den schönsten Privilegien des Akkreditiert-Seins zählt sicherlich der Zugang zu den Pressekonferenzen. Nicht, dass dort jemals anderes als höchst Erwartbares geredet würde; ein abgekartetes Spiel, dieselben Fragen und Antworten in jeder Runde, man könnte sich das von vorneherein schenken. Und da ich auch glücklicherweise keinen boulevardträchtigen Bonmots hinterher hechten muss, gehe ich auch meistens nicht hin.

Nur eben, wenn es sich lohnt. Heute zum Beispiel Natalie Portman, die ich mir gerne eine knappe Stunde lang in naturam angesehen habe, keine zehn Meter von ihr weg. Sie ist bezaubernd, und in echt noch hübscher als in jedem Film. Und sie ist in der Tat wohl die einzige unter denen, die da alle auf der Bühne hocken dürfen, in deren Antworten man eine kluge Person durchschimmern hört.

Zweimal haben sich unsere Blicke getroffen, einmal sogar für einen Moment länger.


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Als im Sommer 2004 die Comedy-Sendung von Dave Chappelle verlängert und seine Gage offenbar deutlich erhöht wurde, war dies dem Comedian mit Fachgebiet "racial stereotypes" eine Party in einer Brooklyner community wert. Einzige Bedingungen: Die Acts sollten großartig, die Location bis zuletzt geheim, der Eintritt frei und das Event unbeworben sein. Und Michel Gondry sollte Vorbereitungen und Konzert selbst filmen. Das Ergebnis ist Michel Gondrys zweiter Film auf dem diesjährigen Festival und nichts anderes als großartig; zumindest aber herzerwärmend.

Anfangs zieht es Chappelle in seine alte Heimat, Ohio. Dort vergibt er leutselig Freikarten für das Event, organisiert einen Bustransfer nach Brooklyn und engagiert obendrein das lokale College-Orchester, das sein Glück gar nicht fassen kann. Man spürt, wie wichtig in den USA der community-Gedanke ist, wie sich hinter der von seiten Europas oft gescholtenen Oberflächlichkeit der Leute eine ganz eigene Form von Solidarität und Miteinander vebirgt, die dem anderen - auch der weißen Großmutter auf der Straße, die dann tatsächlich sogar mitfährt nach Brooklyn und begeistert ist, wenn die bezaubernde Erykah Badu am Ende ihres Gigs den Stagedive ins Bad der Masse wagt - immer schon zuerst auf Augenhöhe begegnet.

Wunderbar ist das Konzert, von Gondry genial eingefangen. Wir springen zwischen den letzten Proben und Vorbereitungen immer mitten hinein in das letztendliche Geschehen, das Publikum geht ab und die Stimmung ist großartig. Es macht Spaß, oft nur ein paar Lieder hintereinander weg zu sehen, die Atmosphäre dieses Miteinanders aufzusaugen; und man spürt oft genug den Unterschied zu vergleichbaren Veranstaltungen etwa in Deutschland. Smooth und relaxed im Gegensatz zu verklemmt und gezwungen (und oft genug latent unangenehm).

Ein wenig wird begreifbar, warum die USA noch immer ein Land der Utopiemöglichkeiten ist, warum New York noch immer einer der schönsten Flecken auf dieser Erde ist. Wer dort gewesen ist, dort mit Leuten auf der Straße gesprochen hat, und nun diesen Film sieht, wird wissen, was ich meine.

Zugegeben, allzu viel mehr hat der Film nicht zu bieten; eben Menschen, die schön sind und schön werden, weil sie schönes tun; und glücklich sind. Entspanntes Mitgrins- und Mitwipp-Kino, wundervoll.

imdb ~ weitere Informationen ~ filmz.de ~ trailer



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Alan Moores und David Lloyds in den frühen 80er Jahren entstandener Comic V for Vendetta ist eine voller Zorn und mit allem Pessimismus geschriebene Attacke gegen den Thatcherismus, eine Anklage der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen und eine Liebeserklärung an die Kunst, in E- und U-Ausfertigung gleichermaßen. Auch wenn nicht jedes Detail recht stimmig, manches vielleicht auch platt geraten ist, zählt er sicher zu den herausragendsten Dystopie- und Anarcho-Comics und genießt deshalb, wie überhaupt Moores Gesamtwerk, vollkommen zurecht seinen Ruf als "heilige Kuh". Sein Faszinosum entspringt dabei nicht so sehr der strikten Gegenüberstellung eines in Guy-Fawkes-Maske auftretenden, mit viel Sprengstoff und einem fast enzyklopädischen Kunst- und Literaturwissen ausgestatteten Vigilanten und Einzelkämpfers mit einem faschistischen Regime, sondern vor allem aus dem minutiös sich entfaltenden Masterplan, mit dem "V", so das Kürzel des Rächers mit beschädigter Seele, eben diesen technokratischen Machtapparat zu Fall bringt.

Keine gute Idee für eine Filmadaption des Stoffes ist es deshalb, nun gerade das hochkomplexe Verweissystem, das "V"s Agieren zugrunde liegt, weitgehend über Bord zu werfen; dann und wann ein keck aufgesagtes Shakespeare-Bonmot und ein Videoabend mit der jungen Evey, die er anfangs vor den Häschern des Regimes rettet und die - im Film weniger als im Comic - die Verbündete an seiner Seite im Kampf wird, müssen reichen. "V"s Schattengalerie, eine unterirdische Gruft wie aus dem Phantom der Oper, in der sich unzählige Schätze der Kunst und Literatur, der Malerei und des Films tummeln, wird zum bloß optisch reizvollen Gimmick; den Status jener faszinierenden Zeitkapsel, die sie im Comic darstellt, dieses mit wehmütiger Nostalgie gepflegten Archivs der Menschheitsgeschichte, das "V" die entscheidenden Manöver im Kampf gegen die Welt der Aktenordner und Menschenmörder diktiert, erreicht die zwar liebevoll eingerichtete Lokalität in keinem Moment.

Gewiss, die Rezeptionssituationen von Comic und Film sind grundlegend andere; ein Comic - zumal ein derart komplexer und umfangreicher - lädt zum Nachschlagen in anderen Büchern ein, zum Zurückblättern und kann sich obendrein zeitlich unabhängig entfalten; es ist deshalb nachzusehen, dass der Film zum einen mehr erklären, zum anderen schlanker gestaltet werden muss. Man spürt, dass der Film das weiß, man spürt, dass der Film es doch eigentlich richtig machen will, er zeigt sich zumindest um den richtigen Tonfall bemüht und auch die Ästhetik ist weitgehend stimmig (von der eklatantesten Differenz - der Comic ist schwarzweiß, der Film hingegen farbig - mal abgesehen). Doch den Film lediglich auf die Spielhandlung des Comics - einer gegen das Imperium - zu reduzieren, erweist sich als großer Fehler; jeder Schachzug "V"s, jedes Resultat daraus gerinnt zur bloßen Behauptung, erfährt aber nie glaubhafte Verankerung im Lauf der Dinge. Der Film V for Vendetta zeigt lediglich Ergebnisse, wo doch deren Zustandekommen interessant und überhaupt zur Erläuterung vonnöten wäre; so stehen die einzelnen Glieder des Masterplans nun seltsam erratisch nebeneinander, warum es am Ende zum Massenaufstand kommt, wird zu keinem Moment plausibel.

Wenig elegant sind auch die zahlreichen Einsprengsel, die den Film mit dem Hier und Jetzt verbinden sollen. Natürlich gibt's ein wenig Islam-Kolorit, irgendwie steht alles mit dem "Krieg, den die USA begonnen hat" in Verbindung (der Film spielt in de 2020er Jahren, der Comic war in den späten 1990ern situiert). Alles atmet Aktualitätsbezug, nichts ist durchdacht - reinste Exploitation. Ein bisschen billiges Revolutionspathos und den einen oder anderen augenzwinkernden Kommentar - "Manchmal reicht es, ein Gebäude zu zerstören, um die Geschichte zu ändern!", sagt "V" an einer Stelle - gibt es als Zuckerpulver obendrauf; gerade genug, um sich für das Emblem "Der Film ist als Diskussionsgrundlage geeignet" zu qualifizieren, die verzweifelt sich als politisch zu gerieren trachtende Berlinale dürfte es überdies freuen.

Man geht nicht enttäuscht aus dem Film, dafür lässt er einen viel zu kalt; man winkt nur ab und es ist egal.

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Was ich gestern noch schreiben wollte: Ich werde verfolgt. Von keinem geringeren als Rezzo Schlauch. Ich meide von nun an dunkle Gassen, wer weiß, zu was der fähig ist.


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Sonntag, 12. Februar 2006
Sechs Schönheiten amüsieren sich zu Beginn dieses kleinen, leicht schrägen, aber charmanten Films über die Bilder, die ein angesehener Maler von ihnen angefertigt hat. Der sucht in seiner Kränkung den Freitod. Ein Jahr später werden die sechs Hübschen eine nach der anderen um die Ecke gebracht; der Meisterdetektiv Dandy Sashichi, gespielt von dem jungen Tomisaburo Wakayama, der in den Kozure Okami-Filmen den Ogami Itto gab, wird auf den Fall angesetzt und kommt zu verblüffenden Ergebnissen. Der Film endet auf einem Piratenboot!

Kein Whodunnit, dieser Film; mitraten - keine Chance! Viel Geheimniskrämerei gibt es zu sehen, bis Sashichi die Lösung präsentiert, auf die zu kommen durch die vom Film gegebenen Informationen nicht möglich ist. Dafür beschließt die Überfühung des intriganten Schuldigen auch nicht den Film, sondern bildet erst den Autakt für ein kleine, letzte Schnitzel- und Verfolgungsjagd, bei deren charmant naiv inszenierten Scharmützel auch gerne mal gelacht werden darf.

Dandy Sashichi denkt sich ganz vom Bild her; sehr zu seinem Vorteil, denn die fadenscheinig konstruierte und vermittelte Story ergäbe lange keinen guten Film. Immer ist da diese kleine Finesse zu spüren, durch die auch die anderen Nakagawa-Filme - fünf, diesen hier miteinbezogen, habe ich bislang gesehen - bestechen. Sei es eine zwar unaufgeregte, aber doch einnehmend hübsche Bildkomposition, eine elegante Erweiterung des Raumes durch eine sachte Bewegung der Kamera oder aber die für Nakagawa wohl als beinahe auktoriales Stilmittel anzusehende Ansicht einer Szenerie von einer leichten Kranhöhe hinab: Diese isometrische Perspektive, die auch in anderen Filmen auftaucht, erzeugt eine eigentümliche Tiefe des Bildes, die gezielt genutzt wird, etwa um einen aus dem Bildhintergrund Herannahenden in der Tat eine Strecke im Bild zurücklegen zu lassen (was mithin auch die Zeit dehnt). Ferner sind auch hier wieder auffallend häufig ganze Personengruppen in voller Körpergröße im aus Distanz gefilmten Bild zu sehen.

Besonders schön sind die Morde gefilmt, bzw. gerade die eben nicht. Wie auch bei Lynch aus dem Jahr 1949 findet das eigentliche einer Aktionshandlung zwischen zwei Einstellungen statt und verschwindet in der Montage. Jede Mordsequenz aber ist eine kleine, hübsche, mit Bedacht gefilmte Eleganz. Das Großartige wird nicht gesucht, auch das Spektakuläre kommt nicht so richtig zu seinem Recht - eine Szene etwa, in der Sashichi im Alleingang rund 20 Ninjas in Schach hält, wird in einer einzigen, wenig dynamischen Einstellung gefilmt; als wäre es ohnehin zu heikel, in solch einem Kuddelmuddel noch bildoptische Eleganz zu erzielen. Dafür sind die ruhigen Sequenz oft genug von einem Liebreiz des Flüchtigen, der einen jegliche Story-Stolperei vergessen lässt.

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Auf einem mit Leichen übersäten Schlachtfeld wäscht ein Mädchen die Toten. Sie wird von einem älteren Jungen gefangen genommen, der sie für ein paar Brocken Essen zu seiner Sklavin machen möchte. Das Mädchen tut so, als ob sie damit einverstanden ist, rennt jedoch bei der nächsten Gelegenheit weg. Auf ihrer Flucht begegnet sie einer wunderschönen Zauberin. „Möchtest du eine Prinzessin werden, der die Männer einmal zu Füßen liegen werden?“, fragt sie. „Doch der Preis ist hoch, du wirst niemals eine glückliche Liebe erfahren.“ Trotzdem willigt das Mädchen in den Handel ein.

Jahre vergehen. Auf einem Schlachtfeld bereitet sich ein General auf die Entscheidungsschlacht vor und zieht seinen prächtigen Brustpanzer an. Der Gegner ist übermächtig. Erst die Geschicklichkeit eines jungen Sklaven sichert den verloren geglaubten Sieg. Noch in derselben Nacht wird der General zurück zu seinem König befohlen, dessen Palast von Feinden belagert ist. Der treue Sklave ist der einzige, der ihn auf dem Rückweg beglei-ten soll. Doch schon bald werden die Männer getrennt. In der Nacht erscheint dem General die schöne Zauberin. Sie warnt ihn davor, in die Stadt zurückzukehren, und weissagt, dass ein Mann in der Rüstung des Generals seinen König töten wird. Kurz darauf wird der Feldherr angefallen und schwer verletzt. Der Sklave findet ihn und verspricht, sich in der Rüstung seines Herrn in die belagerte Stadt durchzuschlagen. Dort hat der König gerade dem Anführer der Belagerer die Prinzessin als Preis für die Freiheit angeboten...
(Quelle: Berlinale)

Es ist mir zu dumm, die ohnehin unnötig wirre Handlung des Films in eigener Leistung zu paraphrasieren, man verzeihe mir also die Zitation; wie überhaupt viele Worte über diesen Film zu verlieren eigentlich schon zuviel der Mühe ist. Chen Kaige, sonst eher in der Filmkunst zuhause, treibt es, der nächste Zhang Yimou zu werden; nur will dieser selbst zur Zeit von bunten Flatterfilmen mit viel Liebestragik vor archaisch-pittoresker Kulisse nichts wissen und kehrt gerade gerade wieder zu seinen Wurzeln, den kleinen Programmkinofilmen, zurück. Was sollte auch nach dem den Bogen oftmals schon überspannt habenden House of Flying Daggers noch kommen? Chen Kaige, unberechtigt unerschrocken, präsentiert Wu Ji als Antwort.

Und der ist vor allem eine bodenlose Lächerlichkeit. Doch keine jener Sorte, bei der man sich als insgeheim verbündet mit dem Film ansehen darf. In einer der ersten Sequenzen - die eine ziemlich hirnrissige Actionszene quer durch ein Canyon-System zeigt - mag man noch auf Qualitäten einer Persiflage spekulieren können, auf einen wilden Nonsens, bei dem jeder Umschnitt die Verheißung von vollkommen Unerwartetem, im besten Sinne Verrücktem mit sich bringt. Doch solche Hoffnung wird zu keinem Zeitpunkt erfüllt, Wu Ji nimmt sich toternst und landet damit, sehr zum Nachteil des Publikums, nach Strich und Faden auf der Schnauze.

Kein Schnickschnack wird ausgelassen, kein Schmarren ist ihm zu peinlich. Zwischen dümmlicher Hauruck-Burleske und überspanntem Kitschbild, das sich selbst nie als solches zu begreifen und sich dazu zu verhalten gedenkt, zerfällt dieser Streifen in seine Einzelteile, ohne dass man als Zuschauer auch nur irgendwas davon hätte. Hinzu kommt, dass der Film in CGI badet, die einfach nicht ausgereift sind und deshalb mit den für sich belassenen Sequenzen in keinem Moment die Illusion eines nahtlosen Filmraums ergeben, in dessen Koordinaten Schwerkraft und Physik außer Kraft gesetzt werden könnten. Das Staunen über die Artistik, dass man als Effekt solchen over the top-Filmen aus Fernost ansonsten gern zugute hält, findet hier beim Übergang von Filmkamera zu Computerpixel seine strikte Grenze. Jene Physis, für die man das Kampfkunst-Kino aus Asien einst zu schätzten gelernt hat, findet nicht statt.

Alles in diesem Film ist Kalkül, nichts an den zuckerbunten Bildern stimmt. Jeder Aufwand, jedes Kunststückchen mit der Kamera - und von denen gibt es viele, hopplahopp, über den Baum gehüpft und nun Rolle rückwärts wieder zurück -, alles also, mit dem man regelrecht zugeschissen wird, geschieht nicht aus Lust am Schönen, sondern aus dem Bedürfnis heraus, eine zweifelhafte Erwartungspflicht zu erfüllen. Der Film ist so aufgeregt in dem was er tut, so übereifrig, dass er sich förmlich überschlägt und es dabei doch genausogut sein lassen könnte, so groß ist die vollendete Wurschtigkeit, die diesen Entwurf vom Kino durchzieht.

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Samstag, 11. Februar 2006
Mit Eternal Sunshine of the Spotless Mind drehte Gondry vor gar nicht langer Zeit nach einem Drehbuch von Charlie Kaufman den vielleicht schönsten Liebesfilm des US-Indiekinos der letzten Jahre (neben, versteht sich, Punch-Drunk Love und Lost in Translation). Sein einer neuer Film - parallel läuft im Panorama der Berlinale sein anderer neuer Film, eine Dokumentation - ist ebenfalls eine Liebesgeschichte, diesmal allerdings selbst geskriptet und sie spielt ganz in Frankreich, wo der Film auch produziert wurde. Beides mag von Vorteil gewesen sein, denn Gondry - der schon in den 80er Jahren für seine eigene Band kleine Musikvideos bastelte - ist vor allem am abwegigen Einfall, an der absurden Idee, am kreativen Umgang mit dem Material und einer generellen Unfertigkeit interessiert - Elemente, die einem das französische Kino vielleicht noch eher verzeiht als das, bei aller gern gesehenen Verspultheit der Ausfertigung, doch auf Transparenz und innere Schlüssigkeit pochende us-amerikanische Indiekino.

Entsprechend herrlich fällt The Science of Sleep auch auseinander, von Anfang an. Es geht um eine Liebesgeschichte auf einem Stockwerk eines Wohnhauses, Gael Garcia Bernal gibt den in Mexico aufgewachsenen Halbfranzosen Stéphane mit Künstlerseele, der Realität, Traum und Wunschdenken nicht recht auseinanderhalten kann, in die Wohnung nebenan zieht die von Charlotte Gainsbourg gespielte Stéphanie, die eine ähnliche Vorliebe für hübsche, obskure Gegenstände, Basteleien am groben Material und wattiger Kleinkunst wie ihr Nachbar hat. Makel allein: Sie ist nicht recht an einer Partnerschaft interessiert, "why me?", wird sie ihn später vorwurfsvoll anblaffen, nachdem er es in seinem naiv-euphorischen Kleinkunst-Überschwang so ziemlich verbockt hat, "because all others are boring and you are different", wird er antworten - wer könnte es ihm verdenken (und wem ginge es beim schwärmerischen Sich-Verlieben jemals anders?)?

Wobei nicht wirklich ganz klar wird, was alles zwischen den beiden läuft und lief. In die Konstruktion einer objektiven Erzählwelt, glaubhaft versichert durch die schwenkende Handkamera, bricht immer wieder das Abstruse, der verspielte Wahnsinn Gondrys ein, der hier, nach dem digital gestützten Sunshine-Film, wieder ganz an die Do-it-yourself- Tradition seiner Musikvideos anschließt und hemmungslos Filz, Watte, Pappe, Zellophan und Tonpapier zu einer herrlichen Stop-Motion-Collage verarbeitet.

Anfangs wirkt das zunächst beliebig und unkonzentriert; aber schon bald hat das Konzept das Herz gewonnen und man wartet sehnsüchtig auf den nächsten Einfall, auf den nächsten von allen Digitalismen befreienden Trick aus der Schatzkiste der Filmgeschichte. Das Menschliche vergisst Gondry dabei nun nicht: Es wird zwar viel gelacht in diesem Film, doch eine kleine Träne vergisst man insgeheim dann gerne für diese beiden, die sich gefunden haben und doch nicht finden.

Mithin erkennt man im Verlauf auch das utopische Projekt Gondrys, der in dem verspielt-verträumten Stéphane ganz offensichtlich ein Uhustift-schwingendes Alter Ego in Szene setzt: Seine Kunst lädt zum Mitmachen ein, zum Selbermachen, zum eigenen Animationsfilm, zur eigenen Mini-Musik auf schrottigen Keyboards. Die Unfertigkeit des Materials, so Stéphane an einer Stelle, strahlt Freundlichkeit aus; dies gilt im gleichen Maße für den ästhetischen Entwurf Gondrys, dem es nicht so sehr um künstlerischen Ausdruck, um die Monade des kunstschaffenden Subjekts geht, sondern vor allem um eine Aufsprengung von Möglichkeiten, sich Material anzueignen und Miniversen zu entwickeln. Er will, so scheint es, das Publikum retten, das vor jeglichem Nachahmungspotenzial entrückter CGI zum bloß passiven Bestaunen reduziert wird; Merian C. Coopers King Kong mag zu Harryhausen und unzähligen Super-8-Monster-Homemovies geführt haben, Peter Jacksons King Kong hingegen führt lediglich zum Trailer-Download. Dem setzt Gondry, darin Wenzel Storch nicht vollkommen unähnlich, die Physis des Materials entgegen: Eine Klorolle kann, so recht für sich besehen, auch eine Fernsehkamera abgeben, auf Flohmärkten und in verlassenen Hobbykellern tun sich ganze Ausstattungsfilme auf, das Filmband selbst bleibt bei ihm haptisch und wird, bedingt durch eine erfundene Zeitmaschine, die allerdings nur Sekundensprünge nach vorne und zurück ermöglicht, gerne mal in hektische Loopsprünge zerhäkselt. Konservativ ist das nun gerade nicht, was Gondry vorschwebt, im Gegenteil um Pluralismus und nicht zuletzt um die Schönheit einer ideenreichen Kunst bemüht, die noch danach trachtet den Zuschauer zum ehrlichen Staunen zu bringen.

The Science of Sleep ist darin ein warmer, schöner Film.

imdb ~ Jump Cut-Kritik




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In Between Days ist eine Entdeckung, wie man sie auf der Berlinale nur im Forum machen kann; ein kleiner, langsamer Film, eine Momentaufnahme aus dem Leben eines heranwachsenden Mädchens, unspektakulär in der Wahl seiner Mittel, die dann aber doch mit Bedacht eingesetzt, behutsam im Tonfall, aber nie beschaulich, und doch jede Sekunde spannend.

Die Person des Films ist die kleine Aimie, die gerade zu pubertieren beginnt. Die stammt aus Korea, lebt aber seit neuestem mit ihrer Mutter in einer amerikanischen Stadt. Mit dem ebenfalls aus Korea stammenden Tran pflegt sie eine seltsam-innige Freundschaft; immer geht es um Banalitäten, Teenie-Tand und -Blödsinn (wie sich gegenseitig mit der Nadel tätowieren), sie will ihm die Hausaufgaben machen, weil sie in einem Film gesehen hat, dass man das so macht. Er will nicht recht, später will er allerdings, dass sie's ihm macht, mit der Hand, ohne viel Aufregung. Sie macht es, neugierig, ein wenig erstaunt auch. Natürlich ist sie verliebt, auch wenn sie nicht weiß, was das eigentlich heißt; Sex aber gibt es keinen, da bleibt sie ganz Kind, das sie Gesicht und Kleidung nach noch immer ist (kaum zu glauben, dass die Darstellerin 21 sein soll). Er ist eher Slacker, interessiert sich, zu ihrem Missfallen, auch für andere Mädchen, solche Probleme eben. Parties folgen, auf denen Gespräche mit anderen immer schon im Verdacht des Verrats stehen. Aimie geht auf Distanz.

In Between Days ist immer dicht dran an den Figuren; kaum ein Dialog, der nicht beide Gesichter im Close-Up vereint, überhaupt verschwindet die Umwelt, scheint's, nahezu völlig aus dieser kleinen Welt, die erste Schritte in eine größere tätigt. Dass der Film in den USA spielt, merkt man so gut wie nie, selten genug, dass man von der Stadtkulisse mehr sähe als ein paar Farbschlieren im Hintergrund, die sich im Bildoberflächen-Rauschen der digitalen Artefakte verlieren (eigentümlich referenziell sind dann doch jene Szenen in den überzäunten Straßenübergängen, die in der Tat so aussehen wie eben jener in Michael Manns Collateral, in jener Schlüsselszene über der Autobahn). Kapitelartig oder in Handlungseinheiten strukturiert wird das Geschehen dann doch durch digital besonders verrauschte Stadtansichten, die die Skyline suchen, unbewegt, immer etwa eine Minute lang; dazu aus dem Off Aimie, die offenbar einen Brief an ihren Vater aufsetzt, eigentümlich leblos eingesprochen. Sie spricht von "so vielen Dingen", die sie ihm "hier zeigen" wolle; welche dies sein könnten, bleibt alleine ihr Geheimnis. Der Film lässt keine Schlüsse darauf zu, man vermutet darin schnell eine bloße Floskel, vielleicht auch etwas Selbst-Belügen.

Denn Aimies Lieben wie Leben ist alles andere als leidenschaftlich oder gar von Schönheit getragen. Aber auch nicht neo-trist. Es ist leer, und mit Tand angefüllt, eine Welt zwischen billigen Plüschanhängern und grellen Handytönen, Ablenkungsstaffagen, die das große Nichts verbergen sollen, durch das die Figuren sich manövrieren. Dabei formuliert der Film weder Kritik noch Mitleid, sondern allenfalls Zustand. Er bleibt dicht bei diesem Mädchen, das wir nicht kennen werden.

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Pocahontas, der Name fällt an keiner Stelle. Einmal - fast, im letzten Moment dann doch nicht. "Sie trägt diesen Namen nicht mehr!", meint der eine, später wird sie Rebecca heißen und ist dann schon ganz in die syntagmatische Signifikantenkette der anderen eingegangen. Ein Verlauf, der mit sacht nachgeplapperten Wörtern einsetzt und den The New World, geradewegs in einer Umkehrung der mit diesem Diktum verbundenen Assoziation (denn in der für Rebecca neuen Welt, die dem Zuschauer bis dahin fremdgeworden zu sein nahegelegt wird, wird der Film enden), en detail schildert. Ein Prozess der kulturlellen Einverleibung, Adaption und Verschiebung, den Malick als "Verlust der Unschuld" zu charakterisieren sich beeilt und damit doch nur im eigenen Garten gräbt.

Mehr als alle anderen Malick-Filme ist dieser Bilderbogen; die Kamera schaut aus dem Wasser in den Himmel, sie schaut vom Erdboden in den Himmel, an Bäumen und Gräsern entlang, wirft Blicke vom Himmel auf den Boden, lässt Noch-Pocahontas als überhöhtes Nymphchen durch Steppen tanzen - Paradies- und Erinnerungsbilder allenthalben, die kein Narrativ formulieren; dies erledigen die multiperspektivischen Voice-Overs, die neben Handlungserläuterung leider auch manchen Spruch aus dem Poesiealbum, die Tiefe der Liebe und die eigene Aufrichtigkeit betreffend, besorgen. Zumindest ersteres ist nicht das Schlechteste: Zwar wird Voice-Over gerne als unfilmisch gescholten (was natürlich an sich Unfug ist, beweist doch gerade die Tradition der benshi im japanischen Stummfilmkino, dass ein solches bildäußeres struktives Element dem Bild und seinem Status für das Funktionieren des Films auch sehr zugute kommen kann), doch bietet er hier Malick die Möglichkeit, sich von der Verpflichtung zur narrativen Sequenzialisierung zu emanzipieren ohne im bloß Abstrakten zu landen.

Und man merkt, dass er genau dies im Sinne hatte; alles lädt ein zur meditativen Kontemplation. Die Naturansichten, die Ansichten der Ureinwohner, die leicht bekleidete Pocahontas, das stete Zirpen und Gurren auf der Tonspur, nicht zuletzt die Musik, die sich in Schwermut und Romantik übt. Das Problem alleine ist, dass man immer nur diese Absicht sieht, nie aber deren Ergebnis. Malick ist sichtlich bemüht, am eigenen Werk anzuschließen, und steckt dabei doch nur seine eigenen Charakteristika baukastenartig zusammen. Der Film atmet Bedeutungstiefe wie kein zweiter auf diesem Festival; und doch bedeutet jedes Bild nur "Dies ist ein Malickfilm". Das einstige Wunderkind von New Hollywood, der Legenden umwobene Einsiedler der us-amerikanischen Filmindustrie ist mit seinem vierten Film in rund 35 Jahren leider Gottes bei der routinierten Selbstzitation gelandet. Ästhetische Erfahrung um jeden Preis will dieser Film sein, Reflexion kulturphilosophischer Konstanten auf hohem Niveau ; geworden ist's Postkartenkino mit etwas Meditationskolorit - wohl gerade ausreichnend für die Produktionsgesellschaft New Line Cinema, um, wenn schon vermutlich nicht als großer wirschaftlicher Erfolg, so eben doch als Kunst-Prestigefilm für's eigene Renommé verbucht zu werden.

Dabei ist der Film stellenweise gar nicht mal schlecht; zuweilen recht gelungen rückt er den Status von Symbolen und Ritualen (diese nicht so sehr als festives Element verstanden, sondern generell als performatives, im Miteinander sinnstiftendes Verhalten) für Kulturen in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Die kulturellen shiftings, die alleine Pocahontas vorbehalten sind - Captain Smith, ihr tragischer Liebhaber, wird nie beim Einüben von Worten gezeigt, lediglich beim Einüben von rituellen Handlungen, doch mögen diese zu rein äußerlicher Mimesis gerinnen, wie auch sein im Voice-Over dargestelltes Verständnis der Ureinwohner manches Missverständnis verrät -, protokollieren dabei vielleicht überhaupt die Entdeckung von Kultur als solcher (im Gegensatz zu einem als naturalisiert wahrgenommenen Zustand verstanden), die, um sich ihrer Kulturalität bewusst zu werden, das Fremde und Andere überhaupt erst benötigt. Für diese Prozesse nimmt sich The New World viel Zeit, und hier kann er bestehen.

Allein, er gibt sich nicht damit zufrieden. Er schwingt sich auf zur steten Mythifizierung und schreibt sich fortlaufend als Kommentar voller Elegie über den Verlust menschenhistorischer Unschuld in die Begegnung der Kulturen ein. Da er ästhetisch nicht einlösen kann, was er einem in Permanenz nahelegt, bleibt The New World als seltsam delirant gescheiterter Versuch in Erinnerung, der sehr zu seinem Schaden den guten Film, der er ohne weiteres hätte sein können, immer als Ahnung mit sich herumträgt.

imdb ~ Jump Cut -Kritik




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Samstag, 11. Februar 2006
So richtig angefangen hat das Festival für mich noch nicht. Gestern morgen gemütlich zwei Filme aus dem Forum, deren Pressevorführungen immer die entspanntesten und irgendwie nettesten sind. Das ist schon sehr nah dran am eigentlichen Kinobesuch, im Gegensatz etwa zu den Verhältnissen, die frühmorgens vor der ersten Wettbewerbs-PV im Berlinale Palast herrschen (der ohnehin, dies nur am Rande, das beschissenste "Kino" überhaupt ist). Danach noch zur Uni, auch heute morgen wieder, dann noch nach Hause, Unikram erledigen, dann wieder zur Berlinale und heute nur einen Film geschaut, den wenig erfreulichen Bollywood-Beitrag (siehe unten). So richtig Berlinale ist das noch nicht, aber morgen geht es richtig los, das fürchte ich, mit Terrence Malicks Pocahontas-Blockbuster New World, für den es in den frühesten Morgenstunden sich aus dem Bett zu schälen gilt.

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Schrecklich die beiden Frauen zwei Plätze neben mir vor Parineeta. Es wird aufgerückt, um einer kleinen Gruppe weiter rechts die Möglichkeit zum Zusammensitzen zu geben; da klagt die eine plötzlich darüber - und dies eben nicht unauffällig -, dass sie nun auf einer "ungeraden Nummer" sitze. Damit hat sie in Problem, das geht nicht, nein, das geht wirklich nicht, mit ungeraden Nummern, so sie, mit denen habe sie ein Problem. Also tauscht sie den Platz mit ihrer Freundin und sie ist ihr sehr dankbar dafür, auf sehr affektierte Weise. Die andere will nun aber auch endlich ihre fünf Minuten Gratis-Rumspinnen aufbrauchen und erzählt in eine fort von ihrer seltsamen Diät, die sie gerade fährt - und ich fürchte, weil diätbedürftig sah sie ja nun gerade eben nicht aus, dieses Ernährungsdiktat, das im wesentlichen auf Totalverzicht auf allem basiert (außer Sesamöl, Sesamöl geht, meint sie, fein, denke ich mir, Sesamöl, das ist ja schon fast eine vollwertige Mahlzeit), begründet sich streng spirituell. Warum tauchen solche Freaks grundsätzlich bei Filmfestivals auf? Wo sind die sonst anzutreffen?

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Ich hasste sehr lange Zeit Pistazien, was damit zusammenhängt, dass ich mal so mit 11 eine gegessen habe, die mir nicht geschmeckt hat. Seit kurzem liebe ich Pistazien, was damit zusammenhängt, dass ich mal wieder welche probiert habe. Jedenfalls, das Pistazieneis oben bei der Eisdiele in den Potsdamer Arkaden ist ganz okay, aber nicht super. Die Kugel drunter ist Cookies, so schmeckt einfach die Berlinale für mich, jedes Jahr immer wieder.

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Ich laufe blöd rum, mit Eis in der Hand, und bin plötzlich wieder im Cinemax, von wo ich eigentlich gerade geflohen bin. Bei der Pressevorführung zum neuen Film von Lukas Moodysson, den anzuschauen ich mich scheue, ist kein Einlass mehr möglich, Kino schon voll mit Presse, kurzfristig zweite PV anberaumt. Auch wieder so ein Ding, das ich nicht verstehe. Warum nun ausgerechnet bei dem alle reinrennen? Allerdings war sein letzter Film ja ein Porno und so ist das ja eigentlich immer: Irgendwas mit Porno, Titten oder Schmuddel machen und Du hast auf der Berlinale vollstes Haus. Keine Ahnung, um was aber nun in diesem Film geht.

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Ich warte noch auf den ersten Dummbrot-Journalisten, der mir negativ in einer Pressevorführung auffällt; erfahrungsgemäß gibt's solche berufsmäßigen Luschen jedes Jahr zu bestaunen. Ekkehard hat schon welche in ihrem ureigenen Terrain, den Wettbewerbspressevorführungen, angetroffen. File under: Hassliebe. Na gut, mehr Hass als Liebe.

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Vor dem Berlinale-Palast versucht so ein Praktikantinnen-Opfer die "Cine-Ausgabe" von Gala zu verschenken. Keiner will das, ich auch nicht, nein, auch beim zweiten Mal nicht, wirklich nicht.

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Im Hotel Hyatt, wo es die Pressekarten und -konferenzen gibt, sind dieses Jahr in der Lobby irgendwie alle viel wichtiger als in den Jahren zuvor. Zumindest was Gesichtsausdruck und Körperhaltung betrifft.

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Schade: Gibt es dieses Jahr kein ScreenDaily? Noch keine Ausgabe gesehen, nirgends. Dafür nur die Variety, aber die hat irgendwie nicht diesen Live-Charme. ScreenDaily hingegen hat immer diesen Talk at "Platz"-Charme. Kommt hoffentlich noch, da würde was ernsthaft fehlen.

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Wenig Plakate diesmal am Platz.

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Der Goldene Ehren-Arschtritt gebührt im übrigen mal wieder der BVG, der es nun schon zum zweiten Mal in Folge gelungen ist, pünktlich zum Festival den S-Bahnbetrieb hin und ab dem Potsdamer Platz ab abends auf Pendelverkehr mit vielen Pausen zwischen den Zügen umzustellen. So ist es recht - während droben noch Tausende Leute aus aller Welt in den Kinos hocken, die alle noch nach Hause wollen, und alle Würdenträger dieser Stadt antanzen, um die Metropole Berlin zu beschwören, zeigt sich die Stadt drunten im Keller von ihrer finstersten, provinziellen Seite. Von selbst versteht sich, dass die Info-Ansagen zum ohnehin zur Desorientierung einladenden Pendelsystem natürlich auf Deutsch rumgepöbelt werden. Aber nun gut, dafür kann die BVG seit neuestem kontrollieren als gäb's kein Morgen mehr: Geschlagene achtmal wurde ich in den letzten drei Tagen zum Vorzeigen des Fahrausweises aufgefordert.

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So richtig angefangen hat es irgendwie wirklich noch nicht.


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Pin-Up-Ikone Bettie Page ist vielleicht das beste Exempel dafür, wie unsere Bilderkultur simulakrische "Wesen" mit hoher Eigendynamik hervorbringt, die mit der historisch abgebildeten Person nicht mehr zu verwechseln sind. Denn wer ist Bettie Page? In erster Linie ein Archiv von Fotos und kleinen, naiv mit sexuellen Devianzen spielenden dirty movies. Wer aber war die historische Bettie Page, die Person hinter dem Kunstwesen gleichen Namens? Wer sollte das schon wissen können! Mehr als bei allen anderen ikonisch überhöhten Stars und Traumfrauen - denen die Berlinale dieses Jahr immerhin die Retrospektive widmet - liegt hinter der kinky Oberfläche eine fast phantomartige Leere.

The Notorious Bettie Page ist nun das unvermeidliche Biopic über die Pin-Up Queen und immerhin zugute halten kann man ihm, dass er - im Gegensatz etwa zum recht betulichen Cash-Biopic Walk the Line, das jüngst ins Kino kam und von solchen Problemstellungen nichts wissen will - erst gar nicht versucht, eine Zugriffsmöglichkeit auf die historische Person zu suggerieren. So ist der Film reichlich stilisiert, bald fleckiges, bald kristallklares Schwarzweiß versucht die materialästhetisch doch recht dynamische Qualität der überlieferten Aufnahmen von Page zu simulieren, um sich auf diese Weise von vorneherein als Appendix zum Bildarchiv "Bettie Page" zu erkennen zu geben; abwechselnd dazu gibt es unfassbar cremigfarbene Sequenzen - passend zum Page-Output, der exakt zwischen diesen beiden Fotomaterial-Polen verortet ist. Unklar bleibt hingegen, warum The Notorious Bettie Page sich regelmäßig an die Bildästhetik des Film Noir anschmiegt; mit dem hatte die Page nun weiß Gott nie etwas zu tun, auch filmhistorisch ist das mehr als unscharf. Es dämmert einem bei solchen Widersprüchen, dass die Wahl der gestalterischen Mittel vielleicht doch nicht so reflektiert vonstatten ging, wie sich das hier vielleicht liest.

Wir erfahren manches aus Bettie Pages Leben; einen Sinnzusammenhang konstruiert der Film hingegen nie. Strebsam in der Schule gewesen, im Debattierclub engagiert, vom Vater missbraucht, später dann von einer Gang vergewaltigt, trotzdem irgendwie im Oben- und bald auch Unten-Ohne-Biz gelandet, schließlich Sittenprozesse und irgendwann Born Again Christian geworden. Die Elemente stehen disparat nebeneinander, episodisch aneinandergereiht, nie entsteht der Eindruck psychischer Kontinuität. Naheliegend für einen typischen Genre-Vertreter wäre es gewesen, Missbrauch und Vergewaltigung irgendwie mit ihren späteren Arbeiten zu kontextualisieren - nichts dergleichen, Page erscheint, wie das später mal gesagt wird, ganz als "the born exhibitionist". Die reale Person Bettie Page verschwindet auch hier hinter dem Film.

Man mag davon halten, was man will; als Drama funktioniert der Film deshalb nicht richtig, man könnte diese Haltung aber auch als reflektierte Begegnung der grundsätzlichen Problematik des Biopic-Genres, das seinen Gegenstand immer auch nach dramaturgischen Konventionen verformt, einordnen. Könnte man, nur ergibt sich das nicht recht zwingend aus dem Film selber; immer bleibt dabei die Ahnung, es zu gut zu meinen mit einem Film, der, so glaubt man schließlich doch, letzten Endes nur am ästhetischen Liebreiz und einer immerhin gelegentlich recht unterhaltsamen Hommage interessiert ist.

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Bollywood ist Kino des Exzesses, im Sinne eines allgemeinen "Zuviels" und vor allem der Freude daran in einem abgekarteten Spiel. Alles ist way too much, und deshalb auch so großartig: Die Choreografien feiern schon ein überbordendes Fest, wo doch eigentlich nur ein kleines Mosaiksteinchen der Handlung hinzugefügt wurde; die Farben bringen den Bildkader regelrecht zum Bersten, der Schmuck ist nurmehr hilarious, die Gefühle so täuschend unecht, dass es eine wahre Pracht ist, wider besseren Wissens in sie hineinzutauchen, mit einem Köpfer vom Zehnmeterbrett. Die Stories sind bigger than life, die Tragik sowieso. Bollywood ist dabei kein Trash, auch wenn in westlichen Kinos dazu gerne an den falschen Stellen gelacht oder, schlimmer noch, abwehrend Köpfe geschüttelt werden. Bollywood meint Exzess, Kino-Exzess.

Was nun also ist - so darf man nach der Sichtung von Parineeta, mit dem das Internationale Forum dieses Jahr eröffnet wird, mit Recht fragen - ein Bollywood-Film eigentlich wert, der dem Exzess geradewegs zu misstrauen scheint und ihn mit aller Konsequenz aus seinen Bildern, seiner Story treibt? Nicht viel, wird man sich eingestehen müssen.

Die Geschichte entspricht einer gängigen Blaupause, was nicht viel Wunder nimmt, basiert sie doch auf einem Roman, der, wie man von den Produzenten im anschließenden Q&A erfährt, in Indien nicht nur ungemein populär, sondern auch die Vorlage unzähliger Bollywood-Filme ist. Es geht also um Liebe zwischen, zunächst, Nachbarskindern, später: Erwachsenen, über die Gartengrenze und die Klassen hinweg. Natürlich will sein Vater, ein eiskalter Businessman, den ihrigen, ein geradewegs kuschlig-liebenswürdiger Patriarch, übertrumpfen: Dieser leiht jenem einen enormen Batzen Geld, wohlwissend, dass er es nicht zurückzahlen wird können, und spekuliert damit auf dessen Grund und Boden, wo ein Hotel entstehen soll. Nicht berücksichtigt im Plan wird ein Freund der auszubootenden Familie, der in Großbritannien dick im Geschäft und gerade zu Besuch ist; leichter Hand sind die Schulden getilt, was nicht ohne Folgen für die Liebesgeschichte seit Kindestagen der beiden Hauptfiguren bleibt: Er wittert ihren Aufkauf, wähnt Prostiution, was folgt entspricht den Gesetzen des Melodrams: Zuviel Stolz im Spiel, aneinander vorbei geredet wird obendrein, Missverständnisse allenthalben, das Glück zerbricht. Am Tage seiner Hochzeit - zu heiraten ist eine unerträglich nervige upper-class bitch - hebt sich der Schleier vom intriganten Spiel des Vaters ...

Parineeta beginnt mit einem Bild im Bild: Nostalgisch vergoldeter Blick auf einen Fluss, auf Calcutta, es ist das Jahr 1962 und ein Dampfer schiebt sich voran, drumherum ein Bilderrahmen, der im Zuge einer Zoomfahrt der Kamera verschwindet und deshalb als merkwürdig sinnlos in Erinnerung bleibt; er verweist allerdings bereits auf das Problem des Films, der die Statik und nostalgische Wehmut eines gerahmten Bildes sucht, von der Bewegung aber nicht lassen will. Das Ergebnis ist ein merkwürdiger Kompromiss, der wie das schlechteste aus zwei Welten wirkt: Ein Gutteil der Musical-Sequenzen ist am Klavier situiert (er ist Komponist) und zeichnet sich gerade dort durch einen Mangel an Bewegung aus, wo andere Bollywood-Filme förmlich übersprühen; statt bonbonartiger Farbenpracht wird alles in jenen entrückt wirkenden goldenen Schimmer eingetaucht, der im Kino üblicherweise Nostalgie markieren sol, was selten genug funktioniert, jeder Lichtstrahl der Ausleuchtung sitzt perfekt und taucht alles ins matt Schimmernde, ordnet dabei jede Bewegung, jede Regung rigoros unter sein Regiment, wo doch eigentlich gerade das Berstende aus dem Bildrahmen heraus eine Tugend aus Bollywood ist; statt funky Rhythms setzt man auf eine merkwürdig verwestliche Musik, keine der Figuren ist grell und überzeichnet, sondern geradewegs auf psychologische Stimmigkeit reduziert; das natürlich arg konstruierte Melodrama verweist nur auf sich selbst, um zu Tränen zu rühren, und gibt sich, auf diese Weise entblößt, eben doch nur als die Schwachstelle, mit nichts weiter sonst, zu erkennen, die man Bollywood-Erzählungen, aus westlicher Perspektive, immer schon ankreiden hätte können.

Oder kurz: Parineeta wirkt wie ein handwerklich qualitativer Hollywoodfilm, dem man ein wenig Bollywood-Features aufgeklebt hat, wobei der Wahnsinn, der diesem Filmzusammenhang glücklicherweise oft anhaftet, geflissentlich vergessen wurde. Parineeta ist slick und glossy, aber schlicht und ergreifend nicht gut; ja, schlimmer noch: wenn es in dem Film tatsächlich in eine Lokalität namens Moulin Rouge geht, wo man eine, in wirklich absolut jeder Hinsicht, erschreckend biedere Choreografie zu sehen bekommt, wünscht man sich den von Bollywood durchaus inspirierten Größenwahn herbei, der Baz Luhrmanns gleichnamigen Film kennzeichnete. In der letzten Sequenz blitzt dieser für ein paar Sekunden auf, als würde es der Film einem noch extra mit auf den Weg geben wollen, dass er einen nach Strich und Faden um den Bolly-Genuss betrogen hat.

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Freitag, 10. Februar 2006
Keith Fullton und Louis Pepe sind eigentlich Dokumentarfilmer, und auf diesem Gebiet haben sie ein Händchen für Ausgefallenes: Lost in La Mancha etwa, mit dem sie sich bereits einen guten Namen machten, ist eine eigenwillige Doku über einen gescheiterten, da nicht vollendeten Film von Terry Gilliam, ansonsten machten sie anhand recht eigentümlicher Making-Ofs von sich reden.

Bei diesem Hintergrund wundert es nicht, dass das fiktionale Spielfilmdebüt der beiden nun ausgerechnet in Form einer Mockumentary daherkommt, jenes diffusen Genres also, das narrative und ästhetische Charakteristika der klassischen Dokumentation deckungsgleich bei allerdings voll geskriptetem und inszeniertem Gegenstand imitiert und dabei die kulturelle Konstruktion von vermeintlich für Wahrhaftigkeit bürgenden Merkmale der Doku in den Vordergrund rückt.

Wobei, letzteres gerade ist eigentlich nun nicht das Ziel von Brothers of Head, es wäre auch zu banal, da längst von anderen Beiträgen des Genres erledigt und als allgemeine Erkenntnis etabliert; in der Tat will der Film erzählen, dies nur eben anhand anderer Erzählformen als den üblichen. Es geht um die Herausbildung einer spannenden, durchaus dramatischen, zum Ende hin tragische Geschichte eines siamesischen Zwillingspaars, zwei am Rumpf miteinander verwachsene Brüder in den 70er Jahren in Großbritannien, die musikalisch zwar nicht sonderlich talentiert sind, an jener historischen Bruchstelle aber, wo Beat und Rock zum Punk umschlugen, ihre freakishness auf die Bühne holten und für wenige Monate Ruhm und stardom einfuhren, dabei vielleicht sogar Punk Rock den initialen Kickstart mit auf den Weg gaben. Natürlich kommen Drogen und Frauen ins Spiel, Konflikte überschatten den Ruhm, Rausch, Schweiß und Stromgitarren allenthalben.

Brothers of Head beginnt wie ein Spielfilm; karges, britisches Hinterland, knapp knadrierte, stilisierte Einstellungen, ein Rechtsanwalt tritt auf, nähert sich einem kleinen Farmhaus, man meint das spröde Klima förmlich auf der Haut zu spüren. Doch bald ist da ein Bruch, das Filmteam rückt ins Bild, man bekommt zu sehen, was man im Spielfilm allenthalben sehen könnte, würde es in der abschließenden Montage nicht auf dem Boden des Schneideraums landen. Es gab zu sehen, so stellt man schließlich fest, einen Ausschnitt aus einem seinerseits unvollendeten Film von keinem geringeren als Ken Russell über die beiden Zwillinge, er selbst tritt auf, in klassischer talking head-Fernsehinterview-Ästhetik, und berichtet von der Faszinationskraft des Stoffes der beiden Punkrock-Freaks, er spricht von "loss and exploitation of innocence" und gibt zu bedenken, dass der Stoff "overall pretty gothic" sei. Anderes footage taucht auf, in den 70ern soll auch eine Doku über die beiden gedreht worden sein, ebenfalls unvollendet. Zeitzeugen halten ihr Gesicht vor die Kamera, Materialästhetikwechsel allenthalben.

Gerade hierin zeigt Brothers of Head sein ungemeines Geschick: Es gelingt ihm, Flair wie Wehmut alter Materialästhetik noch bis in den einzelnen Farbklecks hinein zu simulieren, im Verbund mit gerade eben nicht auf postmoderne Nostalgie abzielender Ausstattungsästhetik ergibt sich ein seltsam flirrendes Gesamtbild, das mithin auch Bündnisse eingeht mit der Avantgardekonzeption eines Stan Brakhage und dem 70er queer cinema.

Das Ergebnis ist nichts weniger als mitreißend. Die Betonung des frühen Punk Rock des Abnormen und des Hässlichen, ja geradewegs dessen Affirmation, wie die der Selbstzerstörung und des Rauschs einer rigorosen Körperlichkeit jenseits von Hippie-Befindlichkeit und -Sanftmut, daraus folgernd nicht zuletzt die Affinität der zumindest frühen Punk-Bewegung zur künstlerischen Avantgarde in den Metropolen erfährt hier eine kongeniale Emblematisierung im Bild der beiden miteinander verwachsenen Zwillinge, die auf der Bühne ihr Ausgegrenztsein final durch Zurschaustellung überwinden. Ein verheißungsvoller Ruch von Utopie liegt über diesem Film, repräsentiert nicht zuletzt durch den wahrhaft mitreißenden, eigens geschriebenen Score von Clive Langer , der den frühen Punk in all seiner Rohheit und Unbändigkeit zu fassen kriegt, gemischt vielleicht mit der etwas melodramatischen Wehmut, das es für diese Utopie, aus heutiger Perspektive, immer schon zu spät war.

Ein Film über die Schönheit ungeschliffenen Materials (etwa auch alter Tape-Aufnahmen, wie sie rauschen und klingen), der Ausbruchsverheißung, die einmal ein paar Bretter Holz und Stromgitarren bedeuteten, und die Lust an der Zelebrierung des eigenen Körpers und seines Verfalls. Schon alleine wegen des von manchen vielleicht als heikel empfundenen Themas kein Film für jedermann, umso besser. "Cult potential" schreibt Variety - durchaus, durchaus. (ich jedenfalls liebte ihn beim Sehen)

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Vater, Mutter, Tochter im Hessischen: Ein Eigenheim wird bezogen, es ist Winter, am Montag kommen die neuen Fenster, auch wenn man das eigentlich im Sommer macht. Es scheint harmonisch zuzugehen, etwas zu beschaulich vielleicht, ein wenig fad auch alles, ein Fassbinder'scher Eheknast aber ist das nicht und wird es nie. Dann will die Mutter abends das zuckersüße Töchterchen bei den Schwiegereltern abholen; sie steht vor deren Hause, schaut durchs Fenster, sieht ihr Kind, dreht wortlos um, zum Auto hin, fährt ab. Autobahn, nachts, rote Autolichter, außerhalb des Schärfebereichs, keine Flucht im eigentlichen Sinne, ein Abtauchen ins Unscharfe eher. "Ich komme nicht mehr zurück", sagt sie schließlich später in ihr Handy als sie Rast macht.

Sie fährt zum Wochenendhäuschen ihrer Eltern, wo ihr Bruder gerade, was sie jedoch nicht weiß, als sie dort hinfährt, ein bisschen Liebespaar mit seiner neuen Flamme spielt; er ist ein rechter Weiberheld, wie wir erfahren, immer Geschichten am Start. Bald kommt ihr Gatte hinterher (der Bruder hatte ihn eingeladen, nach einer kleinen, wechselseitigen Gemeinheit unter Geschwistern), sie entgeht der Begegnung gerade noch rechtzeitig in ein nahes Hotel, dort Möglichkeit zum Seitensprung. Dann stirbt der Nachbarssohn zuhause, und die Fenster sind noch immer nicht da und es wird zur Beerdigung geladen. Sie kommt zurück, nähert sich wieder an, während ihr Mann eine alte Liebschaft ausgebuddelt hat; wie man in der Krise eben tickt.

Montag kommen die Fenster zeigt einiges, spielt mit den Möglichkeiten des Stoffes und auch dem Wissen des Zuschauers, erklärt aber nichts und verfällt in keine Konvention. Es mag kein Zufall sein, dass der Film in jener Sequenz, in der die Frau orientierungslos durch das Hotel geistert, für einen kurzen Moment lang Gus van Sants Elephant zu zitieren scheint; hier wie dort geht es um eine Situation, die förmlich darauf zu drängen scheint, erklärt, durchleuchtet und einsortiert zu werden, wohingegen beide Filme es vorziehen, eine naheliegende Erklärung gerade eben nicht zu konstruieren. Im Hotelzimmer schaut sie schließlich einen französischen Film, als läge die Ahnung eines französischen Ehedramas in der Luft; auch diese Ausfahrt nimmt Köhler nicht. Der erste näher ins Bild geratende Gegenstand im Waldhäuschen ist eine eindrucksvolle Kettensäge; man fürchtet, sie wird noch wichtig, als Instrument zur, wie Metapher für Zerfleischung - weit gefehlt, die Kettensäge bleibt ihrem ursprünglichen Zweck vorbehalten. Der Seitensprung im Hotel mit einem dicklich-älteren Lebemann, dessen Charme Behauptung bleibt, bleibt selbst wiederum Episode, nichts weiter. Es geht nicht um das große Drama, es geht nicht um die conditio humanae, für die man den Stoff als Sinnbild vielleicht in Frankreich verwendet hätte, es geht auch nicht um eine neue Moral, auf die ein Haneke vielleicht abgezielt hätte; es geht zunächst nur um diese drei Figuren, nur um diese drei, um nichts weiter, und die nimmt Köhlers Film ohne Vorbehalte ernst, kein tiefschwingender Pathos, keine Überwältigung suchende Tristesse.

Mithin mag es dann doch, dies aber nur vielleicht (zumindest die letzte Sequenz legt es nahe), um den Verlust der Erotik im Alltag gehen, das Einschlafen der fleischlichen Reize, wenn man sich einzubuddeln droht im Ehe- und Heimglück. Nicht umsonst spielt der Film in Kassel, einer Art Nicht-Ort in der Mitte von Deutschland, wo das ländlich-bequeme, aber nicht rustikale des alten West-Deutschlands vielleicht noch in Spuren erahnbar ist; eine (Um-)Welt, die zur Formulierung einer Utopie nicht imstande ist, weshalb die Flucht der Frau, wie ihre Rückkehr, vielleicht so sinnlos wirken mag, wie sie schließlich auch im Norweger-Pullil und Schlabberjeans durch die Wälder streift. Kein Ausbruch möglich, da kein Ventil in diese Richtung, und wenn ist es längst absorbiert: Ihr Bruder baut einen Joint, hört Ton, Steine, Scherben oder Rio Reiser, ein bisschen Kiffen ohne auflehnende Geste, seine Freundin, die nicht minder kifft, macht ein Praktikum im Bundestag; über 200 Gesetze hätten "die" (gemeint ist Rot-Grün) verabschiedet, natürlich hat sich was verändert, meint sie, mit den anderen stünden "wir" jetzt im Irak. Kein Gegenkonzept, das nicht immer schon regierungsfähig wäre. Das simple Bonmot des kurzfristigen Liebhabers: Ein Land, das nicht recht zu essen, nicht recht zu trinken, nicht recht zu ficken weiß, und obendrein Tennis zu wichtig nimmt.

Die Umwelt ist deshalb wichtig für den Film: Immer ist da mehr als bloßer Bildraum; ein Film, in dem man, wie vielleicht vorher noch nie, immer wieder Stimmen aus Nebenräumen hört, sei es durch offenstehende Türen oder durch Wände hindurch. Im Hotel ein monotones Rauschen im Hintergrund; über dem Abspann die Laute der nahen Autobahn. Ein akustisch erschlossener Raum, der gerade in seiner Weite so trostlos wirkt, hier wie dort sein bleibt sich da gleich; ein intensiver Film ganz ohne den Pathos der Intensität, in seiner Klar- und Einfachheit nichts weniger als tief beeindruckend.

imdb ~ weitere Informationen ~ Interview mit U. Köhler



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Das Verhältnis von Trauma und Film, diesen dabei zunächst verstanden als Medium und Form der Äußerlichkeit, ist prekär: Zwar mag es dem Filmbild obliegen, einen traumatisierenden Prozess als solchen optisch einzufangen; doch widerstrebt es dem zur Objektivierung neigenden Bild, das Trauma selbst, eine theoretische Figur der Verletzung, die sich Versprachlichung wie Aufdeckung immer wieder entzieht, zu fassen zu bekommen. Das Trauma lässt, zumindest in der psychoanalytischen Theorie, nur referenziell auf sich schließen, verbirgt sich hinter Schichtungen aus Verschiebungen und Verdrängungen, verweist immer wieder auf die Krypta im Seelenapparat, ohne aber einen Schlüssel mitzuliefern. Für das Trauma im Film heißt dies, eine Methode zu finden, die über bloße Repräsentation hinausgeht, die die Konstruktion einer verlässlichen Diegese womöglich in Permanenz unterwandert und den Prozess des storybuildings selbst - verstanden als das Verhältnis zwischen fabula (das Erzählszenario als solches, wie es sich objektiv-linear nachvollziehen ließe, ein dem Film zumindest tendenziell unäußerliches Konstrukt, das der Zuschauer selbst im Abgleich mit den filmischen Informationseinheiten herausbildet) und syuzhet (dessen dramaturgische Staffelung in der ästhetischen Einheit des Filmes selbst) - reflektiert. Strange Circus, der dritte Langfilm von Shion Sono, der bereits mit dem kontroversen Suicide Club für einiges Aufsehen sorgte, operiert genau in diesem Bereich.

Der Film schildert... ... ja, was? Zumindest, und von Anbeginn kann da kaum Zweifel bestehen, keine verlässlich-äußerliche Abfolge von Erzähleinheiten. Die erste Sequenz zeigt einen bizarren Zirkus, zwischen Grand Guignol, klassischem Vaudeville, queer gathering im Sinne einer Rocky Horror Picture Show und Revue - ein Ort jenseits der eigentlichen Diegese; der Film findet weiters objektiv erscheinende Bilder, dann wieder mentale Bilder, die auf rein optischer Ebene innere Verfassungen wiederspiegeln, bald illustrativ-objektive, die ebenso innere Ansichten zu bieten scheinen, dabei aber nicht die Bildoptik selbst, sondern eine bizarr-surreale Setgestaltung - vor Blut triefende Wände beispielsweise - nutzen. Im Kern stehen drei Figuren: Die Mutter, der Vater, die Tochter. Es ist Mißbrauch von Vaters Seite im Spiel, in diesem Familienroman; in reichlich pervers arrangierter Form obendrein, die schon bald Zweifel an der Wahrhaftigkeit aufkommen lässt, zumal der Kommentar der mißbrauchten Tochter aus dem Off darüber schon bald die eigene sexuelle Entzückung und Frauwerdung kommuniziert. Es wirkt, bei aller Eindringlichkeit und Drastik, ein wenig zu erotisch verspielt, was da zu sehen ist, um wirklich wahr zu sein; ein wenig wie bei Sacher-Masoch liegt die Verzückung an der erotisch-entwürdigenden Anordnung in der Luft, das leicht schwülstige Element mit Transgression liebäugelnder erotischer Literatur. Lässt sich dem Erfahrungsbericht trauen? Was ging wirklich vonstatten? Welchen Status hatten die stilistisch so kunstvoll ausarrangierten Bilder wirklich? Es kam, so legt der Film nahe, schließlich zum Muttermord durch die Tochter, bei dieser nun zur schuldkomplex-beladenen Herausbildung einer zweiten Persona: Die Tochter ward zur Mutter und fand im Bild als solche Repräsentation noch im Schulalltag.

Der zweite Teil schlägt in der Tat, nach etwas setgestalterischer Verwirrung, eine andere Sichtweise vor: Es mag sich um die Visualisierung eines erotischen Romans einer einigermaßen bekannten wie spleenigen Autorin handeln. Die aber wiederum sieht der MutterTochter zum Verwechseln ähnlich. Ein zweifelhafter Fan sucht die Nähe zur Autorin, er will wissen, ob es sich um Autobiografisches handelt. Natürlich nicht, so die Autorin; doch der Film bleibt unklar und findet erneut shiftings und Verschiebungen, von einer Identität zu anderen, von einer Erzählperspektive zur nächsten. Bis das Szenario an sich, zumindest dem Anschein nach, in blutiger Anordnung, die den Bogen zur bizarren Manege des Beginn zu schlagen sucht, aufgelöst, die Erzähl- und Bildebenen aufgedröselt werden.

Bis dahin ist es ein langer Weg und ein gewisser Hang zur Ausstellung des eigenen Kunstkönnens und -wollens ist dem Film kaum abzusprechen; lange war zumindest ich gewillt, das ganze als prätentiös, arg überkonstruiert und selbstgefällig abzutun. Doch entwickelt der Film ohne Frage einen Reiz nicht so sehr durch einige, in der Tat überstark vorhandene, Brutalität und der generellen Lust am manschend Transgressiven, sondern vielmehr durch seine dann doch stets fokussiert vorgehenden Erzählmanöver, die es ihm gerade gestatten, eingangs geschildertes Problem unaufgeregt und mit einiger gewitzter Nasführung des Zuschauers zu bewältigen, die eben nicht auf Übertölpelung, sondern auf dessen gezielte Steuerung lenkt.

Die offensichtliche (und ich möchte sagen: sehr kundige) Einführung psychoanalytischer Theoreme in den japanischen Film ist dabei zum einen recht bemerkenswert (und in diesem Maße scheint mir das für das japanische Kino bislang auch einigermaßen einzigartig, entwickelt es seine Geschichten doch üblicherweise erfreulich "un-freudianisch"), zum anderen aber auch von Gewinn selbst: Anders als etwas ungelenk agierende westliche Filme wird hier nicht versucht, das ohnehin problematische Theoriegebäude mittels Narration als gültige Konstante quasi zu anthropologisieren; im Gegenteil wird über die Thematisierung von Narrativität und Erzähltaktiken, die sich sozusagen im Vorbeigehen ergibt, das narratologische Gerüst der Psychoanalyse selbst in den Vordergrund gestellt.

Strange Circus ist vielleicht kein mitreißender Film, zumal wenn man ihn vom Genre her begreift (und die Programmierung des Films an jener Stelle im Internationalen Forum, wo üblicherweise jährlich ein neuer, wenn auch gehobener Genreknaller aus Fernost zu sehen ist - sei es PTU oder die Infernal Affairs-Trilogie - legt dies zunächst nahe), in seiner künstlerischen Konzeption und Herangehensweise, die ihn irgendwo zwischen Kunst-Splatter und Filmessay verortet, zollt er, bei näherer Betrachtung, dann doch einigen Respekt ab.

imdb ~ weitere Informationen ~ Jump Cut-Kritik




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Es wurde schon wieder, wie eins weiter unten gehofft und gewünscht.


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Mittwoch, 8. Februar 2006
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Dieser Nachmittag hat viel Seltsames mit sich gebracht, höchst vermeidbare Dummheiten und merkwürdige Begegnungen allenthalben. Auf eine Weise, dass man fast meinen könnte, dass da mehr dahinter steckt; nennen wir es Schwarzer Mittwoch und ich will jetzt eigentlich nur noch ins Bett.

Nachtrag

So, reicht jetz. Auch noch beim Rasieren geschnitten. Mir ist jetzt alles wurscht, ich rauch jetz Kippen und höre Negative Approach. Fuck you, Welt.


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Thema: Hoerkino
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Sehr gut gefällt mir im übrigen gerade die neue ep von Herzog, die vor kurzem von Serein (mit Dank an Roland für den Hinweis damals!) veröffentlicht wurde. So sanft.


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Gestern im Arsenal gewesen, alleine, japanischer Stummfilm, unfassbar brillant, entrückend, Welten öffnend, eben genau das, was ich mir von einem gut deliranten Film verspreche, der nicht mehr hermeneutisch, sondern ästhetisch-sinnlich vielleicht nicht unbedingt nachvollzogen, sondern erlebt werden will. Dazu vielleicht später mehr.

Jedenfalls, ich also, taumel aus dem Saal, in die Lobby, noch völlig neben mir und mich selbst im Anhang, stehen da Baute und Pethke von new filmkritik und wir reden aneinander vorbei, die beiden waren im anderen Film, der parallel lief, Jacques Demy, bestimmt auch großartig, meine ich, nachdem ich erst meinte, dass ich da ja auch drin war, was natürlich gar nicht stimmte und schnell korrigiert wurde. wie wir eben so alle noch in unserem film drinstecken und ich schreibe jetzt klein weiter und dann geht der blick zur seite und da telefoniert Parka Lewis (der dann doch groß) mit wichtiger gestik und mimik in sein handy und ein kurzer gruß mit dem blick und alles ist seltsam und ein vierter blogger ist auch noch da, der von antarktis stadt nämlich und irgendwie ist das alles komisch, sind die überhaupt da, denke ich, und ich bin noch voll im film drin und nein, ich werde nicht mit zu tom's diner, oder wie das heißt, gehen, ich bin doch noch gar nicht wirklich vorhanden.

(immer wollte ich zu Parka "Höchst beängstigendes Progressive-Georgel" sagen, dann doch nicht gemacht)


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Dienstag, 7. Februar 2006
Thema: Hoerkino
Aus einer Laune heraus habe ich vorhin mal wieder meine alte Integrity-CD rausgeholt und reingehört; immer noch das wunderbar intensive Hardcore-gone-Metal-Brett vergangener Tage, irrsinnig intensiver Weltenbrand. Jedenfalls bekam ich daraufhin Lust mal zu stöbern, was deren schon immer - mal positiv, mal negativ - umtriebige Sänger Dwid dieser Tage so treibt und bin glatt fündig geworden: Sein neues Projekt nennt sich Roses Never Fade und hat den eigentlich logischen Schritt weg vom düster apokalyptischen Metalcore hin zu flüstertonhafter Apokalypso-Folkmusik vollzogen. Willkommen in der Gruftie-Szene!

Aber egal, denn die paar Stücke, die man sich hier via myspace anhören kann, gefallen mir durchaus. Irgendwo zwischen Americana und alteuropäisch angehauchter Schwarzromantik angesiedelt (was wohl auch passt, da der alte Cleveland-Hater seinen ersten Wohnsitz mittlerweile in Belgien pflegt), zuweilen schwingt da auch ein wenig die Atmosphäre leicht gotisch gefärbter Italowestern durch. Und Dwids Organ eignet sich ja so viel mehr zum dichten Flüstern als zum lauten Gröhlen, wie man sich heutzutage wohl eingestehen muss (hätte man mir das vor zehn Jahren gesagt - ha!).


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Thema: Kinokultur
Die neue Ausgabe des cinephilen Online-Magazins ist erschienen; besonderes Augenmerk richtet sich natürlich auf den erwartungsgemäß umfangreichen "World Poll 2005", in dem internationale Kritiker das letzte Kinojahr nochmals Revue passieren lassen.

Everyone's darling Olaf Möller ist auch wieder dabei und reiht wie immer Leckerbissen an Leckerbissen. Sehr sympathisch natürlich auch, dass in seiner "Senioren-Liste" (alte Filme, erstmals gesehen) auch Jess Francos Sie tötete in Ekstase auftaucht, den ich persönlich ja auch für einen wunderschönen, flirrend surreal-entspannten Thriller-meets-Sleaze-Irgendwas-Film halte. Und sein Porno des Jahres ist Art School Sluts von Eon McKai, ein Emo-Hardcore-Punk-Rock-Kid, das Pornos dreht und in der Szene gerade ziemlich für Furore sorgt (vgl. auch das Interview in irgendeiner der letzten Ausgaben von Splatting Image) - file under: punk rock porn with gothic chic, und dafür habe ich naturgemäß ein großes Herz.


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